Klienburg´s burning (1. Kapitel)

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Jürgen

Beitragvon Jürgen » 03.08.2007, 21:01

(Erstes Kapitel eines Romanprojektes)

Klienburg

Kreisstadt

Vorsicht
Dreckskaff


So präsentierte sich dem Betrachter seit gestern Nacht das Ortsschild von Klienburg, einer kleinen Stadt irgendwo in Deutschland. Die beiden letzten Worte waren unverkennbar mit schwarzem Autolack gesprayt worden. Der Übeltäter, der Klienburg so ungnädig geschmäht hatte, saß derweil in einem Klassenzimmer des städtischen Eichendorffgymnasiums und hatte seine liebe Mühe, die Augen offen zu halten.
„Hey Niklas, " flüsterte eine Stimme rechts von Nik, „Weitergeben."
Der Angesprochene sah auf. Ria lächelte ihn an und hielt ihm ein von der Hand verdecktes gefaltetes Papier entgegen. Nik seufzte. War das Verschicken kleiner Briefe während des Unterrichtes nicht etwas, worüber man allerspätestens ab der achten Klasse hinweg sein sollte? In der Oberstufe jedenfalls empfand er es absolut unpassend. Widerwillig kam er der Aufforderung nach, warf einen kurzen Blick auf den Adressaten und ließ den Zettel dann in die gewünschte Richtung weiterwandern. Dann lehnte er sich zurück und rieb sich die geröteten Augen. Sein Kopf fühlte sich schwer an als würde er statt seinem Gehirn einen massiven Ziegelstein beinhalten, der mit seinem Gewicht gegen die Schädeldecke drückte. Natürlich war seine Müdigkeit eine Folge des nächtlichen Ausflugs zwecks illegaler Stadtverschönerung. Die Ausführungen von Frau Große Rhöde über das Manufacturing Belt in den USA unterstützten seine Bemühungen, wach zu bleiben, herzlich wenig. Vielmehr fühlte sich Nik durch den Unterricht animiert, sich in das angenehmere Reich des Tagtraums zu verflüchtigen. Er wählte stets die hinterste Bank, um nicht wie auf dem Präsentierteller vor des Lehrers Auge zu sitzen. Ganz besonders galt das für den Unterricht von Große Öde. Diese Frau war in seinen Augen ein eindeutiger Fall von Berufsverfehlung. Sie hätte so viele passende Tätigkeiten ergreifen können; Finanzberaterin, Bankkauffrau oder Expertin im Lügen und Betrügen, musste es ausgerechnet Lehrerin sein. Ihre sachlich nüchterne, erbarmungslos langweilige Art kombiniert mit ihrem arg seriösen Kleidungsstil, sie hatte eine Vorliebe für Damenanzüge, war ihm zutiefst zuwider.
Eigentlich mochte Niklas seinen Spitznamen Nik nicht. In seinen Ohren klang er zu phantasielos, zu sehr an seinem richtigen Namen orientiert, doch er hatte wenig dagegen unternehmen können. Irgendwann hatte jemand angefangen, ihn Nick zu nennen, und dann hatte sich der Name mit einer derart bahnbrechenden Geschwindigkeit eingebürgert, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich damit abzufinden. Das Einzige was Nik machen konnte, damit es nicht zu sehr nach einer zweitklassigen amerikanischen Krimiserie klang, war, das C in Nick wegzulassen. Wann immer sein Spitzname geschrieben wurde, pochte er auf diese Schreibweise. Alle weiteren Versuche, einen anderen Namen durchzusetzen, scheiterten an der Ignoranz seiner Umgebung. Vor Jahren hatte er das Problem seiner Mutter geklagt. Sie hatte vorgeschlagen, er sollte sich doch Nickel nennen lassen. Er hatte sie nie wieder nach weiteren Vorschlägen bezüglich Spitznamenfindung gefragt.

Vor seinem geistigen Auge sah Nik die von ihm gestaltete Neufassung des gelben Ortsschildes und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Klienburg war ein Dreckskaff. Sein Banknachbar Björn würde es höchstwahrscheinlich anders bezeichnen. Mit der perfekt einstudierten Miene eines politisch engagierten jungen Menschen würde er erklären, dass Klienburg eine Stadt sei, die ein Problem mit rechtsradikalen Jugendlichen hatte. Und damit lag er nicht falsch. Der einzige Jugendtreff vor Ort war von den Faschos dominiert, die ihre Ablehnung anderer Meinungen auch schon mal gerne mit Gewalt zum Ausdruck brachten. Nik, Björn und ihre Freunde waren die Träger dieser anderen Meinung, die nichts davon hielten, sich dem Diktat der Faschos zu beugen. Für sie waren die Straßen wenig sicher. Und Björn würde anführen, dass die Existenz rechtsradikaler Schlägerbanden Klienburg zu einer Stadt mit unerträglich einseitiger Kultur mache. Nik wusste es besser. Klienburg war keine Stadt mit unerträglich einseitiger Kultur, Klienburg war ein Dreckskaff.
Auch David, zwei Bänke vor ihnen zu finden, würde es anders nennen. Er würde erklären, dass in Klienburg nichts los sei. Es gab nichts wo man als Jugendlicher hingehen konnte, es sei denn man störte sich nicht daran, tumbe Stunden mit grobschlächtigen Stiernackenträgern zu verbringen. Für Davids Vorliebe für HipHop gab es hier keinen Platz, genau so wenig wie für Niks Begeisterung für Punkrock. Zwar durften die Faschos in ihrem Jugendzentrum nicht den von ihnen so geschätzten Rechtsrock hören, in denen Nationalstolz im wahrsten Sinne über alles gesungen wurde, dafür sorgte der Sozialpädagoge, aber außer Musik, die in den Top Ten stand, ließen sie keine anderen Stilrichtungen zu. David würde Klienburg daher als öde bezeichnen. Nik wusste es besser. Klienburg war nicht öde, Klienburg war ein Dreckskaff.
Ria, die passionierte Verfasserin kleiner Briefe am Tisch rechts neben ihm, wäre wahrscheinlich bei der Vorstellung, Klienburg ein Dreckskaff zu nennen vor Schreck die Luft weggeblieben. Für sie, die begeistert durch die rosaroten Brillen dieser Welt linste, war doch alles wunderschön. Das Osterfeuer im April, die Abiparty des Eichendorffgymnasiums im Juni, Kirmes im August, das alles fand sie schlicht und ergreifend super. Ihre Ansprüche waren halt eher ebenerdig geschraubt. Man muss sich halt mit dem Gebotenen arrangieren. Sich arrangieren beherrschte sie vorzüglich, wie Nik fand, vor allem in der Schule. Es stellte sich ihm die Frage, wie sich das Lehrpersonal bei ihrer Schleimerei fühlte, das sich ständig mit dem Problem konfrontiert sah, Rias Kopf aus dem Pädagogenhinterteil rauszuhalten. Außerdem schien sie ein Fan der Sesamstraße zu sein, zumindest beherzigte sie enthusiastisch die Liedzeile „Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt, bleibt dumm". Bei manchen Lehrern konnte man mit Schmeicheleien und ausufernden Fragen eine gute mündliche Note erheucheln, wenn man doch sonst nichts Konstruktives zum Unterricht beitrug, das wusste Ria und beherzigte diese Weisheit. Sie fand diese Stadt jedenfalls ganz toll und lebte gerne hier. Aber Nik wusste es besser. Klienburg war nicht ganz toll, nicht mal ein bisschen toll, Klienburg war ein Dreckskaff.
In der zweiten Reihe saß Markus Gröner. Der hätte Niks Einschätzung der Stadt genau so wenig geteilt. Er fand es garantiert wunderbar in Klienburg. Gröner hing nicht nur mit den Faschos ab, sondern war auch Mitglied der freien Kameradschaft Klienburg, die Nik und seinen Freunden das Leben zur Hölle machte. Gröner entsprach nicht dem gängigen Erscheinungsbild seiner Gesinnungsgenossen. Nicht nur das er ziemlich hager war, Gröner hatte auch nie den bevorzugten Kleidungsstil der Faschos übernommen. Der übliche Dresscode bestand aus Bomberjacke, Spiegelglatze (Meister Propper würde vor Neid erblassen) und Turnschuhen (Stiefel waren in diesen Kreisen schon lange out und wurden eher von Nik und seinen Freunden getragen). Gröner bevorzugte einen adretten Stil bestehend aus Hemd und sportlichem Sakko. Er und Große Öde würden zumindest was die Klamotten betraf, ein Traumpaar abgeben.
Man stelle sich die beiden in einer Talkshow vor mit dem Thema „Wir sind so unterschiedlich - Passen wir eigentlich zueinander? Lehrerin und Schüler, Erwachsene und Jugendlicher, unterschiedliche politische Ansichten (was wir für Große Öde doch mal schwer hoffen wollen), das alles würde in den Hintergrund fallen, wenn man die zwei aus dem Ei gepellten Hübschen mit dem Erscheinungsbild eines schmierigen Versicherungsvertreters nebeneinander sah. Die Zuschauer würden sie einstimmig zum idealen Liebespaar küren. In der Schule achtete Gröner stets darauf, sich nichts von seiner rechtsradikalen Weltanschauung anmerken zu lassen. Er war darüber hinaus ein Sammler guter Noten. Das war Nik nicht, und weil diese Kleinstadt einem solchen Faschisten und glatt geleckten Schleimbeutel eine Heimat bot, wusste Nik es besser. Klienburg war ein Dreckskaff und was für ein schäbiges. Außer Langeweile und ständigem Ärger mit der Kameradschaft Klienburg hatte diese Stadt nichts zu bieten. Eines Tages würde Nik hier wegziehen, das wusste er genau. Das Bild hatte er sich dutzende Male vorgestellt, mit einer großen Reisetasche Klienburg mitsamt seinen miefigen, spießigen Bewohnern und der braunen Dorfjugend hinter sich lassen und diesem Nest keine Träne nachweinen. Vorher sollte er noch eine Bombe mit Zeitzünder im Eichendorffgymnasium deponieren, befand er. Am besten eine Atombombe, die dem ganzen Kaff ein für alle Mal das wohlverdiente Ende setzt. Die Personen, die Nik vor dem Inferno retten müsste, passen bequem in einen Fahrradanhänger. Und dann ein gewaltiger Knall gefolgt von einem gleißenden, blendenden Licht, das er aus sichere Entfernung betrachten würde. Hinter ihm geht eine rot glühende Sonne unter, während er das kalte Lächeln des Gerechten lächelt und mit seinen im Fahrradanhänger hockenden Freunden den Untergang eines Molochs verfolgt. Ein Rattenloch, das sich so viel auf seine verliehenen Stadtrechte aus dem Mittelalter und seinem Dom eingebildet hatte und doch nur stets ein Hort von Spießigkeit, Langeweile und Duckmäusertum war, würde in einen Ozean aus Flammen getaucht bis nur noch qualmende Asche übrig blieb, die langsam erkaltet.
Eine schneidende Stimme, die mit Nachdruck seinen Name rief, riss den Rächer des Freidenkertums und der Coolness aus seinen recht grausamen Fantasien. Die große Öde musterte ihn mit zusammen gekniffenen Augen an: „Können Sie vielleicht meine Frage wiederholen, Niklas?"
„Nee", antwortete Nik und stieß hörbar Luft aus der Nase.
„Und können Sie mir sagen, woran das liegt?"

Klar kann ich das. Ihr Unterricht basiert auf einem einfachen Rezept. Eine Person sabbelt permanent belangloses Zeug, der Rest der Anwesenden macht lange Gesichter und wartet auf den erlösenden Gong. Sehen Sie sich doch mal im Raum um, Frau Große Öde, pardon Große Rhöde. Sehen etwa so Jugendliche aus, den gerade etwas Interessantes ansprechend verpackt näher gebracht wurde? Wohl kaum. Gäbe es keine Noten, wäre die Aufmerksamkeit ihrer Schüler längst irgendwo im Nirwana verschollen. Machen sie sich nichts vor, für die jungen Menschen, die Ihre Erdkundestunden erleiden müssen, ist der Blick auf die Armbanduhr während ihres Geplappers zum ständigen Ritual geworden. Und mir geht es genauso. Da habe ich abgeschaltet und den Inhalt ihrer zweifellos hochbrisanten Frage einfach nicht mitbekommen. Das ist ja so furchtbar. Wie schaffen Sie es überhaupt Oberstufenschülern zu behandeln wie Erstklässler ganz ohne mit der Wimper zu zucken?

„Hab´ nicht zugehört", Nik versuchte so gleichgültig wie möglich zu klingen. Die anderen Schüler kicherten amüsiert
„Was des Öfteren der Fall ist. Ihre Noten belegen das deutlich", sie fixierte ihn durch ihre Brille. Wie sie ihn so anstarrte mit ihrer spitzen Nase und ihre eigentümlichen Prinz Eisenherz-Frisur erinnerte sie Nik an einen Vogel, den er vor Jahren mal im Urlaub gesehen hatte. Wie hieß das Vieh gleich noch mal, ach ja, Haubentaucher.
Frau Große Rhöde, der Haubentaucher, fehlt nur noch ein Fisch in ihrem Schnabel.
Unfreiwillig prustete Nik bei diesem Gedanken los. Große Öde hob eine Augenbraue und sah ihn anklagend an: „Ich finde das ganz und gar nicht lustig."
„Tschuldigung", stammelte Nik und hoffte inständig, die Lehrerin würde aufhören ihn anzustarren, damit er seinen Lachanfall in den Griff bekommen konnte. Er versuchte sich zusammenzureißen, konnte sich aber nicht beherrschen und prustete erneut los. Zu seiner Erleichterung drehte sich die Große Öde zur Tafel um, und erlöste ihn davon, ihrem unfreiwillig komischen Gesichtsausdruck weiter standhalten zu müssen. Von einem Haubentaucher angestarrt zu werden, das hält sogar der humorloseste Trauerkloß keine Minute aus.
„Bleiben Sie nach der Stunde noch hier, Niklas, ich möchte mit Ihnen sprechen", setzte Große Öde noch hinterher ohne ihn anzusehen.

Ach du Scheiße. Das hätte nicht kommen dürfen. Nach der sechsten Stunde, die eigentlich heute die Letzte ist, noch mit Ihnen rumdiskutieren. Danke, ich habe schon gegessen und das kommt mir gleich hoch.

Missgelaunt zwirbelte Nik seine Haare. Das tat er nicht nur, wenn er sich über etwas ärgerte, sondern praktisch rundum die Uhr. Es half seiner Frisur, in Form zu bleiben und so fuhr er regelmäßig mit der Hand durch die Haare, damit diese stets ein zerzaustes Nest bildeten.

Der Gong erklang und keine Sekunde später war ein akustisches Durcheinander von aufstehenden Schülern, Stühlerücken und Stimmen zu hören. Nik fragte sich, ob die Große Öde ihre Drohung, nach Schulschluss mit ihm zu sprechen, wahr machen wollte. Er setzte eine möglichst genervte Miene auf. Eine Unterhaltung mit einem verärgerten Nik führen, die Vorstellung müsste sogar einen professionellen Quälgeist wie die Große Öde abschrecken. Den Gesichtsausdruck behielt er bei als er sich in ein Rudel zur Tür eilenden Schüler einreihte.

„Niklas, bleiben Sie dann bitte noch hier!"

Mist, da sieht man aus als hätte man Seifenlauge gegurgelt und ein Reißnagelomelett zum Frühstück verputzt, und diese Frau hat immer noch das Bedürfnis, einem ihre Sicht der Dinge mitzuteilen. Also, was wird kommen? Immer noch beleidigt, weil ich Ihr dämliches Gesicht ausgelacht habe. Sie sehen nun einmal unglaublich albern aus, wenn sie diesen anklagenden Blick auf ihre Visage zaubern. Da kann doch kein Mensch ernst bleiben. Unmöglich! Ausgeschlossen! Jenseits des Vorstellbaren! Sehen Sie, Frau Große Rhöde, ich bin unschuldig. Ein Gespräch mit ihnen, selbst der kürzeste Wortwechsel, wäre eine Bestrafung, die mit einem fatalen Justizirrtum gleichzusetzen wäre. Das wollen Sie als aufrechte Demokratin doch nicht, oder? Also tun sie das einzig Vernünftige und lassen mich hier raus gehen.

„Nehmen Sie bitte Platz."

Nik ließ auf einen Stuhl plumpsen und gab sich keinerlei Mühe, unterwürfig oder gar reumütig auszusehen. Er hatte sich ja auch nichts vorzuwerfen, oder? Die Große Öde faltete die Hände und stützte die Ellenbogen auf dem Pult ab. Nik fühlte sich an eine Gottesanbeterin erinnert.

Bloß nicht an Viecher denken. Wenn ich wieder lachen muss, flippt die Alte aus.

„Sie sehen blass aus, Niklas, und haben gerötete Augen. Ist etwas nicht in Ordnung?"

Freilich ist hier etwas nicht in Ordnung. Es ist zirka ein Meter siebzig groß, sitzt vor mir und plant einen Dauerbeschuss auf mein zartes Gemüt mit Torpedos geladen mit nervenaufreibendem Geplapper.

„Hab gestern Nacht schlecht geschlafen", murmelte er teilnahmslos.
Ob man das als Lüge einstufen sollte, liegt daran wie man einen schlechten Schlaf definiert. Geht man davon aus, dass ein guter Schlaf erholsam, kraftspendend und gesund ist, dann kann man daraus schließen, dass ein schlechter Schlaf als anstrengend, zermürbend und ungesund zu bezeichnen ist. Das sind aber auch Attribute, die auf gar keinen Schlaf zutreffen, was Niks heutigen Zustand genauer beschreibt. Die Frage stellt sich daher, ob gar kein Schlaf nicht auch ein schlechter Schlaf ist und unser Held wahrheitsgetreu geantwortet hat. Es darf diskutiert werden.
Große Öde drehte den Kopf nachdenklich zur Seite: „Es fällt mir schon auf, dass sich Ihr Interesse an meinem Unterricht in Grenzen hält. Nehmen Sie eigentlich Drogen?" Sie beobachtete seine Reaktion aus den Augenwinkeln.
Die überraschende Frage hatte es in sich. Nik leckte sich die Lippen. Das war typisch für Große Öde, unverblümt und direkt in das Gesicht fragend, gleichgültig wie unangenehm dem Gegenüber das Gesagte war.
„Nein", gab er so unbeeindruckt wie möglich von sich.
Doch, ich habe schon ein paar Mal mitgekifft. Meine bevorzugte, immer wieder gern konsumierte Droge wird aber auch garantiert von Dir eingenommen. Ich rede von dem gesellschaftlich akzeptierten, schnell abhängig machenden Rauschmittel Alkohol. Ich trinke gerne Bier, genieße den Geschmack und noch mehr die Wirkung. Das werde ich Dir aber lieber nicht sagen, ungeschätzte Lehrperson. Du würdest nur ein überflüssiges Gespräch mit meinen Eltern in die Wege leiten wollen und mich als abhängig abstempeln. Wahrscheinlich würdest du mich mit so tief schürfende Pädagogenweisheiten belästigen wie zum Beispiel "Man kann auch ohne Alkohol Spaß haben" - "Man kann auch ohne Spaß Alkohol haben", lass Dir das dazu gesagt sein. Außerdem kann ich problemlos ohne. Das ist nicht nur einfach so daher gesagt, sondern stimmt wirklich. Ich bin weiß Gott nicht jeden Abend besoffen, auch wenn Du das sofort vermuten würdest. Aber hier und da mal eine ordentliche Trinkerei unter Freunden, da hat doch niemand was dagegen. Außer Dir und darum erzähle ich Dir auch nichts davon.

Große Ödes Blick hatte ihn nun wieder voll fixiert: „Ich bin enttäuscht von Ihnen, dass will ich Ihnen nicht verschweigen. Ich bin enttäuscht, nicht weil ihre Leistungen so schwach sind, sondern weil Ihre Leistungen so schwach sind, obwohl Sie zu viel mehr fähig wären. Wenn Sie etwas interessiert, ist Ihre Mitarbeit überdurchschnittlich, quantitativ wie qualitativ. Wenn aber das Thema Sie nicht anspricht, schließen Sie sich aus und beschäftigen sich mit etwas Anderem."
Nik zog es vor, dazu nichts zu sagen. Auch die innere Stimme in seinem Kopf hielt sich zurück und gab nur ein flapsiges „Stimmt, na und?" von sich.
„Und Sie sind sehr leicht beeinflussen. Das merkt man deutlich an Ihrem Verhalten."
Das war mal wieder Große Öde, wie sie leibt und lebt; diskret und zurückhaltend.
„Glauben Sie nicht, " fuhr sie fort: „dass ich Sie nicht verstehen konnte. In Ihrem Alter war ich Ihnen ähnlicher als Sie denken."
Du willst mir ähnlich gewesen sein. Soll das ein Witz sein?
Nik schätzte Große Ödes Alter ab. Wahrscheinlich war sie in den späten Sechzigern so alt wie er heute. Er wagte einen Vorstoß, vor allem um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
„Waren Sie damals bei der APO?" fragte er vorsichtig.
„Nein, nein“, sie schüttelte leicht den Kopf und lächelte das Lächeln einer unbeliebten Lehrerin: „das kannte ich nur aus dem Fernsehen. Als ich in Ihrem Alter war, war ich von den Beatles begeistert. Sie hatten unglaubliche, neue Ideen, die uns damals sehr viel gaben. Ich habe mir die Beatles angehört, obwohl meine Eltern mir englische Musik verboten hatten. Natürlich musste ich aufpassen, dass sie das nicht mitbekamen."

Nein, wirklich? Du hast die Beatles gehört, OBWOHL deine Eltern es verboten hatten! Du warst mir ja eine schöne Rotznase. Das ist ja ungeheuerlich. In Zeiten, in denen die Haare immer länger wurden, die Menschen das Demonstrieren entdeckten und der Sex erfunden wurde, hast Du heimlich die Beatles gehört. Und überhaupt, haben damals die Leute, die etwas auf sich hielten, nicht die Stones gehört? Und das nennst Du mir ähnlich sein. Wir sind uns in etwa so ähnlich wie Wasser und Feuer, wie Milch und Bier, wie "I want to hold your hand" und "Let´s spend the night together". Hast Du doch tatsächlich die Beatles gehört, OBWOHL es Deine Eltern verboten hatten. Was warst Du doch für ein verdorbenes Subjekt, du kompromisslose Rebellin, du Rosa Luxemburg des Generationskonfliktes.

„Ja, so war es damals", meinte Große Öde mehr zu sich selbst als zu Nik: „Sie sehen, ich weiß was Sie bewegt."
Nik hatte, mangels Erfahrung und besseren Wissens, wenig Verständnis für die Probleme der Jugendlichen in den Sechziger Jahren. Eines war ihm aber klar, Große Öde wusste absolut nicht, was ihn bewegte. Sein Gehirn machte sich selbstständig und verwandelte sich in einen CD-Player. Summend schob er eine CD ein, die ersten Takte waren zu hören. Toxoplasma, wie Nik sofort erkannte, obwohl er diese Scheibe der Deutschpunkband eigentlich schon lange nicht mehr hörte. Sein Kopf hatte die Musik passend zur Situation ausgewählt.
Hass auf den, der anders ist, “ sang die Stimme in Niks Kopf, „anders ist, als ihre Norm."
„Aber man muss auch sehen, was um einen herum passiert." belehrte ihn die Große Öde.
Alles grau strukturiert, amputiert, hirnkastriert."
„Man muss sich anpassen können, wenn es erforderlich ist."
Hass auf den, der Freiheit will und keinen Urlaub auf Mallorca."
„Das ist nun einmal so, auch wenn es einem nicht immer passt."
Hass auf den, der Regeln hasst und sich dagegen wehrt."
„Wie man es heute wieder sehen konnte, haben Sie Schwierigkeiten sich einzufügen. Stattdessen scheinen Sie sich unfair behandelt vorzukommen. Sie benehmen sich manchmal einfach unmöglich“,
Und da wir uns nicht fügen, sind wir der letzte Dreck."
„und vor allem sehr kindisch, wie ich finde."
Für Etablierte, Hirnkastrierte asozial."
„Sie wissen, wie schlecht es auf dem Arbeitsmarkt aussieht. Verbauen Sie sich nicht alles. Es gibt einfache Regeln, und die machen Sinn."
Ihre Welt aus Ordnung, die ist mir zu steril."
„Wenn man sich daran hält, kann man ein durchaus angenehmes Leben führen."
Und ihre Freiheit ist wie Stacheldraht."

(versehen mit Auszügen aus "Asozial" v. Toxoplasma)
Zuletzt geändert von Jürgen am 11.08.2007, 11:33, insgesamt 1-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 05.08.2007, 07:51

Hallo Gurke,

bei einem Auszug oder einem Kapitel aus einem Roman, das eingestellt wird, frage ich mich als Leser immer: Würde ich diesen Roman lesen wollen? Oder würde ich zumindest noch ein wenig weiterlesen, um zu sehen, in welche Richtung sich das Ganze bewegt?

Im Falle von Klienburg`s burning ist meine Antwort ein klares Nein!

Warum? Weil es mich überhaupt nicht intessiert, die Welt mit dem postpubertären Blick dieses Nik zu betrachten. Und das gleich in doppelter Dosis. So ist alles sowieso schon aus seinem engen Blickwinkel heraus erzählt. Aber dazu darf er dann nochmal in Gedanken zu Wort kommen, kursiv geschrieben mit beigelegter Gebrauchsanweisung eines zwischengeschaltenden Über-Erzählers. Was im ersten Moment als witzige Finte daher kommt, ist bei genauem Hinsehen, als tragendes Element für einen Roman(!) unbrauchbar weil sinnlos. Wenn solche Einschübe, dann müssen sie in der Erzählstimme ein Gegengewicht haben. Die aber fehlt. Da wird in dem gleichen locker-flappsigen Tonfall geredet, da werden Stereotypen als Kulissen hingestellt. Also warum dann noch dieser Innenblick, wenn man eh schon alles aus den Augen eines durchschnittlich frustrierenden, mit seiner Umwelt hadernden Heranwachsenden anschauen muss.

Meiner Meinung nach scheitert hier ein Romanprojekt schon auf den ersten Metern an seinem Konzept. Und an seinem Hauptdarsteller. Der müsste, um mein Interesse zu wecken, etwas mehr sein, als nur gelangweilt und frustriert. Wenigstens ein bisschen intelligent.

Liebe Grüße

Sam

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 05.08.2007, 09:55

Hallo Sam,

Danke für Dein Kommentar. Du hast mir sehr weitergeholfen mit der Aussage, dass Du den Roman nicht weiterlesen würdest.

Vielleicht hätte ich erwähnen sollen, dass ich als Leser eine jugendlichere Zielgruppe im Visier hatte. Vielleicht hast Du Recht, dass Nik zu unintelligent dargestellt ist. Da bin ich allerdings nicht so ganz sicher, da er sich im Laufe der Geschichte entwickeln soll.

Für mich erstmal eine definitive Aussage, dass ein Leser nicht weiterlesen würde.

Einen schönen Sonntag

Jürgen

Gast

Beitragvon Gast » 05.08.2007, 10:46

Hallo Jürgen,

ich habe mir schon so etwas in Richtung Jugendliteratur gedacht, dennoch finde ich den erklärenden Einschub fehl am Platz. Er hat mir die Lust verdorben weiterzulesen.
Nun traue ich mir nicht so ohne weiteres zu, Kritik an Texten zu üben, die für eine jugendliche Zielgruppe bestimmt sind.
Allerdings meine ich, dass du gleich zu Beginn keinen Handlungsstrang entwickelst, sondern durch Sprünge zwischen Nebensächlichkeiten mich ständig fragen lässt, was soll das, warum jetzt, warum hier.
Meiner Ansicht nach krankt der Aufbau der zu erzählenden Geschichte von Anbeginn.
Du entwickeltst keine der Personen anschaulich kontinuierlich sondern erzählst häppchenweise, ohne dass dies interessant in eine Handlung eingebunden wäre.
(Aber wie gesagt ich habe nach dem Fettgedruckten, (was ich für mich als "Unding" bezeichnet habe, weil ich denke, dass sich auch junge Leser darüber höchstens ein Lächeln abringen, nach dem Motto, für wie blöde hält der Autor mich eigentlich) aufgehört zu lesen.

Liebe Grüße
Gerda

Sam

Beitragvon Sam » 05.08.2007, 14:27

Hallo Jürgen,

ich möchte dir zunächst erstmal danken, dass du so besonnen auf meine doch recht direkt formulierte Kritik an deinem Text reagiert hast!

Dass du in erster Linie an junge Leser gedacht hast, verschiebt natürlich ein wenig die Perspektive auf den Text und es ist, wie Gerda bemerkte, dann auch schwierig als "Erwachsener" angemessen darauf zu reagieren. Die Leseerwartungen (z.B. an die Intelligenz des Hauptdastellers) liegen da bestimmt recht weit auseinander. Da mag ein junges Probelesepublikum dir vielleicht viel weiter helfen.

Überdenkenswert halte ich aber auf alle Fälle die Erzählperspektive. Wenn die Einschübe, über das was Nik denkt, dann müssten sie, meines Erachtens, einen Kontrast zur sonstigen Erzählweise bilden. Ich glaube, auch ein junger Leser wird dies (vielleicht unbewusst) erwarten.

Auch dir noch einen schönen Sonntag.

Liebe Grüße

Sam

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Beitragvon Pjotr » 05.08.2007, 15:54

Ich fand den fettgedruckten Einwurf lustig.

Mehr fällt mir derzeit leider nicht dazu ein.


Pjotr

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 06.08.2007, 09:37

Hallo Gerda, Sam & Pjotr,

Erstmal Danke Euch für die Auseinandersetzung mit diesem nicht gerade kurzen Text und Eure Kommentare.

@ Pjotr

Thanks a lot ;-)

@ Sam & Gerda
Das Spiel mit der Erzählperspektive überdenke ich unter Berücksichtigung eurer Gesichtspunkte. Das die Geschichte "häppchenweise" daherkommt, ist Absicht. Es passt meines Erachtens zur Fernseh- und Internetgesellschaft. Plumpe Klischees wollte ich allerdings nicht bieten. Ich überdenke daher auch die Protagonisten.

Bis demnächst

Jürgen

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 11.08.2007, 11:34

Hallo,

ich habe den Einwurf des Autors erstmal gestrichen. Vorher stand hinter "stets ein zerzaustes Vogelnest bildeten":

Kuckuck, ich bin´s, der Autor. Na, wie geht´s? Alles in Butter bei Dir? Freut mich zu sehen, lieber Leser bzw. liebe Leserin, dass Du gerade mein Machwerk zu deiner Lektüre erwählt hast. Ich reiße Dich natürlich nur ungern aus dem Lauf der Geschichte heraus, zumal Dich Niks Frisurpflege bestimmt brennend interessiert. Ich werde mich auch gleich wieder aus dem Geschehen zurückziehen, vorher möchte ich Dir allerdings etwas erklären. Sicher ist Dir aufgefallen, dass einige Sätze in schräger Schrift geschrieben sind. Ja, ich weiß, kursiv heißt das. Also, wenn immer Worte in kursiver Schrift gehalten sind, bedeutet das, das Niks innere Stimme spricht. Ihr kennt so etwas bestimmt. Eine Stimme im Kopf, die Kommentare abgibt, die Nik lieber unausgesprochen lassen möchte. Da wohnt ein ziemlich zynischer kleiner Kerl in seinem Kopf, was? Ihr habt das natürlich sofort kapiert. Es hätte ja auch gar nicht anders sein können. Der Leser ist immer rational beobachtender und vor allem unbefangener als der Autor, weiß ich doch. Er hat einfach den Bogen raus.
Dann harren wir also der Dinge, die Frau Große Rhöde dem bedauernswerten Helden unserer Geschichte gleich an den Kopf werfen wird. Ich mach mich dann mal vom Acker. Tschü-hüß!


Schönes Wochenende

Jürgen


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