Gestrandete Wale

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Sam

Beitragvon Sam » 10.03.2008, 22:06

Gestrandete Wale


Karim dreht am Radio auf der Suche nach Hip Hop.
Das ist geil, sagt er, als er endlich etwas gefunden hat.
Gefällt dir das?
Ich schüttele den Kopf.
Wir sind auf dem Weg nach Tarifa, fahren durch eine blauschwarze Nacht, immer an der Küste entlang. Autoüberführung für unseren Chef, den Russen.
Aber man hört doch so was bei euch, da wo du herkommst, oder?
Ja natürlich, antworte ich. Man hört da alles.
Karims Spanisch klingt wie ein Hobel, der über Holz fährt. Er zischt die Sätze durch den halb geöffneten Mund. Zieht dabei die Nase ein Stück nach oben, als hätten die Worte, die er spricht, einen schlechten Geschmack.
Warum magst du kein Hip Hop? will er wissen.
Ist mir zu brutal, antworte ich.
Ha, meint er lachend, das sagt ja genau der Richtige.


Kurz hinter Cadiz machen wir eine Pause, um etwas zu essen. Als wir wieder aus der Bar kommen, steht ein junger Farbiger vor unserem Auto.
Könnt ihr mich mitnehmen?, fragt er.
Wohin willst du?, frage ich.
Algeciras, zu den Fähren.
Nach Tanger?
Ja, von da aus weiter.
Wie weiter?
Weiter halt.
Karim lacht und meint: Kerle wie du reisen eigentlich immer in die andere Richtung.
Kerle wie du auch, sage ich.


Der Junge heißt Roberto.
Wo kommst du her?, frage ich ihn.
Ecuador.
Na, dann bist du aber weit weg von zu Hause.
Genau wie du, erwidert er und ahmt dabei meinen Akzent nach.
Was willst du in Tanger? Arbeit gibt’s für euch da keine.
Ich suche keine Arbeit. Ich will nur nach Afrika, mehr nicht.
Nach Afrika, sagt Karim, das versteh’ mal einer. Wo da doch alle wegwollen.
So wie du?
Ach halt’s Maul.



Karim kam zum Russen, als seine neunmonatige Arbeitserlaubnis abgelaufen war, er aber ums Verrecken nicht nach Marokko zurückzukehren wollte. Wahrscheinlich hatte ihn die Schufterei in den Gewächshäusern das Gehirn schon völlig weichgekocht. Er fuhr zunächst mit dem Bus von Almeria nach Fuengirola. Dort lümmelte er einige Tage herum, bis ihn einer seiner Landleute, die auf der Strandpromenade Drogen an Touristen verkaufen, mitnahm. Irgendwo trafen sie dann den Russen, der ihm einen Job anbot und beschloss bestimmte, dass Karim mit mir auf Tour gehen sollte. Ich konnte nicht widersprechen und auch später nichts mehr daran ändern, obwohl mir Karim von Anfang an lästig war wie ein unerzogener Hund.


Ich hatte in Guayaquil eine Spanierin kennengelernt, erzählt Roberto, Paula. Sie arbeitete in einer Stiftung, die sich um Straßenkinder kümmert. Nebenbei besuchte sie die Universität, an der auch ich studierte. Wir verliebten uns. Nach einem Jahr wollte sie nach Spanien zurück, um ihren Abschluss zu machen und Lehrerin zu werden. Ich sollte unbedingt mitkommen. Wir heirateten noch in Ecuador, damit ich leichter eine Arbeitserlaubnis für Spanien erhalten konnte. Paulas Eltern und Geschwister hatten einen ordentlichen Schrecken bekommen, als sie plötzlich mit einem Schwarzen auftauchte, noch dazu verheiratet. Es gab eine Menge Tränen und Ärger. Einige Monate ging das gut, aber am Ende musste sie sich doch zwischen mir und der Familie entscheiden. Das fiel ihr dann leichter, als ich es mir vorgestellt hatte.


Wenn ich mit dir nach Deutschland käme, fragt Karim, würden die mich dann für einen Terroristen halten?
Schlimmer, sage ich, sie würden dich für jemanden halten, der nicht arbeiten, aber vom Staat Geld kassieren will.
Dann komme ich besser nicht, oder?
Wahrscheinlich.
Ich habe immerhin keinen Bart, sagt Karim.
Ja, immerhin das.


Wieso Afrika?, frage ich Roberto.
Genau weiß ich es auch nicht. Ich kann ja hingehen, wo ich will. Also warum nicht nach Afrika?
Er hält einen Moment inne und schaut aus dem Fenster. Dann spricht er weiter. Seine Stimme ist sanft und hat etwas Fliehendes. Als wäre sie mehr zum Singen, denn zum Sprechen gemacht.
Mir ging es viel besser, als den meisten meiner Landsleute, die in der Hoffnung kommen, hier eine Arbeit zu finden.
Wir hatten eine schöne Wohnung, Paula konnte weiterstudieren und ich verdiente gar nicht so schlecht. Irgendwann begann ich von Afrika zu träumen. Von einer hohen Wand aus Pflanzen, so grün und dicht, dass es einen zu umarmen schien. Dazwischen überall lachende schwarze Gesichter und im Hintergrund ein Fluss aus weißem Sand.
Woher willst du wissen, dass es Afrika war?
Keine Ahnung. Es war ein Traum. Er fing an, als Paula sich entschied, mich zu verlassen.
Warum gehst du nicht zurück zu deiner Familie?
Die sind enttäuscht von mir. Sie hatten geglaubt, ihre Situation würde sich verbessern, weil ich eine Europäerin geheiratet hatte. Geld, Reisen, all das, was sonst nicht möglich war. Natürlich geben sie mir die Schuld dafür, dass es mit Paula schiefgegangen ist. Und jetzt haben sie Angst, ich könnte ihnen auf der Tasche liegen wenn ich zurückkomme.
Dann also lieber nach Afrika?
Genau. Ist ja im Grund genommen auch meine Heimat.
Ein bisschen krank ist das schon, oder?


Karim dreht wieder am Radio.
Was suchst du denn?
Ghamedi. Kennst du den?
Nein.
Der ist echt geil.


Als ich vor drei Jahren an der Costa del Sol aufschlug, besaß ich nur ein paar Klamotten und das Geld, das ich meiner Mutter gestohlen hatte. Tagelang lief ich von einem Hotel zum anderen und fragte nach Arbeit. Danach versuchte ich es in Bars und Restaurants, zuletzt auf Baustellen. Schließlich entdeckte ich ein Geschäft, das Wasserfilter verkaufte und für den Haustürverkauf jemanden suchte, der deutsch und englisch sprach. Ich stellte mich vor und bekam den Job. Also zog ich los, die ganze Costa del Sol entlang, eine Siedlung nach der anderen, von Villa zu Villa. Dort gibt es von allem etwas: Schweizer, Engländer, Deutsche, Skandinavier, Araber und einen Haufen Osteuropäer. Anfangs dachte ich, das Geld läge dort auf den schönen Teerwegen, die sich zwischen Pinien und Hibiskussträuchern hindurchschlängeln, aber nichts da. Nach drei Monaten hatte ich gerade mal vier beschissene Filter verkauft und wurde entlassen. Was nicht weiter schlimm war, konnte ich in dieser Zeit doch die Gegend erkunden. Außerdem traf ich ein paar interessante Leute. Darunter auch den Russen. Der wohnt in einem Goldpalast, direkt in Sierra Blanca. Das Gebäude sieht aus wie der Kreml, nur etwas kleiner.
Dem Russen gehören mehrere Restaurants. Er handelt zudem mit Immobilien, wobei seine Kunden ebenfalls alles Russen sind. Dazu noch die Vermietung von Luxuskarossen. Alles so Geschichten, bei denen man Leute braucht, die nicht ganz auf den Kopf gefallen sind und Dinge von einem Ort zum anderen bringen, ohne groß darüber zu quatschen.


Roberto schaut wieder aus dem Fenster. Der Strand leuchtet in der Dunkelheit wie ein weißer Bart, der aus den heranspülenden Wellen wächst.
Da liegt etwas, sagt er.
Sieht aus wie Treibgut, meint Karim.
Ich halte den Wagen an und wir steigen aus.
Das ist kein Treibgut, sage ich. Das sind Wale oder Delphine.
Zu klein für Wale, sagt Karim bestimmt.

Wir gehen hinunter zum Strand. Je näher wir kommen, desto offensichtlicher wird, dass Karim recht hat. Es sind keine Wale. Etwa zwei Dutzend schwarze Körper liegen auf dem Sand. Ein paar dümpeln in der Brandung.

Roberto betrachtet die Leichen, dreht sie um, öffnet ihre Hände, berührt ihre Lippen.

Siehst du, sagt Karim zu Roberto, Afrika kommt dir schon entgegen.

Lasst uns weiterfahren, sage ich. Die Küstenwache wird hier bald auftauchen.

Ich bleibe, sagt Roberto.

Wie du willst, sage ich und gehe mit Karim zurück zum Auto.

Als die Sonne aufgeht, sind wir in Tarifa. Dort tauschen wir den Wagen und machen uns auf den Weg nach Marbella. Am Abend gammeln wir am Jachthafen herum und schauen uns die Frauen und die Autos an. Auf einem der Schiffe serviert ein Schwarzer Getränke. Über der Stadt leuchtet die Villa des Königs von Saudi Arabien in hellem Weiß. In einem Cabrio mit deutschem Kennzeichen sitzt ein älterer Herr. Ich frage ihn, ob er uns auf ein Bier einlädt.


Vertipper und Unachtsamkeiten dank Elsas scharfem Blick lokalisiert und vernichtet. Außerdem ein Wort geändert (siehe Streichung) - Merci Elsa!!
Zuletzt geändert von Sam am 11.03.2008, 17:27, insgesamt 1-mal geändert.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 11.03.2008, 13:47

Lieber Sam, Autoschieber für den Russen, Karim, Roberto,

Gestrandete, ja, aber keine Wale darunter. Ein Roadmovie sehe ich vor mir, drei Kerle, einer davon ein kleiner Ganove, einer ein Halbstarker wie ein junger Hund und Roberto, kultiviert und enttäuscht von den Weißen. Er sucht auf eine Art seine Wurzeln und findet Leichen seiner Brüder. Er bleibt dort als wollte er Totenwache halten.

Was mich etwas stört an deiner Geschichte: Sie ist viel zu kurz dafür, dass du die Backstories der Protagonisten auserzählst. Das wirkt auf mich wie Infodumping. Ein paar Brocken davon, hineingeworfen, hätte ich lieber gelesen.

Darum schrieb ich oben Roadmovie, denn die Geschichte ist für mich so angelegt, und da würde man die Backstories auch nicht sehen, aber in der Persönlichkeit der Darsteller erkennen können.

Ich glaube, das ist das Problem für mich an der Geschichte. Zu viele narrative Einwürfe. Bis auf die finde ich den Text sehr spannend, eindringlich und stark geschrieben.

Dort lümmelte er einige Tage herum, bis ihn einer seiner Landleute, die auf der Strandpromenade Drogen an Touristen verkaufen, mitnahm.
er fehlt da.

Irgendwo trafen sie dann den Russen, der ihm einen Job anbot und
beschloss
, dass Karim mit mir auf Tour gehen sollte.
bestimmte fände ich schöner.

Paulas Eltern und Geschwister haben einen ordentlichen Schrecken bekommen, als sie plötzlich mit einem Schwarzen auftauchte, noch dazu verheiratet.
Ich glaube: hatten

Er hält einen Moment inne und schaut aus dem Fenster. Dann spricht er weiter. Seine Stimme ist sanft und hat etwas Fliehendes. Als wäre sie mehr zum Singen, denn zum Sprechen gemacht.
Lieber Sam, diesen Absatz empfinde ich als Registersprung in der Erzählstimme. Denn es ist ja der kleine Ganove, der sonst eine ruppigen, schnoddrigen Ton draufhat. Hier wird er plötzlich voller Poesie?

Schließlich entdeckte ich
einen
Geschäft, das Wasserfilter verkaufte und für den Haustürverkauf jemanden suchte, der deutsch und englisch sprach.
ein Geschäft

Sehr sehr gern gelesen.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Sam

Beitragvon Sam » 11.03.2008, 17:23

Hallo Elsa,

vielen Dank für's Lesen. Die Korrekturen (irgendwas rutsch immer durch, auch wenn man den Sch...text tausendmal liest :-( ) werde ich gleich vornehmen.

Roadmovie - mmmmhhh - ja und nein (aus meiner Sicht). Bei einem Roadmovie steht der Weg im Mittelpunkt. Der ja oftmals eine Entwicklung zeigt oder darstellt. Meine drei Prot's haben aber den Weg eignetlich schon hinter sich und sind auf gewisse Weise "gestrandet". Mir persönlich sind diese kurzen Lebensläufe in der Geschichte wichtig, weil es mir drauf ankommt, dass der Leser weiß, aus welcher Richtung hier diese Personen angeschwemmt wurden. Außerdem wollte ich das Zusammentreffen sehr kurz gestalten. Drei verschiedene Lebensläufe, die zufällig an einem Ort zusammengeschwemmt, und dann gleich wieder auseinandergespült werden. Die Lebensläufe stehen für sich. Die Handlung vermag sie nicht zu verbinden.

Ob so ein Erzählkonzept funktioniert, weiß man eigentlich nie, bzw. erst, wenn man die Reaktionen darauf sieht.

Den Vorschlag mit "bestimmt" anstelle von "beschloss" werde ich übernehmen. Das ist viel besser ausgedrückt.


Er hält einen Moment inne und schaut aus dem Fenster. Dann spricht er weiter. Seine Stimme ist sanft und hat etwas Fliehendes. Als wäre sie mehr zum Singen, denn zum Sprechen gemacht.
Lieber Sam, diesen Absatz empfinde ich als Registersprung in der Erzählstimme. Denn es ist ja der kleine Ganove, der sonst eine ruppigen, schnoddrigen Ton draufhat. Hier wird er plötzlich voller Poesie?

Es gibt noch andere Sätze von dem Erzähler, die so sind. Diese Mischung aus Schnoddrigkeit und sporadisch auftauchender Feinfühligkeit in den Beobachtungen ist gewollt.

Nochmals herzlichen Dank für deine Hinweise! Freut mich, dass du es gerne gelesen hast.

Liebe Grüße

Sam

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 11.03.2008, 18:29

Lieber Sam,

ich weiß schon, dass du dir jeden Text und seine Form ganz genau überlegst. Nichts geschieht ohne Grund, scheint mir.

Es ist lediglich meine Gedankenwelt und Sicht, du weißt schon.

Dessenungeachtet ist der Text natürlich sehr gut! Das möchte ich betonen. Ich glaube sogar, ich hätte erkannt, dass er von dir ist, wäre er im Anonymus gestanden.

Lieben Gruß
ELsa
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Sam

Beitragvon Sam » 11.03.2008, 22:51

Es ist lediglich meine Gedankenwelt und Sicht, du weißt schon.

Ich weiß, liebe Elsa, und es hat mich gefreut, das zu lesen.

Lieben Gruß

Sam

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 12.03.2008, 09:37

Hi Sam,

ich weiß, dass dieser Text von der Kompression lebt. Trotzdem hätte ich davon gerne 50 Seiten mehr gelesen ... :o)

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 12.03.2008, 09:42

Trotzdem hätte ich davon gerne 50 Seiten mehr gelesen


Genau! Dann verkrafte ich auch die Backstories ganz leicht :-)

Lieben Gruß
Elsa
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 12.03.2008, 09:53

Es geht nicht ums Verkraften, liebe Elsi, sondern einfach um den Lesespaß.
Wenn es gelänge, diese Dichte (die ich sehr gerne mag, weil ich sie 'nur' wohlwollend zur Kenntnis nehme und nicht unbedingt 100prozentig ergründen muss) beizubehalten über eine erkleckliche Seitenzahl, wäre das für mich der Roman der Woche! Mindestens! :o)

Tom
p.s.: Ich finde das enorm, auf welcher kurzen Distanz Sam es schafft, die Charaktere durchzuzeichnen.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Beitragvon Elsa » 12.03.2008, 11:46

Lieber Tom,

klar macht es Spaß, ganz viel von Sam zu lesen, ich würde auch durchaus mehr der Lebensgeschichten der Protags lesen mögen, aber eben auf viel viel mehr Seiten.

Und ja, die Charaktere sind mehrdimensional und daher fein griffig.

LG
Elsie
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pandora

Beitragvon pandora » 12.03.2008, 15:10

lieber sam,

mir geht das kernstück des textes zu sehr unter in all den zusatzinformationen.

ich mag diesen Teil:

Roberto schaut wieder aus dem Fenster. Der Strand leuchtet in der Dunkelheit wie ein weißer Bart, der aus den heranspülenden Wellen wächst.
Da liegt etwas, sagt er.
Sieht aus wie Treibgut, meint Karim.
Ich halte den Wagen an und wir steigen aus.
Das ist kein Treibgut, sage ich. Das sind Wale oder Delphine.
Zu klein für Wale, sagt Karim bestimmt.

Wir gehen hinunter zum Strand. Je näher wir kommen, desto offensichtlicher wird, dass Karim recht hat. Es sind keine Wale. Etwa zwei Dutzend schwarze Körper liegen auf dem Sand. Ein paar dümpeln in der Brandung.

Roberto betrachtet die Leichen, dreht sie um, öffnet ihre Hände, berührt ihre Lippen.

Siehst du, sagt Karim zu Roberto, Afrika kommt dir schon entgegen.

Lasst uns weiterfahren, sage ich. Die Küstenwache wird hier bald auftauchen.

Ich bleibe, sagt Roberto.

Wie du willst, sage ich und gehe mit Karim zurück zum Auto.


er wirkt auf mich wie eine kurzgeschichte von borchert und ich habe keine probleme, gedanklich ein entsprechendes szenario zu entwickeln beim lesen.

ich bin nicht sicher, aber vielleicht muss es heißen: "zwei dutzend schwarzeR körper"?

lg p.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.03.2008, 21:19

Lieber Sam,

irgendwas an diesem Text fehlt mir - so als ob er sich in einem Loch von zwei Extremen befindet: das eine wäre (um es der Anschaulichkeit halber auf ein primitives Kennzeichen zu kürzen) ein sehr langer Text, das anderer ein sehr kurzer. Das ist ganz seltsam: Einerseits hat der Text die Kraft sofort darzustellen, was für Menschen da aufeinander treffen und auch die Zustände zu beschreiben, in denen sie sich befinden und zwar nicht nur jetzt, sondern mit ihrer Geschichte, als wüsste man alles von ihnen, obwohl man sich nicht mal die Namen merken kann. Lesen tut sich der Text dann aber so ~ verschwindend, ich hab mih dabei ertappt, wie ich einige Passagen unkonzentriert quer gelesen habe. So als ob er schon auserzählt wäre, bevor er abläuft oder als ob er sich durch seine Erzählverfahren selbst trockenlegt. Allerdings treffe ich diese Einschätzung mit der Einschränkung, dass das auch mit mir selbst zu tun hat, da mich geographische Biographien und Verhältnisse nicht so bei der Stange halten und dies aus dem einfachen Grund, weil ich keine Ahnung da von habe. Mir driftet dann sehr schnell alle Daten weg, die dann eben auch die Bedeutung schaffen. Da fehlt mir eine Wahrnehmungsebene.

Der Stil wirkt (wie bei irgedneiner anderen Geschichte auch schon) eine Spur zu unecht cool/hart, obwohl ich dir anererseits in allein deinen Texten dir das hinterlegte Hintergrundwissen für das Setting uneingeschränkt glaube und auch die Ausgestaltung der Figuren sehr leicht und unmittelbar daherkommt. Trotzdem hatte ich beim Lesen nicht das Gefühl, in die Welt des Textes hineinzutauchen, sondern hatte die ganze Zeit beim Lesen das Bewusstsein, dass ich einen Text lese - so blieb das Erzählte arrangiert. Ich kann hier schlecht sagen, an welchen Sätzen das liegt, ich hab es beim Lesen nur nicht wegbekommen.

Ein Detail hat mich übrigens gestört: Warum erzählst du dem Leser an zwei Stellen, dass die Menschen schwarz sind, die in die Szene treten, obwohl es für die Handlung keien relevanz hat, sondern nur für Metaaussagen bzw. "moralische" Intentionen des Textes? Einmal bei Roberto und einmal beim Kellner. Bei beiden scheint mir, will der Text ein bestimmtes Thema benennen, macht das aber durch die schlichte Benennung zu explizit, so dass ich denke, dass der Text ein bestimmtes Publikum vor Augen hat bzw. sich an Leser wendet, die die gleiche Einstellung wie der Text haben, weil es ja nicht thematisiert wird, nur angemerkt. Es klingt fast wie eine Regieanweisung/Beschreibung in einem Skript oder Theaterstück. Mir ist schon klar, was du damit sagen willst, aber es kommt irgendwie komisch daher.

Vielleicht geraten auch unter anderem darum die Figuren in ihrem Kontrast (weißer Trampel vs. schwarzer Weiser mal übertrieben zugespitzt) für mich tendentiell zum Klischee, ich gehe da nicht so ganz mit, sie interessieren mich nicht bis ins Letzte, weil sie ja als Figuren entschieden (fest geschrieben) sind - so deterministisch vorgeführt. Wie immer passiert (dadurch?) aber auch etwas sehr positives: Denn am meisten interessiert mich bei all deinen Geschichten der Ich-Erzähler, gerade weil er so in den Hintergrund tritt (ich glaube, dass ist dir gar nicht so bewusst, du lässt ihn in den Hintergrund treten, weil du meinst, dass er das auch tut, aber ich glaube, es bewirkt auf eine feine Art oft gerade das Gegenteil).

Die von pan zitierte Stelle fand ich auch am gelungensten und am aussagekräftigsten und poetischstem, auch die Eingansgszenen sind schön augestaltet,überhaupt ist die Geschichte insgesamt natürlich gut geschrieben. Trotzdem hat sich mich nicht ganz fangen können.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 12.03.2008, 21:33

Lieber Sam,

ich bin auch erst beim zweiten lesen in die Figuren "eingetaucht", habe vorher auch ein wenig quer gelesen.

Bei der von pan zitierten Stelle blieb mir fast die Luft weg, ich finde sie in Verbindung mit dem Schluss
sehr, sehr stark.

Mir gefällt der Kontrast dieser starken Stelle zu dem vorher leicht erzählten sehr. Mir gefällt auch die "Beziehung" der drei Personen so, wie Du sie erzählst. Trotzdem meine ich auch, dass an der Ausgestaltung der Personen und auch der Dialoge noch gefeilt werden könnte, damit man eben nicht mehr querliest.

(Jetzt frag mich bitte nur nicht, wie man das macht...)

Trotzdem habe ich das sehr sehr gern gelesen.

Liebe Grüße

leonie

Sam

Beitragvon Sam » 13.03.2008, 07:32

Hi Tom und Elsa,

für längerer Texte fehlt mir im Moment der Atem. Und Tom, du hast Recht: Der text lebt von seiner Komprimierung. eine geschichte über 50 Seiten sehe anders auch und wäre, von mir geschrieben, vielleicht auch recht langweilig, wer weiß? ;-)


Hallo Pan,

freut mich, wenn dir das Kernstück gefällt. Es ist natürlich der Mittelpunkt der Geschichte, der vielleicht sogar für sich allein stehen könnte (Borchert - Ich hab bisher nur sein 'Draussen vor der Tür' gelesen. Von seinen Kurzgeschichte kenne ich bewusst jetzt keine. Sollte ich mal nachholen.)
Ich sehe diesen Teil als Schmelzpunkt in dem Text. Es bricht eine gewisse Hitze hervor, die eigentlich ermöglichen müsste, die Lebensläufe an einem Punkt zu "verschweissen". Das aber passiert nicht. Die Trennung, die vorher bestand, besteht hinterher genauso. Deswegen erachte ich auch die "Information" in dem Text als wichtig.

ich bin nicht sicher, aber vielleicht muss es heißen: "zwei dutzend schwarzeR körper"?

Ehrlich gesagt, bin ich mir auch nicht sicher. Vom Gefühl her stimmt es so, wie ich es geschrieben habe. Sollte es doch falsch sein, ändere ich es natürlich sofort.


Hallo Lisa,

was das Erzählverfahren betrifft und auch den Stil, so werden Erklärungen, warum ich das so gemacht habe, wahrscheinlich nichts an daran ändern, wie du den Text wahrnimmst. Und nur zu sagen, dass es genauso gewollt ist, klingt immer ein wenig plump und eitel.

Ich habe den Text damals im Rahmen eines Wettbewerbs geschrieben (aber nicht abgeschickt, weil ich die deadline mal wieder verschlafen hatte). In den Texten sollte es um Migration gehen und Europa.
Also wollte ich einen Text schreiben, der die Migrationsbewegung nicht einseitig zeigt, sondern als eine Kreisbewegung. es gibt eine starke bewegung zur Mitte hin, aber eben auch eine aus der Mitte heraus an den Rand. Um dies darstellen zu können, dachte ich mir, musst du an den Rand gehen, denn dort treffen die beiden Bewegungen aufeinander. Allerdings, so meine Erfahrung, ohne sich wirklich zu berühren.
Das ist natürlich sehr komplex. Und so sah ich nur die Möglichkeit einen Aspekt dieses Themas erzählend darzustellen, oder eine Konstellation zu schaffen, die verschiedene Apsekt in sich vereinigt, unter Verzicht auf eine gewisse Homogenität. Ein sperriges Stück, in dem sich Absätze als Einzelgänger bewegen. Wie die dargestellten Lebensläufe. Und ja, es ist ein Arrangement
Soweit zu dem, was dem Konzept zu Grunde liegt (hoffentlich halbwechs nachvollziehbar dargestellt und leider auch nur lückenhaft).

Warum erzählst du dem Leser an zwei Stellen, dass die Menschen schwarz sind, die in die Szene treten, obwohl es für die Handlung keien relevanz hat, sondern nur für Metaaussagen bzw. "moralische" Intentionen des Textes? Einmal bei Roberto und einmal beim Kellner.

Die Antwort ist ganz einfach. Weil es der Erzähler so wahrnimmt. In einer Welt, in der man wenige Berührungen zulässt, werden die Wahrnehmungen oberflächlich. Das erste, was der Erzähler an Roberto wahrnimmt, ist dass er ein Schwarzer ist. Und was den Kellner angeht, so ist in jener letzten Sequenz natürlich auch eine Art Resume enthalten (was vielleicht nicht gut ist), das ich aber dem Erzähler, so wie er gestaltet ist, trotzdem zutraue. Er weißt in diesem letzten Blick Plätze zu. Die Reichen ganz oben und unerreichbar, die Schwarzen als Diener und die dazwischen, als solche die versuchen zu bekommen, was eben geht.
Ds ist natürlich festgeschrieben. Und vielleicht ist jene Festschreibung sogar eine Grundaussage des Textes. Ich bin nämlich, hauptsache aufgrund eigener Erfahrung, ein beinahe hoffnungsloser Integrationspessimist.

Ich-Erzähler, gerade weil er so in den Hintergrund tritt (ich glaube, dass ist dir gar nicht so bewusst, du lässt ihn in den Hintergrund treten, weil du meinst, dass er das auch tut, aber ich glaube, es bewirkt auf eine feine Art oft gerade das Gegenteil).

Das hast du gut gesagt. Aber mir ist das sehr bewusst. Für mich ist der Icherzähler am reizvollsten, dem man nicht ganz trauen kann. Dessen Zurückhaltung man ebenso auch als Zynismus verstehen kann. Am besten gelingt (mir) das, wenn ich mir Charaktere aussuchen, die mir persönlich wenig sympathisch sind.


Hallo Leonie,

ich denke, die Konzeption des Textes beünstigt das Querlesen. Zuviele Absätze. Aber wie ich oben schon versucht habe zu erklären, liegt darin für mich die Möglichkeit etwas auf engem Raum zusammenzubringen. Das ist sperrig, ich weiß.

Trotzdem meine ich auch, dass an der Ausgestaltung der Personen und auch der Dialoge noch gefeilt werden könnte

Das meine ich zwar auch, aber ich habe daran sehr lange herumgefeilt, sodass ich Moment nicht mher wüßte, was ich verändern sollte. Da ich aber hoffe, mich stetig weiterzuentwickeln, mag es sein, dass daraus in ein paar Jahren noch ein wesentlich besserer Text wird.


Euch allen herzlichen Dank!!

Liebe Grüße

Sam

Nicole

Beitragvon Nicole » 13.03.2008, 08:55

Hi Sam,

oh, ich möchte auch noch ...!

Ich mag diese Geschichte, sehr sogar. Die Geschichte kommt so "einfach" daher. Zwei Typen mit einem vermutlich nur halblegalen Job, die einen Wagen von A nach B fahren und einen Anhalter mitnehmen. That's it. Du legst die Probleme, die eigentlich Kern der Geschichte sind einfach an den Straßenrand, packst sie in einen Nebensatz der Unterhaltung oder auf das Deck eines Schiffes. Und überläßt es mir als Leser, ob ich sie aufsammele, oder nicht.
Nichts ist mit Leuchtstift unterstrichen und nirgendwo steht ein altkluger Erzählener mit dem "und die Moral von der Geschicht' Schild", das er dem Leser wild schwenkend vor die Nase hält.
Das finde ich klasse. In Kombi mit der labidaren Erzählweise, sei es bei der Entdeckung der Leichen oder kurz nach dem Erlebnis "ich fragte ihn, ob er uns auf ein Bier einlädt" erzeugst Du bei mir einen unglaublich nachhaltiges Bild.
Darüberhinaus mag ich den Stil gerne, in dem Du schreibst - wie vor weiter óben geschrieben: davon könnte ich ebenfalls viele, viele Seiten mehr lesen.

Bitte mehr davon!!!!!

Nicole


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