Zeitlebens
Orgelmusik! Faszinierende Klänge.
Die Situation? –
Für Helen nahezu unaushaltbar. Kälteschauer erlebt sie durch diese Stimulation.
Sie wünscht sich ein schnelles Ende. Oder ganz allein hier zu sein, zuhören zu können, zuhören, nur der Musik. Es ist kalt auf diesem heißen Stuhl, nahe denen, mit denen sie sich fast tot lebte. Das Pochen in ihrer Brust wird zum Hämmern. Hämmern, das Schreie eindämmt.
Bloß schnell raus hier, raus.
Eine tiefe Stimme von vorn, die Worte streifen ihre Ohren.
Es ist besser so, denkt sie. Dicht sein. Rissiger Panzer in erster Reihe.
Ein halbes Leben später, und es ist vorbei.
Mehr oder weniger gute Bekannte, ihre Familie und ein paar ihr Fremde – alles quetscht sich durch die Tür ins Freie. Ins Freie? Es fällt ihr schwer, ausreichend Luft zu holen, sie läuft wie außer sich und wie am Geschehen vorbei – alles scheint unwirklich, wie auf einer Leinwand. Unverfängliche Worte – entweichen sie etwa ihr? Ihre Schritte vermögen sie kaum zu halten. Gemäßigt bleibt die Distanz zu ihrer Familie; sie fühlt sich orientierungslos in der Menge.
Diesen Weg wird sie sich auch nicht merken können. Seit über zwanzig Jahren hat sich nichts verändert: hier und da Erdhaufen oder -buckel, mit und ohne Stein, mit und ohne Bepflanzung, ein paar Bäume und Büsche. Auch sie schert zwei Male nach rechts aus, bleibt stehen. Hinter den Anderen. Die Senker tun Ihre Pflicht.
Ein Blick zur Mutter zeigt ihr deren Anspannung: genervt scheint sie, als fühle sie sich belästigt durch unangenehmen Besuch. Der Pastor redet noch. Helen kann sich nicht darauf konzentrieren, will nicht zulassen, dass die Leere in ihr fast explodiert. Das erste Häufchen Erde schüttet der Geistliche dem Sarg hinterher, geht zurück, nickt der Alten zu, faltet seine Hände und lässt sie über seinem Talar in Schritthöhe sinken, andächtig. Wie oft pro Monat er wohl so dasteht?
Helen sieht ihre Mutter den Spaten nehmen, dann huschen ihre Blicke kurz weg - ob jemand ihre Gedanken liest oder etwa dieselben hat? Wie aus Holz scheint die Hand der Alten, vereint mit dem Stiel der Schaufel. Das Gesicht zusammengerissen. Sicher geziemt es sich so. Haltung wahren! - beleidigt schauend ob etwaiger Kontrolle von Außen. Sonst keine nennenswerte Regung.
Gestern auf der Herfahrt mischte sich Helens Verachtung gegenüber der Mutter noch mit Mitleid, heute schnüren ihr zusätzlich Wut und Scham den Hals zu. Fragte man sie, wie sie sich fühle, würde sie sagen: 'wie das kleine Mädchen, dass unter Widerwillen Spinat in den Mund gestoßen bekam, ihn kurz später über den Tisch kotzte.'
Ihr Unterkiefer verspannt, ihre Unterlippe drückt die obere hoch, ihre Nasenflügel, Mundwinkel, alles zuckt, Luftnot macht sich breit, für Momente erweicht sich der Boden. Warum sieht sie zu?
Die Brüder gehen vor, 'erstaunlich', denkt sie, 'wie die das managen. Anständig wirken sie. Wie Konfirmanden. Kaum zu glauben, dass ich zu solch einer Sippe gehöre.'
Und schon ist sie dran. Es wird erwartet, dass sie nun vor das Grab tritt. Sie kann nicht sofort hinterher wie am Schnürchen oder auf Kommando, zwingt sich zur Funktion. Jeden Blick zu den Umstehenden meidend - ihre Hand um den Rosenstiel ist mittlerweile schweißig, hofft sie, nicht zu sehr zu wanken auf dem Weg. Auf dem Weg vor´s große Loch.
'Der Sarg', sinniert sie, 'wäre in seiner Form und Größe doch gar nicht nötig gewesen. Täuschung, Schöngaukelei.'
Während sie hinuntersieht und froh ist, dass der Schrein die brüderlichen Reste kaschiert, weiß sie: Nichts. Nichts konnte sie, nichts kann sie tun.
Helens Mund berührt die Blüte, sie hört noch das leise, dumpfe Aufkommen der Blume auf dem Holz. Nie wieder sehen. Das ist ganz was anderes als vorläufig oder auf unbestimmte Zeit.
'Friedhöfe', screit es in ihr, 'sind das Letzte, wo ich mich aufhalten will: Alles aufgesetzt, lauter Statisten, die da stehen. Gehört sich wohl so?' Sie schließt die Augen, schluckt gegen den Kloß im Hals an.
Sie hasst diese ganze Stadt. Hasst Gehabe und alle diese schaulustigen Armleuchter. Und sie hat Angst; Angst, dass der Hass sie auffrisst.
Zeitlebens
Hallo eldora!
Habe den Text jetzt dreimal gelesen, aber irgendwie gibt er mir zu wenig Information. Alles, was ich rauslesen kann, ist, dass es sich um die Beerdigung eines Bruders von helen handelt, dass die Familiensituation wohl sehr problembehaftet ist und dass Helen Friedhöfe und Beerdigungen hasst. Ich würde mir da allerdings noch ein bisschen mehr Hintergrund wünschen, ein bisschen mehr Warum. Auch sind da viele Andeutunge, die irgendwie in der Luft hängen.
Oder habe ich den Schlüssel zum Ganzen einfach überlesen?
Liebe Grüße von einer etwas ratlosen
Rala
Habe den Text jetzt dreimal gelesen, aber irgendwie gibt er mir zu wenig Information. Alles, was ich rauslesen kann, ist, dass es sich um die Beerdigung eines Bruders von helen handelt, dass die Familiensituation wohl sehr problembehaftet ist und dass Helen Friedhöfe und Beerdigungen hasst. Ich würde mir da allerdings noch ein bisschen mehr Hintergrund wünschen, ein bisschen mehr Warum. Auch sind da viele Andeutunge, die irgendwie in der Luft hängen.
Oder habe ich den Schlüssel zum Ganzen einfach überlesen?

Liebe Grüße von einer etwas ratlosen
Rala
Hallo Eldora,
Helens Stimmung, die Situation der Beerdigung, all dies ist gut eingefangen und sauber geschrieben. Den familiären Hintergrund kann man nur erahnen, aber vielleicht wolltest Du es bewußt so offen lassen.
ich würde einen Hinweis auf Helens Alter machen, z. B. die junge Frau...
Aufkommen scheint mir unpassend zu sein. Wie wäre "das leise, dumpfe Geräusch der Blume auf Holz" oder "leise, dumpfe Aufschlagen..." oder "Aufprall..."?
Ein Gruß von Gevatter Fehlerteufelchen
Schönen Tag
Jürgen
Helens Stimmung, die Situation der Beerdigung, all dies ist gut eingefangen und sauber geschrieben. Den familiären Hintergrund kann man nur erahnen, aber vielleicht wolltest Du es bewußt so offen lassen.
ich würde einen Hinweis auf Helens Alter machen, z. B. die junge Frau...
Helens Mund berührt die Blüte, sie hört noch das leise, dumpfe Aufkommen der Blume auf dem Holz. Nie wieder sehen
Aufkommen scheint mir unpassend zu sein. Wie wäre "das leise, dumpfe Geräusch der Blume auf Holz" oder "leise, dumpfe Aufschlagen..." oder "Aufprall..."?
'Friedhöfe', screit es in ihr
Ein Gruß von Gevatter Fehlerteufelchen

Schönen Tag
Jürgen
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