Hallo Renée,
ich stolpere ein bisschen über deine Art des Erzählens, die man meiner Meinung nach geschmeidiger gestalten könnte. Ich bin mal in deinem Text, damit du siehst, was ich meine, ok?
Unweit der Kreidefelsen von Étretat, da, wo das Meer bereits tief genug ist, lebten seit langem, unbehelligt, zwei Austern der bekannten Familie Ostrea edulis.
"da, wo das Meer bereits tief genug ist" würde ich an den Anfang setzen und etwas "fließender" ausdrücken und das "unbehelligt" durch "sorglos" ersetzen und nicht so "angehängt". Das wäre meine Idee:
In der Tiefe des Meeres, unweit der Kreidefelsen von Étretat, lebten seit langem sorglos zwei Austern der bekannten Familie Ostrea edulis (wobei "bekannten" m.E. gestrichen werden könnte).
Beim Ausschwärmen der Larven hatten sich die Kusinen zweiten Grades eng aneinander gedrängt, aus Furcht vor dem offenen Meer.
Auch hier würde ich das Ende an den Anfang setzen:
Aus Furcht vor dem offenen Meer, hatten sich die Kusinen zweiten Grades beim Ausschwärmen der Larven eng aneinander gedrängt.
Sie hatten miterleben müssen, wie ein Großteil ihrer Angehörigen einer Austernbaby-Falle zum Opfer fiel und abtransportiert wurde. Antonie und Agathe gelang es, ins freie Meer zu gleiten und sich an einem Felsen zu verankern, an dem sie nun seit Austerngedenken Ebbe und Flut an sich und in sich abrollen spürten. 

Hiervor würde ich keinen Absatz setzen, da es direkt Bezug zum Vorangeschriebenen nimmt.
"an sich und in sich" klingt holprig. M.E. genügt "in sich", da es auch das "an sich" enthält.
Gegen die Menschen an sich habe sie nichts, betonte sie jedes Mal, denn sie liebte es, wenn diese mächtigen Ungeheuer ihre unförmigen Körper durch das Wasser plagten.
Warum liebte sie die unförmigen Körper der Menschen? Hier fehlt mir die Beschreibung der anderen Seite, der Vergleich von Wasserwesen, die sich geschmeidig bewegen. Vielleicht Delphine oder so? Das würde es für mich ausdrucksstärker und bildhafter gestalten.
Sie verabscheute jedoch diejenigen, die Zuchtanlagen der grausamsten Art ins Meereswasser hineinstellten und unschuldige Larven zwangen, sich dort in Reih und Glied anzusiedeln, um dann, in regelmäßigen Abständen, abgesägt und abtransportiert zu werden, mit unbekanntem Ziel.
Für mich wäre es logischer, wenn sie diese Grausamkeit auf alle Menschen projizieren und nicht differenzen würde. Woran kann sie erkennen, ob nicht ein Mensch, der sich da unförmig im Wasser bewegt, zu den grausamen Austernzüchtern gehört? Das würde ich etwas detaillierter beschreiben, damit man versteht, wieso sie es unterscheiden kann.
"mit unbekanntem Ziel" stünde m.E. besser nach "regelmäßigen Abständen", also:
... um dann, in regelmäßigen Abständen und unbekanntem Ziel abgesägt und abtransportiert zu werden.
Doch eines Tages war der Zitronenfisch ausgeblieben. Mit ihm war ihr neues Leben verschwunden und Antonie weinte bitterlich.
Hier greifst du vor. Noch weiß sie ja nicht, dass der Zitronenfisch niemals wiederkehren würde. Außerdem: zweimal "war".
Du könntest dem entgegenwirken, indem du schreibst:
Doch eines Tages blieb der Zitronenfisch aus und kehrte nie mehr zurück. (wobei mir das Verb "ausbleiben" nicht sonderlich gefällt. Vielleicht fällt dir da ein besseres ein)
Zwei winzige, bewegliche, weiche Wesen. Agathe glaubte, noch das Zarte ihrer engen Freundschaft der ersten Zeit in sich zu spüren. Weich waren sie gewesen, schmiegsam und verletzlich.
zweimal "weich" ziemlich nah beieinander. Eines würde ich ersetzen.
Entschlossen klopfte sie an Antoniens zackige Schale und begann: „Ich weiß“, sagte sie, „ich bin nicht wie unser Zitronenfisch.
Besser: "Ich weiß, ich bin nicht wie unser Zitronenfisch. ..." Das "sagte sie" braucht es nicht, da du ja schon "begann" geschrieben hast.
Antonie wurde immer heftiger, bis sie fast schrie.
Wie drückt sich das aus, dass Antonie immer heftiger wird? Hier sollte mehr Bildhaftes hinein, damit man es als Leser gut vor Augen hat.
Agathe blieb sanft: „Du musst dich daran gewöhnen, dass du die Meereswelt nicht verändern kannst."
Geht mir zu schnell, Agathe resigniert hier total, der Kampfgeist ist sofort zunichte gemacht, weil der Zitronenfisch ausblieb? Passt m.E. nicht. Ist mir zu simpel.
Agathe blieb ruhig. „Ich weiß es liebe Antonie. Schau dich doch an. Schau uns an. Was siehst du?“ Da erst öffnete Antonie ihre Augen. Sie sah, durch die Perlmuttschale hindurch, den Austernleib ihrer alten Freundin. Sie sah, wie schwach und ausgetrocknet er war. „Du musst dich daran gewöhnen“, sagte Agathe zum dritten Mal, „dass die Dinge sind, wie sie sind. Und dass du mich verlieren wirst, wie du den Zitronenfisch verloren hast. Dass ich aber noch da bin, dass ich heute noch da bin.“ Da lächelte Antonie : „Ja, es ist gut, dass du da bist.“
Auch das geht mir zu schnell. Das "Da erst öffnete Antonie ihre Augen" kommt für mich nicht glaubhaft rüber. Hier müsste sich der Moment der "Erkenntnis" bei Antonie langsamer vollziehen.
Soweit meine Gedanken zu deiner Geschichte. Vielleicht kannst du mit dem einen oder anderen etwas anfangen. Ansonsten gefallen mir der Ort und auch die Austern als Protagonisten sehr gut. Ist mal etwas anderes. ,-)
Saludos
Gabriella