Im Mai

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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leonie
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Beitragvon leonie » 13.05.2009, 08:09

Ein grandioser Abend – trotz Ostwind, der mir, wie Du ja weißt, durch die Gedanken fährt, dass keiner auf dem anderen bleibt.
Die Luft blank gewischt, die Welt ein frisch geputztes Fenster.
Ich fahre Rad auf dieser verbotenen Straße und freue mich darüber wie ein Kind.
Die Sonne ist schon gegangen, ihre Farben wehen als Schleier hinter ihr her. Bäume und Häuser gleichen Schattenrissen. Nur über der Ebene steht eine Wolkenwalze, die ein großer Expressionist mit seinem Pinsel verwischt haben muss.
Ich will einfach immer weiter fahren, weiter und weiter, ohne zu wissen, wo ich ankommen werde.
Deine Worte: Es ist als hätten sie sich in die Innenseite meiner Haut geschmiegt. Ich schaue mir zu. Meinen Händen wie sie schreiben. Jedes Wort runder. Und jedes heißt „Du“.
Es ist, als sei mein Körper mir fremd. Alles ist ihm neu.
Du fehlst wie an diesem Abend der Mond. Eine Barke am anderen Ufer, die hartnäckig eine Überfahrt verweigert.



Erstfassung:
Ein grandioser Abend – trotz Ostwind, der mir, durch die Gedanken fährt, dass keiner auf dem anderen bleibt.
Die Luft blank gewischt, die Welt ein frisch geputztes Fenster.
Ich fuhr Rad auf dieser verbotenen Straße und freute mich wie ein Kind, weil es verboten war.
Die Sonne war schon gegangen, ihre Farben wehten wie ein Schleier hinter ihr her. Bäume und Häuser glichen Schattenrissen, fern und doch nah, als habe einer an den Dimensionen gedreht. Nur über der Ebene stand eine Wolkenwalze, die ein großer Expressionist mit seinem Pinsel verwischt haben muss.
Ich wollte einfach immer weiter fahren, weiter und weiter, ohne zu wissen (ja, ich wollte es nicht einmal wissen), wo ich ankommen würde.
Deine Worte: Es ist als hätten sie sich in die Innenseite meiner Haut geschmiegt. Ich schaue mir zu. Meinen Füßen wie sie gehen. Meinen Händen wie sie schreiben. Jedes Wort runder. Und jedes heißt „Du“.
Es ist, als sei mein Körper mir fremd. Und das ist er ja auch, alles ist ihm neu.
Du fehlst wie an diesem Abend der Mond. Eine Barke am anderen Ufer, die hartnäckig eine Überfahrt verweigert.
Zuletzt geändert von leonie am 17.06.2009, 12:29, insgesamt 6-mal geändert.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 13.05.2009, 09:37

Liebe leonie,

bis auf die vielen "ist" hier:
Es ist, als sei mein Körper mir fremd. Und das ist er ja auch, alles ist ihm neu.


sehr fein formuliert.

Inhaltlich habe ich aber ein Problem, denn es fängt so euphorisch an, konzentriert sich auf die Landschaft in allen Gedanken, über 2 Drittel des Textes und dann aus heiterem Himmel sozusagen führst du ein Du ein, springst in eine komplett andere Gedanklichkeit als davor, wechselt nicht nur diese, sondern auch die Verortung.

Mir kommt vor, als würden da 2 Texte aufeinanderprallen?

Vielleicht bin ich auch zu vernagelt, den Zusammenhang zu verstehen.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Andreas

Beitragvon Andreas » 13.05.2009, 10:49

Hallo leonie,

so ein klein bisschen habe ich das gleiche Problem, das Elsa auch anführte. Die Zeile, welche mit "Deine Worte:" beginnt, sowie der Passus danach, das ist doch sehr überraschend, wohl auch, weil ich zuvor gut in der Landschaft hinter dir her gehen konnte, um deine Schilderungen angenehm aufzusaugen. Zwar schliesst du am Ende wieder mit dem Mond, der Barke, aber doch wirkt diese geduzte Passage immer noch wie ein kleiner Fremdkörper.

Ach, ich hätte übrigens die Wolken eines Surrealisten gewählt, aber das ist wohl nur persönliche Geschmackssache. Im gleichen Zusammenhang ist mir die Wolkenwalze noch nicht massiv genug, nicht so dominant, wie du sie ausdrücken wolltest?! Vielleicht könnte man schreiben, dass (sich) die Wolkenwalze auf die Ebene drückte.

Grüße
Andreas

Sam

Beitragvon Sam » 13.05.2009, 12:45

Hallo Leonie,

eines ist mir beim Lesen aufgefallen, dass ich schon in deinem "freihändig" Gedicht bemerkt habe.

Dort heißt es:

Ohne mich zu halten
oder gar halten zu wollen.


Hier in dem Text nun eine ähnliche Formulierung:

Ich wollte einfach immer weiter fahren, weiter und weiter, ohne zu wissen (ja, ich wollte es nicht einmal wissen), wo ich ankommen würde.

Ähnlich auch diese:

Es ist, als sei mein Körper mir fremd. Und das ist er ja auch, alles ist ihm neu.

Ich fuhr Rad auf dieser verbotenen Straße und freute mich wie ein Kind, weil es verboten war.

Die Luft blank gewischt, die Welt ein frisch geputztes Fenster.


Man könnte das nun für ein Stilmittel halten, eine Methode, um einer gewissen Handlungsweise oder einem Bild mehr Tiefe zu verleihen. Als Leser empfinde ich dies aber eher als sprachliche Unsicherheit (gerade weil es nicht nur in einem Text vorkommt und in diesem hier sehr häufig). Als würdest du dem, was du schreibst nicht ganz trauen. Als wäre das Bild, dass du wählst ein Stück zu klein für dich und deswegen klebst du noch etwas dran - etwas Erklärendes oder Erweiterndes. Das erzeugt allerdings Bruchstellen im Text, kleine Verwerfungen oder Überlappungen, die verhindern, dass sich ein rundes Bild ergibt.

Unter diesem Gesichtspunkt, halte ich diesen Text nicht für besonders gelungen. Vor allem weil er so kurz ist, und damit jeder Satz, jede Formulierung und jedes Bild um so größeres Gewicht hat.

Liebe Grüße

Sam

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leonie
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Beitragvon leonie » 13.05.2009, 13:04

Liebe Elsa,

nein, Du bist nicht zu vernagelt. Du bist überhaupt nicht vernagelt!
Also, ich hatte ihn zuerst als lyrische Postkarte konzipiert, fand ihn dann aber zu lang dafür. Im ersten Teil war da das Du schon angesprochen. Ich stelle das mal wieder so ein. Kannst Du mir dann nochmal sagen, ob Du es dann besser findest?
Auf jeden Fall schon einmal Danke!!!

Lieber Andreas,

zum ersten siehe oben. Das mit der Wolkenwalze überlege ich noch. Ich habe das Bild genau vor mir, ich überprüfe nochmal, ob die Worte dafür stimmig sind.
Und auch Dir: danke!

Lieber Sam,

was Du schreibst, ist interessant für mich.
Vor allem, wie es auf Dich wirkt. Als eine Art Verstärker aufgrund von Unsicherheit. Das hatte ich so nicht beabsichtigt. Da muss ich in Ruhe drüber nachdenken.
Ich will unter dem Aspekt nochmal andere Texte von mir anschauen.
Und mal hören, was andere dazu meinen.

Und dann sehe ich, was ich ändern kann. Auf jeden Fall finde ich das inspirierend, eine solche Kritik. Deshalb: Danke Dir.

Liebe Grüße

leonie

DonKju

Beitragvon DonKju » 13.05.2009, 21:04

Hallo Leonie,

das liest sich sehr gut, stimmige Bilder, die beim Leser "ankommen"; Beim zweiten und dritten Lesen sind mir nur ein paar kleine Punkte aufgefallen, die ich mir anders denken könnte :

... trotz Ostwind, der mir, wie Du ja weißt, durch die Gedanken fährt, dass keiner auf dem anderen bleibt ...

Ich fuhr Rad auf dieser verbotenen Straße und freute mich wie ein Kind, weil es verboten war ...

stand eine Wolkenwalze, die ein großer Expressionist mit seinem Pinsel verwischt haben musste.
Ich wollte einfach immer weiter fahren, weiter und weiter. Ohne zu wissen, ja, ich wollte es nicht einmal wissen, wo ich ankommen würde ...

Mit lieben Abendgrüßen von Hannes

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leonie
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Beitragvon leonie » 13.05.2009, 21:14

Lieber Bilbo,

danke Dir! Das "wie Du ja weißt" habe ich gerade eingefügt, damit das lyrDu nicht so unvermittelt auftaucht.
Ich habe jetzt einmal ein paar Änderungen vorgenommen, das Ganze ins Präsenz gesetzt und manches, von dem, was Du, Sam angemerkt hattest, gekürzt.

Liebe Grüße

leonie

DonKju

Beitragvon DonKju » 13.05.2009, 21:24

... liebe Leonie,

jetzt liest sich's für mich richtig gut runter; Macht Spass !

Noch'n lieben Gruß von Hannes

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leonie
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Beitragvon leonie » 13.05.2009, 21:26

Das freut mich, Hannes. Danke Dir!

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 14.05.2009, 00:18

Liebe Leonie,

Durch den Du-Part, der nun vorangestellt ist, kann ich mir das Ganze viel besser vorstellen, das hat gefehlt! Dass nach einem Abend mit dem Du das LI so "wegfliegt" ist absolut nachvollziehbar.

Danke, dass ich nicht vernagelt bin ;-)

Für eine lyr. Postkarte wäre der Texte auf jeden Fall zu lang. Aber vorher hat eben was gefehlt.

Lieben Gruß
ELsie
Schreiben ist atmen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 14.05.2009, 01:32

Hi leonie,

ein feiner Text ist das. So bildhaft und mit viel Schwung drin. Es in den Präsens zu setzen, war eine gute Idee. So erlebt man es in Echtzeit richtig mit.
Kleine Anmerkung: Hier
Ich schaue mir zu, meinen Füßen, wie sie gehen.

passt das "gehen" nicht zum Rad fahren.
Gern gelesen!

Saludos
Mucki

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leonie
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Beitragvon leonie » 14.05.2009, 10:12

Liebe Elsie,
ich danke Dir.

Liebe Mucki,

ich habe den Satz ganz rausgenommen. Mir war das beim Schreiben schon aufgefallen, ich habe es mit "in die Pedale treten" versucht, aber das ist mir in diesem Zusammenhang zu kräftig.
Vielen Dank, ich freue mich, dass Du den text magst.

Lieber Andreas,

ich habe nochmal über die Wolkenwalze nachgedacht. Erstaunlicherweise stand sie tatsächlich etwas über der Ebene. Ich möchte das in diesem Fall so lassen.

Danke Euch und liebe Grüße

leonie

Yorick

Beitragvon Yorick » 14.05.2009, 12:13

Hallo Leonie,

ich verstehe diesen Text nicht. Ich lese ihn wieder und wieder, aber nein, ich bin zu blöd.

Der Ostwind durch die Gedanken, die blank geputze Luft, die Walze über der Ebene (genau so : "über der Ebene steht eine Wolkenwalze") finde ich wirklich schön. Auf dem Rad, der Wind, die Wolken. Das Gefühl, die Landschaft in der Brust zu tragen. Damit hast du mich am Haken.

Dann verzeihe ich auch den großen Expressionisten, der da nichts, gar nichts zu suchen hat (das kommt IMMER. Alternativ mit CDF, manchmal auch "das Licht - wie bei Turner").

"als habe einer an den Dimensionen gedreht"
Davon hat niemand eine Vorstellung, da unvorstellbar. Also ein abstraktes Bild, eher eine Denksportaufgabe. Und eben stand ich noch so schön in dieser Landschaft. Aber egal, nicht so wichtig.

Auch die Autobahn nehme ich gerade noch so hin (oder was soll die für Fharräder verbotene Straße sein? Militärisches Sperrgebiet? Stehe ich irgendwo auf der Leitung? Warum verboten?)

Und der Wechsel vom Rad (dem Wunsch nach ewiger Fahrt tragend) auf die Füße, an den Schreibtisch, mh. Deine (LyDu) Worte, ein Brief, die Antwort auf einen Brief? Vielleicht.


Ein grandioser Abend, gefühlsdurchtränkt, in einer großen Verbindung zum Sein. Voller Lebendigkeit.
Ja schön. Und warum fehlt da jetzt jemand? Was ist denn das für eine Sehnsucht? Aus der Fülle heraus kommt das Bild des Mangels.

Und dann kippte es plötzlich bei mir. Das klingt nach Angst. "Du fehlst wie der Mond" (der Mond als Symbol für Gefühl, nur so eine Idee). Eine Barke, welche die Überfahrt (das Zusammenfinden) *verweigert*, welche unerreichbar am anderen Ufer liegt und keine Anstalten macht, sich auf LI zu zubewegen.

So ist mein Eindruck: vielleicht ist das körperliche Gefühl des Entbehrens der Nähe, der Anwesenheit des Anderen bei mir nicht recht angekommen (oder ich hätte gerne etwas mehr über dieses erste Gefühl herausragendes, weiterweisendes gelesen) oder der Text hat dieses Ende aus guten Gründen - die dann meiner Meinung nach gerne noch etwas ausgearbeitet werden könnten.

Soweit meine Gedankenstürme.

Grüße,
Yorick.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.05.2009, 15:33

Hallo Leonie,

eine sehr bildhafte, erfahrbare Landschaft, man fühlt den Ostwind darin, aber ich bekomme das mit dem Du und der Verortung/Zeitachse irgendwie noch nicht auf die Reihe. Der Abend ist grandios, aber Du fehlt?
Ich würde mir den Einstieg und das Ende irgendwie in der Hinsicht klarer wünschen. Das „wie du ja weißt“ empfinde ich als holprig nachgeschobene Erklärung. Schade finde ich, dass du deine Bilder fast durchgängig als Vergleiche aufzeigst und ihnen so nicht wirklich zu vertrauen scheinst und somit auch Lyrich nicht wirklich erlebt sondern sich immer nur in diesen Vergleichen bewegt.
Wenn man das rausnimmt, wird es natürlich surrealer, aber gewinnt auch an Kraft für mich.
Wäre es denn möglich, dass du den Tag und die Nacht mithineinnimmst? (Denn auf dem Fahrrad schreibt man ja auch selten. ;-))
Die Verweigerung der Überfahrt würde ich streichen, weil es eine unangenehme Anspruchshaltung an das Du und Verweigerung seinerseits mithineinbringt und so die Stimmung umschlägt. (oder so gewollt?)
Die äußere Unmöglichkeit wäre für mich schon durch das andere Ufer gesagt.
Vielleicht ist eine Anregung für dich dabei.

Liebe Grüße
smile


Ein grandioser Tag mir dir – nun der Ostwind, der mir durch die Gedanken fährt. Keiner bleibt auf dem anderen.
Die Luft blank gewischt, die Welt ein frisch geputztes Fenster. Ich fahre Rad auf dieser verbotenen Straße
und freue mich darüber wie ein Kind.
Die Sonne ist gegangen, ihre Farben wehen in Schleiern hinter ihr her.
Bäume und Häuser; Schattenrisse, fern und zugleich nah. Einer hat an den Dimensionen gedreht.
Nur über der Ebene steht eine Wolkenwalze. Ein großer Expressionist hat sie verwischt.
Ich will einfach immer weiter fahren. Weiter und weiter, ohne zu wissen; wohin.

Stille Nacht. Deine Worte haben sich auf die Innenseite meiner Haut geschmiegt.
Ich schaue mir zu. Meinen Händen wie sie schreiben. Jedes Wort runder. Und jedes heißt „Du“.
Mein Körper ist mir fremd, alles ist ihm neu.
Du fehlst wie an diesem Abend der Mond.
Eine Barke am anderen Ufer.
Zuletzt geändert von Ylvi am 14.05.2009, 17:38, insgesamt 1-mal geändert.


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