zweite:
Marmelade im Glas
Ich habe die Sache nicht fertiggemacht. (Es ist keine Sache, sondern ein Unding: das Warten im Gehen, das Lauern auf Zeit, die nicht kommt, sondern immer lauter vergeht, das Fiebern nach Unsagbarkeiten, das Leben auf Rezept.) Wir haben gewusst, was es zu denken gilt, beide, wie man genauer kaum wissen kann, auch dass es nichts hilft.
Du hast mich vermisst, als ich bei dir war, und sobald ich gegangen bin, warst du schon da, noch vor der Frage. Wohin das führen soll. (Die Gleise sind nicht rostig, nicht alt genug, nur stumpf, also bücke ich mich und reibe wie besessen, mit dem Ärmel, wie besessen, bis der Ärmel reißt, bis sie glänzen, mitten in der Nacht. Der Feinstaub senkt sich in die Ritzen, bevor er fliegen kann, es schlimmer machen kann, wie jedes Fliegen, wie jedes Lachen pulverig wird, ich möchte, ich hätte, ich riefe – rief ich, oder hörtest du nur? Hast du etwas gesagt?)
Am andern Tag sahen die Äste aus wie gerupft, und es war noch weniger gut. Wenn alles gut würde, wäre ich ein anderes Leben, mit einer anderen Vergeblichkeit. Ich habe die Sache nicht fertiggemacht, und du hast nicht angefangen. Doch ich liebte dich, noch bevor ich davon wissen mochte. (Ich nehme dieses Wort in den Mund, spreche es leise vor mich hin, ängstlich überdeutlich, als säße ich beim Zahnarzt, während mir der Mund sperrangelweit aufsteht und die weißen Leute mit ihren Instrumenten und Spiegeln ohnehin bis in meinen Magen gucken könnten – theoretisch. Ich nehme es in den Mund, vorsichtshalber in der Vergangenheit, und weiß gar nicht, was ich rede.)
Manchmal steht die Nacht dick wie rote Marmelade unterm Deckel, ein ungeöffnetes Glas, und man wartet, dass es plopp macht, wenigstens am Morgen, wartet bis zum Abend, und hört keinen Ton.
erste:
Ausriss
Ich habe die Sache nicht fertiggemacht. (Es ist keine Sache, sondern ein Unding: das Warten im Gehen, das Lauern auf Zeit, die nicht kommt, die vergeht, die vergeht, das Fiebern nach Unsagbarkeiten, das Leben auf Rezept.) Wir haben gewusst, was es zu denken gilt, beide, wie man genauer kaum wissen kann, auch dass es nichts hilft.
Du hast mich vermisst, als ich bei dir war, und sobald ich gegangen bin, warst du schon da, noch vor der Frage. Wohin das führen soll. (Die Gleise sind nicht rostig, nicht alt genug, nur stumpf, also bücke ich mich und reibe wie besessen, mit dem Ärmel, wie besessen, bis der Ärmel reißt, bis sie glänzen, mitten in der Nacht. Der Feinstaub senkt sich in die Ritzen
und fliegt, und fliegt
wie jedes Fliegen
es nur schlimmer macht,
wie jedes Lachen klingt
wie Magerquark. Ich möchte, ich hätte, ich riefe –
Rief ich, oder hörtest du nur?
Hast du etwas gesagt?)
Am andern Tag sahen die Äste aus wie gerupft, und es war noch weniger gut. Wenn alles gut würde, wäre ich ein anderes Leben. Am schwierigsten ist die Vergeblichkeit, die ist wirklich schwer zu ertragen. (Dies muss unbedingt mit einem ironischen Lächeln gelesen werden: „Vergeblichkeit“, „schwer zu ertragen“, vor allem das „wirklich“!) Nichts machen zu können. Ich habe die Sache nicht fertiggemacht, und du hast nicht angefangen. Doch ich liebte dich noch bevor jemand wusste wofür. (Ich nehme dieses Wort in den Mund, spreche es leise vor mich hin, ängstlich überdeutlich, als säße ich beim Zahnarzt, während mir der Mund sperrangelweit aufsteht und die weißen Leute mit ihren Instrumenten und Spiegeln ohnehin bis in meinen Magen gucken könnten – theoretisch. Ich nehme es in den Mund, vorsichtshalber in der Vergangenheit, und weiß gar nicht, was ich rede.) Manchmal steht die Nacht dick wie rote Marmelade unterm Deckel, ein ungeöffnetes Glas, und man wartet, dass es plopp macht, wenigstens am Morgen, wartet bis zum Abend, und hört keinen Ton.
Marmelade im Glas (Ausriss)
Liebe Klara,
das ist ein außergewöhnlicher Text. Ich las ihn schon im Prosalog - gehört habe ich ihn noch nicht - jetzt habe ich ihn hier schon mehrmals gelesen und je öfter ich ihn lese, jdesto mehr nimmt er mich ein.
Fragte ich mich zunächst noch: Geht das denn überhaupt in einem so kurzen Text, Bilder neben hintereinander zu gebrauchen wie: Leben auf Rezept - Gleise - Feinstaub - Lachen wie Magerquark - Zahnärzte, die in den Mund sehen (diese fällt ein wenig raus, könnte dem realen Leben "geschuldet sein") - die Äste wie gerupft - die Nacht dick wie Marmelade; je öfter ich lese, desto mehr sage ich: Ja, das geht. Und nicht nur dass es geht, nein, es ist sehr gut.
Wunderbar. Nicht ein Bild wirkt gekünstelt. Es ist wohl der Erzählton, der ja dennoch schurgerade und nicht verschnörkelt daherkommt.
Vielleicht an diesem Stellen noch einmal schauen:
Wegen der kKammern, ich würde sie nicht setzen, evtl. die Stellen kursiv, aber im Grunde ist es doch aus einem "Gedankenguss", warum dann Klammern? - außer vielleicht das "ironische Lächeln", was ich allerdings bedenklich finde, als einzige Stelle.
Hier soll dem Leser m. M. eine Distanz des Autorenichs zum Lyrich "vorgespielt" werden, die nicht da ist .
das ist merkwürdig, wieso "warst" ?
Wenn gemeint ist, das Lyr. Du ist ständig beim Lyrich, ständig präsent, würde ich umformulieren. Sonst hinterfragt man unwillkürlich die Grammatik.
Das beschriebene Gefühl kenne ich allerdings gut
Warum "jemand"?
Und dieses "wofür" finde ich seltsam unpassend, weil Liebe nicht fragt "Weshalb", auch nur m. M.
Jetzt höre ich mir die Lesung mal an.
Liebe Grüße
Gerda
das ist ein außergewöhnlicher Text. Ich las ihn schon im Prosalog - gehört habe ich ihn noch nicht - jetzt habe ich ihn hier schon mehrmals gelesen und je öfter ich ihn lese, jdesto mehr nimmt er mich ein.
Fragte ich mich zunächst noch: Geht das denn überhaupt in einem so kurzen Text, Bilder neben hintereinander zu gebrauchen wie: Leben auf Rezept - Gleise - Feinstaub - Lachen wie Magerquark - Zahnärzte, die in den Mund sehen (diese fällt ein wenig raus, könnte dem realen Leben "geschuldet sein") - die Äste wie gerupft - die Nacht dick wie Marmelade; je öfter ich lese, desto mehr sage ich: Ja, das geht. Und nicht nur dass es geht, nein, es ist sehr gut.
Wunderbar. Nicht ein Bild wirkt gekünstelt. Es ist wohl der Erzählton, der ja dennoch schurgerade und nicht verschnörkelt daherkommt.
Vielleicht an diesem Stellen noch einmal schauen:
Wegen der kKammern, ich würde sie nicht setzen, evtl. die Stellen kursiv, aber im Grunde ist es doch aus einem "Gedankenguss", warum dann Klammern? - außer vielleicht das "ironische Lächeln", was ich allerdings bedenklich finde, als einzige Stelle.
Hier soll dem Leser m. M. eine Distanz des Autorenichs zum Lyrich "vorgespielt" werden, die nicht da ist .

Klara hat geschrieben:Du hast mich vermisst, als ich bei dir war, und sobald ich gegangen bin, warst du schon da,
das ist merkwürdig, wieso "warst" ?
Wenn gemeint ist, das Lyr. Du ist ständig beim Lyrich, ständig präsent, würde ich umformulieren. Sonst hinterfragt man unwillkürlich die Grammatik.
Das beschriebene Gefühl kenne ich allerdings gut
Klara hat geschrieben:Doch ich liebte dich noch bevor jemand wusste
wofür.
Warum "jemand"?
Und dieses "wofür" finde ich seltsam unpassend, weil Liebe nicht fragt "Weshalb", auch nur m. M.
Jetzt höre ich mir die Lesung mal an.
Liebe Grüße
Gerda
Hallo Gerda,
danke für deine Einschätzung.
Ich möchte die Klammern erstmal drin lassen, über das ironische Lächeln grüble ich noch.
Vielleicht an diesem Stellen noch einmal schauen:
Doch, die Distanz ist da, vorgespielt werden soll da nichts.
"gegangen bin" ist eine gerade abgeschlossene Vergangenheit ("Ich" ist eben aus der Tür raus). "warst du schon da" soll ausdrücken - gerade durch diese Zeitform! - dass "du" schon da war, bevor "ich" ging, also immer. Imperfekt bedeutet ja: nicht abgeschlossene Vergangenheit (innerhalb einer Zeit). So ist das doch, wenn man sich so fühlt, oder? Alles scheint auf den Menschen zu verweisen, an den man denkt, man denkt auch an ihn, wenn man nicht an ihn denkt. Er ist immer da - ob man will oder nicht.
Das Hinterfragen möchte ich dir notfalls zumuten - solange bei deinem Fragen nicht die Antwort kommt, ich hätte die Grammatik falsch verwendet ,-)
Tja. Warum? Ich mag den Klang...
Deshalb steht da "jemand". Nicht "ich" will wissen wofür.
Viele Grüße
Klara
danke für deine Einschätzung.
Ich möchte die Klammern erstmal drin lassen, über das ironische Lächeln grüble ich noch.
Vielleicht an diesem Stellen noch einmal schauen:
Hier soll dem Leser m. M. eine Distanz des Autorenichs zum Lyrich "vorgespielt" werden, die nicht da ist .
Doch, die Distanz ist da, vorgespielt werden soll da nichts.
« Klara » hat folgendes geschrieben:
Du hast mich vermisst, als ich bei dir war, und sobald ich gegangen bin, warst du schon da,
"gegangen bin" ist eine gerade abgeschlossene Vergangenheit ("Ich" ist eben aus der Tür raus). "warst du schon da" soll ausdrücken - gerade durch diese Zeitform! - dass "du" schon da war, bevor "ich" ging, also immer. Imperfekt bedeutet ja: nicht abgeschlossene Vergangenheit (innerhalb einer Zeit). So ist das doch, wenn man sich so fühlt, oder? Alles scheint auf den Menschen zu verweisen, an den man denkt, man denkt auch an ihn, wenn man nicht an ihn denkt. Er ist immer da - ob man will oder nicht.
Sonst hinterfragt man unwillkürlich die Grammatik.
Das Hinterfragen möchte ich dir notfalls zumuten - solange bei deinem Fragen nicht die Antwort kommt, ich hätte die Grammatik falsch verwendet ,-)
« Klara » hat folgendes geschrieben:
Doch ich liebte dich noch bevor jemand wusste
wofür.
Warum "jemand"?
Tja. Warum? Ich mag den Klang...
Und dieses "wofür" finde ich seltsam unpassend, weil Liebe nicht fragt "Weshalb", auch nur m. M.
Deshalb steht da "jemand". Nicht "ich" will wissen wofür.
Viele Grüße
Klara
Mich stört auch das "jemand", Klara, sorry ... wieso sollte "jemand" nicht wissen? Die beiden Beteilgten?
Zum Beispiel. Die beiden Beteiligten, oder ein außenstehender Zuschauer, der derselbe sein kann wie die Beteiligten, sich von außen sieht, oder Gott, meinetwegen. Jemand. Jemand ist gleichbedeutend mit "irgendjemand".
Klara
Hallo Klara,
diese Art Minigeschichte mag ich. Bei mir funktionieren die Texte aus dem Bauch, will heißen ich brauch Bilder, die keine Anleitung brauchen, um zu wirken. So was wie die dicke Marmelade als Vergleich oder auch das Zahnarztbild. Beides ist einfach gut.
Als störend hab ich die eine Passage empfunden:
Zeit, die nicht kommt, die vergeht, die vergeht,
Zeit, die anders ist oder auch nur "ist" das kommt, vergeht, vergeht erreicht mich nicht. Der "Rest" dafür umso mehr.
Gruß
reimerle
diese Art Minigeschichte mag ich. Bei mir funktionieren die Texte aus dem Bauch, will heißen ich brauch Bilder, die keine Anleitung brauchen, um zu wirken. So was wie die dicke Marmelade als Vergleich oder auch das Zahnarztbild. Beides ist einfach gut.
Als störend hab ich die eine Passage empfunden:
Zeit, die nicht kommt, die vergeht, die vergeht,
Zeit, die anders ist oder auch nur "ist" das kommt, vergeht, vergeht erreicht mich nicht. Der "Rest" dafür umso mehr.
Gruß
reimerle
Hallo Reimerle,
(du in der Prosaecke?? ,-))
Danke für deinen Kommentar.
Leider verstehe ich dein Problem mit der "Zeit" nicht. Das "vergeht, vergeht" insistiert auf dem Vergehen, ohne dass Zeit genutzt würde (für Glücklichsein, für gute Handlungen, was weiß ich, für Liebe natürlich, fürs Nichtabwehren). Es ist ein kindliches oder auch kindisches "vergeht, vergeht", die kindische Wahrnehmung eines erwachsenen Tatbestandes sozusagen.
Lieber Gruß
Klara
(du in der Prosaecke?? ,-))
Danke für deinen Kommentar.
Leider verstehe ich dein Problem mit der "Zeit" nicht. Das "vergeht, vergeht" insistiert auf dem Vergehen, ohne dass Zeit genutzt würde (für Glücklichsein, für gute Handlungen, was weiß ich, für Liebe natürlich, fürs Nichtabwehren). Es ist ein kindliches oder auch kindisches "vergeht, vergeht", die kindische Wahrnehmung eines erwachsenen Tatbestandes sozusagen.
Lieber Gruß
Klara
Hallo Klara,
mein "Problem" ist die Beschreibung als solche, kommt und vergeht, das fällt für mich ab gegen Ding/Unding, Warten im Gehen, Fiebern nach Unsagbarkeiten.
Die Passagen leben vom Nichtgesagten, die "Zeit die kommt und vergeht, vergeht" nicht.
Gruß
reimerle
P.S:
Ich guck trotz meines Nicks auch regelmäßig in die Prosaecke.
mein "Problem" ist die Beschreibung als solche, kommt und vergeht, das fällt für mich ab gegen Ding/Unding, Warten im Gehen, Fiebern nach Unsagbarkeiten.
Die Passagen leben vom Nichtgesagten, die "Zeit die kommt und vergeht, vergeht" nicht.
Gruß
reimerle
P.S:
Ich guck trotz meines Nicks auch regelmäßig in die Prosaecke.
- Thomas Milser
- Beiträge: 6069
- Registriert: 14.05.2006
- Geschlecht:
Irgendwie atemlos, das kommt durch die Sprünge, der Text erklärt mir angenehm wenig genug, um mich in Spannung zu halten, die Klammern sind gut, weil sie differenzieren, die Bilder, die entstehen, entschädigen für die, die man selbst suchen muss, und am Ende traurig, dass es schon vorbei ist. Davon hätte ich auch 10 Seiten lesen gekonnt.
Klasse, Klara.
Tom.
Klasse, Klara.
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)
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