Regentage
Verfasst: 14.08.2007, 08:37
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Regentage
Die Steine strecken ihr Gesicht dem Regen entgegen, sammeln die Tropfen in ihren Falten. Ich werde mir den Mund ausspülen müssen bevor ich geh.
Aus dem Glas tritt eine Figur hervor, ihr bleiches Profil in die kalte Luft gehaucht.
„Besser?“ frage ich. Leise wippen ihre Locken. „Und du?“ fragt sie. „Ich habe die Glut verschluckt.“ Als Beweis zeige ich ihr meine Zunge, feuergepeitscht. Die Regentropfen zischen auf ihr.
Ich spanne einen Sonnenschirm auf, wir setzen uns drunter, schauen geradeaus. Zwei der Tischbeine sind eingesackt, lassen gesammeltes Wasser zur Erde, noch hat es nichts mitgerissen, alles steht noch, teilt den Fluss.
„Jetzt weißt du, wie.“ Sie schweigt, rasselt beim Einatmen. Ich lass mich gleiten, zum Boden hin, meinen Kopf bette ich auf die aufgeweichte Erde, meine Socken trinken begierig. Ich schließe die Augen, tanze um sich drehende Kreisel. Ich öffne die Augen, sehe ihr Kinn, sie blickt über die Nasenspitze in den Wasservorhang fallender Perlen.
Ich schließe die Augen. „Wenn dich einer fragt, würdest du wieder?“
Sie würde nicht, würde sich erinnern, ihre Lippen aufeinander pressen zu einem roten Strich, die Augenbrauen hochziehen.
Sie würde, würde lächeln und die Augen niederschlagen im Schatten getuschter Wimpern.
Ich öffne die Augen. Ihr Kinn zittert leicht, „Wieso fragst du so was?“ Ihre Tränen verfangen sich in der Bewegung, lassen die Haut perlmutt schimmern. Ich stütz mich mit den Händen ab und richte mich schnell auf, will sie in den Arm nehmen. Ein orangener Vorhang zieht mir vom Nacken über den Hinterkopf und fällt laut ins Gesicht.
Ich öffne die Augen. Ihr Kinn drückt auf meine Brust. Ich finde ihren Blick, zwischen uns fließt Milch, ihre geweiteten Pupillen bleiben bei mir. Als sie spricht, streichelt ihr Atem meine Wangen. „Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.“ Milch dringt mir in die Nase, meine Brust hebt sich, ihr Kinn hebt sich, sie wendet das Gesicht ab, rückt von mir weg, wird verschluckt.
Ich öffne die Augen. Sie streckt mir ihr Kinn entgegen, hat die Stirn in Falten gelegt, die will ich glätten, ihre Hand umgreift meine und zieht sie nach unten. „Ich komm auch allein klar.“
Mein Kopf pocht heftig, ich steh auf, gehe zum Tisch, greife den Becher, dabei fällt die Flasche um, rollt langsam die Schräge hinunter, ich wende mich ab, kippe den Inhalt ins Gras. Hinter mir zerbricht die Flasche auf Steinen. Regen tropft von meinen Strähnen, von meiner Nasenspitze, von meinen Ellbogen. Ich bleibe stehen, in der Rechten den Becher, in ihm sammelt sich schon Wasser an und lässt den Satz schwimmen. Ich hebe ihn an die Lippen, trinke und spucke wieder aus.
Die Erde seufzt als sie mit nackten Füßen durchs Gras auf mich zuläuft. Sie nimmt mir den Becher aus der Hand. „Ich hätts später aufgeräumt. Hättest es nicht wegschmeißen müssen.“ Mit dem Fuß schabt sie die Glasscherben in die Steinrillen unter den Tisch. Dann geht sie. Die Grashalme zittern. Als ich mich umdrehe, ist der Sonnenschirm zugeklappt.
Ich spanne den Sonnenschirm auf, meinen Anorak lege ich auf die feuchte Erde. Aus einer Tasche hole ich Streichhölzer, die Packung ist an den Ecken aufgeweicht.
Ich habe sie nicht kommen gehört, sie steckt mir eine in den Mund und hält sich ihre ins Feuer. „Woher sind die?“ Sie lehnt sich an mich, ihre Wange an meiner Schulter, an meinen tauben Armen ein Biss auf die Zähne. „Du sagst doch zu niemandem was?“ Ich schmeiße die Packung ins Gras, von dort blickt sie uns grau an und flüstert dem Regen zu.
Die Nägel sind von der Kälte blau lackiert. Halten wir den Atem an, zittern sie. Wir schauen uns zu, ein silbernes Lachen schwebt über uns, zieht Schlieren im Rauch und entflieht.
Ich schließe die Augen. „Kommst du von ihm?“
Sie schließt die Haustür ab, winkt den Nachbarn zu, holt das Fahrrad. Sie fährt über den Deich, die Pfützen lecken ihre Waden, ihre Locken kleben am Gesicht.
Sie steigt über den Zaun, läuft los ohne sich umzuschauen, hat ein Päckchen eingesteckt, ihr Sweatshirt bei ihm vergessen, ihre Locken kleben am Gesicht.
Ich öffne die Augen. Sie sitzt im Schneidersitz vor mir. Eine Strähne hat sich zum Mund verirrt, „Ich werde deine Hilfe brauchen.“ Mit dem Zeigefinger hebt sie mein Kinn hoch, der Daumen verdrängt die Luft an meinen Lippen, streicht zur Mitte hin, bettet mich in Stille. Ihre Augen sind klein vom Flüstern hinter ihr. Es nähert sich, spricht an den Ohrläppchen, umschließt die Muschel.
Ich öffne die Augen. Sie ist aufgestanden, streckt ihre Arme zum Himmel hin, legt ihren Kopf in den Nacken, die Locken streicheln ihren Rücken. Als wünschte sie, die Wolken zu halten. An ihren Armen verlaufen Wasserstraßen, lassen ihre Haut glänzen. Sie schaut zu mir und schließt die Augen.
Ich öffne die Augen. Sie streicht sich ihr Haar nach hinten, sucht in meinem Gesicht, „Was ist nur mit dir?“ Ich zieh sie auf den Anorak, nimm ihre Hände zwischen meine und reibe sie, bis das Blut in den Fingerspitzen pocht. „Ich bring dich Heim. Lass uns den Sonnenschirm mitnehmen.“
Von ihrem Bett ist es ein Blick bis zur Heide. In der Nähe wachsen Pappeln, immer sanfter tropft es von ihren Ästen. Das Fenster kühlt mein Gesicht, malt es als Negativ nach. Ich kippe leicht zur Seite, als sie sich neben mich setzt, zwei Tassen in der Hand. Dampf beschlägt die Scheibe, lässt meinen Abdruck klar hervortreten, uns entgegenschauen.
Ich wende mich von meinen milchigen Augenhöhlen ab. Auf ihrem Nachtisch liegt ein Foto. „Wann war das?“
Sie sitzt auf einer Schaukel, die nackten Füße im Gras, es muss letztes Jahr gewesen sein, die Sonne scheint. Sie ruft ihrer Mutter etwas zu, aber die drückt schon ab.
Sie sitzt auf einer Schaukel, die Wildrosen treiben Knospen, sie hält eine in der Hand, erzählt von ihrer Mutter, schaut hoch zu ihm, in seine Kamera. Nachher schenkt sie ihm die Rose. Die anderen werden erfrieren, diesen Sommer soll es kalt werden.
„Im Frühjahr. Was ist, trinkst du nicht mehr?“ Meine Zunge prickelt, wird pelzig. Die Nase hoch kriecht ein Geschmack, als Nebel zieht er über meine Augen. „Was ist da drin?“
Ich schaue sie an. Sie lächelt geheimnisvoll, fährt über meine Augenhöhlen, dass die durchsichtig werden. Durch meine verschwundenen Gesichtszüge schaue ich in den Hof hinunter, eine Schaukel ist an einen Ast gebunden, hat Regen in ihrer Mulde gesammelt.
Ich schaue sie an. Ihre Augenbrauen sind hochgezogen. „Ist es nicht gut geworden?“ Mein Gaumen schmilzt und schleicht als Lava die Speiseröhre hinunter. Ich presse mich gegen das Fenster, draußen winken mir die Grashalme zu.
Ich schaue sie an. Vorsichtig kostet sie, „Mir schmeckts.“ Ich kriege wohl Fieber, die Stirn auf der Scheibe glüht mir entgegen, sachte lass ich mich in die Kissen zurücksinken. Sie blickt hinunter in den Garten, „Die Rosen sind erfroren.“
Ihre kalten Dornen wachsen hoch bis sie mich erreichen. Ich schließe die Augen, sie stechen in meine Lider, dass ich erblinde. Zwischen den Polstern verkrieche ich mich vor ihnen.
Als ich aufwache, ist sie nicht im Zimmer. Das trübe Licht taucht alles in Halbschatten. Draußen lassen sich die Wolken bis zu den Baumkronen nieder. Ich beginne umher zu gehen, traue mich nicht, eine Schublade oder Schranktür zu öffnen. Auf einem Bücherstapel liegt ein Foto. Sie steht mit nackten Füßen im Gras, lehnt an einer Pappel und lächelt, die Augen niedergeschlagen im Schatten getuschter Wimpern. Neben ihr stehe ich, mein Kinn auf ihrem Lockenkopf.
„Ich brauch deine Hilfe.“ Sie schließt nicht die Tür hinter sich, die Hand ruht auf der Klinke. Ich blinzle überrascht. „Wo warst du?“
Sie nimmt beide Tassen und geht in den Hof hinaus, die Reste ins Gras zu schütten. Als sie nach den Wildrosen schaut, hört sie die Nachbarn sagen, dass das Wetter sich nicht bessern wird. Sie raten ihr, den Strauch zu stutzen.
Sie schließt die Haustür ab, winkt den Nachbarn zu und läuft zu ihm nach Haus. Es ist nicht weit, sie will ihr Sweatshirt holen. Vor seiner Haustür stehen zwei. Im Schatten der Bäume bleibt sie stehen und hört zu, was die zwei sagen. Ohne sich noch einmal umzudrehen, rennt sie zurück.
„Wir müssen gehen.“ Ihr Gesicht so bleich wie der Himmel, ihre Lippen ein schmaler roter Strich.
Die Erde schlägt Wellen, wir tauchen mit den Füßen ein und färben unseren Weg. Wir gehen zu ihm, es ist nicht weit, eine Allee führt hin, links und rechts streben Pappeln ins Grau hinein. Der Wind lässt sie rauschen und jagt uns mit Regen, dass wir wie Kinder stolpern. Ich denke daran, dass sich alles verändert und man im Sommer ertrinken kann.
Vor der Haustür steht keiner. Sie steigt über den Zaun und geht ans Ende des Grundstücks. Vor einer alten Garage bleibt sie stehen. Eine Regentonne ist aufgebaut, aus dem Wasser blickt von der Schwerkraft bezwungen ein Spiegelbild hervor. Es klackt und das Tor fährt hoch. Ein roter Ford blinzelt uns müde entgegen, die Haube fehlt, die Frontscheibe ist eingeschlagen. „Was suchen wir hier?“ Wir gehen um das Auto herum, es ist umringt von offenen Koffern, Müllsäcken und staubigen Kisten. „Das Päckchen. Es muss hier sein. Ich hatte es hier rein geschmissen. Ich weiß nicht mehr wo. Verdammt, ich weiß nicht mehr wo.“ Sie fährt sich panisch durchs Haar und kniet sich vor einen Koffer hin. Ich ziehe einen ins Licht und taste zwischen alten Platten nach etwas Kompakten. „Was ist mit dem Päckchen?“ Sie stockt, bis zu den Armen steckt sie in Krempel, ihr Atem geht schwer. „Ich weiß jetzt, wem es gehört hat. Er wills zurück.“ Sie klappt den Deckel zu und beugt sich über den nächsten. „Hab gesagt, wir haben nicht genau gewusst, was es war.“ Gegen meine Lunge presst was, schwer pumpt mein Herz, fühle es rückwärts in die Magengrube gleiten. „Du meinst dich und ihn, ja? Die Scheiße läuft erst seitdem ihr euch kennt.“
Sie schaut mich an, das Kinn zittert leicht, die Haut schimmert perlmutt, „Sag das nicht.“ Sie schließt auch diesen Koffer, zieht eine Kiste voll alter Kleider heran, ich helfe ihr.
Sie schaut mich an, ihre Stirn schlägt Falten, „Wir stehen das schon durch.“, und wühlt weiter, Wesen greifen sie an den Ellbogen, ziehen sie tiefer in den Inhalt. Ich schieb eine Kiste voller Kleider ins Licht, ein Anorak liegt auf ihr, verschlissen und fleckig. Unter ihm, zusammengeknüllt, eine Tüte aus braunem Papier.
Sie schaut mich an, steht auf, streicht über mein Kinn, „Du hast mir doch jedes Mal geholfen.“ Ihre Locken duften nach Regentagen. Sie wendet sich einer Kiste voll alter Kleider zu, macht sich Platz, indem sie mit den Füßen die Koffer unters Auto schiebt. Dann lacht sie auf, greift durch die Frontscheibe unter den Fahrersitz, „Hier hast du den Sonnenschirm gelassen.“
Regentage
Die Steine strecken ihr Gesicht dem Regen entgegen, sammeln die Tropfen in ihren Falten. Ich werde mir den Mund ausspülen müssen bevor ich geh.
Aus dem Glas tritt eine Figur hervor, ihr bleiches Profil in die kalte Luft gehaucht.
„Besser?“ frage ich. Leise wippen ihre Locken. „Und du?“ fragt sie. „Ich habe die Glut verschluckt.“ Als Beweis zeige ich ihr meine Zunge, feuergepeitscht. Die Regentropfen zischen auf ihr.
Ich spanne einen Sonnenschirm auf, wir setzen uns drunter, schauen geradeaus. Zwei der Tischbeine sind eingesackt, lassen gesammeltes Wasser zur Erde, noch hat es nichts mitgerissen, alles steht noch, teilt den Fluss.
„Jetzt weißt du, wie.“ Sie schweigt, rasselt beim Einatmen. Ich lass mich gleiten, zum Boden hin, meinen Kopf bette ich auf die aufgeweichte Erde, meine Socken trinken begierig. Ich schließe die Augen, tanze um sich drehende Kreisel. Ich öffne die Augen, sehe ihr Kinn, sie blickt über die Nasenspitze in den Wasservorhang fallender Perlen.
Ich schließe die Augen. „Wenn dich einer fragt, würdest du wieder?“
Sie würde nicht, würde sich erinnern, ihre Lippen aufeinander pressen zu einem roten Strich, die Augenbrauen hochziehen.
Sie würde, würde lächeln und die Augen niederschlagen im Schatten getuschter Wimpern.
Ich öffne die Augen. Ihr Kinn zittert leicht, „Wieso fragst du so was?“ Ihre Tränen verfangen sich in der Bewegung, lassen die Haut perlmutt schimmern. Ich stütz mich mit den Händen ab und richte mich schnell auf, will sie in den Arm nehmen. Ein orangener Vorhang zieht mir vom Nacken über den Hinterkopf und fällt laut ins Gesicht.
Ich öffne die Augen. Ihr Kinn drückt auf meine Brust. Ich finde ihren Blick, zwischen uns fließt Milch, ihre geweiteten Pupillen bleiben bei mir. Als sie spricht, streichelt ihr Atem meine Wangen. „Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.“ Milch dringt mir in die Nase, meine Brust hebt sich, ihr Kinn hebt sich, sie wendet das Gesicht ab, rückt von mir weg, wird verschluckt.
Ich öffne die Augen. Sie streckt mir ihr Kinn entgegen, hat die Stirn in Falten gelegt, die will ich glätten, ihre Hand umgreift meine und zieht sie nach unten. „Ich komm auch allein klar.“
Mein Kopf pocht heftig, ich steh auf, gehe zum Tisch, greife den Becher, dabei fällt die Flasche um, rollt langsam die Schräge hinunter, ich wende mich ab, kippe den Inhalt ins Gras. Hinter mir zerbricht die Flasche auf Steinen. Regen tropft von meinen Strähnen, von meiner Nasenspitze, von meinen Ellbogen. Ich bleibe stehen, in der Rechten den Becher, in ihm sammelt sich schon Wasser an und lässt den Satz schwimmen. Ich hebe ihn an die Lippen, trinke und spucke wieder aus.
Die Erde seufzt als sie mit nackten Füßen durchs Gras auf mich zuläuft. Sie nimmt mir den Becher aus der Hand. „Ich hätts später aufgeräumt. Hättest es nicht wegschmeißen müssen.“ Mit dem Fuß schabt sie die Glasscherben in die Steinrillen unter den Tisch. Dann geht sie. Die Grashalme zittern. Als ich mich umdrehe, ist der Sonnenschirm zugeklappt.
Ich spanne den Sonnenschirm auf, meinen Anorak lege ich auf die feuchte Erde. Aus einer Tasche hole ich Streichhölzer, die Packung ist an den Ecken aufgeweicht.
Ich habe sie nicht kommen gehört, sie steckt mir eine in den Mund und hält sich ihre ins Feuer. „Woher sind die?“ Sie lehnt sich an mich, ihre Wange an meiner Schulter, an meinen tauben Armen ein Biss auf die Zähne. „Du sagst doch zu niemandem was?“ Ich schmeiße die Packung ins Gras, von dort blickt sie uns grau an und flüstert dem Regen zu.
Die Nägel sind von der Kälte blau lackiert. Halten wir den Atem an, zittern sie. Wir schauen uns zu, ein silbernes Lachen schwebt über uns, zieht Schlieren im Rauch und entflieht.
Ich schließe die Augen. „Kommst du von ihm?“
Sie schließt die Haustür ab, winkt den Nachbarn zu, holt das Fahrrad. Sie fährt über den Deich, die Pfützen lecken ihre Waden, ihre Locken kleben am Gesicht.
Sie steigt über den Zaun, läuft los ohne sich umzuschauen, hat ein Päckchen eingesteckt, ihr Sweatshirt bei ihm vergessen, ihre Locken kleben am Gesicht.
Ich öffne die Augen. Sie sitzt im Schneidersitz vor mir. Eine Strähne hat sich zum Mund verirrt, „Ich werde deine Hilfe brauchen.“ Mit dem Zeigefinger hebt sie mein Kinn hoch, der Daumen verdrängt die Luft an meinen Lippen, streicht zur Mitte hin, bettet mich in Stille. Ihre Augen sind klein vom Flüstern hinter ihr. Es nähert sich, spricht an den Ohrläppchen, umschließt die Muschel.
Ich öffne die Augen. Sie ist aufgestanden, streckt ihre Arme zum Himmel hin, legt ihren Kopf in den Nacken, die Locken streicheln ihren Rücken. Als wünschte sie, die Wolken zu halten. An ihren Armen verlaufen Wasserstraßen, lassen ihre Haut glänzen. Sie schaut zu mir und schließt die Augen.
Ich öffne die Augen. Sie streicht sich ihr Haar nach hinten, sucht in meinem Gesicht, „Was ist nur mit dir?“ Ich zieh sie auf den Anorak, nimm ihre Hände zwischen meine und reibe sie, bis das Blut in den Fingerspitzen pocht. „Ich bring dich Heim. Lass uns den Sonnenschirm mitnehmen.“
Von ihrem Bett ist es ein Blick bis zur Heide. In der Nähe wachsen Pappeln, immer sanfter tropft es von ihren Ästen. Das Fenster kühlt mein Gesicht, malt es als Negativ nach. Ich kippe leicht zur Seite, als sie sich neben mich setzt, zwei Tassen in der Hand. Dampf beschlägt die Scheibe, lässt meinen Abdruck klar hervortreten, uns entgegenschauen.
Ich wende mich von meinen milchigen Augenhöhlen ab. Auf ihrem Nachtisch liegt ein Foto. „Wann war das?“
Sie sitzt auf einer Schaukel, die nackten Füße im Gras, es muss letztes Jahr gewesen sein, die Sonne scheint. Sie ruft ihrer Mutter etwas zu, aber die drückt schon ab.
Sie sitzt auf einer Schaukel, die Wildrosen treiben Knospen, sie hält eine in der Hand, erzählt von ihrer Mutter, schaut hoch zu ihm, in seine Kamera. Nachher schenkt sie ihm die Rose. Die anderen werden erfrieren, diesen Sommer soll es kalt werden.
„Im Frühjahr. Was ist, trinkst du nicht mehr?“ Meine Zunge prickelt, wird pelzig. Die Nase hoch kriecht ein Geschmack, als Nebel zieht er über meine Augen. „Was ist da drin?“
Ich schaue sie an. Sie lächelt geheimnisvoll, fährt über meine Augenhöhlen, dass die durchsichtig werden. Durch meine verschwundenen Gesichtszüge schaue ich in den Hof hinunter, eine Schaukel ist an einen Ast gebunden, hat Regen in ihrer Mulde gesammelt.
Ich schaue sie an. Ihre Augenbrauen sind hochgezogen. „Ist es nicht gut geworden?“ Mein Gaumen schmilzt und schleicht als Lava die Speiseröhre hinunter. Ich presse mich gegen das Fenster, draußen winken mir die Grashalme zu.
Ich schaue sie an. Vorsichtig kostet sie, „Mir schmeckts.“ Ich kriege wohl Fieber, die Stirn auf der Scheibe glüht mir entgegen, sachte lass ich mich in die Kissen zurücksinken. Sie blickt hinunter in den Garten, „Die Rosen sind erfroren.“
Ihre kalten Dornen wachsen hoch bis sie mich erreichen. Ich schließe die Augen, sie stechen in meine Lider, dass ich erblinde. Zwischen den Polstern verkrieche ich mich vor ihnen.
Als ich aufwache, ist sie nicht im Zimmer. Das trübe Licht taucht alles in Halbschatten. Draußen lassen sich die Wolken bis zu den Baumkronen nieder. Ich beginne umher zu gehen, traue mich nicht, eine Schublade oder Schranktür zu öffnen. Auf einem Bücherstapel liegt ein Foto. Sie steht mit nackten Füßen im Gras, lehnt an einer Pappel und lächelt, die Augen niedergeschlagen im Schatten getuschter Wimpern. Neben ihr stehe ich, mein Kinn auf ihrem Lockenkopf.
„Ich brauch deine Hilfe.“ Sie schließt nicht die Tür hinter sich, die Hand ruht auf der Klinke. Ich blinzle überrascht. „Wo warst du?“
Sie nimmt beide Tassen und geht in den Hof hinaus, die Reste ins Gras zu schütten. Als sie nach den Wildrosen schaut, hört sie die Nachbarn sagen, dass das Wetter sich nicht bessern wird. Sie raten ihr, den Strauch zu stutzen.
Sie schließt die Haustür ab, winkt den Nachbarn zu und läuft zu ihm nach Haus. Es ist nicht weit, sie will ihr Sweatshirt holen. Vor seiner Haustür stehen zwei. Im Schatten der Bäume bleibt sie stehen und hört zu, was die zwei sagen. Ohne sich noch einmal umzudrehen, rennt sie zurück.
„Wir müssen gehen.“ Ihr Gesicht so bleich wie der Himmel, ihre Lippen ein schmaler roter Strich.
Die Erde schlägt Wellen, wir tauchen mit den Füßen ein und färben unseren Weg. Wir gehen zu ihm, es ist nicht weit, eine Allee führt hin, links und rechts streben Pappeln ins Grau hinein. Der Wind lässt sie rauschen und jagt uns mit Regen, dass wir wie Kinder stolpern. Ich denke daran, dass sich alles verändert und man im Sommer ertrinken kann.
Vor der Haustür steht keiner. Sie steigt über den Zaun und geht ans Ende des Grundstücks. Vor einer alten Garage bleibt sie stehen. Eine Regentonne ist aufgebaut, aus dem Wasser blickt von der Schwerkraft bezwungen ein Spiegelbild hervor. Es klackt und das Tor fährt hoch. Ein roter Ford blinzelt uns müde entgegen, die Haube fehlt, die Frontscheibe ist eingeschlagen. „Was suchen wir hier?“ Wir gehen um das Auto herum, es ist umringt von offenen Koffern, Müllsäcken und staubigen Kisten. „Das Päckchen. Es muss hier sein. Ich hatte es hier rein geschmissen. Ich weiß nicht mehr wo. Verdammt, ich weiß nicht mehr wo.“ Sie fährt sich panisch durchs Haar und kniet sich vor einen Koffer hin. Ich ziehe einen ins Licht und taste zwischen alten Platten nach etwas Kompakten. „Was ist mit dem Päckchen?“ Sie stockt, bis zu den Armen steckt sie in Krempel, ihr Atem geht schwer. „Ich weiß jetzt, wem es gehört hat. Er wills zurück.“ Sie klappt den Deckel zu und beugt sich über den nächsten. „Hab gesagt, wir haben nicht genau gewusst, was es war.“ Gegen meine Lunge presst was, schwer pumpt mein Herz, fühle es rückwärts in die Magengrube gleiten. „Du meinst dich und ihn, ja? Die Scheiße läuft erst seitdem ihr euch kennt.“
Sie schaut mich an, das Kinn zittert leicht, die Haut schimmert perlmutt, „Sag das nicht.“ Sie schließt auch diesen Koffer, zieht eine Kiste voll alter Kleider heran, ich helfe ihr.
Sie schaut mich an, ihre Stirn schlägt Falten, „Wir stehen das schon durch.“, und wühlt weiter, Wesen greifen sie an den Ellbogen, ziehen sie tiefer in den Inhalt. Ich schieb eine Kiste voller Kleider ins Licht, ein Anorak liegt auf ihr, verschlissen und fleckig. Unter ihm, zusammengeknüllt, eine Tüte aus braunem Papier.
Sie schaut mich an, steht auf, streicht über mein Kinn, „Du hast mir doch jedes Mal geholfen.“ Ihre Locken duften nach Regentagen. Sie wendet sich einer Kiste voll alter Kleider zu, macht sich Platz, indem sie mit den Füßen die Koffer unters Auto schiebt. Dann lacht sie auf, greift durch die Frontscheibe unter den Fahrersitz, „Hier hast du den Sonnenschirm gelassen.“