seumenicht teil 2
Verfasst: 04.07.2009, 10:41
seumenicht
der postmodernen priapismen zweiter teil
seumenicht konnte nicht schlafen im nachtzug nach berlin. seine koffer waren unterpackt, er dachte an das nötigste. seine zahnbürste hatte er stets in der linken saccoinnentasche gesteckt. seine geige aus ebenbuchholz hatte er stets neben sich placiert. sie fuhr mit, als blinde zeugin der süßen noten. reisen ins nichts bedeuteten ihm viel, und wenn es ihn mal packte, dann nahm er seine geige und spielte drauflos. klassisch, selbstverständlich. paganini, nein, zu schrill und virtuos. es waren die sanften, abendrötenen spuren mozarts, auch beethovens, die er, als striche er sanft über den himmel, aus den saiten zauberte. und hätte er die möglichkeit eines transpositionssystems, er hätte liszts „la campagnella“ übertragen.
sein abteil war leer. die blonde, unbekannte frau mit den hohen schuhen war in göttingen ausgestiegen. er hätte sie gerne angesprochen, doch seumenicht war nicht der luftikuss, der er gerne sein wollte. es plagte ihn der mangel an gesprächsthemen, und vor allem fand er es irrational, nur aufgrund einer äußeren schönheit in die klauen seiner selbst und seiner destillierten phantasien zu kommen. er fühlte sich dabei wie jener skorpion, den er während seiner bundeswehrzeit beim umgraben eines gartenbeetes entdeckte. in panik berichtete er seinen fund seinem heeresleiter. dieser lachte über seine milchgesichtigkeit, fing den skorpion in einem glas und setzte ihn auf eine mauer. „alkohol her“. seine kameraden und er wurden blick und neugier, als der major einen kreis um den noch im glas gefangenen skorpion mit wodka zog. danach setzte er ihn in brand, ließ den skorpion los.im feuerreigen gefangen versuchte er, einen weg zu finden. am ende stach er sich mit seinem eigenen stachel ins genick und starb wenige sekunden später. das feuer züngelte höhnisch nieder-
seumenicht wollte ins höhlengrau, und dort wie hier, in seinen gottverlassenen grotten, in denen kein nachhall, kein gesprüh für sinn und übersinn herrschte, wies er sich nach berlin. eine bekannte stadt im meer der unbekannten. die geschichte zollt ihr tribut, die stadt hat es verdient. ihr make-up aus graffitti und ihre grauen, schweren lider, ihr verbrauchter körper, den schon viele vergewaltigten-sie war es wert. fremder unter fremden, ein patentrezept, um ungestört neue melodien zu schreiben. seumenicht wollte wieder schreiben.
er mochte die nutten am hackeschen markt. es war teuer, aber einfach. und er nahm sich vor, heute noch dorthinzugehen. die nacht löste ihr geheimnis auf und gebar mild einen neuen tag.
es war acht uhr dreißig, als er am hauptbahnhof ankam. es drückten sich stress und unsichtbare, letale faktoren durch den verglasten bahnhof. er holte sich einen kaffee bei einem dieser back-fabriken, die frische industriebrötchen verkauften. „einen kaffee zum gehen, bitte“ die bäckerin, solariumgebräunt, piercingdurchstochen durch alle möglichen und unmöglichen gesichtspartien, die lider türkis, die lippen rosa, künstlich verlängerte fingernägel, von denen ebenfalls die beiden an den zeigefingern gepirct waren, schaute ihn argwöhnisch an. „einen coffee to go, meinen sie wohl“. „ja richtig, einen kaffee zum gehen, bitte ohne shot milch und sugar-frei-„ seumenicht mochte es schwarz, stark sollte er sein, so stark, dass sich die magenwände meldeten. seumenicht hatte magenprobleme, die welt war schwer zu verdauen. der weltgeist war ein steigender meerespiegel, und er drohte zu ersaufen.
„das macht eins fünfzig“ „früher waren das drei mark“, meinte seumenicht. drei mark, eins fünfzig. Welch seltsame zuweisung von werten. er legte das geld passend auf die coca-cola-auszahlungsmulde, ging weiter und betrachte sich die menschen. gehetzt, manche mit kindern, die sie mit sich zogen („in ihre flucht vor sich selbst“).
er trank ungenüsslich seinen kaffee, er schmeckte zu bitter und gleichzeitig wie pures wasser.
die rolltreppe hinab sah er eine werbung, die ihn beeindruckte. „wir kaufen ihr zahngold“ seumenicht musste an seinen großvater denken, der sehr viel von diesem zahngold hatte. nur lag dieses nun drei meter unter der erde- im jenseits ist kein soll und haben.
„ na, kleiner, wo geht’s denn hin?“ seumenicht hatte nach allen regeln der kunst den tag verstreichen lassen. sein hostel war in ordnung, auf dem kissen lag ein after eight. und schlussendlich macht er sich nach acht los, nachdem er noch mal ordenlich geschlafen hatte. seumenicht war ein nachtmensch- durch den vorhang in die stadt- extrovertiert, nichts für ihn. das einzige, was er an nachtfahrten mochte war, dass wenige leute mitfuhren und er seine ruhe hatte. seumenicht wollte denken- und frei sein. am hackeschen markt lief er einer blonden nutte ins netz. „na, ich weiß nicht.“ „ich wüsste, was dir spaß macht“ er betrachtete sie kurz, flüsterte ihr etwas hageres ins ohr „ auf dich hab ich gewartet, amygdala.“ seumenicht verlor sich in den büschen, und die nutte hatte fünfzig euro verdient. amygdala hatte ihre sache gut gemacht, sie kannte das spiel. nun gehörte er, wie eben alle, zur grauzone. keine unterhaltung, weg war sie. handjob im gebüsch, eine körperliche nebensache für sie. er, untermauert mit fehlleitungen, ging ihr hinterher. „entschuldigung, aber ich hab noch eine frage, amygdala.“ „verpiss dich. oder du legst noch einen drauf, dann geht noch was“ „ich möchte nichts. ist das zuviel? nur ein glas wein mit dir trinken, etwas gespräch.“ „oh gott, nicht diese nummer, freier sucht unterhaltung“ seumenicht spürte ihre fingernägel auf seiner seelenhaut. sie kratzte langsam und tief, er ließ es gerne bluten. er blieb stehen, schaute ihr nach und sah sie im dunkel verschwinden. nebulöses selbst, angereiht an zufall und versäumnis. er war grau, höhlengrau, unterborderndes bedürfnis nach den tagen vor dem nabel.
als seumenicht morgens ins bett fiel, nachdem er die stadt wie ein herrenloser hund abgelaufen hatte, dachte er nach. sie war floskelfrei- doch warum nahm sie den namen gottes in den mund? morgen wollte er die stadt erobern, erneut, auf dem feldzug- und sie soll die taschenlampe sein in sein höhlengrau. letzte limbische reste, der tag biss...
der postmodernen priapismen zweiter teil
seumenicht konnte nicht schlafen im nachtzug nach berlin. seine koffer waren unterpackt, er dachte an das nötigste. seine zahnbürste hatte er stets in der linken saccoinnentasche gesteckt. seine geige aus ebenbuchholz hatte er stets neben sich placiert. sie fuhr mit, als blinde zeugin der süßen noten. reisen ins nichts bedeuteten ihm viel, und wenn es ihn mal packte, dann nahm er seine geige und spielte drauflos. klassisch, selbstverständlich. paganini, nein, zu schrill und virtuos. es waren die sanften, abendrötenen spuren mozarts, auch beethovens, die er, als striche er sanft über den himmel, aus den saiten zauberte. und hätte er die möglichkeit eines transpositionssystems, er hätte liszts „la campagnella“ übertragen.
sein abteil war leer. die blonde, unbekannte frau mit den hohen schuhen war in göttingen ausgestiegen. er hätte sie gerne angesprochen, doch seumenicht war nicht der luftikuss, der er gerne sein wollte. es plagte ihn der mangel an gesprächsthemen, und vor allem fand er es irrational, nur aufgrund einer äußeren schönheit in die klauen seiner selbst und seiner destillierten phantasien zu kommen. er fühlte sich dabei wie jener skorpion, den er während seiner bundeswehrzeit beim umgraben eines gartenbeetes entdeckte. in panik berichtete er seinen fund seinem heeresleiter. dieser lachte über seine milchgesichtigkeit, fing den skorpion in einem glas und setzte ihn auf eine mauer. „alkohol her“. seine kameraden und er wurden blick und neugier, als der major einen kreis um den noch im glas gefangenen skorpion mit wodka zog. danach setzte er ihn in brand, ließ den skorpion los.im feuerreigen gefangen versuchte er, einen weg zu finden. am ende stach er sich mit seinem eigenen stachel ins genick und starb wenige sekunden später. das feuer züngelte höhnisch nieder-
seumenicht wollte ins höhlengrau, und dort wie hier, in seinen gottverlassenen grotten, in denen kein nachhall, kein gesprüh für sinn und übersinn herrschte, wies er sich nach berlin. eine bekannte stadt im meer der unbekannten. die geschichte zollt ihr tribut, die stadt hat es verdient. ihr make-up aus graffitti und ihre grauen, schweren lider, ihr verbrauchter körper, den schon viele vergewaltigten-sie war es wert. fremder unter fremden, ein patentrezept, um ungestört neue melodien zu schreiben. seumenicht wollte wieder schreiben.
er mochte die nutten am hackeschen markt. es war teuer, aber einfach. und er nahm sich vor, heute noch dorthinzugehen. die nacht löste ihr geheimnis auf und gebar mild einen neuen tag.
es war acht uhr dreißig, als er am hauptbahnhof ankam. es drückten sich stress und unsichtbare, letale faktoren durch den verglasten bahnhof. er holte sich einen kaffee bei einem dieser back-fabriken, die frische industriebrötchen verkauften. „einen kaffee zum gehen, bitte“ die bäckerin, solariumgebräunt, piercingdurchstochen durch alle möglichen und unmöglichen gesichtspartien, die lider türkis, die lippen rosa, künstlich verlängerte fingernägel, von denen ebenfalls die beiden an den zeigefingern gepirct waren, schaute ihn argwöhnisch an. „einen coffee to go, meinen sie wohl“. „ja richtig, einen kaffee zum gehen, bitte ohne shot milch und sugar-frei-„ seumenicht mochte es schwarz, stark sollte er sein, so stark, dass sich die magenwände meldeten. seumenicht hatte magenprobleme, die welt war schwer zu verdauen. der weltgeist war ein steigender meerespiegel, und er drohte zu ersaufen.
„das macht eins fünfzig“ „früher waren das drei mark“, meinte seumenicht. drei mark, eins fünfzig. Welch seltsame zuweisung von werten. er legte das geld passend auf die coca-cola-auszahlungsmulde, ging weiter und betrachte sich die menschen. gehetzt, manche mit kindern, die sie mit sich zogen („in ihre flucht vor sich selbst“).
er trank ungenüsslich seinen kaffee, er schmeckte zu bitter und gleichzeitig wie pures wasser.
die rolltreppe hinab sah er eine werbung, die ihn beeindruckte. „wir kaufen ihr zahngold“ seumenicht musste an seinen großvater denken, der sehr viel von diesem zahngold hatte. nur lag dieses nun drei meter unter der erde- im jenseits ist kein soll und haben.
„ na, kleiner, wo geht’s denn hin?“ seumenicht hatte nach allen regeln der kunst den tag verstreichen lassen. sein hostel war in ordnung, auf dem kissen lag ein after eight. und schlussendlich macht er sich nach acht los, nachdem er noch mal ordenlich geschlafen hatte. seumenicht war ein nachtmensch- durch den vorhang in die stadt- extrovertiert, nichts für ihn. das einzige, was er an nachtfahrten mochte war, dass wenige leute mitfuhren und er seine ruhe hatte. seumenicht wollte denken- und frei sein. am hackeschen markt lief er einer blonden nutte ins netz. „na, ich weiß nicht.“ „ich wüsste, was dir spaß macht“ er betrachtete sie kurz, flüsterte ihr etwas hageres ins ohr „ auf dich hab ich gewartet, amygdala.“ seumenicht verlor sich in den büschen, und die nutte hatte fünfzig euro verdient. amygdala hatte ihre sache gut gemacht, sie kannte das spiel. nun gehörte er, wie eben alle, zur grauzone. keine unterhaltung, weg war sie. handjob im gebüsch, eine körperliche nebensache für sie. er, untermauert mit fehlleitungen, ging ihr hinterher. „entschuldigung, aber ich hab noch eine frage, amygdala.“ „verpiss dich. oder du legst noch einen drauf, dann geht noch was“ „ich möchte nichts. ist das zuviel? nur ein glas wein mit dir trinken, etwas gespräch.“ „oh gott, nicht diese nummer, freier sucht unterhaltung“ seumenicht spürte ihre fingernägel auf seiner seelenhaut. sie kratzte langsam und tief, er ließ es gerne bluten. er blieb stehen, schaute ihr nach und sah sie im dunkel verschwinden. nebulöses selbst, angereiht an zufall und versäumnis. er war grau, höhlengrau, unterborderndes bedürfnis nach den tagen vor dem nabel.
als seumenicht morgens ins bett fiel, nachdem er die stadt wie ein herrenloser hund abgelaufen hatte, dachte er nach. sie war floskelfrei- doch warum nahm sie den namen gottes in den mund? morgen wollte er die stadt erobern, erneut, auf dem feldzug- und sie soll die taschenlampe sein in sein höhlengrau. letzte limbische reste, der tag biss...