Wolkenbruch

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Degenhardt

Beitragvon Degenhardt » 14.03.2006, 17:02

Wolkenbruch

Hagelkörner von der Größe einer Kinderfaust trommelten gegen die Fenster, zerschlugen an der Fassade, gruben Furchen ins Rosenbeet.
"Die Vier Jahreszeiten" Frühling. Vögel zwitschern eine beschwingte Melodie.
Ephraim gefiel es. Er liebte es den grauen Himmel zu beobachten, wie sich die Bäume neigten und die Menschen mit tief ins Gesicht gezogenen Hüten Unterschlupf suchten.

Der Sommer. Wärme durchströmte den Raum. Ein sonniger Tag auf einer saftigen Wiese.
Ein Auto fuhr vorüber. Das Dach zerbeult, der Lack zerkratzt von den eisigen Tränen des Himmels.
Der Herbst bricht an. Buntgefärbte Blätterpracht. Ein Hauch von frischen Trauben und welkenden Blättern umspielte ihn.

Weiterhin wird die Welt der Kriecher von den Geschenken der Wolken zerrissen.
Der Winter. Weißer Zauber. Behaglichkeit. Ein Kaminfeuer wärmt.
Ephraim stand auf. Die letzten Töne versiegten. Er drückte den Knopf. Das grüne Licht war gelöscht.

Ein gellendes Pfeifen hallte von den gefliesten Wänden. Der Tee war fertig.
Ein Wind, über Umwege aus Ceylon kommend, zog ihm in die geblähten Nüstern.
Süße Verführung, gewachsen in Rohren, vergütete den Genuss.

"Folter im Irak". "Brennendes Öl". "Die Meisterschale errungen". "Erhaltung der Kultur". "Kürzungen der schulischen Mittel".
Angewidert legte er die Zeitung beiseite.
Ephraim gefiel es nicht. Er verabscheute es von diesen Bagatellen zu lesen, wie belanglose Dinge belanglosen Menschen widerfuhren.
An seiner Tasse nippend verließ er die Küche. Er setzte sich an seinen Schreibtisch. Er schrieb ein paar Zeilen:

Im Traume sah, ganz wunderlich,
Mein eigen Aug' mein eigen Ich.
Obgleich im Antlitz meiner gleich,
Haare, Haut und Fleisch,
War sein Blick mir selten fremd.
Er durchdrang mich, zwang mich
Zu wilder Wut und Raserei,
als ob mein Herze brennt.

Es war fürchterlich und ihm doch einerlei.
Das Ebenbild zerfloss. Es rann Bächen gleich auseinander und floss flussauf zu seiner Quelle zurück.

"Hey John, das ist meine Pferdetränke!", hörte er den Coyoten sprechen. Seine Läufe waren festes Feuer. Sie speisten die Flammen des eisernen Gauls. Wie eine Narbe durchzog die Bahn das in Öl gemalte Bild der Landschaft.

Der Spiegel. Er sprach mit seinem Mund.
"Ephraim mit Baldachin, er soll schwere Hölzer ziehen."

Er zerfiel zu farbigem Sand. Ein Mandala hinter stählernen Stäben.
"Welcher Tat machte ich mich schuldig?"

Feste Knoten umschlangen ihn, geflochten aus silbern glänzenden Tauen.
Ein Schafott. Ein weiteres silbernes Glänzen in des Henkers Hand.
Auf den Knien, letzte Gebete wispernd.
Ein Hieb. Ein langer Tunnel. Ein heller Schein. Das allumfassende in Licht gewandete Wesen weist ihm den Weg.

Hinab durch Wolken. Weiße. Graue. Schwarze. Es ist kalt. Eis. Er wird schnell. Eine Faust voll von festem Wasser. Er sieht eine Stadt. Seine Stadt. Eine Straße. Seine Straße. Ein Haus. Sein Haus. Eine Fassade. Seine Fassade.
Aufschlag.
Rosenbeet.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 22.03.2006, 11:48

Hallo Degenhardt,
dieser Text erinnert mich an den, den du in die Textwerkstatt eingestellt hast. GLeiches Thema. Ähnliche Assoziationen des Erzählers. Ich mag es, wenn die Figuren im Text schreiben, wenn viele das auch als Bruch empfinden, ich finde das ein unglaublich faszinierendes "Stilmittel". Ich finde allerdings, das diese Passage noch formal zu verbessern ist, das holpert einfach noch:

Im Traume sah, ganz wunderlich,
Mein eigen Aug' mein eigen Ich.
Obgleich im Antlitz meiner gleich,
Haare, Haut und Fleisch, besonders hier
War sein Blick mir selten fremd.
Er durchdrang mich, zwang mich
Zu wilder Wut und Raserei,
als ob mein Herze brennt. [/color] und hier, ich würde zudem brenne schreiben


Im Traume sah, ganz wunderlich
Mein eigen Aug' mein eigen Ich.
diesen Rhythmus würde ich durch die Stelle ziehen, der trifft es wunderbar.

Ansonsten hat mit Ephraim sehr an Lessing denken lassen, wenn das Ende der Geschichte auch mehr an Lenz erinnert :smile: .

Ich glaube in der Geschichte gibt es noch eine Menge zu entdecken, mir gefallen die unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen.

Degenhardt

Beitragvon Degenhardt » 22.03.2006, 13:16

Vielen vielen Dank für das Lob. :)

Könntest du konkretisieren was du an dem Gedicht für änderungswürdig befindest?

Degenhardt

Beitragvon Degenhardt » 22.03.2006, 13:21

"brennt" muss aber bleiben, denn sonst verliert sich der Reim auf "fremd" und den will ich behalten.
Was stört dich denn an dem Rhytmus? Ich kann es mir wunderbar vorlesen. :)

(Wurde sogar schon in einem Theaterstück verwendet, das Poem. *stolz*)

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Beitragvon Lisa » 28.03.2006, 16:34

Hallo Degenhardt,

ich habe mal zwei neue Versionen probiert, um zu zeigen, was mich stört. Ich bin solchen Dingen allerdings nicht sehr gut, da mich das schon dastehende hemmt.

1.Version (deiner ähnlicher)

Im Traume sah, ganz wunderlich,
Mein eigen Aug' mein eigen Ich.
Obgleich im Antlitz meiner gleich,
bis hin zu Haaren, Haut und Fleisch –

sein Blick, DER war mir seltsam fremd.

Er durchdrang mich,
zwang mich
Zu wilder Wut und schierer Raserei
es war als bräche ich entzwei,

als ob mein Herze brennt.

------------------
2. Version (freier)

Im Traume sah, ganz wunderlich,
Mein eigen Aug' mein eigen Ich.
Bis hin zu Haaren, Haut und Fleisch
schien dieses Antlitz meinem gleich.

Und dennoch, eines blieb mir fern:
Sein Blick, der brannte wie ein Stern!
Dieses falsche Spiegelbilde
Machte mich schier wild und irre!

Er durchdrang mich,
zwang mich,
umschlang mich
Nein! Das WAR nicht ich!

Sein Blick, der war so seltsam fremd
mir war, als ob mein Herze brennt.

Degenhardt

Beitragvon Degenhardt » 28.03.2006, 16:45

Also, Kompliment zu deinen (vor allem der freieren) Versionen.

Aber ich muss dich vertrösten, gerade an dem Gedicht will ich nichts ändern.

Es hat so wie es ist seinen Sinn und soll in den zweiten Abschnitt leiten.....nun, ich denke noch mal darüber nach.


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