Alexa
Verfasst: 29.07.2008, 11:30
Alexa bediente in dem Lokal „Eckestuben“. Es war eine dunkle, regnerische Winternacht und ihre Knochen fühlten sich wie Gummi an. Wieder einmal waren die Schauspieler und Künstler nach der Vorstellung in der nahe gelegenen Komödie aufgetaucht und hatten sich fest geredet.
Ihr Mund schmeckte nach saurem Wein, als sie die Gläser absetzte. Sie fühlte, dass der Wirt der „Eckestuben“ sie beobachtete. Sie arbeitete nicht schnell genug und eckte ständig an. Regen schlug an die Fenster. Sie fuhr mit der Zunge über ihre Lippen und warf das dichte schwarze Haar aus der Stirn, als sie wieder ein Tablett mit Weingläsern voll stellte. Sie versuchte nichts zu denken. Das Licht spiegelte sich auf der Glatze von John, dem Inhaber. Er neigte zu cholerischen Schüben, sein Gesicht verfärbte sich dann krebsrot. Wieder fühlte sie die wunde Stelle mitten in ihrem Körper, die sich nicht mehr schloss, seit sie wegen Körperverletzung verurteilt worden war. Die Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden und trotzdem empfand sie das alles immer noch krass. Diesen Job verdankte sie nur der Tatsache, dass John ihrem Großvater einen Gefallen schuldete. Seitdem geschah nichts. Tagelang saß sie herum und bediente in der Künstlerkneipe und nichts geschah. Sie fühlte sich, als würde sie mit Trauer gefüttert. Sie wirkte in sich gekehrt, mit weißlichem Gesicht und still. John winkte ihr mit der Hand zu, Schluss zu machen. Den Rest würde er wie immer allein erledigen.
Sie schlüpfte in die Toilette, die in einem kalten Gang lag. Im trüben Licht sah sie die weißliche Farbe ihres Gesichts wieder, wie Schnee wenn er alt wird. Sie hatte keine Träne geweint, seit ihr Freund sie mit ihrer besten Freundin Simone betrogen hatte und sie ihm die schwere Buddhafigur über den Schädel gezogen hatte, während er schlief.
Sie fühlte sich einsam, während sie in den Spiegel starrte, der an den Ecken beschädigt war. Das Wasser plätscherte. Ihre Hände waren eiskalt. Sie roch immer noch das Parfum der Schauspielerinnen in der Kneipe und fand es fast unerträglich. Sie raffte ihre glatten schwarzen Haare zusammen und drehte ein Gummiband darum, so dass ein schwerer Haarknoten entstand. Dann streifte sie ihre Wollhandschuhe über und wickelte den langen dunklen Schal ein paar Mal um ihren Hals. Sie starrte immer noch in den Spiegel, ohne zu wissen worauf sie eigentlich wartete. Sie hatte keine Lust, nach Hause zu gehen, zu ihrem Opa, in das schmale Zimmer, das er dort für sie geräumt hatte, seit ihre Eltern nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten. Sie sah in ihre undurchdringlichen Augen und dachte, dass ihr Herz abgestorben war. Das einzig lebendige in ihrem erstarrten Gesicht waren ihre vollen, rosafarbenen Lippen, deren Mundwinkel leicht zuckten. Das Blut schien aus ihrem Gehirn wegzulaufen und ihr Herz war kalt wie ein Messer. Ihr Leben fühlte sich wie ein Abgrund an und sie fragte sich mal wieder, ob sie eine Neurose hatte.
Sie trat auf den kleinen Platz hinaus und das Licht unter den Bäumen wirkte drohend. Sie zog den grauen Mantel enger um die Brust. Sie trug hohe lederne Stiefel. Der Regen fiel auf ihr Haar, sie mochte keine Schirme. Sie lauschte dem Rhythmus ihrer Stiefelabsätze auf dem Asphalt. Sie lief eng an den feuchten Mauern der Häuser entlang, bis sie das Tangolokal „Babylon“ erreichte, das Serge gehörte. Serge trank manchmal ein paar Schoppen Wein in den „Eckestuben“. Alexa zögerte, sie hatte das Lokal noch nie betreten. Tango war nicht ihre Welt, sie verstand nichts davon. Schon wollte sie in die Unterführung hinunter steigen, die zur Untergrundbahn führte, als sie umdrehte und ihr Gesicht an die Scheibe des“ Babylon“ presste. Sie schnäuzte sich die Nase und beobachtete durch die Scheibe die gleitenden Bewegungen der Tänzer, das Kissen der Nacht im Genick. Sie suchte ihr Gesicht in der Scheibe und fand es nicht. Plötzlich wollte ihr Körper nicht stehen und still sein, er wollte Rhythmus schlagen mit den Füßen. Sie zog die Türe auf und schlüpfte in das dämmrige Lokal. Es war ziemlich voll. Sobald sie es betreten hatte, fühlte sie sich bereits wieder, als hinge sie fest. Sie glitt auf einen Stuhl weit hinten. Sie trank ein Cola mit Rum und beobachtete, wie die Tänzer an ihr vorbei flossen.
Komischerweise dachte sie an die Gießkanne aus Zink ihres Großvaters, den Rechen hinter dem großen Stein und das Herbstrauschen von Staren in der Luft. Allein an dem Tisch fühlte sie sich trostlos. Aber immerhin war es warm, sie scheute sich vor dem zugigen U-Bahnhof und dem Nachhauseweg zurück zum Oleanderweg. Sie zog die Mundwinkel herab und merkte, dass sie plötzlich vor Wut bebten.
Und dann sah sie ihn vorbeitanzen zu den immer gleichen schlingernden Takten. Es war seine Körperlichkeit, die fast ein wenig derb wirkte. Seine rauen Züge, die ziemlich große Nase, das leicht anzügliche Lächeln. Alles zusammen strahlte eine herbe, zupackende Sinnlichkeit aus. Unwillkürlich sah sie auf seinen Gürtel und die Stelle darunter. Sie musste an Brausepulver denken, ihr Hals wurde eng. Ihre Blicke folgten seinen Tanzschritten, mal schleichend, mal ruckartig. Sie sah, wie seine Hände die Frau, mit der er tanzte, anpackten. Er trug einen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd, sein Schädel war oben kahl. Ihr Auge folgte ihm, als wäre es bewusstlos an seinen Körper angeheftet. Sie starrte ihn an, verbog den Hals, um ihn nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Ein Knie presste sie gegen den Rand des wackligen, runden Tisches. Der Tanz erinnerte sie an Schlittschuh fahren und plötzlich verflog die Zeit wie im Nu. Sie sah ihn an der Bar stehen, abgehackt lachen und zum ersten Mal seit dem Prozess hatte sich etwas in ihr verändert, sie hatte den Wurm, der an ihrem Inneren seit dem Prozess fraß, kurz vergessen. Ein Kerl ging ihr unter die Haut. Eine müde Gier befiel sie. Sie überlegte gerade, ob sie sich ihm nähern sollte, als er plötzlich einen Hut aufsetzte und mit einem sparsamen Gruß das „Babylon“ verließ.
Ihr Mund schmeckte nach saurem Wein, als sie die Gläser absetzte. Sie fühlte, dass der Wirt der „Eckestuben“ sie beobachtete. Sie arbeitete nicht schnell genug und eckte ständig an. Regen schlug an die Fenster. Sie fuhr mit der Zunge über ihre Lippen und warf das dichte schwarze Haar aus der Stirn, als sie wieder ein Tablett mit Weingläsern voll stellte. Sie versuchte nichts zu denken. Das Licht spiegelte sich auf der Glatze von John, dem Inhaber. Er neigte zu cholerischen Schüben, sein Gesicht verfärbte sich dann krebsrot. Wieder fühlte sie die wunde Stelle mitten in ihrem Körper, die sich nicht mehr schloss, seit sie wegen Körperverletzung verurteilt worden war. Die Strafe war zur Bewährung ausgesetzt worden und trotzdem empfand sie das alles immer noch krass. Diesen Job verdankte sie nur der Tatsache, dass John ihrem Großvater einen Gefallen schuldete. Seitdem geschah nichts. Tagelang saß sie herum und bediente in der Künstlerkneipe und nichts geschah. Sie fühlte sich, als würde sie mit Trauer gefüttert. Sie wirkte in sich gekehrt, mit weißlichem Gesicht und still. John winkte ihr mit der Hand zu, Schluss zu machen. Den Rest würde er wie immer allein erledigen.
Sie schlüpfte in die Toilette, die in einem kalten Gang lag. Im trüben Licht sah sie die weißliche Farbe ihres Gesichts wieder, wie Schnee wenn er alt wird. Sie hatte keine Träne geweint, seit ihr Freund sie mit ihrer besten Freundin Simone betrogen hatte und sie ihm die schwere Buddhafigur über den Schädel gezogen hatte, während er schlief.
Sie fühlte sich einsam, während sie in den Spiegel starrte, der an den Ecken beschädigt war. Das Wasser plätscherte. Ihre Hände waren eiskalt. Sie roch immer noch das Parfum der Schauspielerinnen in der Kneipe und fand es fast unerträglich. Sie raffte ihre glatten schwarzen Haare zusammen und drehte ein Gummiband darum, so dass ein schwerer Haarknoten entstand. Dann streifte sie ihre Wollhandschuhe über und wickelte den langen dunklen Schal ein paar Mal um ihren Hals. Sie starrte immer noch in den Spiegel, ohne zu wissen worauf sie eigentlich wartete. Sie hatte keine Lust, nach Hause zu gehen, zu ihrem Opa, in das schmale Zimmer, das er dort für sie geräumt hatte, seit ihre Eltern nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten. Sie sah in ihre undurchdringlichen Augen und dachte, dass ihr Herz abgestorben war. Das einzig lebendige in ihrem erstarrten Gesicht waren ihre vollen, rosafarbenen Lippen, deren Mundwinkel leicht zuckten. Das Blut schien aus ihrem Gehirn wegzulaufen und ihr Herz war kalt wie ein Messer. Ihr Leben fühlte sich wie ein Abgrund an und sie fragte sich mal wieder, ob sie eine Neurose hatte.
Sie trat auf den kleinen Platz hinaus und das Licht unter den Bäumen wirkte drohend. Sie zog den grauen Mantel enger um die Brust. Sie trug hohe lederne Stiefel. Der Regen fiel auf ihr Haar, sie mochte keine Schirme. Sie lauschte dem Rhythmus ihrer Stiefelabsätze auf dem Asphalt. Sie lief eng an den feuchten Mauern der Häuser entlang, bis sie das Tangolokal „Babylon“ erreichte, das Serge gehörte. Serge trank manchmal ein paar Schoppen Wein in den „Eckestuben“. Alexa zögerte, sie hatte das Lokal noch nie betreten. Tango war nicht ihre Welt, sie verstand nichts davon. Schon wollte sie in die Unterführung hinunter steigen, die zur Untergrundbahn führte, als sie umdrehte und ihr Gesicht an die Scheibe des“ Babylon“ presste. Sie schnäuzte sich die Nase und beobachtete durch die Scheibe die gleitenden Bewegungen der Tänzer, das Kissen der Nacht im Genick. Sie suchte ihr Gesicht in der Scheibe und fand es nicht. Plötzlich wollte ihr Körper nicht stehen und still sein, er wollte Rhythmus schlagen mit den Füßen. Sie zog die Türe auf und schlüpfte in das dämmrige Lokal. Es war ziemlich voll. Sobald sie es betreten hatte, fühlte sie sich bereits wieder, als hinge sie fest. Sie glitt auf einen Stuhl weit hinten. Sie trank ein Cola mit Rum und beobachtete, wie die Tänzer an ihr vorbei flossen.
Komischerweise dachte sie an die Gießkanne aus Zink ihres Großvaters, den Rechen hinter dem großen Stein und das Herbstrauschen von Staren in der Luft. Allein an dem Tisch fühlte sie sich trostlos. Aber immerhin war es warm, sie scheute sich vor dem zugigen U-Bahnhof und dem Nachhauseweg zurück zum Oleanderweg. Sie zog die Mundwinkel herab und merkte, dass sie plötzlich vor Wut bebten.
Und dann sah sie ihn vorbeitanzen zu den immer gleichen schlingernden Takten. Es war seine Körperlichkeit, die fast ein wenig derb wirkte. Seine rauen Züge, die ziemlich große Nase, das leicht anzügliche Lächeln. Alles zusammen strahlte eine herbe, zupackende Sinnlichkeit aus. Unwillkürlich sah sie auf seinen Gürtel und die Stelle darunter. Sie musste an Brausepulver denken, ihr Hals wurde eng. Ihre Blicke folgten seinen Tanzschritten, mal schleichend, mal ruckartig. Sie sah, wie seine Hände die Frau, mit der er tanzte, anpackten. Er trug einen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd, sein Schädel war oben kahl. Ihr Auge folgte ihm, als wäre es bewusstlos an seinen Körper angeheftet. Sie starrte ihn an, verbog den Hals, um ihn nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Ein Knie presste sie gegen den Rand des wackligen, runden Tisches. Der Tanz erinnerte sie an Schlittschuh fahren und plötzlich verflog die Zeit wie im Nu. Sie sah ihn an der Bar stehen, abgehackt lachen und zum ersten Mal seit dem Prozess hatte sich etwas in ihr verändert, sie hatte den Wurm, der an ihrem Inneren seit dem Prozess fraß, kurz vergessen. Ein Kerl ging ihr unter die Haut. Eine müde Gier befiel sie. Sie überlegte gerade, ob sie sich ihm nähern sollte, als er plötzlich einen Hut aufsetzte und mit einem sparsamen Gruß das „Babylon“ verließ.