Das Mädchen mit den Schnittlauchlocken
Verfasst: 24.02.2008, 19:25
Das Mädchen mit den Schnittlauchlocken
Wenn ich groß bin, wird mir die Welt passen. Ich werde sein wie ein Bild.
Das sind keine Kindersätze, aber was man nicht sagen kann, muss man denken.
Es gibt einen Weg, sich in ein Gemälde hineinzuleben oder die Schönheit heraus.
Mathilde weiß nur noch nicht, wie das geht.
Manchmal versucht sie eine Annäherung, schminkt sich,
dann lacht sie, über ihr halbes Herz. Und immer trägt sie Zöpfe.
„Unzerbrechlich“ steht auf dem Kamm in goldener Schrift.
Manchen Lügen glaubt man einfach, weil sie eine Hoffnung sind.
An guten Tagen scheitelt sie ihr Haar in einem Schwung, von der Stirn
bis zu dieser Kuhle im Nacken, dort spürt man die Mitte.
Die Finger flechten blind.
Und im Zweifel muss man von vorne beginnen.
Die Teilung bedarf der Erfahrung, zu wissen
wie es sich anfühlt, um perfekt zu gelingen.
Nimmt eine Strähne zu viel in Anspruch, gerät die ganze Symmetrie aus den Händen.
Eines Tages, vielleicht aus Mitleid oder Wut
beginnt sie Mut aufzusammeln, wo immer sie ihn findet.
Manche Menschen verlieren ihn, als hätten sie genug.
Und der Kamm verliert die Zähne.
Wer weiß schon, dass Mut aussieht wie Lockenwickler,
so rund und hohl. Es dauert, bis ihr Kopf voll ist davon.
Sie hüpft zum Spielplatz, die Schaukel quietscht ein schräges Lied.
Als ihre Füße die Nacht berühren, springt Mathilde aus dem Bild.
Eine wundersame Lockenfrau zieht ihre Kapuze ins Gesicht.
Geht zum Supermarkt um die Ecke.
Kauft einen Kamm, ohne Versprechen.