Champagnermomente

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.06.2008, 20:10

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Endfassung

Champagnermomente

Ein Croissant ist ein Croissant. Nicht für Merle. Ein Croissant ist ein Ritual. Merle beißt die beiden Spitzen ab und lässt den Rest übrig. Nur die Ecken bedeuten Versuchung.
So, wie sie beim Eis in der Waffel zuerst die Spitze abbeißt und das Eis von unten nach oben isst.
Das ist es.
Im Restaurant bestellt sie sich immer etwas mit Erbsen, weil sie Erbsen nicht mag. Es muss ein Gericht sein, das besonders viele Erbsen enthält, damit sie im Essen herumstochern, jede Erbse sorgfältig am Tellerrand drapieren kann. Hungrig erwartet sie den fragenden Blick des Kellners. Seinen dezenten Blick. Es ist ein vornehmes Lokal. Wäre es kein vornehmes Lokal, würde sie kein Gericht mit besonders vielen Erbsen bestellen. Der Teller ist leer. Nur die Erbsen liegen noch da, dekorieren den Teller wie ein Lorbeerkranz. Beim nächsten Mal wird sie die doppelte Portion im selben Restaurant und beim selben Kellner bestellen, auch wenn sie nicht hungrig ist. Dieser Blick des Kellners ist ihr Dessert.
Sie verlässt das Lokal, hinaus in den Regen, und springt in jede Pfütze. Die Pfützen gehören ihr ganz allein. Nur manchmal eifern Kinder ihr nach und sie hört das Gezeter der Eltern. Merle lacht.


1. Fassung

Champagnermomente

Ein Croissant ist ein Croissant. Nicht für Merle. Ein Croissant ist Versuchung, ein Ritual. Merle beißt nur die beiden Enden ab und lässt den Rest liegen. Nur die Ecken sind Versuchung.
So, wie sie beim Eis in der Waffel zuerst die Spitze abbeißt und das Eis von unten nach oben isst.
Das ist es.
Im Restaurant bestellt sie sich immer etwas mit Erbsen, weil sie Erbsen nicht mag. Es muss ein Gericht sein, das besonders viele Erbsen enthält, damit sie im Essen herumstochern kann, um jede Erbse sorgfältig am Tellerrand zu drapieren. Hungrig erwartet sie den fragenden Blick des Kellners. Seinen dezenten Blick. Es ist ein vornehmes Lokal. Wäre es kein vornehmes Lokal, würde sie kein Gericht mit besonders vielen Erbsen bestellen. Der Teller ist blank geputzt. Nur die Erbsen liegen noch da, dekorieren den Teller wie ein Lorbeerkranz. Beim nächsten Mal wird sie die doppelte Portion im gleichen Restaurant und beim gleichen Kellner bestellen, auch wenn sie nicht hungrig ist. Dieser Blick des Kellners ist ihr Dessert.
Sie verlässt das Lokal, hinaus in den Regen, und springt in jede Pfütze, auch wenn sie bequem drumherum gehen könnte. Die Pfützen gehören ihr ganz allein. Jedoch nicht immer. Manchmal eifern Kinder ihr vergnügt nach und sie hört das Gezeter der Eltern. Merle lacht.
Ihr Leben würde nicht prickeln ohne diese Champagnermomente.


Mucki
06/2008
Zuletzt geändert von Mucki am 25.06.2008, 16:15, insgesamt 6-mal geändert.

Rala

Beitragvon Rala » 24.06.2008, 20:40

Hallo Mucki!

Eine sehr ungewöhnliche, aber interessante Variante von ADS, wie mir scheint. Oder handelt es sich um eine andere Form von Verhaltensauffälligkeit?
(Nebenbei, drapieren mit einem p, und müsste es nicht heißen: "dekorieren den Teller wie EIN Lorbeerkranz"?)
So viel erst mal zum ersten Lektüreeindruck.

Liebe Grüße,
Rala

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.06.2008, 20:58

Liebe Mucki,

das hat mir eben im Prosalog schon gefallen! Ich würde allerdings die Crossaintpassagen und die Pfützen dazunehmen! Wenn du das zusammennimmst, müsste noch an einzelnen Sätzen gefeilt werden, aber ich glaube, das wird dann ein richtig stimmungsvoller, freier Text - egal, auf welche Syndrome etc. dein Text jetzt verweist - das ist hier letztlich egal. Das kann ich mir übrigens sehr gut für das Drehbuchprojekt vorstellen!

Klasse!

Für Detailkritik melde ich mich, falls du den ganzen Text einstellen magst..

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.06.2008, 21:31

Hi Rala und Lisa,

okay, ich habe jetzt die komplette Prosalogfassung eingesetzt. Ich war mir unsicher, ob es im Ganzen funktioniert als Kurzprosa, deshalb hatte ich zuerst nur den "Erbsenteil" eingesetzt,-)
Saludos
Mucki

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 24.06.2008, 21:36

Hallo Mucki,

ohne die Ergänzung wäre der Text kastriert. Ich hab den kurzen und den erweiterten Text gelesen, bei der Kurzform dachte ich hm, ganz nett, aber gelebt hat der Text da nicht. Jetzt schon.

Das prickeln zum Schluss würde ich überdenken. STeckt ja im Champagner schon drin.

Gruß

Sneaky

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.06.2008, 21:54

Hi Sneaky,

ja, mit dem Prickeln hab ich auch überlegt. Überhaupt sollte der letzte Satz irgendwie anders lauten, glaube ich, also auch ohne "Champagnerworte".
Bevor ich Änderungen vornehme, warte ich weitere Kommentare ab.
Danke dir!
Saludos
Mucki

Klara
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Beitragvon Klara » 24.06.2008, 21:55

Hallo Mucki,

das gefällt mir gut!

lieber Gruß
Klara

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.06.2008, 21:56

Hi Klara,

danke dir! *freu*
Ist ein bisschen "abgefahren" der Text *lach*, aber das soll er auch sein. Ein bisschen crazy sozusagen.
Es werden aber sicherlich noch einige Änderungen hier vorgenommen werden.
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 24.06.2008, 22:20

Liebe Mucki,

Daumen hoch. Das finde ich sehr schön, so akribisch wie die Figur. Klasse. Ein bisschen feilen kann man aber immer, nech? ;-)

Champagnermomente
Schöner Titel, dann braucht es die Wiederholung aber für mich nicht am Ende, denn es ist klar!

Ein Croissant ist ein Croissant. Nicht für Merle. Ein Croissant ist Versuchung, ein Ritual. Merle beißt nur die beiden Enden ab und lässt den Rest liegen. Nur die Ecken sind Versuchung.
Ich würde die Versuchung nicht doppeln.

So, wie sie beim Eis in der Waffel zuerst die Spitze abbeißt und das Eis von unten nach oben isst.
Schön!

Das ist es.
würde ich streichen.

Im Restaurant bestellt sie sich immer etwas mit Erbsen, weil sie Erbsen nicht mag. Es muss ein Gericht sein, das besonders viele Erbsen enthält, damit sie im Essen herumstochern kann, um jede Erbse sorgfältig am Tellerrand zu drapieren.
Hier würde ich im Anschluss den Namen eines Gerichts erwähnen, das macht es griffiger.

Beim nächsten Mal wird sie die doppelte Portion im gleichen Restaurant und beim gleichen Kellner bestellen, auch wenn sie nicht hungrig ist.
Wenn es das identische Lokal/Kellner ist, dann im selben Lokal und beim selben Kellner!

Dieser Blick des Kellners ist ihr Dessert.
Gefällt mir!

Sie verlässt das Lokal, hinaus in den Regen,
Sie verlässt das Lokal, geht hinaus in den Regen, Oder: Sie verlässt das Lokal. Es regnet und sie springt in jeder Pfütze.

und springt in jede Pfütze, auch wenn sie bequem drumherum gehen könnte.
Finde ich nicht nötig, es hemmt den Lesefluss.

Die Pfützen gehören ihr ganz allein. Jedoch nicht immer. Manchmal eifern Kinder ihr vergnügt nach und sie hört das Gezeter der Eltern. Merle lacht.
Ihr Leben würde nicht prickeln ohne diese Champagnermomente.

Wie gesagt, ich ließe den letzten Satz weg.
Es war so, als ich den Text las bis: Merle lacht. , fiel mir als Endgedanke ein: Mehr bleibt ihr nicht. Was sonst sollte sie tun. Sowas in die Richtung oder mit: Merle lacht. schließen. Das fände ich am Stärksten.

Lieben Gruß
ELsie
Schreiben ist atmen

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 24.06.2008, 22:26

Liebe Mucki,

ja, der Anfang bereitet die Erbsenstelle erst vor - Merles Welt wird dreidimensional, das gefühl vorbereitet -ohne sie wirkt die Erbsenstelle zu unterkühlt, so kommt rüber, dass Merle nichts nach drau0en dringen lässt und es bleibt doch eine weiche Leseperspektive.

Kleine Vorschläge:

Champagnermomente

Ein Croissant ist ein Croissant. Nicht für Merle. Ein Croissant ist (eine oder: bedeutet) Versuchung, (bei bedeutet hier dann ist) ein Ritual. Merle beißt nur die beiden Enden ab und lässt den Rest (auf dem Teller? oder übrig statt liegen?) liegen. Nur die Ecken (Spitzen? besser metaphorisch lesbar? achso, wiederholung .-))) sind Versuchung.
So, wie sie beim Eis in der Waffel zuerst die Spitze abbeißt und das Eis von unten nach oben isst.
Das ist es.
Im Restaurant bestellt sie sich immer etwas mit Erbsen, weil sie Erbsen nicht mag. Es muss ein Gericht sein, das besonders viele Erbsen enthält, damit sie im Essen herumstochern kann, um j (,jede Erbse sorgfältig am Tellerrandzu drapieren kann. Hungrig erwartet sie den fragenden Blick des Kellners. Seinen dezenten Blick. Es ist ein vornehmes Lokal. Wäre es kein vornehmes Lokal, würde sie kein Gericht mit besonders vielen Erbsen bestellen. Der Teller ist blank geputzt (blank geputzt fällt stilistisch raus, finde ich). Nur die Erbsen liegen noch da, dekorieren den Teller wie ein Lorbeerkranz. Beim nächsten Mal wird sie die doppelte Portion im gleichen Restaurant und beim gleichen Kellner bestellen, auch wenn sie nicht hungrig ist. Dieser Blick des Kellners ist ihr Dessert.<---super satz
Sie verlässt das Lokal, hinaus in den Regen, und springt in jede Pfütze, auch wenn sie bequem drumherum gehen könnte (das müsste man nicht sagen = ist klar). Die Pfützen gehören ihr ganz allein. Jedoch nicht immer.Nur manchmal eifern Kinder ihr vergnügtnach und sie hört das Gezeter der Eltern. Merle lacht. Dann lacht Merle?
Ihr Leben würde nicht prickeln ohne diese Champagnermomente.


ich finde erst durch die ganzen Textstellen wird der Text lebendig und schwebt zwischen wirklichem Vergnügen und Selbstqual und man merkt, dass Merle sich so behandelt, weil eben beides stimmt: dass sie ein Kind ist, dass durch Pfützen springt und eine Erbsenzählerin - das schließt sich nicht aus - ich kann gut nachempfinden, wie Übermut zu Selbstkastration führt - um ihn zu behalten. So lese ich den Text. Und er gefällt mir sehr.

liebe Grüße,
Lisa

ps: lese gerade elsa: das "das ist es" würde ich nicht streichen!
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Elsa
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Beitragvon Elsa » 24.06.2008, 22:32

Liebe Lisa,

"das ist es" steht *für mich* irgendwie unmotiviert herum an der Stelle.

Ist aber Geschmacksache.

Lieben Gruß
ELsa
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Beitragvon Lisa » 24.06.2008, 22:37

Liebe Elsa,

ich hätte es normalerweise auch angestrichen - hab es sogar bemerkt, aber hier mag ich es irgendwie -es ist wie der Crossaintspitzengeschmack, nur in Form des Gedankens - und das spiegelt mir gut Merles Konstruktion wider - aber ich stimme zu: Geschmacksache!

liebe Grüße,
Lisa
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Beitragvon Mucki » 24.06.2008, 22:42

Liebe Elsie, liebe Lisa,

danke euch für die tollen Anmerkungen. Jep. Die werde ich fast alle übernehmen. Zur Stelle "das ist es". Ich bin da noch unsicher. Es ist ja eine Wertung aus der Perspektive von Merle. Für sie ist es das, es eben genau anders herum zu machen. Sie muss es so tun. Ich glaube, dass es deshalb drinbleiben muss. Und ja, den letzten Satz nehme ich raus. Ich mach mich mal an die Überarbeitung. Dann sehen wir weiter.
Danke euch beiden sehr!
Saludos
Mucki
P.S. Sehe gerade in der Vorschau, was du zur "Das ist es" - Stelle schreibst, Lisa. Jep, s.o.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 24.06.2008, 22:44

Liebe Mucki, liebe Lisa,

Nun, es ist wahrscheinlich so, dass es Merles POV ist, daher ... ich sträube mich nicht weiter dagegen :-)

Lieben Gruß Euch,
Elsa
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