Weihnachten für Angsthasen

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Klara
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Beitragvon Klara » 08.12.2011, 15:35

[aus aktuellem Anlass ein älterer Text ;)) - Oder habe ich den schon mal eingestellt?]

[[Was ich ja toll fände: Wenn jemand das bebildern möchte...]]

Weihnachten für Angsthasen Eine Kindergeschichte

Weihnachten ist wie geschaffen für Gott, aber die Eltern sind sich nicht einig über Gott, und Weihnachten ohne Gott geht nicht, also ist Weihnachten kontrovers.
Kontrovers klingt besser als Streit oder Krach. Kontrovers ist offiziell, Kontroversen stehen in den Zeitungen, oft sogar scharfe; bei einer Kontroverse steht die Einigung sozusagen schon vor der Tür, so wie Weihnachten. Jetzt steht Weihnachten schon wieder vor der Tür, das Fest der Versöhnung, oh Gott, hoffentlich gibt es diesmal keinen Krach, und was erzählt man den Kindern.

Der Vater erzählt den Kindern von Gott.
Die Mutter backt Kekse und sagt den Kindern (auf Anfrage) dass sie nicht dran glaubt.
Die Kinder stehen da und wissen nicht.
An Weihnachten muss man eigentlich an Gott glauben, der Vater weiß das. An Weihnachten glaubt er deshalb besonders doll an Gott, und das geht dann so:

Tochter: „Papa hat gesagt, wer nicht an Gott glaubt, ist ein Angsthase.“
Mama: „Aha.“
Tochter: „Dann bist du ein Angsthase, Mama!“
Mama: „Woher willst du wissen, dass es nicht umgekehrt ist?“
Tochter: „Häh?“
Mama: „Na, vielleicht ist ja auch derjenige ein Angsthase, der an Gott glaubt.“
Tochter: „Das glaube ich nicht.“
Mama: „Vielleicht ist auch überhaupt niemand ein Angsthase?“
Tochter: „An Weihnachten ist aber Gott geboren.“
Mama: „Möglich.“
Tochter: „Glaubst du das nicht?“
Mama: „Ich weiß nicht…“
Tochter: „An was glaubst du dann?“
Mama: „Hm.“
Tochter: „Glaubst du an Engel?“
Mama: „Nein, Schätzchen, eigentlich glaube ich auch nicht an Engel. Aber sicher bin ich mir nicht.“
Tochter: „Weihnachten feiern wir trotzdem, oder?“
Mama: „Natürlich feiern wir Weihnachten! Was glaubst du denn!“

In der Weihnachtszeit nimmt der Vater die Kinder in die Kirche mit. Er liest ihnen aus Bibelbüchern für Kinder vor. Er erzählt ihnen von Jesus. Die Mutter findet, dass das mit Jesus eine Horror-Geschichte ist, die nicht immer wieder erzählt werden sollte. Mit all den Nägeln im Körper, dem Blut, und der ewigen Schuld. Die Mutter hat Jesus nicht gebeten, für sie zu sterben. Aber an Heiligabend ist er ja erst nur geboren, also hält sie den Mund.

Der Vater hat gesucht und vor einiger Zeit Gott für sich entdeckt, als Mischung aus esoterischen und protestantischen Erlösungen. Die trägt er nun wie eine Monstranz vor sich her. Die Mutter findet das anstrengend. Sie wünschte, er ließe die Kinder mit seiner Sucherei in Ruhe. Sie findet, dass es auch ohne Gott schon genug Sachen gibt, mit denen man nicht klarkommt, da muss man nicht unbedingt noch eine hinzufügen. Aber manchmal ist es auch schade.
Ostern zum Beispiel. Da ist Jesus gestorben: eine blutrünstige, aber dennoch interessante Erzählung mit, wenn man so will, gutem Ausgang, die die Tochter im Religionsunterricht hören würde, wenn die Mutter sie dort angemeldet hätte. Nun erfährt sie es vom Vater, also macht es keinen Unterschied, und wichtiger ist ohnehin der Osterhase, der wenig mit Gott zu tun hat, aber wenigstens viel mit Glauben.

Tochter: „Den Osterhasen gibt es gar nicht, Mama.“
Mama: „Wieso?“
Tochter: „Hat die Erzieherin gesagt.“
Mama: „Ach…“
Tochter: „Ich finde das doof, dass sie das gesagt hat. Jetzt kann ich nicht mehr dran glauben.“

Damit war der Osterhase abgehakt (die Mutter war ziemlich böse auf die Erzieherin). Er ist jetzt nur noch ein Spiel, aber was heißt „nur“, und Weihnachten ist noch lange kein Spiel, wo kämen wir da hin, Weihnachten feiert man schließlich nicht zum Spaß! An Heiligabend geht sogar die Mutter manchmal mit in die Kirche, was soll man auch sonst machen; in der Kirche kann man unbehelligt singen, und letztes Jahr war es eine schöne Kirche und eine schöne Predigt auf dem Land. Jedes Mal kommt es ihr so vor, das letzte Mal, als Weihnachten vor der Tür stand, wäre gerade drei Wochen her gewesen. Wie die Zeit rast, meint Gott! Aber nicht für die Kinder, für die Kinder rast die Zeit natürlich nicht. Für die Kinder ist es noch ewig lange hin bis zur Bescherung. Und die Kinder wollen glauben, wenigstens an den Weihnachtsmann.

Letztes Jahr hat die Mutter einen organisiert, weil sie das im vorletzten Jahr schon gemacht hatte, die Mädchen hatten so eine Freude daran, und die Erwachsenen auch, und wenn man einmal damit anfängt, muss man weitermachen, sonst wäre es unlogisch.
Der Weihnachtsmann hatte den kleinen Schaffellteppich aus dem Badezimmer der Oma um den Hals; der weiße Bart reichte ihm vom Kinn bis zum Boden; als Mantel diente ein ausrangierter Samtvorhang. Er besaß sogar eine Rute, die hat er aber nicht benutzt.
Die Kinder bekamen ein bisschen Angst. Sie trauten sich kaum zu ihm hin, um ihre Geschenke entgegen zu nehmen, und die Kleine hielt mühsam ein paar Tränen zurück. Danach war Weihnachtsmann tagelang Tagesgespräch, vor allem sein Bart, (wenig später lag der Teppich wieder im Badezimmer, und niemand hat etwas gemerkt), und Weihnachten war glücklich vorbei.

Aber jetzt ist es schon wieder so weit! Gott wird wieder zur Kontroverse, und die große Tochter kann nicht einschlafen. Sie hat Stimmen im Kopf, die sich streiten, sagt sie, die sind so laut. Die Mutter kennt das, sie nennt es nur anders, und weiß nicht, was sie machen soll. Vielleicht sind es die dummen Stimmen der Eltern, denkt sie müde, die sich über Gott streiten, und über Nichtgott, und jetzt steht Weihnachten vor der Tür, heilige Scheiße, was machen wir denn nun wieder mit dem blöden Gott.

„Mach einfach die Augen zu“, sagt sie, „dann kannst du schlafen.“
Immerzu lügt man, und es klappt natürlich gar nicht: Die Stimmen im Kopf der Tochter sind genauso stur wie das Kind.

Mama: „Denk an was Schönes.“
Tochter: „Mir fällt nix ein.“
Mama: „Denk an Weihnachten, ist nur noch ein paar Wochen hin.“
Tochter (freut sich): „Echt wahr?!“
Mama. „Ja.“

Aber das Kind schläft immer noch nicht. Das Kind ist unglücklicherweise in solchen Fällen Weltmeister darin, etwas Neues zu finden, das ihm Kummer machen kann, von wem hat es das bloß, und Weihnachten ist wie geschaffen für Kummer.

Tochter: „Ich bin so traurig, Mama.“
Mama: „Warum?“
Tochter: „Ich glaube, ich kann nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben.“

Wenn ein Übel besiegt ist, lauert schon das nächste, das ist eben so, wenn man Kind ist, und das bleibt auch so, wenn man erwachsen ist, und es gibt Momente, da ist es ziemlich schwierig, älter zu werden und älter zu sein. Denkt die Mutter. Für das Kind. Sie denkt für das Kind und graust sich vor dem Moment, an dem sie das nicht mehr dürfen wird. Weil das Kind zu groß sein wird. Wenn dessen Kindheit erfolgreich besiegt ist. Wenn es auf einmal spürt, dass manche Sachen ganz anders sind als sie sind. Wenn es plötzlich zu groß ist für das Spiel mit dem Weihnachtsmann. Wenn aus dem Spiel Ernst wird, denn Ernst ist auch so furchtbar schwierig. Wenn man so gerne an den Weihnachtsmann geglaubt hätte und nicht mehr kann.

Tochter: „Freust du dich denn auf Weihnachten?“
Mama: „Ich freu mich ganz doll.“
Tochter: „Gehen wir in die Kirche?“
Mama: „Wenn du willst.“
Tochter: „Muss man an Gott glauben, wenn man in die Kirche geht?“
Mama: „Nein.“
Tochter: „Ich weiß nicht, ob ich an Gott glaube.“
Mama: „Vielleicht ist es auch nicht so wichtig?“
Tochter: „Aber Weihnachten ist wichtig!“
Mama: „Klar.“
Tochter: „Ich schlaf jetzt gleich, Mama.“
Mama: „Okay…“

Quoth
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Beitragvon Quoth » 09.12.2011, 22:21

Hallo Klara, ich hab mal gehört, dass es die Intelligenz von Kindern steigert, wenn sie zweisprachig aufwachsen. Sie lernen gewissermaßen in zwei Sprachwelten herumzuspazieren, die nicht deckungsgleich sind ... Schade, war mir nicht vergönnt. Weshalb ich das sage: Ist es nicht vielleicht auch sehr gut, wenn Kinder mit Eltern aufwachsen, die in religiöser Hinsicht unterschiedlicher Auffassung sind? Dadurch erfassen sie Religion als etwas, was möglich, aber nicht zwingend notwendig ist, erfassen Weihnachten und Ostern als Feste, die zu 90% Folklore sind - und über die restlichen 10% kann man sich streiten - oder es auch besser bleiben lassen, weil es da ohnehin nichts zu beweisen gibt. Irgendwo im Orkus des Archivs schlummert hier meine "Weihnachtsangst" vom vorigen Jahr. Du hast ihr ein würdiges Geschwisterchen geschenkt!
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Beitragvon Klara » 10.12.2011, 09:49

Hallo Quoth,
danke für deinen Kommentar (schön, dass du wieder hier unterwegs bist :)

Diese Geschichte ist wirklich schon recht alt, ich hab sie dann den mir als Modell dienenden Mädchen noch mal vorgelesen. An manches konnten sie sich erinnern, bei anderem hab ich in schreibender Freiheit natürlich auch geschummelt ("Hab ich das wirklich so gesagt?!"), aber die Vater-Situation ist längst eine andere, und der Text ist nicht als Erziehungs- oder Elternangsttext gemeint, sondern eher lustig im Schwierigen. Schade, dass das offenbar für dich nicht so ganz rüberkommt.

Verlinkst du deine Geschichte noch mal (ich erinnere mich nur dunkel)

herzlich
klara

Quoth
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Beitragvon Quoth » 10.12.2011, 17:01

Doch, doch, geschmunzelt hab ich auch - hab's nur in meine Antwort nicht hineingebracht.
Weihnachtsangst:
viewtopic.php?f=63&t=11613
Gruß Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.


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