Die Wespe
Verfasst: 13.01.2009, 22:26
Die Wespe
Ein Kampf und eine Interpretation
Gestern fiel mir beim Aufräumen mein Reclam-Hamlet in die Hände. Auf dem Umschlag Flecken, wie Stempel im Reisepass. Notizen an den Rändern. In kleinen Buchstaben unter den Titel geschrieben: Pepe - Wespe.
Erinnerungen.
Ibarra, Ecuador 1997
Ibarra ist eine Stadt der Künstler. Einer von ihnen - Jose Antonio Villareal, von allen Pepe genannt.
Wir saßen auf einer schmalen Holzbank vor seinem Haus. Dort hatte man einen schönen Blick auf Avocadobäume und einem kleinen, von Pepe selbst angelegten Teich. Den ganzen Tag hatten wir damit verbracht, Bilder einzupacken. Die nächste Woche begann eine Ausstellung in dem berühmten Atelier Bernice in Cali, auf der Pepe zwölf seiner Gemälde, angelehnt an die Gedichte des bolivianischen Dichters Miguel Fernando Lasluiza, ausstellen wollte. Das größte, Pepe nannte es „Die Steinigung des Jesuiten“, war beinahe zwei Meter lang und einen Meter hoch. Allein dieses Ungetüm vor allen Eventualitäten zu schützen, die eine zweitägige Reise auf einem Lieferwagen quer durch die Anden mit sich bringt, beschäftigte uns den halben Nachmittag.
Jetzt ruhten wir uns aus, tranken Tee mit Whiskey und sprachen über Bücher und Frauen.
Da sah ich das Insekt aus dem Schatten eines Avocadobaums herausfliegen und auf der steinernen Umfassung des Teiches landen. Zuerst waren mir die langen Beine aufgefallen, die im Flug wie lose Fäden an ihm herabhingen. Jetzt, auf dem Stein verharrend und von der Sonne angestrahlt, bemerkte ich seine eigenartige Färbung: Der Körper ein dunkles, samtig glänzendes Blau, die Flügel aber von kräftigem, tiefem Orange. Im Ganzen maß das Tier vielleicht fünf Zentimeter. Die Hälfte davon ein sich stetig auf und ab bewegender Hinterleib, der nur durch eine millimeterdünne Taille mit dem Rest des Körpers verbunden war.
„Eine Wespe“, bemerkte Pepe. Gerade wollte ich etwas über gelbschwarze Assoziationen sagen, die das Wort Wespe bei mir hervorriefen, da legte mir Pepe seine mächtige Hand auf den Oberschenkel.
„Und jetzt mein Freund, spielt Mutter Natur für uns ein Stück des berühmten und zu Recht bewunderten William Shakespeare. Es wird geboten: Hamlet.“ Dabei wies er auf den hinteren Rand der kleinen Mauer. Dort, etwa einen halben Meter von der Wespe entfernt, entdeckte ich im Halbschatten den mächtigen Körper einer Tarantel, faustgroß und schwarz.
„Schau genau hin“, sagte Pepe, „und dann sag mir, was du gesehen hast. Welche Szene wird hier auf dieser Naturbühne gespielt?“
Was soll geschehen, dachte ich. Die Spinne wird mit blitzschnellen Bewegungen über die Wespe herfallen und deren zarten Leib entzwei beißen. Todbringend, wie der Stich des Laertes in Hamlets Seite.
Die Tarantel verharrte regungslos auf der Mauer. Es war die Wespe, die sich zuerst bewegte, wie eine gespannte Feder losschnellte, zuerst senkrecht nach oben, weit über unsere Köpfe, um dann in schnellem Sturz genau auf dem Rücken der Spinne zu landen. Diese reagierte augenblicklich und für einen Moment sah ich nur die unfassbar schnellen Bewegungen vieler Glieder. Schon meinte ich den Kopf der Wespe abgebissen oder ihre fadendünne Taille durchtrennt, als die Bewegungen der Spinne immer langsamer wurden und schließlich ganz erstarben. Die Wespe jedoch hatte ihren Hinterleib fest auf den Bauch der Spinne gepresst und verharrte eine Moment in dieser Stellung. Dann krabbelte sie flink von ihrem Opfer, packte es mit ihren Vorderbeinen und zerrte die regungslose Tarantel die lange Strecke vom Rand der Teiches bis zum Ende der Einfassung. Dort verschwand sie mit ihrer Beute zwischen herunterhängenden Zweigen und Laub.
„Und“, fragte Pepe, sichtlich begeistert, „was hast du gesehen?“
Verwundert über den Todesmut und die Zähigkeit der Wespe sagte ich: „Weiß nicht. Hamlet ersticht Polonius?“
„Oh mein Freund, du enttäuschst mich. Hast du einen Vorhang gesehen? Oder gar einen geschwätzigen Alten im Schlafgemach einer Königin? Nein, da ist mehr, zumal du dem Tod den falschen Braten auf den Teller legst. Die Wespe ist es, die diesen Tag nicht überleben wird. Schwächer wird sie nun werden, mit jeder Minute, die vergeht. Und unfähig zu fliegen, bald gefressen. Unserer unterlegenen Spinne aber bleiben noch viele Tage zu leben. Dunkle Tage allerdings, in einem Grab, das die Wespe in diesem Moment für sie gräbt, als letzte große Tat ihres Lebens. Und ihre Nachkommen hinterlässt sie in dieser lebendigen Vorratskammer.“
Pepe stand jetzt vor dem Teich, die Hände in den Taschen seiner löchrigen Jogginghose.
„Also nochmals, mein lieber Prophet, was hast du gesehen? Man kennt doch den Hamlet recht gut?“
„Ja, man kennt ihn und doch nie gut genug. Ich weiß es nicht.“
„Denk nach!“
„Sag du es mir. Ich hör dich lieber reden als mich denken.“
„Erinnere dich, was du gesehen hast, und übrigens, ich sah es das erste Mal an dem Tag, an dem wir dieses Haus bezogen und ich den Garten begutachtete um zu prüfen, wo ich den Teich anlegen könnte. Ich beobachtete diesen scheinbar ungleichen Kampf und sofort dachte ich an unseren grüblerischen Prinzen, der soviel denkt und so wenig tut. Und warum diese Passivität? Es ist die Wespe...“ Er ließ seine Hand elegant durch die Luft gleiten um den Flug des Insekts nachzuahmen, „...sie schwebt förmlich - grazil, leicht, kaum zu sehen wie ein...GEIST! Fliegt durch die Luft und sieht auf dem Mäuerchen den Krieger, den Kämpfer, den Prinzen, dunkel und stark. Und was macht der Geist? Er stürzt sich auf ihn und eh der überhaupt weiß was geschieht, lähmt ihn der Stich der Wespe. Er kann sich nicht mehr bewegen und muss hilflos geschehen lassen, dass dieses Wesen, das eigentlich nichts ist außer papierdünne Glieder und Flügel, ihre Brut in ihm ablegt, die ihn nun langsam von Innen heraus verzehren wird, bis zu seinem sicheren Tod in der Dunkelheit eines Erdlochs. Das ist die eigentliche Tragödie des Stücks, jener erste Moment, wenn der Geist kommt und den Sinn des Prinzen vergiftet, ihn lähmt mit der Behauptung, vom eigenen Bruder und jetzigen König gemeuchelt worden zu sein. Mit dem Auftrag ihn zu rächen, pflanzt der Geist Hamlet jene Brut ein, die ihn innerlich zerfressen wird, ohne dass dieser sich wehren könnte. Er kann nicht mehr handeln, erstarrt muss er den Dingen ihren tödlichen Lauf lassen und sich selbst dabei beobachten, wie er der Katastrophe entgegengrübelt. Und wenn ich so durch Bücher und Bilder schlendere, da meine ich so Manche zu treffen, die vorgeben, den Hamlet zu lieben. Eine Liebe, die, wie mir scheint, mehr Neid ist. Neid auf dieses dahinphilosophierende Preisgeben des Verstandes bis zum fulminanten Schlussakt. So möchten auch sie gerne abtreten, da sie meinen, das gäbe ihrem Tod einen Sinn und auch dem erbärmlichen Leben davor. Aber in Wirklichkeit lassen sie sich vom Glanz ihrer eigenen Ideen lähmen und verrecken an einer moralischen Dialektik, die sie von Innen heraus zersetzt.“
„Pepe“, erwiderte ich, „warum wird alles, worauf du deinen Blick richtest immer gleich so schwarz?“
„Pah, was weißt du schon von Schwärze. Wir sind eben ein Volk von Eunuchen und Sklaven. Schau nicht so, gern gebe ich zu, selbst gelähmt zu sein. Gelähmt von der Unfähigkeit, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Und es zerfrisst mich meine Ohnmacht...“
„Aber deine Bilder...“
„Sind nichts, als das in den Wahnsinn führende Nachdenken über die Frage, die selbst die Dümmsten zu zitieren wissen. Kunst ist nichts weiter, als Darstellung der Ohnmacht. Ich gebe dem Schmerz eine Farbe, weil ich ihn nicht beherrschen kann. Vielleicht auch der Wunsch, etwas herauszuwürgen was in mir steckt und mich auszehrt. Galle, mehr nicht. Das Todbringende verbleibt festgefressen in uns.“
„Ich dachte immer, eine gewisse Fröhlichkeit .....“
„Ach was, Kanzelgeschwätz, um alle ruhig zu halten. Sieh’ die Dinge, wie sie sind, dann wird’s leichter. Das Leben ist nichts weiter als eine ereignisreiche Bewegungslosigkeit. Dein von mir geschätzter Landsmann hat es ja treffend gesagt. Je mehr wir dazu neigen herumzudeuteln und zurechtzubiegen, umso weniger können wir die Ursachen des Übels erkennen. Also, klar drauf blicken und benennen. Nicht drumherum malen.“
In diesem Moment eroberte Nebel, von der Küste heraufziehend, das Terrain um das Haus des Künstlers. Dieser stand noch immer vor dem Teich, genau an der Stelle, wo der Kampf zwischen der Wespe und der Spinne stattgefunden hatte. Ein lippenloses Lächeln und ein heiteres Blitzen seiner zusammengekniffen Augen und ich war wieder dort, wo ich so oft bei Gesprächen mit ihm landete. Bei der Frage, wie ernst das eben Gesagte wirklich gemeint war.
„Aber, wenn dir das nicht gefällt“, fügte er hinzu und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter, „so lerne etwas Positives aus dem Kampf der Spinne, dem dunklen, haarigen, dem abstoßenden Tier, und jener Wespe, graziös, gut gekleidet und fein. Lerne, dass es oft das Schöne ist, das den tödlicheren Stachel trägt.“
Eines von Pepes Bildern hängt in meiner Wohnung. Auf petrolfarbenem Hintergrund erhebt sich ein Hügel von der Form eines Salzstreuers, oder einer Penisspitze, ausgemalt mit wildwachsenden Pflanzen einer tropischen Fantasie. Feine, kaum wahrnehmbare Linien vertikal und horizontal, wie ein Christenkreuz, teilen die Form. Kein Phallus also, sondern ein Mensch, der sich bückt und dabei den Betrachter seinen Hintern entgegenstreckt. Das ist Pepes wirkliche Antwort auf das Leben.
Ach, hätte sich Hamlet nur einmal so gebückt.
Ein Kampf und eine Interpretation
Gestern fiel mir beim Aufräumen mein Reclam-Hamlet in die Hände. Auf dem Umschlag Flecken, wie Stempel im Reisepass. Notizen an den Rändern. In kleinen Buchstaben unter den Titel geschrieben: Pepe - Wespe.
Erinnerungen.
Ibarra, Ecuador 1997
Ibarra ist eine Stadt der Künstler. Einer von ihnen - Jose Antonio Villareal, von allen Pepe genannt.
Wir saßen auf einer schmalen Holzbank vor seinem Haus. Dort hatte man einen schönen Blick auf Avocadobäume und einem kleinen, von Pepe selbst angelegten Teich. Den ganzen Tag hatten wir damit verbracht, Bilder einzupacken. Die nächste Woche begann eine Ausstellung in dem berühmten Atelier Bernice in Cali, auf der Pepe zwölf seiner Gemälde, angelehnt an die Gedichte des bolivianischen Dichters Miguel Fernando Lasluiza, ausstellen wollte. Das größte, Pepe nannte es „Die Steinigung des Jesuiten“, war beinahe zwei Meter lang und einen Meter hoch. Allein dieses Ungetüm vor allen Eventualitäten zu schützen, die eine zweitägige Reise auf einem Lieferwagen quer durch die Anden mit sich bringt, beschäftigte uns den halben Nachmittag.
Jetzt ruhten wir uns aus, tranken Tee mit Whiskey und sprachen über Bücher und Frauen.
Da sah ich das Insekt aus dem Schatten eines Avocadobaums herausfliegen und auf der steinernen Umfassung des Teiches landen. Zuerst waren mir die langen Beine aufgefallen, die im Flug wie lose Fäden an ihm herabhingen. Jetzt, auf dem Stein verharrend und von der Sonne angestrahlt, bemerkte ich seine eigenartige Färbung: Der Körper ein dunkles, samtig glänzendes Blau, die Flügel aber von kräftigem, tiefem Orange. Im Ganzen maß das Tier vielleicht fünf Zentimeter. Die Hälfte davon ein sich stetig auf und ab bewegender Hinterleib, der nur durch eine millimeterdünne Taille mit dem Rest des Körpers verbunden war.
„Eine Wespe“, bemerkte Pepe. Gerade wollte ich etwas über gelbschwarze Assoziationen sagen, die das Wort Wespe bei mir hervorriefen, da legte mir Pepe seine mächtige Hand auf den Oberschenkel.
„Und jetzt mein Freund, spielt Mutter Natur für uns ein Stück des berühmten und zu Recht bewunderten William Shakespeare. Es wird geboten: Hamlet.“ Dabei wies er auf den hinteren Rand der kleinen Mauer. Dort, etwa einen halben Meter von der Wespe entfernt, entdeckte ich im Halbschatten den mächtigen Körper einer Tarantel, faustgroß und schwarz.
„Schau genau hin“, sagte Pepe, „und dann sag mir, was du gesehen hast. Welche Szene wird hier auf dieser Naturbühne gespielt?“
Was soll geschehen, dachte ich. Die Spinne wird mit blitzschnellen Bewegungen über die Wespe herfallen und deren zarten Leib entzwei beißen. Todbringend, wie der Stich des Laertes in Hamlets Seite.
Die Tarantel verharrte regungslos auf der Mauer. Es war die Wespe, die sich zuerst bewegte, wie eine gespannte Feder losschnellte, zuerst senkrecht nach oben, weit über unsere Köpfe, um dann in schnellem Sturz genau auf dem Rücken der Spinne zu landen. Diese reagierte augenblicklich und für einen Moment sah ich nur die unfassbar schnellen Bewegungen vieler Glieder. Schon meinte ich den Kopf der Wespe abgebissen oder ihre fadendünne Taille durchtrennt, als die Bewegungen der Spinne immer langsamer wurden und schließlich ganz erstarben. Die Wespe jedoch hatte ihren Hinterleib fest auf den Bauch der Spinne gepresst und verharrte eine Moment in dieser Stellung. Dann krabbelte sie flink von ihrem Opfer, packte es mit ihren Vorderbeinen und zerrte die regungslose Tarantel die lange Strecke vom Rand der Teiches bis zum Ende der Einfassung. Dort verschwand sie mit ihrer Beute zwischen herunterhängenden Zweigen und Laub.
„Und“, fragte Pepe, sichtlich begeistert, „was hast du gesehen?“
Verwundert über den Todesmut und die Zähigkeit der Wespe sagte ich: „Weiß nicht. Hamlet ersticht Polonius?“
„Oh mein Freund, du enttäuschst mich. Hast du einen Vorhang gesehen? Oder gar einen geschwätzigen Alten im Schlafgemach einer Königin? Nein, da ist mehr, zumal du dem Tod den falschen Braten auf den Teller legst. Die Wespe ist es, die diesen Tag nicht überleben wird. Schwächer wird sie nun werden, mit jeder Minute, die vergeht. Und unfähig zu fliegen, bald gefressen. Unserer unterlegenen Spinne aber bleiben noch viele Tage zu leben. Dunkle Tage allerdings, in einem Grab, das die Wespe in diesem Moment für sie gräbt, als letzte große Tat ihres Lebens. Und ihre Nachkommen hinterlässt sie in dieser lebendigen Vorratskammer.“
Pepe stand jetzt vor dem Teich, die Hände in den Taschen seiner löchrigen Jogginghose.
„Also nochmals, mein lieber Prophet, was hast du gesehen? Man kennt doch den Hamlet recht gut?“
„Ja, man kennt ihn und doch nie gut genug. Ich weiß es nicht.“
„Denk nach!“
„Sag du es mir. Ich hör dich lieber reden als mich denken.“
„Erinnere dich, was du gesehen hast, und übrigens, ich sah es das erste Mal an dem Tag, an dem wir dieses Haus bezogen und ich den Garten begutachtete um zu prüfen, wo ich den Teich anlegen könnte. Ich beobachtete diesen scheinbar ungleichen Kampf und sofort dachte ich an unseren grüblerischen Prinzen, der soviel denkt und so wenig tut. Und warum diese Passivität? Es ist die Wespe...“ Er ließ seine Hand elegant durch die Luft gleiten um den Flug des Insekts nachzuahmen, „...sie schwebt förmlich - grazil, leicht, kaum zu sehen wie ein...GEIST! Fliegt durch die Luft und sieht auf dem Mäuerchen den Krieger, den Kämpfer, den Prinzen, dunkel und stark. Und was macht der Geist? Er stürzt sich auf ihn und eh der überhaupt weiß was geschieht, lähmt ihn der Stich der Wespe. Er kann sich nicht mehr bewegen und muss hilflos geschehen lassen, dass dieses Wesen, das eigentlich nichts ist außer papierdünne Glieder und Flügel, ihre Brut in ihm ablegt, die ihn nun langsam von Innen heraus verzehren wird, bis zu seinem sicheren Tod in der Dunkelheit eines Erdlochs. Das ist die eigentliche Tragödie des Stücks, jener erste Moment, wenn der Geist kommt und den Sinn des Prinzen vergiftet, ihn lähmt mit der Behauptung, vom eigenen Bruder und jetzigen König gemeuchelt worden zu sein. Mit dem Auftrag ihn zu rächen, pflanzt der Geist Hamlet jene Brut ein, die ihn innerlich zerfressen wird, ohne dass dieser sich wehren könnte. Er kann nicht mehr handeln, erstarrt muss er den Dingen ihren tödlichen Lauf lassen und sich selbst dabei beobachten, wie er der Katastrophe entgegengrübelt. Und wenn ich so durch Bücher und Bilder schlendere, da meine ich so Manche zu treffen, die vorgeben, den Hamlet zu lieben. Eine Liebe, die, wie mir scheint, mehr Neid ist. Neid auf dieses dahinphilosophierende Preisgeben des Verstandes bis zum fulminanten Schlussakt. So möchten auch sie gerne abtreten, da sie meinen, das gäbe ihrem Tod einen Sinn und auch dem erbärmlichen Leben davor. Aber in Wirklichkeit lassen sie sich vom Glanz ihrer eigenen Ideen lähmen und verrecken an einer moralischen Dialektik, die sie von Innen heraus zersetzt.“
„Pepe“, erwiderte ich, „warum wird alles, worauf du deinen Blick richtest immer gleich so schwarz?“
„Pah, was weißt du schon von Schwärze. Wir sind eben ein Volk von Eunuchen und Sklaven. Schau nicht so, gern gebe ich zu, selbst gelähmt zu sein. Gelähmt von der Unfähigkeit, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Und es zerfrisst mich meine Ohnmacht...“
„Aber deine Bilder...“
„Sind nichts, als das in den Wahnsinn führende Nachdenken über die Frage, die selbst die Dümmsten zu zitieren wissen. Kunst ist nichts weiter, als Darstellung der Ohnmacht. Ich gebe dem Schmerz eine Farbe, weil ich ihn nicht beherrschen kann. Vielleicht auch der Wunsch, etwas herauszuwürgen was in mir steckt und mich auszehrt. Galle, mehr nicht. Das Todbringende verbleibt festgefressen in uns.“
„Ich dachte immer, eine gewisse Fröhlichkeit .....“
„Ach was, Kanzelgeschwätz, um alle ruhig zu halten. Sieh’ die Dinge, wie sie sind, dann wird’s leichter. Das Leben ist nichts weiter als eine ereignisreiche Bewegungslosigkeit. Dein von mir geschätzter Landsmann hat es ja treffend gesagt. Je mehr wir dazu neigen herumzudeuteln und zurechtzubiegen, umso weniger können wir die Ursachen des Übels erkennen. Also, klar drauf blicken und benennen. Nicht drumherum malen.“
In diesem Moment eroberte Nebel, von der Küste heraufziehend, das Terrain um das Haus des Künstlers. Dieser stand noch immer vor dem Teich, genau an der Stelle, wo der Kampf zwischen der Wespe und der Spinne stattgefunden hatte. Ein lippenloses Lächeln und ein heiteres Blitzen seiner zusammengekniffen Augen und ich war wieder dort, wo ich so oft bei Gesprächen mit ihm landete. Bei der Frage, wie ernst das eben Gesagte wirklich gemeint war.
„Aber, wenn dir das nicht gefällt“, fügte er hinzu und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter, „so lerne etwas Positives aus dem Kampf der Spinne, dem dunklen, haarigen, dem abstoßenden Tier, und jener Wespe, graziös, gut gekleidet und fein. Lerne, dass es oft das Schöne ist, das den tödlicheren Stachel trägt.“
Eines von Pepes Bildern hängt in meiner Wohnung. Auf petrolfarbenem Hintergrund erhebt sich ein Hügel von der Form eines Salzstreuers, oder einer Penisspitze, ausgemalt mit wildwachsenden Pflanzen einer tropischen Fantasie. Feine, kaum wahrnehmbare Linien vertikal und horizontal, wie ein Christenkreuz, teilen die Form. Kein Phallus also, sondern ein Mensch, der sich bückt und dabei den Betrachter seinen Hintern entgegenstreckt. Das ist Pepes wirkliche Antwort auf das Leben.
Ach, hätte sich Hamlet nur einmal so gebückt.