Das Haustier
Verfasst: 29.09.2008, 01:25
Hey, das hier ist eine Art Testballon. Wollte unbedingt mal wissen, ob ich
auch mal was anderes schreiben kann als mehr oder weniger lustige Märchen. Also hab ich mich mal in ein anderes Genre gewagt und eine kleine Gruselgeschichte verfasst. Bitte nicht nach irgend einem Anspruch suchen, es gibt keinen. Soll einfach ein wenig unheimlich sein.
MFG chaos-tom
Das Haustier
Der ältere Herr leckte sich verlegen die Lippen, dann blickte er zu mir. „Ist besser, wenn sie die Tür nicht öffnen. Mautzi mag es nicht, wenn sie gestört wird. Sie schieben einfach morgens und abends eine Portion Futter durch die Stäbe. Die restliche Zeit steht es ihnen frei, zu tun und lassen, was sie wollen. Sie dürfen nur die Wohnung nicht verlassen. Sie ist es nicht gewöhnt, alleine zu sein.“
Durch die vergitterte Tür von Mautzis Zimmer drang ein leises Scharren. Wie Nägel auf einer Glasscheibe.
„Müssen Sie unbedingt die Wohnung abschließen?“
„Ungewöhnlich, ich weiß. Sie müssen mich verstehen. Ich hatte schon Helfer, die ließen alles stehen und verließen das Haus. Mautzi war völlig verstört, als ich zurück kam und ich habe Wochen gebraucht, sie zu beruhigen.“
Er klopfte mir auf die Schulter. „Ist doch nur über Nacht“, drehte sich um und ging. Ich hörte den Schlüssel, der sich im Schloss drehte und mein neuer Job hatte begonnen.
Die Wohnung des Alten bestand aus einem winzigen Zimmer, das zugleich Wohn-, Schlafzimmer und Küche darstellte und dem vergitterten Raum mit Mautzi.
In der Spüle türmte sich schmutziges Geschirr, direkt daneben auf der Kante stand ein winziger portabler Fernseher, wohl das einzige Freizeitvergnügen meines neuen Arbeitgebers. Der restliche Platz des Zimmers wurde von einer schmuddeligen Liege und einem überdimensionierten Metallregal eingenommen, das je zur Hälfte mit zoologischer Fachliteratur und Nahrungspaketen für Mautzi gefüllt war.
An einer der wenigen freien Stellen war ein vergilbtes Foto angepinnt. Eine wesentlich jüngere Ausgabe meines neuen Chefs stand in einem tropischen Dschungel, hielt zwei ältliche nackte Eingeborene im Arm und grinste selbstzufrieden. Im Hintergrund des Bildes war ein Bambuskäfig zu sehen.
Ich legte meine mitgebrachte Decke über die Couch.
In Mautzis Zimmer bewegte sich etwas. Ganz langsam und träge. Ich hatte den Eindruck, dass es ziemlich groß sein müsste. Nachdenklich trat ich an die Gittertür heran. Der Raum dahinter lag im Dunklen und ich konnte nichts erkennen. Die Gitterstangen der Tür waren fast 2 cm stark und standen eng beieinander. Die beiden Riegel, welche die Tür verschlossen, wirkten gewaltig. Ich rüttelte probeweise an einem, rührte sich nicht.
„Du und ich, Mautzi“, sagte ich in die Dunkelheit hinein, „wir werden uns schon verstehen.“
Etwas atmete. Die Züge waren tief und sehr langsam. Ich dachte, dass es erstaunlich war, dass Mautzi dazwischen nicht einfach erstickte.
Nachdem ich eine Zeitlang vor der Tür gestanden hatte, und nichts geschah, trat ich enttäuscht zurück zur Couch, holte meine mitgebrachte Lektüre hervor und versuchte mich zu entspannen.
Es war 5 Minuten nach 16 Uhr und bis zur Fütterung noch 3 Stunden Zeit.
Ein Teil des hohen Honorars für diese Tätigkeit bestünde auch in der strengen Vertraulichkeit, so hatte er mir zu verstehen gegeben. Keine Fragen, aber ein einfacher Job. Bei positiver Entwicklung könnte ich mir auf diese Weise alle 4 Wochen ein ordentliches Sümmchen dazu verdienen. Mein Vorgänger sei leider sehr unzuverlässig gewesen.
Ich betrachtete missmutig den Abwaschhaufen. Was hieß denn positive Entwicklung: Dass ich den Abwasch mit erledigte? – Das konnte er vergessen.
Ich ließ meinen Blick erneut kreisen und mir fiel etwas auf. Es gab keinen Kühlschrank. Es gab auch keine Regal mit anderen Esskonserven. Keinen Brotkorb, kein Obst. Was sollte das? Ernährte sich mein Chef zusammen mit Mautzi von diesen, in weißes Papier eingeschlagenen Fresspaketen, oder ging er auswärts Essen?
Nachdenklich stand ich auf und betrachtete die Pakete. Wie kleine Ziegelsteine waren sie in die untersten Reihen des Regals gestapelt. Ich nahm eines heraus. Es war schwer und irgendwie weich.
In diesem Moment klirrte hinter mir die Gittertür. Ich fuhr herum, die Atemgeräusche schienen auf einmal ganz nah. Aber zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass die Tür nach wie vor verschlossen war. Nur ein Schatten bewegte sich träge im Dunkel.
„Mautzi, dass kannst du mit mir nicht machen“, rief ich dem formlosen Etwas zu. Der Schatten schnaufte heiser und mir fiel auf, dass meine Stimme gezittert hatte.
„Sollte ich den Job behalten, bringe ich das nächste Mal eine Taschenlampe mit“, brummte ich ärgerlich und begab mich zurück zur Liege.
Aber das Atmen blieb nah. Mautzi musste sich direkt hinter der Tür befinden. Ob es mich beobachtete? Eine Zeitlang schaffte ich es tatsächlich, mich auf das Buch zu konzentrieren, aber die seltsamen, unwirklichen Geräusche blieben in meinem Hinterkopf.
Langsam verströmte ihr träger Rhythmus etwas beruhigendes und ich schlief ein.
Mein Schlaf dauerte zwei Stunden. Den Weckruf übernahm ein schrilles Quietschen, dass mich zusammenfahren ließ.
Ich rappelte mich - noch ein wenig benebelt - hoch, trat zur Gittertür und ein eiskalter Schauer durchzuckte mich: Der untere Hebel war gut zur Hälfe zurückgeschoben!
In einer aufbrandenden Panikattacke warf ich mich gegen das Metall und versuchte, den Riegel wieder in seine Ursprungslage zu befördern. Dann spürte ich es. Mautzi war ganz nah, unmittelbar hinter dem Gitter. Ein stechender, undefinierbarer Geruch stieg mir in die Nase.
Quälend langsam begann sich der Verschluss zu bewegen und ich benötigte all meine Kraft. Während ich mich gegen die Tür stemmte, strich etwas sanft über meinen Arm. Ich schrak zurück und für den Bruchteil einer Sekunde sah ich etwas, was eine Lichtreflexion in einem Auge sein konnte.
„Mautzi, was soll das? Was bist du eigentlich?“ flüsterte ich das Etwas hinter dem Gitter an. Einen kurzen Moment standen wir beide starr, ohne zu atmen. Dann hörte ich ein schweres, irgendwie feuchtes Tapsen und das Formlose schien sich in den hinteren Teil seines Reviers zurückzuziehen.
Der Riegel hatte fast seine Anfangsposition erreicht und ich verzichtete darauf, ihn die restlichen Zentimeter zu bewegen. Stattdessen trat ich zurück zur Couch, drehte sie so herum, dass ich die Tür im Auge hatte, überlegte, wie ich die Riegel verkeilen konnte, hatte aber keine Idee.
Es war inzwischen 18:30.
Natürlich war meine Müdigkeit wie weggeblasen. Ich lief ruhelos in dem winzigen Zimmer auf und ab, immer wieder einen nervösen Blick auf die Tür werfend.
Mautzi schien das Interesse verloren zu haben. Die Atemgeräusche kamen nach wie vor aus irgendeinem hinteren Winkel ihres Käfigs und anscheinend regte sie sich auch nicht mehr.
Langsam wurde es Zeit, sie zu füttern. Ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, das Päckchen auf meiner Seite kurz vor das Gitter zu legen. Vielleicht bekam ich ja auf diese Weise eine Hand, eine Kralle oder was weiß ich von meinem geheimnisvollen Schutzbefohlenen zu Gesicht. Aber nach der Sache mit dem Riegel war mein Bedarf an Nervenkitzel gedeckt.
Die Fütterungsanweisungen des Alten waren simpel und eindeutig: Ich sollte ein ungeöffnetes Packet mit einem leichten Schwung durch die Gitter stupsen.
Das ganze erschien mir ungefährlich.
Das Futter war ein wenig breiter als der Abstand der Gitterstäbe, aber da es weich war, konnte ich es trotzdem durchpressen. Mit einem satten Ploppen fiel es auf den Käfigboden.
Bruchteile von Sekunden später warf sich ein massiger Körper gegen die Stäbe. So wuchtig, dass die ganze winzige Wohnung erzitterte. Das Paket wurde anscheinend voller Wucht gegen die Wand geschleudert, dass es zerplatzte. Ein blutiger Tropfenregen, der durch die Stäbe rieselte, deutete darauf hin, dass es sich um rohes Fleisch gehandelt haben musste.
Ich stand wie erstarrt vor der Tür, lauschte den gierigen Fressgeräuschen und dem heftigen Schnaufen zu und versuchte erneut, irgend etwas zu erkennen.
Noch lange, nachdem die blutige Mahlzeit geendet hatte, stand ich vor der Tür. Ursprünglich hatte ich geplant, nach der Fütterung meine eigenes mitgebrachtes Abendessen zu mir zu nehmen, aber nach den Erlebnissen war jede Spur von Hunger oder gar Appetit in mir verschwunden.
Fast anderthalb Stunden stand ich vor dem Käfig, lauschte und wartete auf eine erneute Regung des Wesens im Dunkels. Aber es geschah nichts. Die Atemzüge wurden langsam und flach. Offensichtlich hielt es seinen Verdauungsschlaf.
Trotz meiner Anspannung hielt ich irgendwann das Stehen nicht mehr aus und als wirklich gar nichts mehr geschah, setzte ich mich sogar zurück auf die Couch. Ich nahm sogar mein Buch wieder in die Hand, konnte mich jedoch nicht auf seinen Inhalt konzentrieren.
Wahrscheinlich war es schon weit nach Mitternacht. Die Zeit begann sich endlos zu dehnen und irgend wann passierte das, was überhaupt nicht hätte geschehen dürfen: Ich schlief ein zweites Mal ein...
Wenn ich heute an mein Erschrecken über den halb zurückgezogenen Hebel denke, weiß ich, dass er nichts darstellte, im Vergleich zu jenem Schrecken beim zweiten Erwachen.
Diesmal hatte ich gar nichts gehört. Vermutlich war es nur eine warnende Stimme im Kopf, die mich die Augen aufschlagen ließ.
Dass erste, was meine, durch das grelle Licht geblendeten, Augen wahrnahmen, war die weit geöffnete Gittertür. Das zweite war der formlose, aber gewaltige Schatten, der sich hoch über mich aufrichtete.
Woher ich die Fähigkeit und die Kraft zu jenem Reflex hernahm, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht ist dieser Fluchtreflex seit Urzeiten in uns verborgen. In einer einzigen Bewegung sprang ich von meiner Schlafstatt hoch, vorbei an dem seltsam erstarrten Schatten, hechtete durch die offene Käfigtür, riss sie noch im Flug hinter mir zu, griff durch das Gitter und schloss mit einer mir bis heute unbekannten Kraft die Hebel.
In der Pseudosicherheit des Käfigs packte mich entgültig das Entsetzen. Die ganzen erregten Nerven ließen mich jetzt in Stich und ich presste mich an die hinterste Käfigwand, schluchzte und starrte stundenlang apathisch vor mich hin.
Regungslos und umhüllt von den eigenartigen Tiergerüchen der Behausung verbrachte ich die Nacht. Im Wohnzimmer konnte ich immer wieder den grausigen Schatten erkennen, der sich hinter der Couch träge bewegte, aber ich war zu eingeschüchtert, um die Gestalt näher in Augenschein zu nehmen.
Aus meiner Lethargie riss mich erst das Geräusch des Schlüssels im Schloss der Haustür. Der alte Mann kehrte zurück. Und er ahnte nicht, was vorgefallen war. Ich musste ihn warnen. Aber meine Beine weigerten sich, mir zu gehorchen, und als ich endlich mich unter Auferbietung all meiner Kraft und meines Mutes mich zur Käfigtür geschleppt hatte, stand der Alte schon mitten im Zimmer.
Seine Gesicht spiegelte kein bisschen Furcht, eher eine Art Traurigkeit, als er erst zu mir und dann zu dem Schatten blickte und sagte: „Nun hast du es also doch geschafft, nach so endlos langer Zeit. Ich werde dich vermissen, mein Freund. Du hast sie dir deine Freiheit redlich verdient und ich habe ja ein neues Haustier.“
Der Schatten huschte an ihm vorbei und schlüpfte lautlos aus der Wohnungstür..
Endlich wand er sich mir zu. Er nickte, lächelt etwas und meinte: „Ich denke, wir werden eine interessante Zeit miteinander verbringen.“
Ende
auch mal was anderes schreiben kann als mehr oder weniger lustige Märchen. Also hab ich mich mal in ein anderes Genre gewagt und eine kleine Gruselgeschichte verfasst. Bitte nicht nach irgend einem Anspruch suchen, es gibt keinen. Soll einfach ein wenig unheimlich sein.
MFG chaos-tom
Das Haustier
Der ältere Herr leckte sich verlegen die Lippen, dann blickte er zu mir. „Ist besser, wenn sie die Tür nicht öffnen. Mautzi mag es nicht, wenn sie gestört wird. Sie schieben einfach morgens und abends eine Portion Futter durch die Stäbe. Die restliche Zeit steht es ihnen frei, zu tun und lassen, was sie wollen. Sie dürfen nur die Wohnung nicht verlassen. Sie ist es nicht gewöhnt, alleine zu sein.“
Durch die vergitterte Tür von Mautzis Zimmer drang ein leises Scharren. Wie Nägel auf einer Glasscheibe.
„Müssen Sie unbedingt die Wohnung abschließen?“
„Ungewöhnlich, ich weiß. Sie müssen mich verstehen. Ich hatte schon Helfer, die ließen alles stehen und verließen das Haus. Mautzi war völlig verstört, als ich zurück kam und ich habe Wochen gebraucht, sie zu beruhigen.“
Er klopfte mir auf die Schulter. „Ist doch nur über Nacht“, drehte sich um und ging. Ich hörte den Schlüssel, der sich im Schloss drehte und mein neuer Job hatte begonnen.
Die Wohnung des Alten bestand aus einem winzigen Zimmer, das zugleich Wohn-, Schlafzimmer und Küche darstellte und dem vergitterten Raum mit Mautzi.
In der Spüle türmte sich schmutziges Geschirr, direkt daneben auf der Kante stand ein winziger portabler Fernseher, wohl das einzige Freizeitvergnügen meines neuen Arbeitgebers. Der restliche Platz des Zimmers wurde von einer schmuddeligen Liege und einem überdimensionierten Metallregal eingenommen, das je zur Hälfte mit zoologischer Fachliteratur und Nahrungspaketen für Mautzi gefüllt war.
An einer der wenigen freien Stellen war ein vergilbtes Foto angepinnt. Eine wesentlich jüngere Ausgabe meines neuen Chefs stand in einem tropischen Dschungel, hielt zwei ältliche nackte Eingeborene im Arm und grinste selbstzufrieden. Im Hintergrund des Bildes war ein Bambuskäfig zu sehen.
Ich legte meine mitgebrachte Decke über die Couch.
In Mautzis Zimmer bewegte sich etwas. Ganz langsam und träge. Ich hatte den Eindruck, dass es ziemlich groß sein müsste. Nachdenklich trat ich an die Gittertür heran. Der Raum dahinter lag im Dunklen und ich konnte nichts erkennen. Die Gitterstangen der Tür waren fast 2 cm stark und standen eng beieinander. Die beiden Riegel, welche die Tür verschlossen, wirkten gewaltig. Ich rüttelte probeweise an einem, rührte sich nicht.
„Du und ich, Mautzi“, sagte ich in die Dunkelheit hinein, „wir werden uns schon verstehen.“
Etwas atmete. Die Züge waren tief und sehr langsam. Ich dachte, dass es erstaunlich war, dass Mautzi dazwischen nicht einfach erstickte.
Nachdem ich eine Zeitlang vor der Tür gestanden hatte, und nichts geschah, trat ich enttäuscht zurück zur Couch, holte meine mitgebrachte Lektüre hervor und versuchte mich zu entspannen.
Es war 5 Minuten nach 16 Uhr und bis zur Fütterung noch 3 Stunden Zeit.
Ein Teil des hohen Honorars für diese Tätigkeit bestünde auch in der strengen Vertraulichkeit, so hatte er mir zu verstehen gegeben. Keine Fragen, aber ein einfacher Job. Bei positiver Entwicklung könnte ich mir auf diese Weise alle 4 Wochen ein ordentliches Sümmchen dazu verdienen. Mein Vorgänger sei leider sehr unzuverlässig gewesen.
Ich betrachtete missmutig den Abwaschhaufen. Was hieß denn positive Entwicklung: Dass ich den Abwasch mit erledigte? – Das konnte er vergessen.
Ich ließ meinen Blick erneut kreisen und mir fiel etwas auf. Es gab keinen Kühlschrank. Es gab auch keine Regal mit anderen Esskonserven. Keinen Brotkorb, kein Obst. Was sollte das? Ernährte sich mein Chef zusammen mit Mautzi von diesen, in weißes Papier eingeschlagenen Fresspaketen, oder ging er auswärts Essen?
Nachdenklich stand ich auf und betrachtete die Pakete. Wie kleine Ziegelsteine waren sie in die untersten Reihen des Regals gestapelt. Ich nahm eines heraus. Es war schwer und irgendwie weich.
In diesem Moment klirrte hinter mir die Gittertür. Ich fuhr herum, die Atemgeräusche schienen auf einmal ganz nah. Aber zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass die Tür nach wie vor verschlossen war. Nur ein Schatten bewegte sich träge im Dunkel.
„Mautzi, dass kannst du mit mir nicht machen“, rief ich dem formlosen Etwas zu. Der Schatten schnaufte heiser und mir fiel auf, dass meine Stimme gezittert hatte.
„Sollte ich den Job behalten, bringe ich das nächste Mal eine Taschenlampe mit“, brummte ich ärgerlich und begab mich zurück zur Liege.
Aber das Atmen blieb nah. Mautzi musste sich direkt hinter der Tür befinden. Ob es mich beobachtete? Eine Zeitlang schaffte ich es tatsächlich, mich auf das Buch zu konzentrieren, aber die seltsamen, unwirklichen Geräusche blieben in meinem Hinterkopf.
Langsam verströmte ihr träger Rhythmus etwas beruhigendes und ich schlief ein.
Mein Schlaf dauerte zwei Stunden. Den Weckruf übernahm ein schrilles Quietschen, dass mich zusammenfahren ließ.
Ich rappelte mich - noch ein wenig benebelt - hoch, trat zur Gittertür und ein eiskalter Schauer durchzuckte mich: Der untere Hebel war gut zur Hälfe zurückgeschoben!
In einer aufbrandenden Panikattacke warf ich mich gegen das Metall und versuchte, den Riegel wieder in seine Ursprungslage zu befördern. Dann spürte ich es. Mautzi war ganz nah, unmittelbar hinter dem Gitter. Ein stechender, undefinierbarer Geruch stieg mir in die Nase.
Quälend langsam begann sich der Verschluss zu bewegen und ich benötigte all meine Kraft. Während ich mich gegen die Tür stemmte, strich etwas sanft über meinen Arm. Ich schrak zurück und für den Bruchteil einer Sekunde sah ich etwas, was eine Lichtreflexion in einem Auge sein konnte.
„Mautzi, was soll das? Was bist du eigentlich?“ flüsterte ich das Etwas hinter dem Gitter an. Einen kurzen Moment standen wir beide starr, ohne zu atmen. Dann hörte ich ein schweres, irgendwie feuchtes Tapsen und das Formlose schien sich in den hinteren Teil seines Reviers zurückzuziehen.
Der Riegel hatte fast seine Anfangsposition erreicht und ich verzichtete darauf, ihn die restlichen Zentimeter zu bewegen. Stattdessen trat ich zurück zur Couch, drehte sie so herum, dass ich die Tür im Auge hatte, überlegte, wie ich die Riegel verkeilen konnte, hatte aber keine Idee.
Es war inzwischen 18:30.
Natürlich war meine Müdigkeit wie weggeblasen. Ich lief ruhelos in dem winzigen Zimmer auf und ab, immer wieder einen nervösen Blick auf die Tür werfend.
Mautzi schien das Interesse verloren zu haben. Die Atemgeräusche kamen nach wie vor aus irgendeinem hinteren Winkel ihres Käfigs und anscheinend regte sie sich auch nicht mehr.
Langsam wurde es Zeit, sie zu füttern. Ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, das Päckchen auf meiner Seite kurz vor das Gitter zu legen. Vielleicht bekam ich ja auf diese Weise eine Hand, eine Kralle oder was weiß ich von meinem geheimnisvollen Schutzbefohlenen zu Gesicht. Aber nach der Sache mit dem Riegel war mein Bedarf an Nervenkitzel gedeckt.
Die Fütterungsanweisungen des Alten waren simpel und eindeutig: Ich sollte ein ungeöffnetes Packet mit einem leichten Schwung durch die Gitter stupsen.
Das ganze erschien mir ungefährlich.
Das Futter war ein wenig breiter als der Abstand der Gitterstäbe, aber da es weich war, konnte ich es trotzdem durchpressen. Mit einem satten Ploppen fiel es auf den Käfigboden.
Bruchteile von Sekunden später warf sich ein massiger Körper gegen die Stäbe. So wuchtig, dass die ganze winzige Wohnung erzitterte. Das Paket wurde anscheinend voller Wucht gegen die Wand geschleudert, dass es zerplatzte. Ein blutiger Tropfenregen, der durch die Stäbe rieselte, deutete darauf hin, dass es sich um rohes Fleisch gehandelt haben musste.
Ich stand wie erstarrt vor der Tür, lauschte den gierigen Fressgeräuschen und dem heftigen Schnaufen zu und versuchte erneut, irgend etwas zu erkennen.
Noch lange, nachdem die blutige Mahlzeit geendet hatte, stand ich vor der Tür. Ursprünglich hatte ich geplant, nach der Fütterung meine eigenes mitgebrachtes Abendessen zu mir zu nehmen, aber nach den Erlebnissen war jede Spur von Hunger oder gar Appetit in mir verschwunden.
Fast anderthalb Stunden stand ich vor dem Käfig, lauschte und wartete auf eine erneute Regung des Wesens im Dunkels. Aber es geschah nichts. Die Atemzüge wurden langsam und flach. Offensichtlich hielt es seinen Verdauungsschlaf.
Trotz meiner Anspannung hielt ich irgendwann das Stehen nicht mehr aus und als wirklich gar nichts mehr geschah, setzte ich mich sogar zurück auf die Couch. Ich nahm sogar mein Buch wieder in die Hand, konnte mich jedoch nicht auf seinen Inhalt konzentrieren.
Wahrscheinlich war es schon weit nach Mitternacht. Die Zeit begann sich endlos zu dehnen und irgend wann passierte das, was überhaupt nicht hätte geschehen dürfen: Ich schlief ein zweites Mal ein...
Wenn ich heute an mein Erschrecken über den halb zurückgezogenen Hebel denke, weiß ich, dass er nichts darstellte, im Vergleich zu jenem Schrecken beim zweiten Erwachen.
Diesmal hatte ich gar nichts gehört. Vermutlich war es nur eine warnende Stimme im Kopf, die mich die Augen aufschlagen ließ.
Dass erste, was meine, durch das grelle Licht geblendeten, Augen wahrnahmen, war die weit geöffnete Gittertür. Das zweite war der formlose, aber gewaltige Schatten, der sich hoch über mich aufrichtete.
Woher ich die Fähigkeit und die Kraft zu jenem Reflex hernahm, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht ist dieser Fluchtreflex seit Urzeiten in uns verborgen. In einer einzigen Bewegung sprang ich von meiner Schlafstatt hoch, vorbei an dem seltsam erstarrten Schatten, hechtete durch die offene Käfigtür, riss sie noch im Flug hinter mir zu, griff durch das Gitter und schloss mit einer mir bis heute unbekannten Kraft die Hebel.
In der Pseudosicherheit des Käfigs packte mich entgültig das Entsetzen. Die ganzen erregten Nerven ließen mich jetzt in Stich und ich presste mich an die hinterste Käfigwand, schluchzte und starrte stundenlang apathisch vor mich hin.
Regungslos und umhüllt von den eigenartigen Tiergerüchen der Behausung verbrachte ich die Nacht. Im Wohnzimmer konnte ich immer wieder den grausigen Schatten erkennen, der sich hinter der Couch träge bewegte, aber ich war zu eingeschüchtert, um die Gestalt näher in Augenschein zu nehmen.
Aus meiner Lethargie riss mich erst das Geräusch des Schlüssels im Schloss der Haustür. Der alte Mann kehrte zurück. Und er ahnte nicht, was vorgefallen war. Ich musste ihn warnen. Aber meine Beine weigerten sich, mir zu gehorchen, und als ich endlich mich unter Auferbietung all meiner Kraft und meines Mutes mich zur Käfigtür geschleppt hatte, stand der Alte schon mitten im Zimmer.
Seine Gesicht spiegelte kein bisschen Furcht, eher eine Art Traurigkeit, als er erst zu mir und dann zu dem Schatten blickte und sagte: „Nun hast du es also doch geschafft, nach so endlos langer Zeit. Ich werde dich vermissen, mein Freund. Du hast sie dir deine Freiheit redlich verdient und ich habe ja ein neues Haustier.“
Der Schatten huschte an ihm vorbei und schlüpfte lautlos aus der Wohnungstür..
Endlich wand er sich mir zu. Er nickte, lächelt etwas und meinte: „Ich denke, wir werden eine interessante Zeit miteinander verbringen.“
Ende