Herbstastern
Verfasst: 22.06.2007, 00:14
Herbstastern
Für gewöhnlich schlappte Bruno um sechs im Pyjama vor die Tür, beklagte sich übers Wetter, egal ob die Sonne schien oder der Himmel trüb und verhangen war. Er kehrte zurück, setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Erst schimpfte er über die Politiker, vertiefte sich dann ins Fernsehprogramm.
Seit fünf Jahren ging das so. Begonnen hatte es an seinem fünfzigsten Geburtstag.
- Ich bin ein alter Hund. Ab jetzt werde ich sterben.
- Aber Bruno! Was redest nur für dummes Zeug.
Nur, weil er von der Bank aus Rationalisierungsmaßnahmen in den Frühruhestand geschickt worden war? Immerhin würde er eine firmeninterne Pension erhalten, bis er das Alter für die staatliche Rente erreichte. Mimi fand das toll; was könnten sie alles erleben! Sicher, große Sprünge zu machen war nicht möglich mit dem Einkommen, aber sein Buchhalterjob ödete ihn lange schon an.
Als sie Bruno das damals begeistert sagte, stierte er sie mit müden Augen an.
- Fünf Jahre zahlen wir noch an dem Haus da zurück. Was ist toll daran, Mimi?
Ihr ging es ziemlich auf die Nerven, dass Bruno immerzu da war; sie wich aus, walkte jeden Vormittag und verkroch sich nachmittags hinter der Nähmaschine. Sie war gewohnt, tagsüber alleine zu sein und in Ruhe ihre Heimarbeit zu machen – sie nähte seit dem Abschluss in der Modeschule Puppenkleider für eine Spielwarenfirma.
Was war er doch einmal für ein aktiver Kerl gewesen! Seine Augen hatten geblitzt vor Abenteuerlust.
- Sobald wir schuldfrei sind, ziehen wir los, Mimi. Ich weiß doch, dass du Hummeln im Hintern hast. Wirst schon sehen, wie schön wir es haben werden, das Leben.
Es war ewig her, dass er so etwas gesagt hatte. Und nun saßen sie immer noch da, weil so vieles dazwischen gekommen war. Lange Jahre pflegten sie Brunos Mutter, die nach mehreren Schlaganfällen hilflos geworden war. Voriges Jahr blitzte sie ein kapitaler Gehirnschlag endgültig hinweg.
Wenn Mimi ihm zum dritten Mal Milchkaffee nachschenkte, faltete er die Zeitung sauber zusammen und reichte sie ihr.
Nur die Reisebeilage am Sonntag zog sie ihm unter der Nase weg.
Beim Mittagsschlaf träumte sie dann von grazilen Tänzerinnen auf Bali in goldgelben Saris, einem Schlitten, den zehn hechelnde Huskies übers Eis zogen, einer Nacht in der Serengeti und von Leoparden, deren Augen im Mondlicht schillerten. Und sie malte sich aus, wie ihnen in allen Ländern, die sie bereisten, Menschen begegneten, die ein offenes Haus für sie hatten. Nach einer solchen Siesta erwachte sie mit geröteten Wangen und das Blut summte in ihren Adern.
Heute war alles anders. Statt sich zu beklagen, tigerte Bruno durch das Haus, in dem sie seit dreißig Jahren wohnten. Er blickte in den Garten hinaus. Seine einzige Freude, dachte Mimi, die ihn nicht aus den Augen ließ. Damals hatten sie die Absicht, sobald Kinder da wären, ein Haus mit hellen, großen Räumen zu beziehen.
Die Zeitung hatte er nicht angerührt, war nach einem Schluck aufgesprungen. Nun lehnte er an der Spüle und sah Mimi aus blitzblauen Augen an.
- Vorschlag!
Der Doppelpunkt in seiner Stimme veranlasste sie aufzublicken. Während sie Bruno erwartungsvoll anstarrte, senkte sich die Reisebeilage wie von alleine zwischen die Kaffeebecher auf Toastreste nieder. Die Bartstoppeln glitzerten in der Morgensonne. Seine Finger nestelten am Kragen der gestreiften Pyjamajacke. Mimi räusperte sich, als könnte sie ihm damit helfen, die richtigen Worte zu finden. Seine Mundwinkel zuckten, ein Lächeln, fragte sich Mimi. Wie lange es doch her war, dass sie zusammen gelacht hatten. Einen Nörgler hatte die Pensionierung aus ihm gemacht, humorlos und langweilig.
Bruno kratzte sich am Kehlkopf, schnaufte.
Mimi brannte vor Neugier, doch ihre Angst, dass er sich wieder verschloss, wenn sie zu eindringlich wurde, war groß.
- Ja?
Sie versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
Da, ein Lidschlag! Mimi sah auf seine Hände, sie zitterten.
- Ein Brief ist gekommen. Das Haus ist abbezahlt! Endlich, Mimi.
Ihr Herz hüpfte in der Brust.
Bruno zog den gefalteten Bogen aus der Brusttasche, strich ihn glatt, hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Dann knüllte er ihn lachend zusammen.
- Bin gleich wieder da.
Mimi stürzte zum Fenster und sah ihn mit dem Spaten zu dem einzigen Baum gehen. Nachdem er den Brief darunter vergraben hatte, malte er drei Kreuze in die Luft.
Was sollte der Blödsinn?
Bruno kam wieder herein und setzte sich auf die Arbeitsplatte neben der Spüle. Er nickte wie der Wackeldackel im Fond des alten Simcas.
- Eingeklemmt zwischen den Nachbarn kann man jeden Furz hören. Seit dreißig Jahren!
Bruno knurrte regelrecht.
Mimi biss sich auf die Lippen.
Jetzt fixierte er den geblümten Plastikrand der Küchenuhr.
- Wie lange würde es dauern, das Haus wieder auszugeben, wie weit würden wir kommen?
- Was meinst du?
Er grunzte und sprang herunter, schnappte sich die Reisebeilage.
- Schau nur, was es alles gibt.
Er tippte mit dem Finger auf die Abbildung eines strahlend weißen Hauses mit blauen Fensterrahmen. Kreta stand darunter.
Mimi griff nach dem Kaffee; das Porzellan schlug gegen ihre Zähne.
- Und wenn das Geld alle ist, wird es uns auch nicht schlecht gehen, wir schlafen dann unterm Sternenhimmel und liegen auf dem sonnenwarmen Sand und holen uns Fische aus dem Meer.
- Bruno, was ist passiert mit dir?
Da sah er sie an.
- Ich will doch noch leben!
Er lächelte ängstlich und aufgeregt zugleich.
Mimi stand auf. Ihr war, als würde sie endlich wieder schweben. Sie umarmte ihn. Bruno legte die Hände auf Mimis Hintern und zwickte sie zärtlich.
- Ich hatte es vergessen.
Sein heißer Atem kitzelte ihre Schläfe.
Sie reisten durch die Welt. Mit in Wasser getränkten Tüchern auf den Köpfen fuhren sie durchs Death Valley und staunten über den Grand Canyon. Danach ging es zu den Krokodilen nach Florida. Sie besuchten die Ausgrabungsstätten der Inka, kletterten mit Steigeisen auf dem Packeis herum und winkten einem Eisbären. Ergriffen blickten sie zum Ayers Rock im Northern Territorium auf und gingen den Songlines der Aborigines nach, um danach in einem der Dörfer gastfreundlich aufgenommen zu werden. Sie atmeten den Duft von Zimt und Kardamom in indischen Tempeln. In Burundi krochen sie durchs Gebüsch und warteten darauf, die Gorillas beim Liebesspiel zu erleben.
Sie stapften durch Mangrovensümpfe und begegneten einer Elefantenherde auf dem Weg zu einer Hochzeit im Busch. Die Eltern der Jungvermählten nahmen ihnen das Versprechen ab, beim nächsten Besuch unbedingt länger zu bleiben.
- Und Leopardenaugen schillern wirklich im Mondlicht.
Mimi flüsterte es in Brunos Ohr, als sie unter der Zeltplane verborgen den Jäger durchs Gras der Savanne pirschen sahen.
Mimi lernte bei tunesischen Frauen Bauchtanz. Bruno trank mit den Fischern ein paar Gläser Ouzo und legte die Arme auf ihre Schultern zum Sirtaki.
- Hopa!
Er schrie, lachte und schwang das Bein.
Bruno fächerte im Café am Hauptplatz von Arles die Brieftasche auf.
- Jetzt sind wir obdachlos.
Bis auf ein paar Euroscheine war sie leer.
Brunos Haut war braun, der Körper hatte die Schlaffheit verloren. Sehnig und ledrig saß er Mimi gegenüber und grinste. Sie hatte aufgehört, ihr Haar zu färben und schneiden zu lassen. Schlohweiß flatterte es bei Mistral um ihre Schultern.
- Wir haben Freunde auf der ganzen Welt, und wie du damals in der Küche sagtest, den Sternenhimmel.
Mimi konnte sich nicht satt sehen an ihrem Bruno.
Es war spät im August, sie nahm den Strauß mit gelben und violetten Astern in die Arme und tauchte ihr Gesicht hinein. Beim Morgenspaziergang auf den Blumenmarkt hatte ein Gärtner Mimi die Hand geküsst und den Strauß in ihren Einkaufskorb gelegt.
- Wo werden wir den Winter verbringen.
Sie fragte die Astern.
Bruno schnippte mit den Fingern.
- Hopa!
Für gewöhnlich schlappte Bruno um sechs im Pyjama vor die Tür, beklagte sich übers Wetter, egal ob die Sonne schien oder der Himmel trüb und verhangen war. Er kehrte zurück, setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Erst schimpfte er über die Politiker, vertiefte sich dann ins Fernsehprogramm.
Seit fünf Jahren ging das so. Begonnen hatte es an seinem fünfzigsten Geburtstag.
- Ich bin ein alter Hund. Ab jetzt werde ich sterben.
- Aber Bruno! Heutzutage ist das einfach lächerlich.
Nur, weil er von der Bank aus Rationalisierungsmaßnahmen in den Frühruhestand geschickt worden war? Immerhin würde er eine firmeninterne Pension erhalten, bis er das Alter für die staatliche erreichte. Mimi hatte das toll gefunden; was könnten sie alles erleben! Sicher, große Sprünge machen war nicht möglich mit dem Lohn, aber sein Buchhalterjob ödete ihn lange schon an.
Als sie Bruno das damals auseinandersetzte, stierte er sie mit müden Augen an.
- Fünf Jahre zahlen wir noch an dem Haus da zurück. Was ist toll daran, Mimi?
Ihr ging es ziemlich auf die Nerven, dass Bruno immerzu da war; sie wich aus, walkte jeden Vormittag und suchte den Supermarkt auf. Was war er doch einmal für ein aktiver Kerl gewesen! Seine Augen hatten geblitzt vor Abenteuerlust.
- Sobald wir schuldfrei sind, ziehen wir los, Mimi. Ich weiß doch, dass du kein Sitzfleisch hast. Wirst schon sehen, wie schön wir es haben werden, das Leben.
Es war ewig her, dass er so etwas gesagt hatte. Und nun saßen sie immer noch da, weil so vieles dazwischen gekommen war. Lange Jahre pflegten sie Brunos Mutter, die nach mehreren Schlaganfällen hilflos geworden war. Voriges Jahr blitzte sie ein kapitaler Gehirnschlag endgültig hinweg.
Zum Zurückzulegen von Geld, um ihre Pläne zu verwirklichen, waren sie nicht in der Lage gewesen, auch hatte ihnen die Freiheit dazu gefehlt.
Wenn Mimi ihm zum dritten Mal Milchkaffee nachschenkte, faltete er die Zeitung sauber zusammen und reichte sie ihr.
Nur die Reisebeilage am Sonntag zog sie ihm unter der Nase weg.
Beim Mittagsschlaf träumte sie dann von grazilen Tänzerinnen auf Bali in goldgelben Saris, einem Schlitten, den zehn hechelnde Huskies übers Eis zogen, einer Nacht in der Serengeti und von Leoparden, deren Augen im Mondlicht schillerten. Und sie malte sich aus, wie ihnen in allen Ländern, die sie bereisten, Menschen begegneten, die ein offenes Haus für sie hatten. Nach einer solchen Siesta erwachte sie mit geröteten Wangen und das Blut summte in den Adern.
Heute war alles anders. Statt sich zu beklagen tigerte Bruno durch das Haus, in dem sie seit dreißig Jahren wohnten. Er blickte in den Garten hinaus. Seine einzige Freude, dachte Mimi, die ihn nicht aus den Augen ließ. Damals hatten sie die Absicht, sobald Kinder da wären, ein Haus mit hellen, großen Räumen zu beziehen.
Die Zeitung hatte er nicht angerührt, war nach einem Schluck aufgesprungen. Nun lehnte er an der Spüle und sah Mimi aus blitzblauen Augen an.
- Vorschlag!
Der Doppelpunkt in seiner Stimme veranlasste sie aufzublicken. Während sie Bruno erwartungsvoll anstarrte, senkte sich die Reisebeilage wie von alleine zwischen die Kaffeebecher auf Toastreste nieder. Die Bartstoppeln glitzerten in der Morgensonne. Seine Finger nestelten am Kragen der gestreiften Pyjamajacke. Mimi räusperte sich als könnte sie ihm damit helfen, die richtigen Worte zu finden. Seine Mundwinkel zuckten, ein Lächeln, fragte sich Mimi. Wie lange es doch her war, dass sie zusammen gelacht hatten. Einen Nörgler hatte die Pensionierung aus ihm gemacht, humorlos und langweilig.
Bruno kratzte sich am Kehlkopf, schnaufte.
Mimi brannte vor Neugier, doch ihre Angst, dass er sich wieder in sich selbst verkroch, wenn sie zu eindringlich wurde, war groß.
- Ich höre?
Sie versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
Da, ein Lidschlag! Er war nervös, Mimi sah auf seine Hände, sie zitterten.
- Gestern ist ein Brief gekommen. Du warst einkaufen. Das Haus ist abbezahlt.
Bruno zog den gefalteten Bogen aus der Brusttasche, strich ihn glatt, hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Dann knüllte er ihn zusammen.
- Bin gleich wieder da.
Mimi stürzte zum Fenster und sah ihn mit dem Spaten zu dem einzigen Baum gehen. Nachdem er den Brief darunter vergraben hatte, malte er drei Kreuze in die Luft.
Was sollte der Blödsinn? Sie streckte ihm die Zunge heraus, ohne dass er es sehen konnte.
Nun saß er mit verschränkten Armen auf der Arbeitsplatte neben der Spüle und nickte wie der Wackeldackel im Fond des alten Simcas.
- Eingeklemmt zwischen den Nachbarn kann man jeden Furz hören. Seit dreißig Jahren!
Bruno knurrte regelrecht.
Mimi biss sich auf die Lippen.
Jetzt fixierte er den geblümten Plastikrand der Küchenuhr.
- Wie lange würde es dauern, das Haus wieder auszugeben, wie weit würden wir kommen?
- Was meinst du bloß?
Er grunzte und sprang herunter, schnappte sich die Reisebeilage. Mimi vergaß aufs Atmen. Was war los mit ihm? Mit einem Seufzen holte sie Luft.
- Schau nur, was es alles gibt.
Er tippte mit dem Finger auf die Abbildung eines strahlend weißen Hauses mit blauen Fensterrahmen. Kreta stand darunter.
Mimi griff nach dem Kaffee; das Porzellan schlug gegen ihre Zähne.
- Und wenn das Geld alle ist, wird es uns auch nicht schlecht gehen, wir schlafen dann unterm Sternenhimmel und liegen auf dem sonnenwarmen Sand und holen uns Fische aus dem Meer.
- Bruno, was ist passiert mit dir?
Da sah er sie an. Ein Teil seines Gesichtes war von der Sonne in Gold getaucht.
- Ich will doch noch leben.
Er lächelte ängstlich und aufgeregt zugleich.
Mimi stand auf. Ihr war als würde sie endlich wieder schweben. Sie umarmte ihn. Bruno legte die Hände auf Mimis Hintern und zwickte sie zärtlich.
- Ich hatte es vergessen.
Sein heißer Atem kitzelte ihre Schläfe.
Sie reisten durch die Welt. Mit in Wasser getränkten Tüchern auf den Köpfen fuhren sie durchs Death Valley und staunten über den Grand Canyon. Danach ging es zu den Krokodilen nach Florida. Sie besuchten die Ausgrabungsstätten der Inka, kletterten mit Steigeisen auf dem Packeis herum und winkten einem Eisbären. Ergriffen blickten sie zum Ayers Rock im Northern Territorium auf und gingen den Songlines der Aborigines nach, um danach in einem der Dörfer gastfreundlich aufgenommen zu werden. Sie atmeten den Duft von Zimt und Kardamom in indischen Tempeln. In Burundi krochen sie durchs Gebüsch und warteten darauf, die Gorillas beim Liebesspiel zu erleben.
Sie stapften durch Mangrovensümpfe und begegneten einer Elefantenherde auf dem Weg zu einer Hochzeit im Busch. Die Eltern der Jungvermählten nahmen ihnen das Versprechen ab, beim nächsten Besuch unbedingt länger zu bleiben.
- Und Leopardenaugen schillern wirklich im Mondlicht.
Mimi flüsterte in Brunos Ohr, als sie unter der Zeltplane verborgen den Jäger durchs Gras der Savanne pirschen sahen.
Mimi lernte bei tunesischen Frauen Bauchtanz. Bruno trank mit den Fischern ein paar Gläser Ouzo und legte die Arme auf ihre Schultern zum Sirtaki.
- Hopa!
Er schrie, lachte und schwang das Bein.
Bruno fächerte im Café am Hauptplatz von Arles die Brieftasche auf.
- Jetzt sind wir obdachlos.
Bis auf ein paar Euroscheine war sie leer.
Brunos Haut war braun, der Körper hatte die Schlaffheit verloren. Sehnig und ledrig saß er Mimi gegenüber und grinste. Sie hatte aufgehört, ihr Haar zu färben und schneiden zu lassen. Schlohweiß flatterte es bei Mistral um ihre Schultern.
- Wir haben Freunde auf der ganzen Welt, und wie du damals in der Küche sagtest, den Sternenhimmel.
Mimi konnte sich nicht satt sehen an ihrem Bruno.
Es war spät im August, sie nahm den Strauß mit gelben und violetten Astern in die Arme und tauchte ihr Gesicht hinein. Beim Morgenspaziergang auf den Blumenmarkt hatte ein Gärtner Mimi die Hand geküsst und den Strauß in ihren Einkaufskorb gelegt.
- Wo werden wir den Winter verbringen.
Sie fragte die Astern.
Bruno schnippte mit den Fingern.
- Hopa!
Für gewöhnlich schlappte Bruno um sechs im Pyjama vor die Tür, beklagte sich übers Wetter, egal ob die Sonne schien oder der Himmel trüb und verhangen war. Er kehrte zurück, setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Erst schimpfte er über die Politiker, vertiefte sich dann ins Fernsehprogramm.
Wenn Mimi ihm zum dritten Mal Milchkaffee nachschenkte, faltete er die Zeitung sauber zusammen und reichte sie ihr.
Nur die Reisebeilage am Sonntag zog sie ihm unter der Nase weg.
Beim Mittagsschlaf träumte sie dann von grazilen Tänzerinnen auf Bali in goldgelben Saris, einem Schlitten, den zehn hechelnde Huskies übers Eis zogen, einer Nacht in der Serengeti und von Leoparden, deren Augen im Mondlicht schillerten. Und sie malte sich aus, wie ihnen in allen Ländern, die sie bereisten, Menschen begegneten, die ein offenes Haus für sie hatten. Nach einer solchen Siesta erwachte sie mit geröteten Wangen und das Blut summte in den Adern.
Heute war alles anders. Statt sich zu beklagen tigerte Bruno durch das Haus, in dem sie seit dreißig Jahren wohnten. Er blickte in den Garten hinaus. Seine einzige Freude, dachte Mimi, die ihn nicht aus den Augen ließ. Damals hatten sie die Absicht, sobald Kinder da wären, ein Haus mit hellen, großen Räumen zu beziehen.
Die Zeitung hatte er nicht angerührt, nach einem Schluck war er aufgesprungen. Nun lehnte er an der Spüle und sah Mimi aus blitzblauen Augen an.
- Vorschlag!
Der Doppelpunkt in seiner Stimme veranlasste sie aufzublicken. Während sie Bruno erwartungsvoll anstarrte, senkte sich die Reisebeilage wie von alleine zwischen die Kaffeebecher auf Toastreste nieder. Die Bartstoppeln glitzerten in der Morgensonne. Seine Finger nestelten am Kragen der gestreiften Pyjamajacke. Mimi räusperte sich als könnte sie ihm damit helfen, die richtigen Worte zu finden. Seine Mundwinkel zuckten, ein Lächeln, fragte sich Mimi. Wie lange es doch her war, dass sie zusammen gelacht hatten. Einen Nörgler hatte das Alter aus ihm gemacht, humorlos und langweilig.
Bruno kratzte sich am Kehlkopf, schnaufte.
Mimi brannte vor Neugier, doch ihre Angst, dass er sich wieder in sich selbst verkroch, wenn sie zu eindringlich wurde, war groß.
- Ich höre? Sie versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
Da, ein Lidschlag!
- Gestern ist ein Brief gekommen – du warst einkaufen. Das Haus ist abbezahlt.
Bruno zog den gefalteten Bogen aus der Brusttasche, strich ihn glatt, hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Dann knüllte er ihn zusammen.
- Bin gleich wieder da.
Mimi stürzte zum Fenster und sah ihn mit dem Spaten zu dem einzigen Baum gehen. Nachdem er den Brief darunter vergraben hatte, malte er drei Kreuze in die Luft.
Er saß nun mit verschränkten Armen auf der Arbeitsplatte neben der Spüle und nickte wie der Wackeldackel im Fond des alten Simcas.
- Eingeklemmt zwischen den Nachbarn kann man jeden Furz hören, knurrte Bruno.
Mimi biss sich auf die Lippen.
Jetzt fixierte er den geblümten Plastikrand der Küchenuhr.
Wie lange würde es dauern, das Haus wieder auszugeben, wie weit würden wir kommen, fragte sich Mimi.
Bruno sprang herunter und trat an den Tisch. Er schnappte sich die Reisebeilage.
- Schau nur, was es alles gibt, sagte er und tippte mit dem Finger auf die Abbildung eines strahlend weißen Hauses mit blauen Fensterrahmen. Kreta stand darunter.
Mimi griff nach dem Kaffee; das Porzellan schlug gegen ihre Zähne.
- Und wenn das Geld alle ist, wird es uns auch nicht schlecht gehen, wir schlafen dann unterm Sternenhimmel und liegen auf dem sonnenwarmen Sand und holen uns Fische aus dem Meer.
- Bruno, sagte Mimi leise.
Da sah er sie an. Ein Teil seines Gesichtes war von der Sonne in Gold getaucht.
- Ich will doch noch leben. Er lächelte ängstlich und aufgeregt zugleich.
Mimi stand auf. Ihr war als würde sie endlich wieder schweben. Sie umarmte ihn. Bruno legte die Hände auf Mimis Hintern und zwickte sie zärtlich.
- Ich hatte es vergessen. Sein heißer Atem kitzelte ihre Schläfe.
Sie reisten durch die Welt. Mit in Wasser getränkten Tüchern auf den Köpfen fuhren sie durchs Death Valley und staunten über den Grand Canyon. Danach ging es zu den Krokodilen nach Florida. Sie besuchten die Ausgrabungsstätten der Inka, kletterten mit Steigeisen auf dem Packeis herum und winkten einem Eisbären. Ergriffen blickten sie zum Ayers Rock im Northern Territorium auf und gingen den Songlines der Aborigines nach, um danach in einem der Dörfer gastfreundlich aufgenommen zu werden. Sie atmeten den Duft von Zimt und Kardamom in indischen Tempeln. In Burundi krochen sie durchs Gebüsch und warteten darauf, die Gorillas beim Liebesspiel zu erleben.
Sie stapften durch Mangrovensümpfe und begegneten einer Elefantenherde auf dem Weg zu einer Hochzeit im Busch. Die Eltern der Jungvermählten nahmen ihnen das Versprechen ab, beim nächsten Besuch unbedingt länger zu bleiben.
- Und Leopardenaugen schillern wirklich im Mondlicht, flüsterte Mimi Bruno ins Ohr, als sie unter der Zeltplane verborgen den Jäger durchs Gras der Savanne pirschen sahen.
Mimi lernte bei tunesischen Frauen Bauchtanz. Bruno trank mit den Fischern ein paar Gläser Ouzo und legte die Arme auf ihre Schultern zum Sirtaki.
- Hopa, schrie er und schwang das Bein.
- Jetzt sind wir obdachlos, sagte er zu Mimi im Café am Hauptplatz von Arles und fächerte die Brieftasche auf. Bis auf ein paar Euroscheine war sie leer.
Brunos Haut war braun, der Körper hatte die Schlaffheit verloren. Sehnig und ledrig saß er Mimi gegenüber und grinste. Sie hatte aufgehört, ihr Haar zu färben und schneiden zu lassen. Schlohweiß flatterte es bei Mistral um ihre Schultern.
- Wir haben Freunde auf der ganzen Welt, sagte sie, und den Sternenhimmel.
Es war spät im August, Mimi nahm den Strauß mit gelben und violetten Astern in die Arme und tauchte ihr Gesicht hinein. Beim Morgenspaziergang auf den Blumenmarkt hatte ihr ein Gärtner die Hand geküsst und den Strauß in Mimis Einkaufskorb gelegt.
- Wo werden wir den Winter verbringen, fragte sie die Astern.
Bruno schnippte mit den Fingern.
- Hopa!, sagte er.
Korrektur in blau /danke Klara!
(c)Elsa Rieger
Für gewöhnlich schlappte Bruno um sechs im Pyjama vor die Tür, beklagte sich übers Wetter, egal ob die Sonne schien oder der Himmel trüb und verhangen war. Er kehrte zurück, setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Erst schimpfte er über die Politiker, vertiefte sich dann ins Fernsehprogramm.
Seit fünf Jahren ging das so. Begonnen hatte es an seinem fünfzigsten Geburtstag.
- Ich bin ein alter Hund. Ab jetzt werde ich sterben.
- Aber Bruno! Was redest nur für dummes Zeug.
Nur, weil er von der Bank aus Rationalisierungsmaßnahmen in den Frühruhestand geschickt worden war? Immerhin würde er eine firmeninterne Pension erhalten, bis er das Alter für die staatliche Rente erreichte. Mimi fand das toll; was könnten sie alles erleben! Sicher, große Sprünge zu machen war nicht möglich mit dem Einkommen, aber sein Buchhalterjob ödete ihn lange schon an.
Als sie Bruno das damals begeistert sagte, stierte er sie mit müden Augen an.
- Fünf Jahre zahlen wir noch an dem Haus da zurück. Was ist toll daran, Mimi?
Ihr ging es ziemlich auf die Nerven, dass Bruno immerzu da war; sie wich aus, walkte jeden Vormittag und verkroch sich nachmittags hinter der Nähmaschine. Sie war gewohnt, tagsüber alleine zu sein und in Ruhe ihre Heimarbeit zu machen – sie nähte seit dem Abschluss in der Modeschule Puppenkleider für eine Spielwarenfirma.
Was war er doch einmal für ein aktiver Kerl gewesen! Seine Augen hatten geblitzt vor Abenteuerlust.
- Sobald wir schuldfrei sind, ziehen wir los, Mimi. Ich weiß doch, dass du Hummeln im Hintern hast. Wirst schon sehen, wie schön wir es haben werden, das Leben.
Es war ewig her, dass er so etwas gesagt hatte. Und nun saßen sie immer noch da, weil so vieles dazwischen gekommen war. Lange Jahre pflegten sie Brunos Mutter, die nach mehreren Schlaganfällen hilflos geworden war. Voriges Jahr blitzte sie ein kapitaler Gehirnschlag endgültig hinweg.
Wenn Mimi ihm zum dritten Mal Milchkaffee nachschenkte, faltete er die Zeitung sauber zusammen und reichte sie ihr.
Nur die Reisebeilage am Sonntag zog sie ihm unter der Nase weg.
Beim Mittagsschlaf träumte sie dann von grazilen Tänzerinnen auf Bali in goldgelben Saris, einem Schlitten, den zehn hechelnde Huskies übers Eis zogen, einer Nacht in der Serengeti und von Leoparden, deren Augen im Mondlicht schillerten. Und sie malte sich aus, wie ihnen in allen Ländern, die sie bereisten, Menschen begegneten, die ein offenes Haus für sie hatten. Nach einer solchen Siesta erwachte sie mit geröteten Wangen und das Blut summte in ihren Adern.
Heute war alles anders. Statt sich zu beklagen, tigerte Bruno durch das Haus, in dem sie seit dreißig Jahren wohnten. Er blickte in den Garten hinaus. Seine einzige Freude, dachte Mimi, die ihn nicht aus den Augen ließ. Damals hatten sie die Absicht, sobald Kinder da wären, ein Haus mit hellen, großen Räumen zu beziehen.
Die Zeitung hatte er nicht angerührt, war nach einem Schluck aufgesprungen. Nun lehnte er an der Spüle und sah Mimi aus blitzblauen Augen an.
- Vorschlag!
Der Doppelpunkt in seiner Stimme veranlasste sie aufzublicken. Während sie Bruno erwartungsvoll anstarrte, senkte sich die Reisebeilage wie von alleine zwischen die Kaffeebecher auf Toastreste nieder. Die Bartstoppeln glitzerten in der Morgensonne. Seine Finger nestelten am Kragen der gestreiften Pyjamajacke. Mimi räusperte sich, als könnte sie ihm damit helfen, die richtigen Worte zu finden. Seine Mundwinkel zuckten, ein Lächeln, fragte sich Mimi. Wie lange es doch her war, dass sie zusammen gelacht hatten. Einen Nörgler hatte die Pensionierung aus ihm gemacht, humorlos und langweilig.
Bruno kratzte sich am Kehlkopf, schnaufte.
Mimi brannte vor Neugier, doch ihre Angst, dass er sich wieder verschloss, wenn sie zu eindringlich wurde, war groß.
- Ja?
Sie versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
Da, ein Lidschlag! Mimi sah auf seine Hände, sie zitterten.
- Ein Brief ist gekommen. Das Haus ist abbezahlt! Endlich, Mimi.
Ihr Herz hüpfte in der Brust.
Bruno zog den gefalteten Bogen aus der Brusttasche, strich ihn glatt, hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Dann knüllte er ihn lachend zusammen.
- Bin gleich wieder da.
Mimi stürzte zum Fenster und sah ihn mit dem Spaten zu dem einzigen Baum gehen. Nachdem er den Brief darunter vergraben hatte, malte er drei Kreuze in die Luft.
Was sollte der Blödsinn?
Bruno kam wieder herein und setzte sich auf die Arbeitsplatte neben der Spüle. Er nickte wie der Wackeldackel im Fond des alten Simcas.
- Eingeklemmt zwischen den Nachbarn kann man jeden Furz hören. Seit dreißig Jahren!
Bruno knurrte regelrecht.
Mimi biss sich auf die Lippen.
Jetzt fixierte er den geblümten Plastikrand der Küchenuhr.
- Wie lange würde es dauern, das Haus wieder auszugeben, wie weit würden wir kommen?
- Was meinst du?
Er grunzte und sprang herunter, schnappte sich die Reisebeilage.
- Schau nur, was es alles gibt.
Er tippte mit dem Finger auf die Abbildung eines strahlend weißen Hauses mit blauen Fensterrahmen. Kreta stand darunter.
Mimi griff nach dem Kaffee; das Porzellan schlug gegen ihre Zähne.
- Und wenn das Geld alle ist, wird es uns auch nicht schlecht gehen, wir schlafen dann unterm Sternenhimmel und liegen auf dem sonnenwarmen Sand und holen uns Fische aus dem Meer.
- Bruno, was ist passiert mit dir?
Da sah er sie an.
- Ich will doch noch leben!
Er lächelte ängstlich und aufgeregt zugleich.
Mimi stand auf. Ihr war, als würde sie endlich wieder schweben. Sie umarmte ihn. Bruno legte die Hände auf Mimis Hintern und zwickte sie zärtlich.
- Ich hatte es vergessen.
Sein heißer Atem kitzelte ihre Schläfe.
Sie reisten durch die Welt. Mit in Wasser getränkten Tüchern auf den Köpfen fuhren sie durchs Death Valley und staunten über den Grand Canyon. Danach ging es zu den Krokodilen nach Florida. Sie besuchten die Ausgrabungsstätten der Inka, kletterten mit Steigeisen auf dem Packeis herum und winkten einem Eisbären. Ergriffen blickten sie zum Ayers Rock im Northern Territorium auf und gingen den Songlines der Aborigines nach, um danach in einem der Dörfer gastfreundlich aufgenommen zu werden. Sie atmeten den Duft von Zimt und Kardamom in indischen Tempeln. In Burundi krochen sie durchs Gebüsch und warteten darauf, die Gorillas beim Liebesspiel zu erleben.
Sie stapften durch Mangrovensümpfe und begegneten einer Elefantenherde auf dem Weg zu einer Hochzeit im Busch. Die Eltern der Jungvermählten nahmen ihnen das Versprechen ab, beim nächsten Besuch unbedingt länger zu bleiben.
- Und Leopardenaugen schillern wirklich im Mondlicht.
Mimi flüsterte es in Brunos Ohr, als sie unter der Zeltplane verborgen den Jäger durchs Gras der Savanne pirschen sahen.
Mimi lernte bei tunesischen Frauen Bauchtanz. Bruno trank mit den Fischern ein paar Gläser Ouzo und legte die Arme auf ihre Schultern zum Sirtaki.
- Hopa!
Er schrie, lachte und schwang das Bein.
Bruno fächerte im Café am Hauptplatz von Arles die Brieftasche auf.
- Jetzt sind wir obdachlos.
Bis auf ein paar Euroscheine war sie leer.
Brunos Haut war braun, der Körper hatte die Schlaffheit verloren. Sehnig und ledrig saß er Mimi gegenüber und grinste. Sie hatte aufgehört, ihr Haar zu färben und schneiden zu lassen. Schlohweiß flatterte es bei Mistral um ihre Schultern.
- Wir haben Freunde auf der ganzen Welt, und wie du damals in der Küche sagtest, den Sternenhimmel.
Mimi konnte sich nicht satt sehen an ihrem Bruno.
Es war spät im August, sie nahm den Strauß mit gelben und violetten Astern in die Arme und tauchte ihr Gesicht hinein. Beim Morgenspaziergang auf den Blumenmarkt hatte ein Gärtner Mimi die Hand geküsst und den Strauß in ihren Einkaufskorb gelegt.
- Wo werden wir den Winter verbringen.
Sie fragte die Astern.
Bruno schnippte mit den Fingern.
- Hopa!
Für gewöhnlich schlappte Bruno um sechs im Pyjama vor die Tür, beklagte sich übers Wetter, egal ob die Sonne schien oder der Himmel trüb und verhangen war. Er kehrte zurück, setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Erst schimpfte er über die Politiker, vertiefte sich dann ins Fernsehprogramm.
Seit fünf Jahren ging das so. Begonnen hatte es an seinem fünfzigsten Geburtstag.
- Ich bin ein alter Hund. Ab jetzt werde ich sterben.
- Aber Bruno! Heutzutage ist das einfach lächerlich.
Nur, weil er von der Bank aus Rationalisierungsmaßnahmen in den Frühruhestand geschickt worden war? Immerhin würde er eine firmeninterne Pension erhalten, bis er das Alter für die staatliche erreichte. Mimi hatte das toll gefunden; was könnten sie alles erleben! Sicher, große Sprünge machen war nicht möglich mit dem Lohn, aber sein Buchhalterjob ödete ihn lange schon an.
Als sie Bruno das damals auseinandersetzte, stierte er sie mit müden Augen an.
- Fünf Jahre zahlen wir noch an dem Haus da zurück. Was ist toll daran, Mimi?
Ihr ging es ziemlich auf die Nerven, dass Bruno immerzu da war; sie wich aus, walkte jeden Vormittag und suchte den Supermarkt auf. Was war er doch einmal für ein aktiver Kerl gewesen! Seine Augen hatten geblitzt vor Abenteuerlust.
- Sobald wir schuldfrei sind, ziehen wir los, Mimi. Ich weiß doch, dass du kein Sitzfleisch hast. Wirst schon sehen, wie schön wir es haben werden, das Leben.
Es war ewig her, dass er so etwas gesagt hatte. Und nun saßen sie immer noch da, weil so vieles dazwischen gekommen war. Lange Jahre pflegten sie Brunos Mutter, die nach mehreren Schlaganfällen hilflos geworden war. Voriges Jahr blitzte sie ein kapitaler Gehirnschlag endgültig hinweg.
Zum Zurückzulegen von Geld, um ihre Pläne zu verwirklichen, waren sie nicht in der Lage gewesen, auch hatte ihnen die Freiheit dazu gefehlt.
Wenn Mimi ihm zum dritten Mal Milchkaffee nachschenkte, faltete er die Zeitung sauber zusammen und reichte sie ihr.
Nur die Reisebeilage am Sonntag zog sie ihm unter der Nase weg.
Beim Mittagsschlaf träumte sie dann von grazilen Tänzerinnen auf Bali in goldgelben Saris, einem Schlitten, den zehn hechelnde Huskies übers Eis zogen, einer Nacht in der Serengeti und von Leoparden, deren Augen im Mondlicht schillerten. Und sie malte sich aus, wie ihnen in allen Ländern, die sie bereisten, Menschen begegneten, die ein offenes Haus für sie hatten. Nach einer solchen Siesta erwachte sie mit geröteten Wangen und das Blut summte in den Adern.
Heute war alles anders. Statt sich zu beklagen tigerte Bruno durch das Haus, in dem sie seit dreißig Jahren wohnten. Er blickte in den Garten hinaus. Seine einzige Freude, dachte Mimi, die ihn nicht aus den Augen ließ. Damals hatten sie die Absicht, sobald Kinder da wären, ein Haus mit hellen, großen Räumen zu beziehen.
Die Zeitung hatte er nicht angerührt, war nach einem Schluck aufgesprungen. Nun lehnte er an der Spüle und sah Mimi aus blitzblauen Augen an.
- Vorschlag!
Der Doppelpunkt in seiner Stimme veranlasste sie aufzublicken. Während sie Bruno erwartungsvoll anstarrte, senkte sich die Reisebeilage wie von alleine zwischen die Kaffeebecher auf Toastreste nieder. Die Bartstoppeln glitzerten in der Morgensonne. Seine Finger nestelten am Kragen der gestreiften Pyjamajacke. Mimi räusperte sich als könnte sie ihm damit helfen, die richtigen Worte zu finden. Seine Mundwinkel zuckten, ein Lächeln, fragte sich Mimi. Wie lange es doch her war, dass sie zusammen gelacht hatten. Einen Nörgler hatte die Pensionierung aus ihm gemacht, humorlos und langweilig.
Bruno kratzte sich am Kehlkopf, schnaufte.
Mimi brannte vor Neugier, doch ihre Angst, dass er sich wieder in sich selbst verkroch, wenn sie zu eindringlich wurde, war groß.
- Ich höre?
Sie versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
Da, ein Lidschlag! Er war nervös, Mimi sah auf seine Hände, sie zitterten.
- Gestern ist ein Brief gekommen. Du warst einkaufen. Das Haus ist abbezahlt.
Bruno zog den gefalteten Bogen aus der Brusttasche, strich ihn glatt, hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Dann knüllte er ihn zusammen.
- Bin gleich wieder da.
Mimi stürzte zum Fenster und sah ihn mit dem Spaten zu dem einzigen Baum gehen. Nachdem er den Brief darunter vergraben hatte, malte er drei Kreuze in die Luft.
Was sollte der Blödsinn? Sie streckte ihm die Zunge heraus, ohne dass er es sehen konnte.
Nun saß er mit verschränkten Armen auf der Arbeitsplatte neben der Spüle und nickte wie der Wackeldackel im Fond des alten Simcas.
- Eingeklemmt zwischen den Nachbarn kann man jeden Furz hören. Seit dreißig Jahren!
Bruno knurrte regelrecht.
Mimi biss sich auf die Lippen.
Jetzt fixierte er den geblümten Plastikrand der Küchenuhr.
- Wie lange würde es dauern, das Haus wieder auszugeben, wie weit würden wir kommen?
- Was meinst du bloß?
Er grunzte und sprang herunter, schnappte sich die Reisebeilage. Mimi vergaß aufs Atmen. Was war los mit ihm? Mit einem Seufzen holte sie Luft.
- Schau nur, was es alles gibt.
Er tippte mit dem Finger auf die Abbildung eines strahlend weißen Hauses mit blauen Fensterrahmen. Kreta stand darunter.
Mimi griff nach dem Kaffee; das Porzellan schlug gegen ihre Zähne.
- Und wenn das Geld alle ist, wird es uns auch nicht schlecht gehen, wir schlafen dann unterm Sternenhimmel und liegen auf dem sonnenwarmen Sand und holen uns Fische aus dem Meer.
- Bruno, was ist passiert mit dir?
Da sah er sie an. Ein Teil seines Gesichtes war von der Sonne in Gold getaucht.
- Ich will doch noch leben.
Er lächelte ängstlich und aufgeregt zugleich.
Mimi stand auf. Ihr war als würde sie endlich wieder schweben. Sie umarmte ihn. Bruno legte die Hände auf Mimis Hintern und zwickte sie zärtlich.
- Ich hatte es vergessen.
Sein heißer Atem kitzelte ihre Schläfe.
Sie reisten durch die Welt. Mit in Wasser getränkten Tüchern auf den Köpfen fuhren sie durchs Death Valley und staunten über den Grand Canyon. Danach ging es zu den Krokodilen nach Florida. Sie besuchten die Ausgrabungsstätten der Inka, kletterten mit Steigeisen auf dem Packeis herum und winkten einem Eisbären. Ergriffen blickten sie zum Ayers Rock im Northern Territorium auf und gingen den Songlines der Aborigines nach, um danach in einem der Dörfer gastfreundlich aufgenommen zu werden. Sie atmeten den Duft von Zimt und Kardamom in indischen Tempeln. In Burundi krochen sie durchs Gebüsch und warteten darauf, die Gorillas beim Liebesspiel zu erleben.
Sie stapften durch Mangrovensümpfe und begegneten einer Elefantenherde auf dem Weg zu einer Hochzeit im Busch. Die Eltern der Jungvermählten nahmen ihnen das Versprechen ab, beim nächsten Besuch unbedingt länger zu bleiben.
- Und Leopardenaugen schillern wirklich im Mondlicht.
Mimi flüsterte in Brunos Ohr, als sie unter der Zeltplane verborgen den Jäger durchs Gras der Savanne pirschen sahen.
Mimi lernte bei tunesischen Frauen Bauchtanz. Bruno trank mit den Fischern ein paar Gläser Ouzo und legte die Arme auf ihre Schultern zum Sirtaki.
- Hopa!
Er schrie, lachte und schwang das Bein.
Bruno fächerte im Café am Hauptplatz von Arles die Brieftasche auf.
- Jetzt sind wir obdachlos.
Bis auf ein paar Euroscheine war sie leer.
Brunos Haut war braun, der Körper hatte die Schlaffheit verloren. Sehnig und ledrig saß er Mimi gegenüber und grinste. Sie hatte aufgehört, ihr Haar zu färben und schneiden zu lassen. Schlohweiß flatterte es bei Mistral um ihre Schultern.
- Wir haben Freunde auf der ganzen Welt, und wie du damals in der Küche sagtest, den Sternenhimmel.
Mimi konnte sich nicht satt sehen an ihrem Bruno.
Es war spät im August, sie nahm den Strauß mit gelben und violetten Astern in die Arme und tauchte ihr Gesicht hinein. Beim Morgenspaziergang auf den Blumenmarkt hatte ein Gärtner Mimi die Hand geküsst und den Strauß in ihren Einkaufskorb gelegt.
- Wo werden wir den Winter verbringen.
Sie fragte die Astern.
Bruno schnippte mit den Fingern.
- Hopa!
Für gewöhnlich schlappte Bruno um sechs im Pyjama vor die Tür, beklagte sich übers Wetter, egal ob die Sonne schien oder der Himmel trüb und verhangen war. Er kehrte zurück, setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Erst schimpfte er über die Politiker, vertiefte sich dann ins Fernsehprogramm.
Wenn Mimi ihm zum dritten Mal Milchkaffee nachschenkte, faltete er die Zeitung sauber zusammen und reichte sie ihr.
Nur die Reisebeilage am Sonntag zog sie ihm unter der Nase weg.
Beim Mittagsschlaf träumte sie dann von grazilen Tänzerinnen auf Bali in goldgelben Saris, einem Schlitten, den zehn hechelnde Huskies übers Eis zogen, einer Nacht in der Serengeti und von Leoparden, deren Augen im Mondlicht schillerten. Und sie malte sich aus, wie ihnen in allen Ländern, die sie bereisten, Menschen begegneten, die ein offenes Haus für sie hatten. Nach einer solchen Siesta erwachte sie mit geröteten Wangen und das Blut summte in den Adern.
Heute war alles anders. Statt sich zu beklagen tigerte Bruno durch das Haus, in dem sie seit dreißig Jahren wohnten. Er blickte in den Garten hinaus. Seine einzige Freude, dachte Mimi, die ihn nicht aus den Augen ließ. Damals hatten sie die Absicht, sobald Kinder da wären, ein Haus mit hellen, großen Räumen zu beziehen.
Die Zeitung hatte er nicht angerührt, nach einem Schluck war er aufgesprungen. Nun lehnte er an der Spüle und sah Mimi aus blitzblauen Augen an.
- Vorschlag!
Der Doppelpunkt in seiner Stimme veranlasste sie aufzublicken. Während sie Bruno erwartungsvoll anstarrte, senkte sich die Reisebeilage wie von alleine zwischen die Kaffeebecher auf Toastreste nieder. Die Bartstoppeln glitzerten in der Morgensonne. Seine Finger nestelten am Kragen der gestreiften Pyjamajacke. Mimi räusperte sich als könnte sie ihm damit helfen, die richtigen Worte zu finden. Seine Mundwinkel zuckten, ein Lächeln, fragte sich Mimi. Wie lange es doch her war, dass sie zusammen gelacht hatten. Einen Nörgler hatte das Alter aus ihm gemacht, humorlos und langweilig.
Bruno kratzte sich am Kehlkopf, schnaufte.
Mimi brannte vor Neugier, doch ihre Angst, dass er sich wieder in sich selbst verkroch, wenn sie zu eindringlich wurde, war groß.
- Ich höre? Sie versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.
Da, ein Lidschlag!
- Gestern ist ein Brief gekommen – du warst einkaufen. Das Haus ist abbezahlt.
Bruno zog den gefalteten Bogen aus der Brusttasche, strich ihn glatt, hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Dann knüllte er ihn zusammen.
- Bin gleich wieder da.
Mimi stürzte zum Fenster und sah ihn mit dem Spaten zu dem einzigen Baum gehen. Nachdem er den Brief darunter vergraben hatte, malte er drei Kreuze in die Luft.
Er saß nun mit verschränkten Armen auf der Arbeitsplatte neben der Spüle und nickte wie der Wackeldackel im Fond des alten Simcas.
- Eingeklemmt zwischen den Nachbarn kann man jeden Furz hören, knurrte Bruno.
Mimi biss sich auf die Lippen.
Jetzt fixierte er den geblümten Plastikrand der Küchenuhr.
Wie lange würde es dauern, das Haus wieder auszugeben, wie weit würden wir kommen, fragte sich Mimi.
Bruno sprang herunter und trat an den Tisch. Er schnappte sich die Reisebeilage.
- Schau nur, was es alles gibt, sagte er und tippte mit dem Finger auf die Abbildung eines strahlend weißen Hauses mit blauen Fensterrahmen. Kreta stand darunter.
Mimi griff nach dem Kaffee; das Porzellan schlug gegen ihre Zähne.
- Und wenn das Geld alle ist, wird es uns auch nicht schlecht gehen, wir schlafen dann unterm Sternenhimmel und liegen auf dem sonnenwarmen Sand und holen uns Fische aus dem Meer.
- Bruno, sagte Mimi leise.
Da sah er sie an. Ein Teil seines Gesichtes war von der Sonne in Gold getaucht.
- Ich will doch noch leben. Er lächelte ängstlich und aufgeregt zugleich.
Mimi stand auf. Ihr war als würde sie endlich wieder schweben. Sie umarmte ihn. Bruno legte die Hände auf Mimis Hintern und zwickte sie zärtlich.
- Ich hatte es vergessen. Sein heißer Atem kitzelte ihre Schläfe.
Sie reisten durch die Welt. Mit in Wasser getränkten Tüchern auf den Köpfen fuhren sie durchs Death Valley und staunten über den Grand Canyon. Danach ging es zu den Krokodilen nach Florida. Sie besuchten die Ausgrabungsstätten der Inka, kletterten mit Steigeisen auf dem Packeis herum und winkten einem Eisbären. Ergriffen blickten sie zum Ayers Rock im Northern Territorium auf und gingen den Songlines der Aborigines nach, um danach in einem der Dörfer gastfreundlich aufgenommen zu werden. Sie atmeten den Duft von Zimt und Kardamom in indischen Tempeln. In Burundi krochen sie durchs Gebüsch und warteten darauf, die Gorillas beim Liebesspiel zu erleben.
Sie stapften durch Mangrovensümpfe und begegneten einer Elefantenherde auf dem Weg zu einer Hochzeit im Busch. Die Eltern der Jungvermählten nahmen ihnen das Versprechen ab, beim nächsten Besuch unbedingt länger zu bleiben.
- Und Leopardenaugen schillern wirklich im Mondlicht, flüsterte Mimi Bruno ins Ohr, als sie unter der Zeltplane verborgen den Jäger durchs Gras der Savanne pirschen sahen.
Mimi lernte bei tunesischen Frauen Bauchtanz. Bruno trank mit den Fischern ein paar Gläser Ouzo und legte die Arme auf ihre Schultern zum Sirtaki.
- Hopa, schrie er und schwang das Bein.
- Jetzt sind wir obdachlos, sagte er zu Mimi im Café am Hauptplatz von Arles und fächerte die Brieftasche auf. Bis auf ein paar Euroscheine war sie leer.
Brunos Haut war braun, der Körper hatte die Schlaffheit verloren. Sehnig und ledrig saß er Mimi gegenüber und grinste. Sie hatte aufgehört, ihr Haar zu färben und schneiden zu lassen. Schlohweiß flatterte es bei Mistral um ihre Schultern.
- Wir haben Freunde auf der ganzen Welt, sagte sie, und den Sternenhimmel.
Es war spät im August, Mimi nahm den Strauß mit gelben und violetten Astern in die Arme und tauchte ihr Gesicht hinein. Beim Morgenspaziergang auf den Blumenmarkt hatte ihr ein Gärtner die Hand geküsst und den Strauß in Mimis Einkaufskorb gelegt.
- Wo werden wir den Winter verbringen, fragte sie die Astern.
Bruno schnippte mit den Fingern.
- Hopa!, sagte er.
Korrektur in blau /danke Klara!
(c)Elsa Rieger