Mal ein Märchen
Verfasst: 22.06.2007, 21:53
Hassan, Sala und das Tal der roten Steine
Hassan lebte in einem Dorf am Rande der Wüste. Seit vielen Jahren hatte es nicht geregnet. Das Vieh schrie nach Wasser, die Saat verdorrte und die Dorfbewohner schöpften aus ihren Brunnen fast nichts mehr.
Hassan erinnerte sich daran, daß es, als er noch sehr klein gewesen war, einen Regen gegeben hatte und an die Freude aller in seinem Dorf.
Er erinnerte sich auch daran, daß er eines Tages im Turm der Dorfältesten ein Gespräch gehört hatte über seinen Onkel Sala, der vor drei Jahren gestorben war. Sala hatte die Fähigkeit besessen, mit seinem Stock auf Steine zu schlagen, sodaß sprudelndes Quellwasser hervortrat.
Die Dorfältesten hatten gesagt, daß er der Wasserbringer des Dorfes gewesen sei und um ihn geweint. Sie hatte auch gesagt, daß sie keinen Nachfolger mehr sähen.
Und nun verfiel sein Dorf mehr und mehr durch die Trockenheit. Die Freude war verschwunden, niemand heiratete mehr und alle hatten Durst.
Hassan war traurig.
Heute jedoch hatte er von Onkel Sala geträumt, und er war aufgestanden mitten in der Nacht und nahm sich den Stock des ältesten Weisen des Dorfes, der an der Wand unter dessen Schlafzimmer lehnte und eilte in die Wüste.
Dort schlug er den ganzen Tag auf alle Steine, die ihm in den Weg kamen, aber nicht das kleinste Tröpfchen Wasser zeigte sich.
Am Abend setzte Hassan sich entmutigt nieder, hatte unendlichen Durst. Er stellte fest, daß er seinen eigenen Wasserbeutel vergessen hatte, weil er so an Sala geglaubt hatte. Verzweifelt schaute er in das unendliche Sternenzelt über ihm, schlief aber dennoch in dem warmen Sand ein.
Am nächsten Morgen, bevor der erste Sonnenstrahl durch die kühle Luft drang, erwachte Hassan und hörte leise eine Stimme: „Geh nach Osten, geh ins Tal der roten Steine, geh nach Osten ...“
Hassan rieb sich die Augen, stand auf, schüttelte den Sand ab, nahm den Stab und ging nach Osten.
Bald brannte die Sonne wieder auf ihn herab und der Durst quälte ihn, aber Hassan ging ohne zu zögern weiter nach Osten.
Gegen Mittag stand er auf einer Anhöhe und sah das Tal der roten Steine, die dort auf schwarzen Grund lagen.
Er dachte an sein Dorf, an Sala und sein Ziel schien ihm nahe. So schritt er eilig von der Anhöhe herab und fing an, auf die roten Steine zu schlagen.
Er schlug und schlug. Man hörte das Krachen seiner Schläge im ganzen Tal, aber nicht das kleinste Tröpfchen Wasser zeigte sich. Am Spätnachmittag erschien am Horizont ein verirrter Geier, der ihn kurz beobachtete, etwas krächzte aber dann schnell wieder in der Weite der Welt verschwand.
Hassan wurde müde und der Durst setzte wieder ein.
Er fand einen Felsen, der ihm Schatten bot und sank dort nieder. Den Stab des Ältesten schleuderte er wütend zur Seite und wollte sich seinem Schicksal ergeben, als drei Tröpfchen Wasser auf seinen Kopf fielen und an der Seite über seine Wangen rannten.
Hassan glaubte erst, daß ihn seine Sinne verwirrten, bis er mit einer Hand über seine Wange strich und fühlte, daß es wirklich Wasser war.
Da hörte er die Stimme seines Onkels Sala: „Hassan, ich grüße dich. Du hast mich gefunden wie ich es mir gewünscht hatte.“
Hassan sprang auf: „Onkel Sala, Onkel Sala, du bist es? Wirklich?“
„Ja ich bin es wirklich.“, antwortete die Stimme.
„Onkel Sala, wir verdursten, wir brauchen dringend Regen, und du bist nicht mehr da. Ich habe dich gesucht.“
„Das weiß ich,“ sagte die Stimme von Sala. „Du kannst mein Nachfolger werden, wenn du mein Wesen verstehst.“
„Aber Sala, ich habe dich gesucht und gefunden. Du mußt uns helfen.“
„Nein.“, sagte die Stimme von Sala, „Du mußt deinem Dorf helfen. Ich habe genug geholfen und es reicht nicht, daß du mich gefunden hast, du mußt mich verstehen.“
'Verstehen, Verstehen.' hallte es im Tal der roten Steine von allen Felswänden.
Danach war nicht der kleinste Laut mehr zu hören.
Hassan stand mit gesenktem Kopf im Schatten des Felsens.
'Jetzt hab ich ihn endlich gefunden, will mein Dorf retten und nun will er nicht helfen' dachte Hassan: 'Nun soll ich ihn verstehen!'
Hassan sah auf den Stab des Ältesten, auf die roten Steine und in seinen Ohren klang: 'Verstehen, Verstehen.'
Er fing an auf- und abzugehen und dachte und dachte, und der Durst quälte ihn sehr. Dann nahm er den Stab wieder auf und schaute auf die roten Steine im Tal. Er ging hinab und schlug mit dem Stab erneut auf einen Stein, wie er es zuvor getan hatte, daß es im ganzen Tal krachte.
Es kam nicht das kleinste Tröpfchen Wasser aus dem Stein.
Hassan setzte sich nieder vor den Stein und schaute ihn an. Er sah die Farbe des Steins, die Form, seine Rundungen und Kanten, die Tiefe seiner Geschichte und die Markierung, die sein eigener Schlag auf der Oberfläche des Steins hinterlassen hatte.
Und eine große Trauer überfiel Hassan, weil er seine Liebe zu dem Stein erkannte, und was er ihm selbst angetan hatte.
Obwohl Hassan sehr durstig war, flossen seine Tränen reichlich, und er fing an zu verstehen. Hassan stand auf, nahm den Stab und eilte zurück in sein Dorf.
Dort kletterte er in den Turm der Ältesten, die sich Sorgen um ihn gemacht hatten, und erzählte:
„Onkel Sala hat die Steine nicht wirklich geschlagen. Es sah euch nur so aus. In Wirklichkeit hat er sie geliebt, und sie ihn. Deshalb haben sie ihm ihr Wasser für euch gegeben.“
Die Ältesten waren erstaunt, aber erkannten ihn.
Der würdigste Älteste stand auf und sagte: „Hassan, wir sehen dich und in dir den Nachfolger von deinem Onkel Sala. Gehe hinaus und zeige es.“
Hassan kletterte vom Turm herab und die Ältesten folgten ihm, wenn auch beschwerlich. Er lachte, ging durch die Fluren des Dorfes, schwang den Stab und berührte die Steine ringsum leicht, und Wasser floß auf die Felder.
Hassan hatte verstanden.
Hassan lebte in einem Dorf am Rande der Wüste. Seit vielen Jahren hatte es nicht geregnet. Das Vieh schrie nach Wasser, die Saat verdorrte und die Dorfbewohner schöpften aus ihren Brunnen fast nichts mehr.
Hassan erinnerte sich daran, daß es, als er noch sehr klein gewesen war, einen Regen gegeben hatte und an die Freude aller in seinem Dorf.
Er erinnerte sich auch daran, daß er eines Tages im Turm der Dorfältesten ein Gespräch gehört hatte über seinen Onkel Sala, der vor drei Jahren gestorben war. Sala hatte die Fähigkeit besessen, mit seinem Stock auf Steine zu schlagen, sodaß sprudelndes Quellwasser hervortrat.
Die Dorfältesten hatten gesagt, daß er der Wasserbringer des Dorfes gewesen sei und um ihn geweint. Sie hatte auch gesagt, daß sie keinen Nachfolger mehr sähen.
Und nun verfiel sein Dorf mehr und mehr durch die Trockenheit. Die Freude war verschwunden, niemand heiratete mehr und alle hatten Durst.
Hassan war traurig.
Heute jedoch hatte er von Onkel Sala geträumt, und er war aufgestanden mitten in der Nacht und nahm sich den Stock des ältesten Weisen des Dorfes, der an der Wand unter dessen Schlafzimmer lehnte und eilte in die Wüste.
Dort schlug er den ganzen Tag auf alle Steine, die ihm in den Weg kamen, aber nicht das kleinste Tröpfchen Wasser zeigte sich.
Am Abend setzte Hassan sich entmutigt nieder, hatte unendlichen Durst. Er stellte fest, daß er seinen eigenen Wasserbeutel vergessen hatte, weil er so an Sala geglaubt hatte. Verzweifelt schaute er in das unendliche Sternenzelt über ihm, schlief aber dennoch in dem warmen Sand ein.
Am nächsten Morgen, bevor der erste Sonnenstrahl durch die kühle Luft drang, erwachte Hassan und hörte leise eine Stimme: „Geh nach Osten, geh ins Tal der roten Steine, geh nach Osten ...“
Hassan rieb sich die Augen, stand auf, schüttelte den Sand ab, nahm den Stab und ging nach Osten.
Bald brannte die Sonne wieder auf ihn herab und der Durst quälte ihn, aber Hassan ging ohne zu zögern weiter nach Osten.
Gegen Mittag stand er auf einer Anhöhe und sah das Tal der roten Steine, die dort auf schwarzen Grund lagen.
Er dachte an sein Dorf, an Sala und sein Ziel schien ihm nahe. So schritt er eilig von der Anhöhe herab und fing an, auf die roten Steine zu schlagen.
Er schlug und schlug. Man hörte das Krachen seiner Schläge im ganzen Tal, aber nicht das kleinste Tröpfchen Wasser zeigte sich. Am Spätnachmittag erschien am Horizont ein verirrter Geier, der ihn kurz beobachtete, etwas krächzte aber dann schnell wieder in der Weite der Welt verschwand.
Hassan wurde müde und der Durst setzte wieder ein.
Er fand einen Felsen, der ihm Schatten bot und sank dort nieder. Den Stab des Ältesten schleuderte er wütend zur Seite und wollte sich seinem Schicksal ergeben, als drei Tröpfchen Wasser auf seinen Kopf fielen und an der Seite über seine Wangen rannten.
Hassan glaubte erst, daß ihn seine Sinne verwirrten, bis er mit einer Hand über seine Wange strich und fühlte, daß es wirklich Wasser war.
Da hörte er die Stimme seines Onkels Sala: „Hassan, ich grüße dich. Du hast mich gefunden wie ich es mir gewünscht hatte.“
Hassan sprang auf: „Onkel Sala, Onkel Sala, du bist es? Wirklich?“
„Ja ich bin es wirklich.“, antwortete die Stimme.
„Onkel Sala, wir verdursten, wir brauchen dringend Regen, und du bist nicht mehr da. Ich habe dich gesucht.“
„Das weiß ich,“ sagte die Stimme von Sala. „Du kannst mein Nachfolger werden, wenn du mein Wesen verstehst.“
„Aber Sala, ich habe dich gesucht und gefunden. Du mußt uns helfen.“
„Nein.“, sagte die Stimme von Sala, „Du mußt deinem Dorf helfen. Ich habe genug geholfen und es reicht nicht, daß du mich gefunden hast, du mußt mich verstehen.“
'Verstehen, Verstehen.' hallte es im Tal der roten Steine von allen Felswänden.
Danach war nicht der kleinste Laut mehr zu hören.
Hassan stand mit gesenktem Kopf im Schatten des Felsens.
'Jetzt hab ich ihn endlich gefunden, will mein Dorf retten und nun will er nicht helfen' dachte Hassan: 'Nun soll ich ihn verstehen!'
Hassan sah auf den Stab des Ältesten, auf die roten Steine und in seinen Ohren klang: 'Verstehen, Verstehen.'
Er fing an auf- und abzugehen und dachte und dachte, und der Durst quälte ihn sehr. Dann nahm er den Stab wieder auf und schaute auf die roten Steine im Tal. Er ging hinab und schlug mit dem Stab erneut auf einen Stein, wie er es zuvor getan hatte, daß es im ganzen Tal krachte.
Es kam nicht das kleinste Tröpfchen Wasser aus dem Stein.
Hassan setzte sich nieder vor den Stein und schaute ihn an. Er sah die Farbe des Steins, die Form, seine Rundungen und Kanten, die Tiefe seiner Geschichte und die Markierung, die sein eigener Schlag auf der Oberfläche des Steins hinterlassen hatte.
Und eine große Trauer überfiel Hassan, weil er seine Liebe zu dem Stein erkannte, und was er ihm selbst angetan hatte.
Obwohl Hassan sehr durstig war, flossen seine Tränen reichlich, und er fing an zu verstehen. Hassan stand auf, nahm den Stab und eilte zurück in sein Dorf.
Dort kletterte er in den Turm der Ältesten, die sich Sorgen um ihn gemacht hatten, und erzählte:
„Onkel Sala hat die Steine nicht wirklich geschlagen. Es sah euch nur so aus. In Wirklichkeit hat er sie geliebt, und sie ihn. Deshalb haben sie ihm ihr Wasser für euch gegeben.“
Die Ältesten waren erstaunt, aber erkannten ihn.
Der würdigste Älteste stand auf und sagte: „Hassan, wir sehen dich und in dir den Nachfolger von deinem Onkel Sala. Gehe hinaus und zeige es.“
Hassan kletterte vom Turm herab und die Ältesten folgten ihm, wenn auch beschwerlich. Er lachte, ging durch die Fluren des Dorfes, schwang den Stab und berührte die Steine ringsum leicht, und Wasser floß auf die Felder.
Hassan hatte verstanden.