Nächtliches Erschaue(r)n
Verfasst: 10.08.2007, 14:20
Nächtliches Erschaue(r)n
Eigentlich hatte ich geglaubt, schon alle Schrecken der deutschen Fernsehlandschaft aus eigener Anschauung oder zumindest durch die Lektüre meiner Programmzeitschrift zu kennen. Doch eine schlaflose Nacht belehrte mich eines Besseren.
Beim ruhelosen Herumzappen lande ich auf einem Sendeplatz, der tagsüber mit rein Irdischem wie dem Verkauf von „Zauberhöschen“, Heckenscheren sowie künstlerisch wertvoll gestalteten und obendrein noch geschmackvoll gerahmten Sonnenuntergängen auf Leinwand in Öl belegt ist. Ab 23 Uhr jedoch vollzieht sich dann geradezu Mystisches: es wird "gechannelt",** und zwar live. Sollten Sie so wie ich bis zu jener Nacht mit diesem Begriff nichts anfangen können, gestatten Sie, dass ich Sie erleuchte.* Ganz normal aussehende Menschen, so genannte „Medien“, denen man im Supermarkt oder an der Bushaltestelle begegnet sein könnte, stellen einen Kanal (channel) zur „geistigen Welt“ her und übermitteln Botschaften ihrer Bewohner an Anrufer, denen die Hoffnung auf einen Ausweg aus unterschiedlichen Lebenskrisen (meist die Partnerschaft betreffend) 0,50 € pro Anruf wert ist. Doch geht es schon bei der Einwahl überirdisch zu. Einer Anruferin, erkennbar überrascht, dass sie ins Studio durchgestellt wurde, rutscht heraus: „Das ist ja schön, dass ich endlich mal durchgekommen bin. Ich hab’s bestimmt schon 100.000 mal versucht.“ Nach leichter Verunsicherung erklärt das Medium ihr mit bedeutungsschwangerer Stimme: „Tja, das SOLLTE eben so sein.“ Meint sie jetzt den erfolgreichen Anruf oder den finanziellen Gewinn des Senders durch die Kosten der vergeblichen Versuche?
Meist sind zwei Personen zu sehen, an einem Tisch sitzend, der mit den unterschiedlichsten Dekorationsgegenständen geschmückt ist: Eine blaue Glaskugel, eine brennende Kerze**, Teelichter oder kleine Figürchen. Neben dem medial begabten Wesen ist die Moderatorin mit wallendem Haar und stechendem Blick platziert. Die Carolin Reiber der Esoterik wird nicht müde, den Zuschauern zwischen den Anrufen gebetsmühlenartig zu versichern, das, was man soeben gehört hat, sei „unglaublich“, „sensationell“, „Wahnsinn“ und mache sie „sprachlos“. Das letzte Versprechen wird aber dann schon in der nächsten Sekunde gebrochen, indem sie dreimal hintereinander die eingeblendete Telefonnummer nennt, verbunden mit der dringenden Bitte, doch unverzüglich anzurufen, um seine „ganz persönliche Botschaft aus der geistigen Welt zu erfahren“.
Das Serviceangebot ist breit gefächert. Am unteren Ende der Skala scheint Kartenlesen mit oder ohne Pendeln zu rangieren, nachgerade banal im Vergleich zu dem, was noch folgt.
Wer es nämlich exotischer mag, wird beispielsweise von einem jungen Farbigen namens „Papa Wango“ in afrikanisch anmutendem Gewand bedient, der zur Beantwortung der ihm gestellten Fragen mit der Hand durch einen Bastkorb, gefüllt mit Muscheln, rührt und für ausgewählte Ratsuchende auch schon mal afrikanische Gesänge anstimmt, welche die Götter gnädig stimmen sollen. (Diese lassen beispielsweise einer Anruferin, die nach Auswegen aus ihrer finanziellen Notlage fragt, durch Papa Wango ausrichten, sie solle ab jetzt vier Wochen
Lotto spielen.)
Für Liebhaber von Spionagethrillern hält der Sender Frau C., „Geheimdiensthellseherin“ bereit, die „im Dienst des Schweizer Geheimdienstes an einem so brisanten Fall arbeitet“, dass man sie jetzt nicht mit der Kamera zeigen dürfe. Deshalb sitzt sie hinter einer Schattenwand, so dass nur die Umrisse ihres Gesichts zu sehen sind. Sie sei mit der Limousine auf direktem Wege ins Studio gefahren worden, und nicht einmal er, der Moderator (könnte ein Zwillingsbruder von Papa Wango sein), sei ihrer ansichtig geworden. Das Studio sei seit ihrer Ankunft „hermetisch abgeriegelt“.
Der unangefochtene Star unter den Medien aber scheint S. zu sein, eine Frau, die über die bemerkenswerte Gabe verfügt, binnen Sekunden vor laufender Kamera Kontakt zu Verstorbenen herzustellen. Deren Nachricht an die trauernden Hinterbliebenen ist stets die gleiche: Man sei „bei ihnen, sie seien „geliebt und geführt“. In einem Fall sieht S. sogar, dass der teure Verblichene aus dem Jenseits seiner Frau am anderen Ende der Telefonleitung im Diesseits einen Strauß roter Rosen überreicht, die sie doch immer so geliebt habe.
Die vorletzte Steigerungsstufe ist erreicht, als S. eine ganze Nacht lang ausschließlich mit der Hl. Jungfrau von Orleans channelt und deren Mitteilungen zu allen Lebensfragen weitergibt. Der Zwillingsbruder von Papa Wango wird nicht müde zu betonen, Jean d’Arc sei besonders für Partnerschaftsprobleme zuständig, da sie ja bekanntlich einen Krieg angeführt habe. Eine Zuschauerin, die sich mit der heiligen Johanna nicht zufrieden gibt und, wie dreist, auch noch nach einer Botschaft der Mutter Maria fragt, wird – welch Zufall!- auf den kommenden Samstag verwiesen.
In dieser Nacht läuft S. zur Höchstform auf und steht in direkter Verbindung mit der Mutter Gottes, was zur Folge hat, dass mehrfach die Nachrichtenübermittlung unterbrochen werden muss, weil S., von Gefühlen überfraut, Tränen lässt, die ihr Makeup ruinieren, so dass sie nachgepudert werden muss. Zur angemessen stimmungsvollen Untermalung laufen ohne Pause dezent, aber unüberhörbar, vokale und instrumentale Versionen des „Ave Maria“, auf dem Tisch steht eine Statuette derselben, erleuchtet von einer Kerze. Gäbe es Geruchsfernsehen, hätte ich sicherlich Rosenduft mit einer leichten Weihrauchnote verspürt. Ich bin geneigt anzurufen, mich als Josef zu melden und darum zu ersuchen, meine Frau endlich in Ruhe zu lassen! Doch eine Blasphemie reicht für diese Nacht.
Abgesehen von der zugegeben nicht gerade überraschenden Einsicht, wie einfach es ist, aus der Leichtgläubigkeit und Not von Menschen Kapital zu schlagen, verhilft mir die zunehmend um Fassung ringende Moderatorin unfreiwillig zu einer immerhin neuen Erkenntnis. Ihren Worten zufolge arbeitet die medial gesegnete S. nicht nur für die Polizei, nein, sondern auch für hohe Wirtschaftsbosse und hochrangige Politiker, deren Namen man selbstverständlich nicht bekannt geben dürfe.
Muss man sich da noch wundern über die Lage in diesem unserem Lande?
*Geändert auf Anregung von Mucki
** Danke, liLi
Eigentlich hatte ich geglaubt, schon alle Schrecken der deutschen Fernsehlandschaft aus eigener Anschauung oder zumindest durch die Lektüre meiner Programmzeitschrift zu kennen. Doch eine schlaflose Nacht belehrte mich eines Besseren.
Beim ruhelosen Herumzappen lande ich auf einem Sendeplatz, der tagsüber mit rein Irdischem wie dem Verkauf von „Zauberhöschen“, Heckenscheren sowie künstlerisch wertvoll gestalteten und obendrein noch geschmackvoll gerahmten Sonnenuntergängen auf Leinwand in Öl belegt ist. Ab 23 Uhr jedoch vollzieht sich dann geradezu Mystisches: es wird "gechannelt",** und zwar live. Sollten Sie so wie ich bis zu jener Nacht mit diesem Begriff nichts anfangen können, gestatten Sie, dass ich Sie erleuchte.* Ganz normal aussehende Menschen, so genannte „Medien“, denen man im Supermarkt oder an der Bushaltestelle begegnet sein könnte, stellen einen Kanal (channel) zur „geistigen Welt“ her und übermitteln Botschaften ihrer Bewohner an Anrufer, denen die Hoffnung auf einen Ausweg aus unterschiedlichen Lebenskrisen (meist die Partnerschaft betreffend) 0,50 € pro Anruf wert ist. Doch geht es schon bei der Einwahl überirdisch zu. Einer Anruferin, erkennbar überrascht, dass sie ins Studio durchgestellt wurde, rutscht heraus: „Das ist ja schön, dass ich endlich mal durchgekommen bin. Ich hab’s bestimmt schon 100.000 mal versucht.“ Nach leichter Verunsicherung erklärt das Medium ihr mit bedeutungsschwangerer Stimme: „Tja, das SOLLTE eben so sein.“ Meint sie jetzt den erfolgreichen Anruf oder den finanziellen Gewinn des Senders durch die Kosten der vergeblichen Versuche?
Meist sind zwei Personen zu sehen, an einem Tisch sitzend, der mit den unterschiedlichsten Dekorationsgegenständen geschmückt ist: Eine blaue Glaskugel, eine brennende Kerze**, Teelichter oder kleine Figürchen. Neben dem medial begabten Wesen ist die Moderatorin mit wallendem Haar und stechendem Blick platziert. Die Carolin Reiber der Esoterik wird nicht müde, den Zuschauern zwischen den Anrufen gebetsmühlenartig zu versichern, das, was man soeben gehört hat, sei „unglaublich“, „sensationell“, „Wahnsinn“ und mache sie „sprachlos“. Das letzte Versprechen wird aber dann schon in der nächsten Sekunde gebrochen, indem sie dreimal hintereinander die eingeblendete Telefonnummer nennt, verbunden mit der dringenden Bitte, doch unverzüglich anzurufen, um seine „ganz persönliche Botschaft aus der geistigen Welt zu erfahren“.
Das Serviceangebot ist breit gefächert. Am unteren Ende der Skala scheint Kartenlesen mit oder ohne Pendeln zu rangieren, nachgerade banal im Vergleich zu dem, was noch folgt.
Wer es nämlich exotischer mag, wird beispielsweise von einem jungen Farbigen namens „Papa Wango“ in afrikanisch anmutendem Gewand bedient, der zur Beantwortung der ihm gestellten Fragen mit der Hand durch einen Bastkorb, gefüllt mit Muscheln, rührt und für ausgewählte Ratsuchende auch schon mal afrikanische Gesänge anstimmt, welche die Götter gnädig stimmen sollen. (Diese lassen beispielsweise einer Anruferin, die nach Auswegen aus ihrer finanziellen Notlage fragt, durch Papa Wango ausrichten, sie solle ab jetzt vier Wochen
Lotto spielen.)
Für Liebhaber von Spionagethrillern hält der Sender Frau C., „Geheimdiensthellseherin“ bereit, die „im Dienst des Schweizer Geheimdienstes an einem so brisanten Fall arbeitet“, dass man sie jetzt nicht mit der Kamera zeigen dürfe. Deshalb sitzt sie hinter einer Schattenwand, so dass nur die Umrisse ihres Gesichts zu sehen sind. Sie sei mit der Limousine auf direktem Wege ins Studio gefahren worden, und nicht einmal er, der Moderator (könnte ein Zwillingsbruder von Papa Wango sein), sei ihrer ansichtig geworden. Das Studio sei seit ihrer Ankunft „hermetisch abgeriegelt“.
Der unangefochtene Star unter den Medien aber scheint S. zu sein, eine Frau, die über die bemerkenswerte Gabe verfügt, binnen Sekunden vor laufender Kamera Kontakt zu Verstorbenen herzustellen. Deren Nachricht an die trauernden Hinterbliebenen ist stets die gleiche: Man sei „bei ihnen, sie seien „geliebt und geführt“. In einem Fall sieht S. sogar, dass der teure Verblichene aus dem Jenseits seiner Frau am anderen Ende der Telefonleitung im Diesseits einen Strauß roter Rosen überreicht, die sie doch immer so geliebt habe.
Die vorletzte Steigerungsstufe ist erreicht, als S. eine ganze Nacht lang ausschließlich mit der Hl. Jungfrau von Orleans channelt und deren Mitteilungen zu allen Lebensfragen weitergibt. Der Zwillingsbruder von Papa Wango wird nicht müde zu betonen, Jean d’Arc sei besonders für Partnerschaftsprobleme zuständig, da sie ja bekanntlich einen Krieg angeführt habe. Eine Zuschauerin, die sich mit der heiligen Johanna nicht zufrieden gibt und, wie dreist, auch noch nach einer Botschaft der Mutter Maria fragt, wird – welch Zufall!- auf den kommenden Samstag verwiesen.
In dieser Nacht läuft S. zur Höchstform auf und steht in direkter Verbindung mit der Mutter Gottes, was zur Folge hat, dass mehrfach die Nachrichtenübermittlung unterbrochen werden muss, weil S., von Gefühlen überfraut, Tränen lässt, die ihr Makeup ruinieren, so dass sie nachgepudert werden muss. Zur angemessen stimmungsvollen Untermalung laufen ohne Pause dezent, aber unüberhörbar, vokale und instrumentale Versionen des „Ave Maria“, auf dem Tisch steht eine Statuette derselben, erleuchtet von einer Kerze. Gäbe es Geruchsfernsehen, hätte ich sicherlich Rosenduft mit einer leichten Weihrauchnote verspürt. Ich bin geneigt anzurufen, mich als Josef zu melden und darum zu ersuchen, meine Frau endlich in Ruhe zu lassen! Doch eine Blasphemie reicht für diese Nacht.
Abgesehen von der zugegeben nicht gerade überraschenden Einsicht, wie einfach es ist, aus der Leichtgläubigkeit und Not von Menschen Kapital zu schlagen, verhilft mir die zunehmend um Fassung ringende Moderatorin unfreiwillig zu einer immerhin neuen Erkenntnis. Ihren Worten zufolge arbeitet die medial gesegnete S. nicht nur für die Polizei, nein, sondern auch für hohe Wirtschaftsbosse und hochrangige Politiker, deren Namen man selbstverständlich nicht bekannt geben dürfe.
Muss man sich da noch wundern über die Lage in diesem unserem Lande?
*Geändert auf Anregung von Mucki
** Danke, liLi