Sergeant Pepper

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 20.02.2009, 21:41

Sergeant Pepper

Sergeant Pepper's Lonely Heart's Club Band spielte wie jeden Donnerstag in dem kleinen Rondell im St. James Park. Rex war etwas melancholisch, aber sonst, alles wie immer.
Ein kleines PLOING zerplatzte, im Rahmen der Musik von keinem der umstehenden Musikliebhaber gehört. Und dann war Stille.
Genau so ein PLOING war da zerplatzt, wie es nicht jeden Tag vorkommt, aber meistens von keinem gehört wird. Jetzt aber hatte es jeder wahrgenommen: Keine Musik und ein leeres Rondell. Irritiert schauten sich die Leute an und gingen eilig auseinander.
Sergeant Pepper's Band spielte unvermindert am Ufer eines See's weiter.
Der See war fast rund, von einer Reihe Pappeln umstanden. Zwei Enten darauf und es regnete. Ringsum leicht gerundete Berge in Olivgrün, an deren Hängen sich die Langeweile wie Teig breitmachte und es regnete Landregen.
Die kleinen Wellen schimmerten bleifarben und die beiden Enten sahen keinen Ausweg. Ein leichter Wind, der Freund des Wassers, kam auf und eine Ente schaukelte, aber dann war alles wieder beim alten. Dies blieb so fast zwei Jahre.
Dann wurde die Tuba rostig und hörte auf zu spielen, d.h. die Tuba verrostete und zerfiel. Dann fiel die Geige auseinander, die elektrische Gitarre zersprang und das Schlagzeug schrumpfte und schrumpfte und floss schließlich in eine Erdspalte.
Die Band bewegte sich weiter, spielte weiter die alten Melodien, aber zu hören war nur noch der Regen auf dem See. Schließlich verdarben auch die Musiker, bekamen Schimmel und Moos, Fäulnis da und dort, das Fleisch fiel grün und blau geworden, schließlich ab, und die weißen Knochen platschten ins Wasser.
Nun kam nur noch eine Abwechselung in das gleichmäßige Rauschen des Regens, wenn die beiden Enten in Hörweite schwammen. Dies ergab einen etwas dumpferen Ton.
Als die beiden Jahre zur Gänze um waren, gingen auch die Enten unter.
Der Wind kam nun erneut, rauschte die Regenwolken dahin, raschelte in den Pappeln und vertrieb die Langeweile, krauste die Seeoberfläche, die anfing quecksilbern zu glänzen und ein Blau zu spiegeln. Schließlich strahlte die Sonne satt vom Himmel. Der See dampfte und wurde kleiner und kleiner, die Pappeln verdorrten. Das war im fünfundzwanzigsten Jahr.
Dann versalzte der See, Karawanen kamen und gingen. Das war im Jahre 1273. Der Wind blies : Sand, Erde, Cola - Dosen, Papier - Fetzen. Das war im Jahre 1991.
Später regnete es hin und wieder, die Erde wurde grün, Felder entstanden, Ernten wurden eingefahren. Dann entdeckten die Geologen das Salz. Es wurde abgebaut, wanderte in Mägen, durch Därme, zur Kanalisation und von da ins Meer. Das Meer nahm das Salz, alles.
Die Fische lebten darin, die Dampfer fuhren darauf. Die Menschen aßen die
Fische und fuhren auf den Dampfern und niemand ahnte den See.
Aber der See war größer denn je.

Dr. Abraham saß auf seinem Kanapee, streckte die Beine von sich und dachte über die Zeiten nach. Der Whisky auf Eis erschien ihm heute besonders gelungen. Wie üblich, war es ein lauer Abend, in dessen Atmosphäre die helle Marmorterrasse das Abendlicht spiegelte. Die Grillen ringsum bereiteten sich darauf vor, das Konzert des Abends zu geben.
"Immerhin ist es dir diesmal gelungen, etwas realistischer zu bleiben", meinte seine Frau, die in einem Lehnsessel an einer Tasse Jasmintee nippte und die momentane Ruhe einsog, als wäre sie der Zucker im Tee.
Dr. Abraham runtzelte die Stirn, streckte seine Beine noch ein wenig weiter und sagte: "Eigentlich hätte doch ein wenig mehr Drama sein können. Mir ist das irgendwie zu glatt vom Ablauf her."
"Drama, Drama!", kreischte Salabaster, und ruderte mit seinen Pelikanschwingen auf dem Kopf einer Putte, "Salabaster ist für Drama, Drama!"
Dr. Abraham sah ihn durchdringend an und dachte daran, daß man ihn doch lieber wieder nach Zypern zurückschicken sollte, denn Salabaster hatte nicht den notwendigen Charakter für weitsichtige Kommentare.
Sarah nahm ein kleines Schlückchen Tee und versank ein wenig in einer Ferne, die nur sie kannte.
"Sollten wir nicht mal etwas richtig Harmonisches versuchen?", hauchte sie.
"Harmonisches, Harmonisches", kreischte Salabaster, und schien fast abzuheben vom Kopf der Putte, "Salabaster ist für Harmonisches, Harmonisches!"
Dr. Abraham schloss die Augen und filterte in seinen Weiten die Möglichkeiten. Wie immer schossen verschiedene Lichter hin und her.
Schließlich öffnete er seine Augen wieder und sagte: "Wenn ihr meint."
Das Tischchen mit dem PLOING-O-METER stand zu seiner Linken.
Er zog seine Taschenuhr heraus und verglich sie mit der Zeiteinstellung am PLOING-O-METER. Seit Babylon liebte er immer noch calliptische Zeitrechnung.
Dann drückte er auf den roten Knopf mit der Bezeichnung Auslöser.
Zuletzt geändert von moshe.c am 03.03.2009, 19:09, insgesamt 1-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 27.02.2009, 14:12

Hallo Moshe,

dein Text steht jetzt schon sehr lange auf meiner Liste, aber leider habe ich noch nicht die Zeit und die Ruhe gefunden mich näher mit ihm auseinanderzusetzen. Denn dazu lädt er auf alle Fälle ein. Er ist, bis auf ein paar unrunde Stellen, gut geschrieben und fordert mich als Leser auf, den Versuch zu unternehmen hinter die verschiedenen Bezugnahmen und Bilder zu kommen. Aber ich bin mir sicher, dass sich die Mühe lohnt.

Aber schon jetzt erzeugt die Geschichte in mir ein leicht melancholisches Gefühl, gemischt mit der Wahrnehmung einer gewissen "Altersironie". Denn es geht ja um die Dinge, die sich verändern, im Laufe einer langen Zeit. Dinge, die aber doch irgendwie gleich bleiben, selbst wenn sie versanden und die Zeit endlos lang ihren Wind darüber bläst, bis sie scheinbar verborgen sind. Und, so scheint es mir, geht es um gewisse Schlüsselerlebnisse - das PLING-O-METER, welches eine Zäsur bedeutet und Wahrnehmungen verändert. Nicht vom Stil, aber von der Geschicht an sich, die du erzählst, klingt mir so ein leises Borgessches Flüstern im Ohr. Das mag aber auch nur an der Erwähnung Babylons am Schluß liegen.

Liebe Grüße

Sam

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 27.02.2009, 17:30

Lieber Sam!

Danke für deine Wahrnehmung dieses Textes.

Da ich beabsichtige im Land der Prosa ab April etwas mehr herumzutappsen, bestimmt keine Näpfe auslassen werde, würde es mich sehr interessieren, was du mit 'unrunden Stellen' meinst.
Ich denke, der Moshe wird auch bei Prosa, eine bestimmte Bedeutungsoffenheit gelegentlich haben. Das wird von der Lyrik abfärben.


Altersironie ist ein schönes Wort und Ja. Die bekommt man als Geschenk, wenn man es annehmen kann, mit zwei Seiten: Man kann über sich selbst lachen, über die Welt, aber das bringt dann auch so eine bestimmte Plage mit sich, weil die Welt etwas, na sagen wir mal, etwas komisch wird, wie bei T.S. Eliot:

Was fange ich jetzt an? Was fange ich an?
Ich renn raus, so wie ich bin, und lauf die Straße lang.
Mit offenen Haaren, so. Was solln wir morgen tun?
Was sollen wir nur tun?

Das heiße Wasser um zehn Uhr.
Und, falls es regnet, das Coupe um vier.
Und wir werden miteinander Schach spielen,
Die Elfenbeinmänner schaffen Verkehr zwischen uns.
Lidlose Augen, aufgestützt, gewärtig, das es an der Tür pocht.


(T.S. Eliot, Gesammelte Gedichte, "Das wüste Land", Suhrkamp TB 1567)

Ein Borgese werde ich nie sein können, weil ich kein Historiker bin. Aber: Wenn man hier lebt, gibt es Einflüße, die ich gern auf- und annehme. (Abraham)

MlG

Moshe

Sam

Beitragvon Sam » 02.03.2009, 18:12

Hallo moshe,

das freut mich, wenn es von dir mehr Prosa zu lesen geben wird. Ich persönlich finde mich in deinen Prosatexten doch als Leser zumeist besser zurecht, als in deiner Lyrik, was aber jetzt bitte nicht als Wertung verstanden werden soll!

Sehr schön auch die Zeilen von Elliot. Das "An der Tür pochen" am Ende. Schöne Anspielung auf jenes Pochen am Tor, das schon Shakespear in Macbeth benutzte, um Unheilvolles anzukünden. Aber trotz dieser Drohung wird der Tag so verbracht, als gäbe es diese noch in unbegrenztem Vorrat.

Nun zu den unrunden Stellen. Ich zitiere einfach mal. Gut möglich, dass du einige der von mir angeführten Stellen bewusst so geschrieben hast. Dann habe ich es halt einfach nicht kapiert:

Ein kleines PLOING zerplatzte, im Rahmen der Musik von keinem der umstehenden Musikliebhaber gehört.


Im Rahmen der Musik...man weiß, was gemeint ist, aber es klingt sehr umständlich bzw. unbeholfen.

Genau so ein PLOING war da zerplatzt, wie es nicht jeden Tag vorkommt, aber meistens von keinem gehört wird. Jetzt aber hörte es jeder, denn es war plötzlich Stille: Keine Musik und ein leeres Rondell. Irritiert schauten sich die Leute an und gingen eilig auseinander.


Da gibt es einmal ein kleines zeitliches Problem. Ein Poing war zerplatzt, das JETZT jeder hörte. Meiner Meinung nach müsste der Satz lauten: Jetzt hatte es jeder gehört....
Und dass plötzlich Stille war, wird im Absatz darüber ja schon erwähnt.

Also diesem ganzen Eingangsabschnitt könnte so eine kleine sprachliche Überarbeitung nochmal ganz gut tun.

Bei der Beschreibung wie die Instrumente verfallen und dann auch die Band, habe ich ein kleines Verständnisproblem, da erst die Instrumente verfallen, aber die Band dennoch Melodien spielt. Kann aber auch so gewollt sein.


Als die beiden Jahre zur Gänze um waren, gingen auch die beiden Enten unter.


Das zweite "beide" bei den Emnten ist obsolet. Das es zwei sind, sagtst du ja schon vorher. Der Text arbeitet ja zum Teil mit Wortwiederholungen, die auch gut in den gesammte Duktus der Geschichte passen. Hier aber ist es störend. (Vielleicht, vielleicht, vielleicht könntest du überlegen, ob so viele Sätze mit dem Wörtchen "Dann" beginnen müssen...)

Soweit die Dinge, die mir beim Lesen direkt auffielen. Wie gesagt, ich hoffe, noch ein bisschen mehr in den Text eintauchen zu können, aber das kann noch dauern.

Übrigens bezog ich mich mit dem Borgesschen Flüstern auf den Argentinier J.L. Borges. Etwas in deiner Geschichte schwingt, was auch bei manchen seiner wunderbaren Texte zu finden ist, ohne da jetzt einen direkten Vergleich anstellen zu wollen.


Liebe Grüße

Sam

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 02.03.2009, 21:04

Lieber Sam!

Meinen großen Dank an deine detailierte Kritik nun.
Ich werde den Text in den nächsten Tagen überarbeiten.
Du bist sehr hilfreich für mich.

Immer wieder werde ich darauf gestupst, doch mehr Prosa zu schreiben, auch von Orit.
Ende des Monats werde ich aus meinem beruflichen Leben eine Auszeit nehmen, und danach primär Prosa schreiben.
Wenn man es mir so oft sagt, wird da wohl was drann sein.

Den Argentinier kenne ich ich nicht. Werde mich aber gleich schlau machen.

Nun ja, Altersironie: Kommt mir manchmal wie eine Erfüllung vor. So eine bestimmte Distanz kann ganz gut tuhen.
Ob wir nicht vielleicht unser ganzes Leben im Blick aus den Augen eines alten Menschen finden?

Ich habe den Bernhard Minetti kurz vor seinem Tod gesehen, als er an der Schaubühne den König Lear gelesen hat.
Es war so ein aufrechtes Sterben.

Noch besser, als ich es zuvor bei jemanden anders erlebt hatte.
Ich hoffe ein guter Schüler zu sein, der sieht, daß es keinen Ausweg gibt aus dem Todesurteil von Geburt an.


MlG

Moshe

Sam

Beitragvon Sam » 03.03.2009, 18:17

Hallo moshe,

Immer wieder werde ich darauf gestupst, doch mehr Prosa zu schreiben, auch von Orit.


Dazu kann ich nur sagen, was auch einst Gott zu Abraham sagte: Hör auf deine Frau! ;-)


Den Minetti auf der Bühne gesehen zu haben, muss wirklich ein Erlebnis gewesen sein. Ich kenne ihn nur als Bernhards Leib- und Seelenschauspieler aus Aufzeichnung von 3Sat und dem Theaterkanal.

Ende des Monats werde ich aus meinem beruflichen Leben eine Auszeit nehmen, und danach primär Prosa schreiben.


Das erfüllt mich zugegebenermaßen mit ein wenig Neid. Jedenfalls wünsche ich dir viel Erfolg bei deinen Bemühungen und freu mich, wenn es hier dann ein paar Ergebnisse dieser Auszeit zu lesen gibt.

Liebe Grüße

Sam

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 03.03.2009, 19:28

Lieber Sam!

Zwei deiner guten Anregungen habe ich nun versucht umzusetzen.

Ich hoffe es ist besser so.

Danke für deine einfühlsame Kritik!

Natürlich hört auch eine Moshe auf seine Frau :-) .

Die 80iger Jahre der Schaubühne in Berlin waren einfach eine Wucht. Diese großartigen Schauspieler, wie Bruno Ganz, Otto Sander, Angela Winkler, Jutta Lampe, und eben den Minetti, plus andere, werde ich nie vergessesen. Dazu die Regie von Peter Stein und Luc Bondy ergab etwas nicht zu Wiederholendes. Traurig bin ich oft darüber, daß es so wenig Aufzeichnungen gibt.

Nunja.

Natürlich werde ich hier auch von meinen Bemühungen um Prosa etwas einstellen. Und natürlich auch einen Schwenk in meiner Kommentierung vornehmen.

Soweit denn mit bestem Gruß

Moshe


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