Aus den Juist-Buichern - Tagebuch Mai 2008
Verfasst: 08.06.2008, 14:07
Aus den Juist-Buichern:
Tagebuch Juist 2008 - 2. Aufenthalt im Mai
Auf Promo-Tour in Ostfriesland
1. Tag
Den Kläffköter, der schon die ganze Fährfahrt zerbellt, könnte auch mal jemand von seinen Leiden erlösen. Einmal kurz über die Reling, und dann wär doch Ruhe? Es soll ja liebgewordene Sitte auf Juist sein, beim Ersteinschiffen von nervösen Tölen das Abzeichen 'Kleiner Seehund' zu verlangen. Ein beliebiger Sprung vom Oberdeck, und einmal auf Wattgrund tauchen und sieben Muscheln nach oben bringen. Wenn er's schafft, kriegt er die Plakette. Wenn er es nicht schafft, ist's auch gut. Auf jeden Fall ist dann die Fähre schon außer Bellweite.
Mutti und Hundi biegen ab zum Hotel Achterdiek, und ich mit meinem Rumpumpeltrolli hart backbord. Nur noch ein schwaches Jaulen fiepst über den Deich. Wahrscheinlich hat Wuffi von nem schönen Friesenhengst vor einer Kutsche einen Huf auf die Zwölf gekriegt. Moin Töwerland, ich komme.
Fast den ganzen Tag geschlafen. Offenes Fenster. Wattgeräusche. Pferdegetrappel. Wie immer. Nach dem Schlafen gegessen, und dann erstmal geschlafen. Und dann wurde es auch schon Zeit für die Nachtruhe. Von dicken Mädchen geträumt.
2. Tag
Selbst die Fliegen sind hier anders. Nicht nur viel kleiner und kompakter, auch irgendwie ... gelassener. Du musst nicht glauben, dass du sie mit einem einfachen Beinzucken verscheucht bekommst. Wahrscheinlich sind sie froh, wenn sie bei dem ständigen Wind überhaupt mal irgendwo Halt finden, und so leicht lassen die nichts wieder los, was sie einmal zu fassen kriegen. Aber sie nerven dich nicht, wenn sie auf dir rumkrabbeln, wie die Kackviecher in der Stadt. Diese hier sind wettergegerbte, hartgesottene, zähe Burschen. Es ist die entspannte Art, wie sie auf dir herumlaufen, die dich sie gewähren lässt. Den Sand, der ständig im Windschatten der kleinen Düne auf dich niederrieselt, hinter der du dich nackt auf der Bastmatte abgelegt hast, versuchst du ja auch nicht, ständig fortzuwischen. Weil es zwecklos ist. Weil du es anerkennst, dass du hier nicht Regie führst.
Es ist nicht schwierig, das Sandgestiebe als sanftes Peeling zu empfinden. Etwas, was dir den Dreck aus den Poren reibt. Der Sand reibt dir sogar den Sand aus den Augen. Und aus dem Getriebe. Gleiches mit Gleichem, die alte Eso-Leier. Nur in Echt. Und der Kuss der Fliege ist besser als keiner.
Bei der Gelegenheit fängt die Sonne an, dir einen zu blasen. Nur zu, altes Mädchen, sagst du, hier in den Dünen siehts ja keiner. Ruckzuck baumelt dir der Fischrogen am Kinn. Zeit, sich jetzt mal auf den Bauch zu wälzen. Zur postkoitalen Rückenmassage. Und die erste Zigarette seit fast 2 Tagen schmeckt wie gebratene Hähnchen.
3.Tag
Schon wieder so ein roter Mondaufgang. Voll die Omme. Wie gestern, nur später. Und die Dölle rechts oben wird größer. Geht auf Nipptide zu.
Na klar hat er ein Gesicht. Er lächelt wohlwollend. Und spitzbübisch. Er weiß ne Menge, der alte Sack. Auch, was die Sonne tagsüber so treibt. Das Luder.
4.Tag
Jetzt kreisen schon die Möwen über mir. Vermutlich halten sie mich für eine verendete Kegelrobbe. Von der Statur her käme das ja auch hin, aber eigentlich bin ich dafür etwas zu rosa. Man weiß ja nicht, wie das Farbfernsehvermögen bei Meeresvögeln so ausgebildet ist. Vielleicht sollte ich mich doch öfter bewegen, bevor sie anfangen, an mir rumzupicken? Ich kann ja mal zur Abschreckung prophilaktisch mit den Unterschenkeln rudern und kschksch machen. Beinahe wäre mir jetzt ein oinkoink rausgerutscht.
Von weit her trägt jetzt der Ostwind das Gekläff zweier Tölen über die Dünen. Dann ruft eine Dame sie beim Namen. Fanta und Cola verstehe ich, Fanta und Cola, die beiden Colliemischlingsmädchen. Richtige Spezi-Hündchen. Sie gehorchen jedenfalls und geben wieder Ruhe.
Stille ist das Nichtvorhandensein von Geräusch. Geräusch ist immer menschgemacht, Wasser und Wind sind Klang. Einklang.
Abendgedanken. Wenn das Blickfeld weit genug ist, gibt es keine Geraden mehr. Und keine Entfernung. Alles ist ebenso greif- wie unerreichbar.
Im Watt schreien die Vögel auch nachts. Hier gibt es kein Hell und Dunkel, hier ticken Ebbe und Flut, und der Wind verbiegt gelegentlich die Zeiger der Tidenuhr. Ein wenig.
5. Tag
Die Fischfrau heißt Peter. Was? Sieht zwar ein bisschen burschikos aus, aber dass die Eltern so danebengetippt haben? Achso, Peta, friesischer Mädchenname. Nicht zu verwechseln mit Feta, einem priesischen Weichkäse. Ich sei zu schlecht rasiert, um auf Juist einen guten Job zu kriegen, sagt sie. Woher will die das wissen? Ich bin ja vollständig bekleidet.
Die Rock-Oldie-Kapelle fiedelt sich einen runter. Den Schlagzeuger müsste bezeiten mal jemand gießen, sonst vertrocknet der da oben noch. Bei BAP und Westernhagen muss ich weg von dem Bierstand, sonst kotz ich, runter in Börnies kleine Schmoker-Kneipe. Börnie nicht da. Trümmerbruch im Fuß. Besoffen vom Rad gefallen. Platte und Schrauben im Knöchel. Seine Nichte macht die Theke. SOKO BÖRNIE heißt sie. Sieht genauso aus wie er, spricht genau so, ist aber noch etwas kleiner als er, so dass sie an meinen Seetang-Whisky CELP im obersten Regal nicht ranreicht. Ihre Freundin macht sich lang für mich, wobei ihr Shirt aus der Hose gleitet. Mir gleitet gleich was ganz anderes ...
Das Zeug brennt wunderbar im Hals, macht taube Szunge wie Rohkoks, und nach zwei Doppelten kann ich gestärkt zurück aufs Musikfest. Leider ist schon fast mein Geld alle, aber die Band gibt zum Glück ein bisschen Gas. Das letzte Bier kriege ich auf Pump von dem freundlichen Bierwagenmann, und so endet der Abend ganz erklecklich. Wieder von dicken Mädchen geträumt.
6. Tag
Das Sperma beginnt, nach Fisch zu riechen. An mangelnder Intimhygiene kanns nicht liegen, da ist alles besenrein und blankgewienert. Wie geleckt quasi. Die Ernährung wirds sein. Jeden Abend Fisch, und mittags noch das obligatorische Granat- oder Bismarckbrötchen mit Knofi und Zwieböln. Du wichst, was du isst. Seemannsbräute haben es echt nicht leicht. Jesus, bin ich hier aufem Kuttä, oder wäs?
Der Bierwagenmann kanns gar nicht fassen, dass ich ihm die Zweifuffzig wiederbringe. Schon mal was von Säuferehre gehört, du Makrele? Gib mal ne Marille, und denn Schwamm drüber, nech?
Heiaheiahey macht die Piratenband. Das soll ne Folkband mit irischem Einschlag sein? Ce sera, sera? Ey gehts noch? Für so nen Dreck hab ich meine gute Hose angezogen? Die Nasenhaare gezupft? Elektrisch verstärkte Animations-Knalltüten sind das, Robinson-Club mit Gitarren. Piraten-Kasperltheather. Seid Ihr alle daa-haa? Und die wohnen auch noch in derselben Pension wie ich. Schon wieder Westernhagen. Besoffene Typen mit Strohhut fangen an zu hopsen und zu grölen, diddlemausbestückte Strähnchenmuttis kriegen Pipiaugen und flöten mit. Die unendliche Freiheit für Arme. Weg hier, bloß weg. Lasst mich durch, ich bin Musiker, dies ist ein Notfall.
Ich wünsch mir die Vier Alten Säcke (Name geänd., d. Red.) zurück, die hier vor ein paar Jahren echte Shanties gespielt haben, von der Waterkant, mit Schifferklavier, Gitarre, Harmonika und Bass. Wo mir die Nackenhaare bis Bremen standen. Verdammt, gibt es auf dieser verfuckten Welt überhaupt keine Authenzität mehr?
Endlich in der Pension, weg von dem Getöse, auf dem Zimmer, ein frisches Jever, das offene Fenster in die Nacht hinaus, das Wattenmeer, die Band hat aufgehört zu ramentern, Stille kehrt wieder ein auf der Insel, und die Wattvögel rufen: Doch!
7. Tag
Ich lebe wieder! ruft die Pensions-Chefin, in den Speisesaal, und fuchtelt mit den Armen. Den Krebs besiegt hat sie. Alle stehen auf und nehmen sie in den Arm. Selbst die Gäste, die neu sind. Wir weinen ein Freudentränchen. Ich küsse sie. Es ist echt wie nur was. Wie wunderbar, dass jemand mal heil aus der Scheiße rauskommt. Erfolgreich operiert, Blutwerte Null. Das Essen schmeckt nochmal so gut. Seelachs mit Krabben und Champignons obendrauf. Mousse au chocolat, mit Vanillesauce. Vier Sorten Salat vorher, alle verschieden angemacht, und Hühnercremesuppe. Obstler hinterher. Aus Flaschen ohne Etikett. So solls sein.
Zeit für Börnie. Brief geschrieben, von Hand. Gute Besserung und so. Flyer beigelegt. Ute kennengelernt, Besitzerin von Ferienwohnungen. Genial angeschickert. Sie findet mich erotisch. Braucht schonmal nen Handwerker. Brauchen alle älteren Damen irgendwann. Kannse haben. Die kommt mir ohne Flyer auch nicht hier raus. Mit Handy-Nummer.
Horst aus Berlin. Schlappgelacht. Ilka, Börnies SOKO-Nichte, haut voll die Sprüche raus. Harald Schmidt kommt rein, nebst Gattin. Oder jemand, der aussieht wie Harald Schmidt, nebst Gattin. Schwäbeln kann er auch. Das ist alles so nett. Ich will hier bleiben. Für ümmer.
8. Tag
Brötchen und Eier und Schinken fressen, pennen, spazierengehen, pennen, Kuchen fressen, kurz nochmal hinlegen, Fisch fressen, kurz spazierengehen, Schokolade fressen, pennen. Nichts als Termine hat man.
9. Tag
Schon ganz früh in den Deichwiesen auf Hasenpirsch. Und da sind auch schon zwei. Was die wohl vorhaben? Ich taufe sie auf die Namen Mother und Fucker, und laufe weiter zu den surrenden Masten der Yachten im Hafen. Der feine Nachtregen hat die Wiesen wieder aufgerichtet. Sie riechen nach Hase. Und Kräutern. Kräuterhase.
Zurück auf dem Zimmer. Kleiderwechsel. Vor dem Betreten des Frühstücksaals macht man das so, wenn man aus der Wiese kommt. Diesmal riechts nach Kaninchen. Ich könnte mal duschen. Da kommt Alexandra aus der Dusche. Was für eine proppere Häsin. Und wie lecker die nach Kräutern duftet. Mit der sollte ich vielleicht mal gemeinsam in die Wiesen ... Hasen gucken ...? Kann jetzt nicht duschen. Muss an die frische Luft.
Just als ich ins Freie trete, erschallt über den Deich das heisere Belfern einer trockengelaufenen Bilgenpumpe, die sich als Goldfasanhahn getarnt hat. Wahrscheinlich hat er irgendwo die Pumpenhenne - unter Ornithonauten kurz 'Bilgin' genannt - entdeckt, und da kann so einem Pumpenhahn schonmal der Kolben auf knirsch gehen.
Mein eigener Schmierfilm will hingegen gar nicht reißen, so dass es den lieben langen Tag im Schritt nur so schlabbert und schmatzt. Dem muss abgeholfen werden, und ich extrudiere mir in Schönschrift das Wörtchen Alex auf das Bauchgewölbe. Noch ein paar Tage Eier zum Frühstück, Meeresobst zum Mittag und Flossenheinis zum Abendessen, und ich werde den Namen wohl vollständig ausschreiben können.
Vielleicht sollte ich mal mit ner Handvoll Popcorn durchs Wäldchen streifen und guggelguggel machen? Ich bin ja eigentlich immer gut zu Vögeln ...
Da fällt mir ein netter Vierzeiler von Otto Waalkes ein:
Der Auerhahn, der Auerhahn,
der schaut mich ganz schön sauer an.
Das stört mich nicht, weil ich jetzt penne,
und zwar auf seiner Auerhenne.
Heiland, ich kann ja gar nicht mehr klar denken vor Maischollenjucken. Klarer Fall von Eiweiß-Anomalie. Übergang zur Schnappatmung. Genitalschleudertrauma. Warum bin ich nochmal hier?
Achja, Jobsuche. Klinkenputzen wollte ich. Hotels, Pensionen, Handwerksbetriebe, Kunstgalerien. Der Ich-bau-Sie-alles-Tom. Also denn doch mal frühstücken, duschen, weißes Hemd an, bisschen Nuttenwasser auflegen, Flyer in die Joppe stopfen, und ab ...
10. Tag
So war das nicht gemeint mit den dicken Mädchen. Auf nüchternen Magen schonmal gar nicht. Da streift man im Frühtau völlig unschuldig und nichtsahnend kräuterduft- und sauerstoffheischend in den vorgelagerten Deichwiesen herum, und als der Blick rein zufällig rücklings Richtung Pension fällt, zeichnet sich deutlich an einer Fensterscheibe im ersten Obergeschoss der Abdruck einer nackten Riesenqualle ab, die sich unter den schwammigen Tentakeln wäscht. Das ist Sushi für Fortgeschrittene, soweit bin ich noch nicht. Jedenfalls nicht vor dem Frühstück.
Es handelt sich eindeutig um die Gästin, die sich immer so vorteilhaft kleidet: Rotes Wurstshirt mit aufgestickten Katzenmotiven, beige Pluderhose, unten umgekrempelt, wo dann haarige, galertartige, (p)fahlweiße und leicht seepockige Beinstümpfe in blaue Blümchensocken und 9-Euro-90-Sicherheitssandalen von KiK münden.
Ihr 2 Meter 70 großer Göttergattenkraken, der morgens immer mit schlafanzughosefarbenem Jogger - oder joggerfarbener Schlafanzughose - in den Frühstückssaal geschlabbert kommt, war mir auch schon so angenehm aufgefallen mit seiner liebenswürdigen Marotte, diverse Nahrungsgefäße wie Suppentassen oder Marmeladetöpfchen mittels stundenlangem Löffelschaben innert derselben nicht nur ihres Inhaltes, sondern auch ihrer Glasur zu entledigen zu suchen.
Solche Nachbarn wünscht man seinem ärgsten Nachbarn nicht. Schade, dass sie heute leider endlich abreisen mussten.
Natürlich spült die nächste Fähre gleich wieder neue Asympathen in Form von verhermelinten Kläfftölenommas und jackwolfsskingeronnenen Partnerlookjungsandalenpaaren mit unzähligen kreischenden und plärrenden Bollerwagen im Schlepptau und Babytragebeuteln an Rücken und Bauch an die Gestade der Ruhe. Dorothea-Kathrin, Franz-Kasimir, wollt ihr noch einen Dattelschaumtofudinkelriegel?
Und während diese Horden von Biodüffeln und angehenden Ökotrophologen - er lang und dürr, sie gedrungen und kurzhaar, die Körnerkinder mit mindestens einem zugeklebten Brillenglas - an mir vorbeistoffeln und ganz entsetzt auf das Bier schauen, das ich gegen Nachmittag immer gern zum Schreiben auf der Terrasse einnehme, blase ich ihnen extraschöne Rauchwolken der Selbstgedrehten in Form von ungemolkenen Eutern entgegen, worauf sich ihre Entrüstung ins schier Unermessliche steigert, schiebe mir die Sonnenbrille von der Stirn tief in die Augen und verhalte mich wie jemand, der vormittags Riffhaie und Große Pythons dressiert. Dass ich das Display durch die dunklen Gläser jetzt nicht mehr erkennen kann, tut dabei überhaupt nichts zur Sache. Das wissen die ja nicht.
Vorzeitiges Fazit des Tages: Habe heute eine neue Seite an mir entdeckt. Kann sehr gesellig sein.
Ich sollte gleich mal runter zum Strand. Da soll es um 16 Uhr eine Autorenlesung geben. Bin gespannt, wie die gute Eva Tenzer bei Windstärke 7 und Sandsturm uns die Romantik des Meeres nahebringen möchte. Es träumt sich so schlecht, wenn es zwischen den Zähnen knirscht.
Eva war es wohl doch draußen etwas zu meerig geworden, und so hatte sie sich mit ihrer fleecegehüllten Leserschaft ins Kurhaus verkrümelt, von dessen Bühne sie mittels verschiedener Definitionen von Blau auch noch das restliche Lebensflämmchen der Kopfnicker und Zustimmer auszuhauchen suchte.
Warum nun findet der Mensch die Farbe Blau so schön? Das könnte ihr Börnie bestimmt am besten erklären, aber sie sieht das wohl anders und salbt uns voll mit ausgewaschenultramarinfarbenem Geseier. Ich hätte es ahnen können, als mir eine fesche Junggebliebene fünf Minuten nach Beginn der Lesung kopfschüttelnd entgegengekommen war, als ich leicht verspätet die Treppe zum Saal emporhechtete.
Eine Minute zwanzig. Meine kürzeste Kulturveranstaltung, auf der ich je war, seit dem Vorspiel auf der elektrischen Gitarre bei den Die Roten Funken Duisburg e.V., einem Karnevals-Trüppchen, damals, im September 81.
Draußen erstmal in den Kompass, drei Jever in sieben Minuten. Muss zum Hafen. Börnie kommt gleich aus dem Festland-Krankenhaus. Kann man ja mal moin sagen gehen. Boh siehst du scheiße aus, sage ich stattdessen, und Börnie bedankt sich anständig. Er hat nen Skischuh an. Und wird im Krankenwagen weggefahren. Im Auto! Auf Juist! Die Jungs wissen schon, was sie an ihrem Wirt haben. Das nenne ich mal stilvoll.
Oh, sechs Uhr, der Fisch ruft.
11. Tag
Nackt am Billriff. Keiner da außer mir. Endlose trockengefallene Sandlandschaft. Die Gaststätte hat Ruhetag, und die bloße öde fressbudenfreie Natur lockt anscheinend niemanden hinter seinem Stövchen hervor. Gutes Stövchen.
Die Schaumalgen haben anscheinend auch Ruhetag. Dann will ich mal der Nordsee zwischen die Beine gehen. Aber so richtig!
Auf dem Heimweg an den abgebrochenen Dünenkanten westlich des Bills entdecke ich eine merkwürdige Formation von Holzstücken, die nahezu kreisförmig einige Zentimeter aus dem Sand ragen.
Ich bin schon fast dran vorbeigelaufen, dann aber stehengeblieben, weil mir das Bild aus dem Museum in den Sinn kommt, von einem Fassbrunnen, einer Art Zisterne, wie sie Anfang des 18. Jahrhunderts im versunkenen Juister Dorf gebräuchlich war. Diese Stelle wurde erst kürzlich von einer Sturmflut freigelegt, ich befinde mich also an einem Ort, der über Jahrhunderte unter den Dünen lag. Ich beginne, mit bloßen Händen im Inneren des Kreises zu buddeln. Nach den ersten Handvoll Sand stoße ich auf eine feste Wurzelschicht. Goldgräberfieber packt mich. Hier muss mal Festland gewesen sein. Historische Juistkarten laufen in meinem Gedächtnis ab. Landverlagerung, Sturmfluten. Petriflut, 1651, Weihnachtsfluten 1715 und 1717. Ich stoße auf stinkenden Humus. Baggere alles aus dem Loch. Was ist das? Meine Finger berühren etwas Hartes. Eisen, völlig korrodiertes Schmiedeeisen, erst ein Stück, dann immer mehr. Nägel, Haken, gut erkennbar. Jetzt die ersten Scherben. Tonarbeiten, mit erhaltenen Glasurfragmenten. Einen Krughenkel. Und was ist das? Ein Stück von einer Tabakspfeife, Röhrenknochen oder Meerschaum, mit Schnitzereien. Drei stilisierte Lilien. Ich glaubs nicht. Dann etwas Spitzes. Ich spüle es ab. Ebenholz, ohne Zweifel, eine tadellos erhaltene, fein gearbeitete Nadel. Ein Schmuckstück, für Haare oder Kleidung. Jetzt ein Tonziegel. Inzwischen liegt ein ganzer Haufen von Fundstücken neben mir.
Drei Frauen nähern sich zielstrebig. Eine andere Frau hätte sie auf mich aufmerksam gemacht - da wäre so ein seltsamer Typ mit zerlumpter Kleidung, der hier in gottverlassener Einsamkeit im Sand buddele, ob sie mal nachschauen könnten, was da vor sich ginge, sie selbst traue sich nicht allein - was die Damen dann hiermit täten. Wie süß. Schlickverschmiert, versalzt und versandet, puterrot sonnengeleckt, mit aus der abgeschnittenen Hose – mangels Unterwäsche - herauslugendem Archäologendekolletee und wehender Mähne, erkläre ich ihnen, dass ich durchaus seltsam sei, aber nicht sonderlich gefährlich.
Nach meinem kulturhistorischen Vortrag sind sie hellauf begeistert und bejubeln jede neue Scherbe, die ich aus dem Schlick wringe. Eine von ihnen will gar nicht mehr weg, die anderen zerren sie aber weiter. Ist mir nicht unlieb. Weiterbuddeln.
Shit, mir läuft die Zeit weg. In einer Stunde muss ich in der Pension sein – es gibt zur Abwechslung mal Fisch – und seit geraumer Zeit fördere ich nur noch Schlick zutage. Ganz unten liegt sicher noch viel mehr. Das Ding steckt bestimmt zwei Meter im Boden. Man müsste tiefer rein, viel tiefer. Geht aber ohne Gerät nicht. Hänge schon fast mit dem Kopp im brackigen Loch, der Arm wird jetzt nicht mehr länger. Selbst die bestens erhaltenen Fassdielen aus Eiche lassen sich keinen Millimeter aus dem Sand ziehen. Warum muss dies der letzte Tag sein? So ne Scheiße!
Schweren Herzens packe ich das ganze Geraffel in den Rucksack, alles ist voller Rost und Teer und Sand, und verlasse diesen Ort. Was man aus dem Holz für schöne Skulpturen hätte bauen können ...
Völlig erschöpft in tiefen Schlaf gefallen. Von all den schönen dicken Mädchen geträumt, die in den Sturmfluten sinnlos ihr rosiges Leben verloren ... jammerschade.
12. Tag
Sofort nach dem Frühstück ins Museum. Da, der Fassbrunnen. Die Vitrine mit Original-Fundstücken. Genau wie meine, aber voll genau, die gleiche Keramik, die gleichen Nägel. Dort eine Abbildung. Eine hölzerne Nadel aus der Römerzeit, zum Befestigen der Toga an der Schulter. Noch viel älter! Yeah! Und dann noch der Ziegelstein. Genau wie meiner. Fundstück aus der Zeit der Petriflut, vermutlich von der ersten Juister Dorfkirche. Ich habe hier echt nen Schatz geborgen. Das sage ich denen vom Museum aber nicht. Ich zeige nur die Bilder von dem geplünderten Fassbrunnen auf dem Kameradisplay. Die Museumsdame telefoniert, schickt jemanden zur Fundstelle, und nach einer Stunde bekomme ich die Rückmeldung: Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen bislang unbekannten Fassbrunnen entdeckt, vermutlich 1717. Seltsam, dass kaum Fundstücke enthalten waren. Ich hampele unschuldig mit den Schultern herum. Vielleicht müssen Sie tiefer graben?
Auf dem Rückweg wird mir klar, dass ab jetzt Abreisetag ist. Kofferpacken, das letzte Granatbrötchen, die Fähre wird beim Ablegen wieder Seemannslieder spielen ... ich höre jetzt auf mit Schreiben, sonst salze ich noch das Notebook voll ... muss zurück hierhin ... bald ... bin jetzt schon wieder urlaubsreif ...
Noch 'ne Linie, Herr Kapitän ...
Tagebuch Juist 2008 - 2. Aufenthalt im Mai
Auf Promo-Tour in Ostfriesland
1. Tag
Den Kläffköter, der schon die ganze Fährfahrt zerbellt, könnte auch mal jemand von seinen Leiden erlösen. Einmal kurz über die Reling, und dann wär doch Ruhe? Es soll ja liebgewordene Sitte auf Juist sein, beim Ersteinschiffen von nervösen Tölen das Abzeichen 'Kleiner Seehund' zu verlangen. Ein beliebiger Sprung vom Oberdeck, und einmal auf Wattgrund tauchen und sieben Muscheln nach oben bringen. Wenn er's schafft, kriegt er die Plakette. Wenn er es nicht schafft, ist's auch gut. Auf jeden Fall ist dann die Fähre schon außer Bellweite.
Mutti und Hundi biegen ab zum Hotel Achterdiek, und ich mit meinem Rumpumpeltrolli hart backbord. Nur noch ein schwaches Jaulen fiepst über den Deich. Wahrscheinlich hat Wuffi von nem schönen Friesenhengst vor einer Kutsche einen Huf auf die Zwölf gekriegt. Moin Töwerland, ich komme.
Fast den ganzen Tag geschlafen. Offenes Fenster. Wattgeräusche. Pferdegetrappel. Wie immer. Nach dem Schlafen gegessen, und dann erstmal geschlafen. Und dann wurde es auch schon Zeit für die Nachtruhe. Von dicken Mädchen geträumt.
2. Tag
Selbst die Fliegen sind hier anders. Nicht nur viel kleiner und kompakter, auch irgendwie ... gelassener. Du musst nicht glauben, dass du sie mit einem einfachen Beinzucken verscheucht bekommst. Wahrscheinlich sind sie froh, wenn sie bei dem ständigen Wind überhaupt mal irgendwo Halt finden, und so leicht lassen die nichts wieder los, was sie einmal zu fassen kriegen. Aber sie nerven dich nicht, wenn sie auf dir rumkrabbeln, wie die Kackviecher in der Stadt. Diese hier sind wettergegerbte, hartgesottene, zähe Burschen. Es ist die entspannte Art, wie sie auf dir herumlaufen, die dich sie gewähren lässt. Den Sand, der ständig im Windschatten der kleinen Düne auf dich niederrieselt, hinter der du dich nackt auf der Bastmatte abgelegt hast, versuchst du ja auch nicht, ständig fortzuwischen. Weil es zwecklos ist. Weil du es anerkennst, dass du hier nicht Regie führst.
Es ist nicht schwierig, das Sandgestiebe als sanftes Peeling zu empfinden. Etwas, was dir den Dreck aus den Poren reibt. Der Sand reibt dir sogar den Sand aus den Augen. Und aus dem Getriebe. Gleiches mit Gleichem, die alte Eso-Leier. Nur in Echt. Und der Kuss der Fliege ist besser als keiner.
Bei der Gelegenheit fängt die Sonne an, dir einen zu blasen. Nur zu, altes Mädchen, sagst du, hier in den Dünen siehts ja keiner. Ruckzuck baumelt dir der Fischrogen am Kinn. Zeit, sich jetzt mal auf den Bauch zu wälzen. Zur postkoitalen Rückenmassage. Und die erste Zigarette seit fast 2 Tagen schmeckt wie gebratene Hähnchen.
3.Tag
Schon wieder so ein roter Mondaufgang. Voll die Omme. Wie gestern, nur später. Und die Dölle rechts oben wird größer. Geht auf Nipptide zu.
Na klar hat er ein Gesicht. Er lächelt wohlwollend. Und spitzbübisch. Er weiß ne Menge, der alte Sack. Auch, was die Sonne tagsüber so treibt. Das Luder.
4.Tag
Jetzt kreisen schon die Möwen über mir. Vermutlich halten sie mich für eine verendete Kegelrobbe. Von der Statur her käme das ja auch hin, aber eigentlich bin ich dafür etwas zu rosa. Man weiß ja nicht, wie das Farbfernsehvermögen bei Meeresvögeln so ausgebildet ist. Vielleicht sollte ich mich doch öfter bewegen, bevor sie anfangen, an mir rumzupicken? Ich kann ja mal zur Abschreckung prophilaktisch mit den Unterschenkeln rudern und kschksch machen. Beinahe wäre mir jetzt ein oinkoink rausgerutscht.
Von weit her trägt jetzt der Ostwind das Gekläff zweier Tölen über die Dünen. Dann ruft eine Dame sie beim Namen. Fanta und Cola verstehe ich, Fanta und Cola, die beiden Colliemischlingsmädchen. Richtige Spezi-Hündchen. Sie gehorchen jedenfalls und geben wieder Ruhe.
Stille ist das Nichtvorhandensein von Geräusch. Geräusch ist immer menschgemacht, Wasser und Wind sind Klang. Einklang.
Abendgedanken. Wenn das Blickfeld weit genug ist, gibt es keine Geraden mehr. Und keine Entfernung. Alles ist ebenso greif- wie unerreichbar.
Im Watt schreien die Vögel auch nachts. Hier gibt es kein Hell und Dunkel, hier ticken Ebbe und Flut, und der Wind verbiegt gelegentlich die Zeiger der Tidenuhr. Ein wenig.
5. Tag
Die Fischfrau heißt Peter. Was? Sieht zwar ein bisschen burschikos aus, aber dass die Eltern so danebengetippt haben? Achso, Peta, friesischer Mädchenname. Nicht zu verwechseln mit Feta, einem priesischen Weichkäse. Ich sei zu schlecht rasiert, um auf Juist einen guten Job zu kriegen, sagt sie. Woher will die das wissen? Ich bin ja vollständig bekleidet.
Die Rock-Oldie-Kapelle fiedelt sich einen runter. Den Schlagzeuger müsste bezeiten mal jemand gießen, sonst vertrocknet der da oben noch. Bei BAP und Westernhagen muss ich weg von dem Bierstand, sonst kotz ich, runter in Börnies kleine Schmoker-Kneipe. Börnie nicht da. Trümmerbruch im Fuß. Besoffen vom Rad gefallen. Platte und Schrauben im Knöchel. Seine Nichte macht die Theke. SOKO BÖRNIE heißt sie. Sieht genauso aus wie er, spricht genau so, ist aber noch etwas kleiner als er, so dass sie an meinen Seetang-Whisky CELP im obersten Regal nicht ranreicht. Ihre Freundin macht sich lang für mich, wobei ihr Shirt aus der Hose gleitet. Mir gleitet gleich was ganz anderes ...
Das Zeug brennt wunderbar im Hals, macht taube Szunge wie Rohkoks, und nach zwei Doppelten kann ich gestärkt zurück aufs Musikfest. Leider ist schon fast mein Geld alle, aber die Band gibt zum Glück ein bisschen Gas. Das letzte Bier kriege ich auf Pump von dem freundlichen Bierwagenmann, und so endet der Abend ganz erklecklich. Wieder von dicken Mädchen geträumt.
6. Tag
Das Sperma beginnt, nach Fisch zu riechen. An mangelnder Intimhygiene kanns nicht liegen, da ist alles besenrein und blankgewienert. Wie geleckt quasi. Die Ernährung wirds sein. Jeden Abend Fisch, und mittags noch das obligatorische Granat- oder Bismarckbrötchen mit Knofi und Zwieböln. Du wichst, was du isst. Seemannsbräute haben es echt nicht leicht. Jesus, bin ich hier aufem Kuttä, oder wäs?
Der Bierwagenmann kanns gar nicht fassen, dass ich ihm die Zweifuffzig wiederbringe. Schon mal was von Säuferehre gehört, du Makrele? Gib mal ne Marille, und denn Schwamm drüber, nech?
Heiaheiahey macht die Piratenband. Das soll ne Folkband mit irischem Einschlag sein? Ce sera, sera? Ey gehts noch? Für so nen Dreck hab ich meine gute Hose angezogen? Die Nasenhaare gezupft? Elektrisch verstärkte Animations-Knalltüten sind das, Robinson-Club mit Gitarren. Piraten-Kasperltheather. Seid Ihr alle daa-haa? Und die wohnen auch noch in derselben Pension wie ich. Schon wieder Westernhagen. Besoffene Typen mit Strohhut fangen an zu hopsen und zu grölen, diddlemausbestückte Strähnchenmuttis kriegen Pipiaugen und flöten mit. Die unendliche Freiheit für Arme. Weg hier, bloß weg. Lasst mich durch, ich bin Musiker, dies ist ein Notfall.
Ich wünsch mir die Vier Alten Säcke (Name geänd., d. Red.) zurück, die hier vor ein paar Jahren echte Shanties gespielt haben, von der Waterkant, mit Schifferklavier, Gitarre, Harmonika und Bass. Wo mir die Nackenhaare bis Bremen standen. Verdammt, gibt es auf dieser verfuckten Welt überhaupt keine Authenzität mehr?
Endlich in der Pension, weg von dem Getöse, auf dem Zimmer, ein frisches Jever, das offene Fenster in die Nacht hinaus, das Wattenmeer, die Band hat aufgehört zu ramentern, Stille kehrt wieder ein auf der Insel, und die Wattvögel rufen: Doch!
7. Tag
Ich lebe wieder! ruft die Pensions-Chefin, in den Speisesaal, und fuchtelt mit den Armen. Den Krebs besiegt hat sie. Alle stehen auf und nehmen sie in den Arm. Selbst die Gäste, die neu sind. Wir weinen ein Freudentränchen. Ich küsse sie. Es ist echt wie nur was. Wie wunderbar, dass jemand mal heil aus der Scheiße rauskommt. Erfolgreich operiert, Blutwerte Null. Das Essen schmeckt nochmal so gut. Seelachs mit Krabben und Champignons obendrauf. Mousse au chocolat, mit Vanillesauce. Vier Sorten Salat vorher, alle verschieden angemacht, und Hühnercremesuppe. Obstler hinterher. Aus Flaschen ohne Etikett. So solls sein.
Zeit für Börnie. Brief geschrieben, von Hand. Gute Besserung und so. Flyer beigelegt. Ute kennengelernt, Besitzerin von Ferienwohnungen. Genial angeschickert. Sie findet mich erotisch. Braucht schonmal nen Handwerker. Brauchen alle älteren Damen irgendwann. Kannse haben. Die kommt mir ohne Flyer auch nicht hier raus. Mit Handy-Nummer.
Horst aus Berlin. Schlappgelacht. Ilka, Börnies SOKO-Nichte, haut voll die Sprüche raus. Harald Schmidt kommt rein, nebst Gattin. Oder jemand, der aussieht wie Harald Schmidt, nebst Gattin. Schwäbeln kann er auch. Das ist alles so nett. Ich will hier bleiben. Für ümmer.
8. Tag
Brötchen und Eier und Schinken fressen, pennen, spazierengehen, pennen, Kuchen fressen, kurz nochmal hinlegen, Fisch fressen, kurz spazierengehen, Schokolade fressen, pennen. Nichts als Termine hat man.
9. Tag
Schon ganz früh in den Deichwiesen auf Hasenpirsch. Und da sind auch schon zwei. Was die wohl vorhaben? Ich taufe sie auf die Namen Mother und Fucker, und laufe weiter zu den surrenden Masten der Yachten im Hafen. Der feine Nachtregen hat die Wiesen wieder aufgerichtet. Sie riechen nach Hase. Und Kräutern. Kräuterhase.
Zurück auf dem Zimmer. Kleiderwechsel. Vor dem Betreten des Frühstücksaals macht man das so, wenn man aus der Wiese kommt. Diesmal riechts nach Kaninchen. Ich könnte mal duschen. Da kommt Alexandra aus der Dusche. Was für eine proppere Häsin. Und wie lecker die nach Kräutern duftet. Mit der sollte ich vielleicht mal gemeinsam in die Wiesen ... Hasen gucken ...? Kann jetzt nicht duschen. Muss an die frische Luft.
Just als ich ins Freie trete, erschallt über den Deich das heisere Belfern einer trockengelaufenen Bilgenpumpe, die sich als Goldfasanhahn getarnt hat. Wahrscheinlich hat er irgendwo die Pumpenhenne - unter Ornithonauten kurz 'Bilgin' genannt - entdeckt, und da kann so einem Pumpenhahn schonmal der Kolben auf knirsch gehen.
Mein eigener Schmierfilm will hingegen gar nicht reißen, so dass es den lieben langen Tag im Schritt nur so schlabbert und schmatzt. Dem muss abgeholfen werden, und ich extrudiere mir in Schönschrift das Wörtchen Alex auf das Bauchgewölbe. Noch ein paar Tage Eier zum Frühstück, Meeresobst zum Mittag und Flossenheinis zum Abendessen, und ich werde den Namen wohl vollständig ausschreiben können.
Vielleicht sollte ich mal mit ner Handvoll Popcorn durchs Wäldchen streifen und guggelguggel machen? Ich bin ja eigentlich immer gut zu Vögeln ...
Da fällt mir ein netter Vierzeiler von Otto Waalkes ein:
Der Auerhahn, der Auerhahn,
der schaut mich ganz schön sauer an.
Das stört mich nicht, weil ich jetzt penne,
und zwar auf seiner Auerhenne.
Heiland, ich kann ja gar nicht mehr klar denken vor Maischollenjucken. Klarer Fall von Eiweiß-Anomalie. Übergang zur Schnappatmung. Genitalschleudertrauma. Warum bin ich nochmal hier?
Achja, Jobsuche. Klinkenputzen wollte ich. Hotels, Pensionen, Handwerksbetriebe, Kunstgalerien. Der Ich-bau-Sie-alles-Tom. Also denn doch mal frühstücken, duschen, weißes Hemd an, bisschen Nuttenwasser auflegen, Flyer in die Joppe stopfen, und ab ...
10. Tag
So war das nicht gemeint mit den dicken Mädchen. Auf nüchternen Magen schonmal gar nicht. Da streift man im Frühtau völlig unschuldig und nichtsahnend kräuterduft- und sauerstoffheischend in den vorgelagerten Deichwiesen herum, und als der Blick rein zufällig rücklings Richtung Pension fällt, zeichnet sich deutlich an einer Fensterscheibe im ersten Obergeschoss der Abdruck einer nackten Riesenqualle ab, die sich unter den schwammigen Tentakeln wäscht. Das ist Sushi für Fortgeschrittene, soweit bin ich noch nicht. Jedenfalls nicht vor dem Frühstück.
Es handelt sich eindeutig um die Gästin, die sich immer so vorteilhaft kleidet: Rotes Wurstshirt mit aufgestickten Katzenmotiven, beige Pluderhose, unten umgekrempelt, wo dann haarige, galertartige, (p)fahlweiße und leicht seepockige Beinstümpfe in blaue Blümchensocken und 9-Euro-90-Sicherheitssandalen von KiK münden.
Ihr 2 Meter 70 großer Göttergattenkraken, der morgens immer mit schlafanzughosefarbenem Jogger - oder joggerfarbener Schlafanzughose - in den Frühstückssaal geschlabbert kommt, war mir auch schon so angenehm aufgefallen mit seiner liebenswürdigen Marotte, diverse Nahrungsgefäße wie Suppentassen oder Marmeladetöpfchen mittels stundenlangem Löffelschaben innert derselben nicht nur ihres Inhaltes, sondern auch ihrer Glasur zu entledigen zu suchen.
Solche Nachbarn wünscht man seinem ärgsten Nachbarn nicht. Schade, dass sie heute leider endlich abreisen mussten.
Natürlich spült die nächste Fähre gleich wieder neue Asympathen in Form von verhermelinten Kläfftölenommas und jackwolfsskingeronnenen Partnerlookjungsandalenpaaren mit unzähligen kreischenden und plärrenden Bollerwagen im Schlepptau und Babytragebeuteln an Rücken und Bauch an die Gestade der Ruhe. Dorothea-Kathrin, Franz-Kasimir, wollt ihr noch einen Dattelschaumtofudinkelriegel?
Und während diese Horden von Biodüffeln und angehenden Ökotrophologen - er lang und dürr, sie gedrungen und kurzhaar, die Körnerkinder mit mindestens einem zugeklebten Brillenglas - an mir vorbeistoffeln und ganz entsetzt auf das Bier schauen, das ich gegen Nachmittag immer gern zum Schreiben auf der Terrasse einnehme, blase ich ihnen extraschöne Rauchwolken der Selbstgedrehten in Form von ungemolkenen Eutern entgegen, worauf sich ihre Entrüstung ins schier Unermessliche steigert, schiebe mir die Sonnenbrille von der Stirn tief in die Augen und verhalte mich wie jemand, der vormittags Riffhaie und Große Pythons dressiert. Dass ich das Display durch die dunklen Gläser jetzt nicht mehr erkennen kann, tut dabei überhaupt nichts zur Sache. Das wissen die ja nicht.
Vorzeitiges Fazit des Tages: Habe heute eine neue Seite an mir entdeckt. Kann sehr gesellig sein.
Ich sollte gleich mal runter zum Strand. Da soll es um 16 Uhr eine Autorenlesung geben. Bin gespannt, wie die gute Eva Tenzer bei Windstärke 7 und Sandsturm uns die Romantik des Meeres nahebringen möchte. Es träumt sich so schlecht, wenn es zwischen den Zähnen knirscht.
Eva war es wohl doch draußen etwas zu meerig geworden, und so hatte sie sich mit ihrer fleecegehüllten Leserschaft ins Kurhaus verkrümelt, von dessen Bühne sie mittels verschiedener Definitionen von Blau auch noch das restliche Lebensflämmchen der Kopfnicker und Zustimmer auszuhauchen suchte.
Warum nun findet der Mensch die Farbe Blau so schön? Das könnte ihr Börnie bestimmt am besten erklären, aber sie sieht das wohl anders und salbt uns voll mit ausgewaschenultramarinfarbenem Geseier. Ich hätte es ahnen können, als mir eine fesche Junggebliebene fünf Minuten nach Beginn der Lesung kopfschüttelnd entgegengekommen war, als ich leicht verspätet die Treppe zum Saal emporhechtete.
Eine Minute zwanzig. Meine kürzeste Kulturveranstaltung, auf der ich je war, seit dem Vorspiel auf der elektrischen Gitarre bei den Die Roten Funken Duisburg e.V., einem Karnevals-Trüppchen, damals, im September 81.
Draußen erstmal in den Kompass, drei Jever in sieben Minuten. Muss zum Hafen. Börnie kommt gleich aus dem Festland-Krankenhaus. Kann man ja mal moin sagen gehen. Boh siehst du scheiße aus, sage ich stattdessen, und Börnie bedankt sich anständig. Er hat nen Skischuh an. Und wird im Krankenwagen weggefahren. Im Auto! Auf Juist! Die Jungs wissen schon, was sie an ihrem Wirt haben. Das nenne ich mal stilvoll.
Oh, sechs Uhr, der Fisch ruft.
11. Tag
Nackt am Billriff. Keiner da außer mir. Endlose trockengefallene Sandlandschaft. Die Gaststätte hat Ruhetag, und die bloße öde fressbudenfreie Natur lockt anscheinend niemanden hinter seinem Stövchen hervor. Gutes Stövchen.
Die Schaumalgen haben anscheinend auch Ruhetag. Dann will ich mal der Nordsee zwischen die Beine gehen. Aber so richtig!
Auf dem Heimweg an den abgebrochenen Dünenkanten westlich des Bills entdecke ich eine merkwürdige Formation von Holzstücken, die nahezu kreisförmig einige Zentimeter aus dem Sand ragen.
Ich bin schon fast dran vorbeigelaufen, dann aber stehengeblieben, weil mir das Bild aus dem Museum in den Sinn kommt, von einem Fassbrunnen, einer Art Zisterne, wie sie Anfang des 18. Jahrhunderts im versunkenen Juister Dorf gebräuchlich war. Diese Stelle wurde erst kürzlich von einer Sturmflut freigelegt, ich befinde mich also an einem Ort, der über Jahrhunderte unter den Dünen lag. Ich beginne, mit bloßen Händen im Inneren des Kreises zu buddeln. Nach den ersten Handvoll Sand stoße ich auf eine feste Wurzelschicht. Goldgräberfieber packt mich. Hier muss mal Festland gewesen sein. Historische Juistkarten laufen in meinem Gedächtnis ab. Landverlagerung, Sturmfluten. Petriflut, 1651, Weihnachtsfluten 1715 und 1717. Ich stoße auf stinkenden Humus. Baggere alles aus dem Loch. Was ist das? Meine Finger berühren etwas Hartes. Eisen, völlig korrodiertes Schmiedeeisen, erst ein Stück, dann immer mehr. Nägel, Haken, gut erkennbar. Jetzt die ersten Scherben. Tonarbeiten, mit erhaltenen Glasurfragmenten. Einen Krughenkel. Und was ist das? Ein Stück von einer Tabakspfeife, Röhrenknochen oder Meerschaum, mit Schnitzereien. Drei stilisierte Lilien. Ich glaubs nicht. Dann etwas Spitzes. Ich spüle es ab. Ebenholz, ohne Zweifel, eine tadellos erhaltene, fein gearbeitete Nadel. Ein Schmuckstück, für Haare oder Kleidung. Jetzt ein Tonziegel. Inzwischen liegt ein ganzer Haufen von Fundstücken neben mir.
Drei Frauen nähern sich zielstrebig. Eine andere Frau hätte sie auf mich aufmerksam gemacht - da wäre so ein seltsamer Typ mit zerlumpter Kleidung, der hier in gottverlassener Einsamkeit im Sand buddele, ob sie mal nachschauen könnten, was da vor sich ginge, sie selbst traue sich nicht allein - was die Damen dann hiermit täten. Wie süß. Schlickverschmiert, versalzt und versandet, puterrot sonnengeleckt, mit aus der abgeschnittenen Hose – mangels Unterwäsche - herauslugendem Archäologendekolletee und wehender Mähne, erkläre ich ihnen, dass ich durchaus seltsam sei, aber nicht sonderlich gefährlich.
Nach meinem kulturhistorischen Vortrag sind sie hellauf begeistert und bejubeln jede neue Scherbe, die ich aus dem Schlick wringe. Eine von ihnen will gar nicht mehr weg, die anderen zerren sie aber weiter. Ist mir nicht unlieb. Weiterbuddeln.
Shit, mir läuft die Zeit weg. In einer Stunde muss ich in der Pension sein – es gibt zur Abwechslung mal Fisch – und seit geraumer Zeit fördere ich nur noch Schlick zutage. Ganz unten liegt sicher noch viel mehr. Das Ding steckt bestimmt zwei Meter im Boden. Man müsste tiefer rein, viel tiefer. Geht aber ohne Gerät nicht. Hänge schon fast mit dem Kopp im brackigen Loch, der Arm wird jetzt nicht mehr länger. Selbst die bestens erhaltenen Fassdielen aus Eiche lassen sich keinen Millimeter aus dem Sand ziehen. Warum muss dies der letzte Tag sein? So ne Scheiße!
Schweren Herzens packe ich das ganze Geraffel in den Rucksack, alles ist voller Rost und Teer und Sand, und verlasse diesen Ort. Was man aus dem Holz für schöne Skulpturen hätte bauen können ...
Völlig erschöpft in tiefen Schlaf gefallen. Von all den schönen dicken Mädchen geträumt, die in den Sturmfluten sinnlos ihr rosiges Leben verloren ... jammerschade.
12. Tag
Sofort nach dem Frühstück ins Museum. Da, der Fassbrunnen. Die Vitrine mit Original-Fundstücken. Genau wie meine, aber voll genau, die gleiche Keramik, die gleichen Nägel. Dort eine Abbildung. Eine hölzerne Nadel aus der Römerzeit, zum Befestigen der Toga an der Schulter. Noch viel älter! Yeah! Und dann noch der Ziegelstein. Genau wie meiner. Fundstück aus der Zeit der Petriflut, vermutlich von der ersten Juister Dorfkirche. Ich habe hier echt nen Schatz geborgen. Das sage ich denen vom Museum aber nicht. Ich zeige nur die Bilder von dem geplünderten Fassbrunnen auf dem Kameradisplay. Die Museumsdame telefoniert, schickt jemanden zur Fundstelle, und nach einer Stunde bekomme ich die Rückmeldung: Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen bislang unbekannten Fassbrunnen entdeckt, vermutlich 1717. Seltsam, dass kaum Fundstücke enthalten waren. Ich hampele unschuldig mit den Schultern herum. Vielleicht müssen Sie tiefer graben?
Auf dem Rückweg wird mir klar, dass ab jetzt Abreisetag ist. Kofferpacken, das letzte Granatbrötchen, die Fähre wird beim Ablegen wieder Seemannslieder spielen ... ich höre jetzt auf mit Schreiben, sonst salze ich noch das Notebook voll ... muss zurück hierhin ... bald ... bin jetzt schon wieder urlaubsreif ...
Noch 'ne Linie, Herr Kapitän ...