Die Apfelfrau oder Ja, ich wohne hier selbst
Verfasst: 17.04.2007, 17:20
Überarbeitete Fassung:
Die Apfelfrau oder Ja, ich wohne hier selbst
[align=right]
„Und nun hatte ihn der fatale Tritt in den Äpfelkorb um alles [ alles!] gebracht“
(E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf)[/align]
Eines Tages klingelte die Apfelfrau an der Tür und der Mann im Haus öffnete.
„Moin, wolln se frische Äppel kaufen?“
„Wie?“
„Sind richtich läcka, knackig und alles, Schneewittchens Stiefmutter würde...“
„Ähm...“ unterbrach ein archaisches Rückenmark-Veto die sicher seit Generationen von Haustür zu Haustür geschleppte Werbestrategie.
„Wir habn für jeden die richtige Kistengröße dabei“, ergänzte die Apfelfrau und nickte in Richtung Straße, wo im Führerhaus eines Kleinlasters ein zahnloser, untersetzter Mann eines dieser Ich-habe-eine Axt-auf-meinem-Beifahrersitz-Grinsen herüberwarf, wie es nur Männer vermögen, die Cousin UND Ehemann ihrer Frau in dritter Generation sind.
„Eine ganze Kiste...also wir wohnen hier zu zweit, ich weiß wirklich nicht, ob...“, probierte nun das Großhirn eine Argumentation.
Woraufhin die Apfelfrau kommentarlos in ihrer beängstigend tiefen Schürze wühlte, einen furunkeligen Apfel und ein wirklich altes Obstmesser herausholte, den Apfel kurz an ihrem Seemannspulli rieb, ein mondförmiges Stück herausschnitt, es auf die Messerspitze piekste und es ihm zum Verzehr unter die Nase hielt.
Wie mein Mann mir hinterher mit einer Großhandelskiste Äpfel in den Armen über mein morgendliches Badewannenwasserschaumgebirge hinweg erzählte, hatte er im weiteren Verlauf des Verkaufsgespräches nichts als die hufdicken Fingernägel der Apfelfrau gesehen, die für das Aufpieksen das Apfelstück kurz gestreift hatten, und nichts entgegnen können – aus Angst etwas, und sei es noch so klein, davon in den Mund gesteckt zu bekommen. Zu allem Übel hatte sich bei einem zweiten Blick auf den Kumpanen der Apfelfrau außerdem Furcht und sogar Mitleid für erstere hinzugemischt, so dass es kam, wie es kommen musste: Wir waren für einen Spottpreis von 50 Euro stolze Besitzer der kleinsten Kiste Obst, die die Apfelfrau verkaufte: 20 kg geballtes Boskop-Glück.
„Warum hast du denn bloß...“, versuchte ich in Tatortmanie anzusetzen, doch mein Mann schaute mich so grunderschöpft an, dass ich nähere Untersuchungen unterließ. Und das, obwohl unser gemeinsamer Lebensabschnitt schon ins siebte Jahr geht und ich in all den Jahren eine Menge Lacher von ihm für schwächelndes Verhalten an der Haustür geerntet habe.
So klopfte ich meinem Mann mutmachend auf die Knie, weil ich an den Rücken nicht herankam, und er fragte mit herabhängendem Kopf, wo er die Kiste denn unterbringen könnte. „Im Keller.“
Worauf ich weniger kam, weil Obst lichtgeschützt angeblich länger haltbar ist, sondern eher, weil ich mich an all die anderen unbrauchbaren, ausrangierten Gegenstände dort erinnert fühlte, bezüglich derer man unbegreiflicherweise eine dieser unüberwindbaren, moralischen Sperren im Kopf hat, obwohl man so gar nichts mit ihnen anfangen kann („So was schmeißt m a n nicht einfach weg“)
Nach vollbrachter Verstauung kam mein Mann wieder hinaufgestapft, hockte sich mit dunkler Miene auf den Wannenrand und wippte mit den Beinen.
„Hm?“, fragte ich möglichst liebevoll.
„Na ja, du weißt doch, dass ich gegen alles, was Kerne hat, allergisch bin...“
Und obwohl ich spürte, dass sich dieses für Männer typische, den Nutzwert vermissende Genöle nur ganz ganz knapp gegen die Scham durchgesetzt hatte, war es genug – nach etwa drei Stunden hatte ich fertig gelacht, die Krämpfe ließen nach.
„Ach, ich back da einfach Kuchen draus“, versuchte ich danach wieder Vertrauen gutzumachen. "Und auch wenn du die dann nicht essen kannst...dann machen wir uns eben endlich mal mit ihnen bei den Nachbarn beliebt!"
„Du willst Ku...“, setzte mein Mann an, aber dann gab er auf – er war gebrochen.
Bevor wir ins nächste Jahr springen, bleibt noch zu erwähnen, dass wir unmittelbar nach diesem so außerordentlich geglückten Haustürgeschäft wie geplant unsere vierwöchige Reise nach Frankreich antraten. Die Äpfel überstanden diesen Zeitraum natürlich nicht, obwohl mir wieder und wieder beteuert wurde, die Apfelfrau hätte garantiert, das Obst hielte sich bis zu drei Monate. Für mich war das unproblematisch – ich hatte eh nicht ernsthaft etwas mit den Äpfel vorgehabt, aber mein Mann verkraftete dies weniger. Bis in den Schlaf verfolgte mich immer wieder das Echo in der Dunkelheit „Aber die Apfelfrau hat gesagt...aber die Apfelfrau hat es doch gesagt, sie hat es doch...die Apfelfrau, die Apfelfrau“. Doch irgendwann setze die Verdrängung ein.
...Und dauerte bis neulich an, als es klingelte. Ich war allein zuhause und wägte ab. Tür aufmachen? Tür nicht aufmachen? Denn eigentlich war ich schon aufgrund der verdächtig mittäglichen Uhrzeit alarmiert, zu der ich mir schon lange geschworen hatte, die Tür nicht mehr zu öffnen. Hatte man doch nur biedere Zeugen Jehovas, den ungefähr 100 mal im Jahr für die Kriegsgräberfürsorge sammelnden alkoholkranken Rentner oder Gefro-Tiefkühlwarenaboanpreiser zu erwarten, die nicht mal zum Gehen bereit waren, wenn man ihnen sagte, dass man gar keine Tiefkühltruhe besaß. Aber leider kam um diese Zeit auch der Paketbote – ein für Frauen fast unschlagbares Argument – ich m u s s t e es wagen!
„Guten Tag, ist deine Mutter da?“
Die Apfelfrau hatte wieder zugeschlagen.
Ich meine, ich dachte immer, man wäre e n t w e d e r niedergeschlagen, weil man für minderjährig gehalten wird o d e r weil man seine ersten Fältchen entdeckt.
Aber damit nicht genug, rief diese Frage der Apfelfrau auch noch dieses unangenehme Verdachtsgefühl hervor, dass meine Mutter wirklich hier wohnte. Sofort stiegen fieberhafte Phantasien in mir auf. Ich sah meine Mutter in irgendeinem unsere Wandschränke sitzen, seit Jahren dort ausharrend, sich nur von vergessenen Keksen aus Reisekoffern und den Restflüssigkeiten gesammelter und natürlich nicht weggebrachter Pfandflaschen ernährend, um eines großen großen Tages endlich den Haushalt zu übernehmen und endlich zu richten, was nicht so gehörte, wie es war – also alles. Alle Aufmerksamkeit war aufgebraucht für diese Suggestion, so jedenfalls rechtfertige ich vor mir meine Antwort, die ich der Apfelfrau auf ihre Frage gab: „Nein, ich wohne hier selbst“. Was für eine Meisterleistung.
Wie seltsam dieser Satz war, lässt sich daran erkennen, dass die Apfelfrau daraufhin keinen Spruch parat hatte, zögerte, sich mit einem „Ahsoooooooo“ nur gerade so noch wieder fing und auf diese Weise verhinderte, dass ihr beim Versuch, dieses Gespräch doch noch in ein Geschäft zu verwandeln, was hieß, es verstehen zu müssen, der fettige Schädel platze. Sie beschränkte sich auf die herausgefilterte Information, dass meine Mutter nicht zuhause war, und gab sich geschlagen. „Ja, dann...“, sagte sie, schon in der Rückwärtsbewegung und ihr Kumpan warf noch bevor sie den Wagen erreichte, den Motor an und sie brausten davon.
Als am Abend der Mann wieder im Haus war, erwähnte ich in einem Nebensatz, dass ich die Apfelfrau in die Flucht geschlagen hatte; die näheren Umstände verschwieg ich dabei freilich.
Seitdem habe ich über mich keinen einzigen Haustürversagerwitz mehr gehört, selbst nicht, als ich neulich fast den GEZ-Mann hereingelassen hätte, der bei uns anständigen Mittelständlern natürlich immer ein gern gesehener Gast ist, aber einfach zu ungelegen kam.
Erstfassung:
Alles fing eigentlich schon letztes Jahr an, aber da saß ich gerade in der Badewanne.
Die Apfelfrau klingelte an der Tür und der Mann im Haus öffnete.
„Moin, wolln se frische Äppel kaufen?“
„Wie?“
„Sind richtich läcka, knackig und alles, Schneewittchens Stiefmutter würde...“
„Ähm...“ unterbrach ein archaisches Rückenmark-Veto die sicher seit Generationen von Haustür zu Haustür geschleppte Werbestrategie.
„Wir habn für jeden die richtige Kistengröße dabei“, ergänzte die Apfelfrau und nickte in Richtung Straße, wo im Führerhaus eines Kleinlasters ein zahnloser, untersetzter Mann eines dieser Ich-habe-eine Axt-auf-meinem-Beifahrersitz-Grinsen herüberwarf, wie es nur Männer vermögen, die Cousin UND Ehemann ihrer Frau in dritter Generation sind.
„Eine ganze Kiste...also wir wohnen hier zu zweit, ich weiß wirklich nicht, ob...“, probierte nun das Großhirn eine Argumentation.
Woraufhin die Apfelfrau kommentarlos in ihrer beängstigend tiefen Schürze wühlte, einen furunkeligen Apfel und ein wirklich altes Obstmesser herausholte, den Apfel kurz an ihrem Seemannspulli rieb, ein mondförmiges Stück herausschnitt, es auf die Messerspitze piekste und es ihm zum Verzehr unter die Nase hielt.
Wie der Mann im Haus mir hinterher mit einer Großhandelskiste Äpfel in den Armen über das Badeschaumgebirge hinweg erzählte, hatte er in diesem Augenblick nichts als die hufdicken Fingernägel gesehen, die für das Aufpieksen das Apfelstück kurz gestreift hatten, und nichts entgegnen können – aus Angst etwas, und sei es noch so klein, davon in den Mund gesteckt zu bekommen. Zu allem Übel hatte sich bei einem zweiten Blick auf den Kumpanen der Apfelfrau noch Furcht und sogar Mitleid für erstere hinzugemischt, so dass es kam, wie es kommen musste: Wir waren für einen Spottpreis von 50 Euro stolze Besitzer der kleinsten Kiste Obst, die die Apfelfrau verkaufte: 20 kg geballtes Boskop-Glück, womit hatten wir nur dieses unfassbare Geschenk verdient!
„Warum hast du denn bloß...“, versuchte ich noch in Tatortmanie anzusetzen, doch mein gestandener Mann schaute mich so grunderschöpft an, dass ich nähere Untersuchungen unterließ. Und das, obwohl unser gemeinsame Lebensabschnitt schon ins 7 Jahr geht und ich in all den Jahren eine Menge Lacher von ihm für schwächelndes Verhalten an der Haustür geerntet habe. Und wenn ich eine Menge sage, dann meine ich wirklich eine Menge, Sie verstehen?
So klopfte ich meinem gestandenen Mann nur mutmachend an die Knie, weil ich an den Rücken nicht herankam, und er fragte mit herabhängendem Kopf, wo er die Kiste denn nur unterbringen könnte und ich sagte: „Im Keller.“
Worauf ich weniger kam, weil Obst lichtgeschützt angeblich länger haltbar ist, sondern eher, weil ich mich an all die anderen unbrauchbaren, ausrangierten Gegenstände dort erinnert fühlte, für die es ebenfalls keinen ausreichend großen Mülleimer gab oder bezüglich derer man unbegreiflicherweise diese moralische Sperre „So was schmeißt man nicht einfach weg“ im Kopf hat, obwohl man so gar nichts mit ihnen anfangen kann.
Nach vollbrachter Verstauung kam mein gestandener Mann wieder hinaufgestapft, hockte sich mit dunkler Miene auf den Wannenrand und wippte mit den Beinen.
„Hm?“, fragte ich möglichst liebevoll.
„Na ja, du weißt doch, dass ich gegen alles, was Kerne hat, allergisch bin...“
Und obwohl ich spürte, dass sich dieses für Männer typische, den Nutzwert vermissende Genöle nur ganz ganz knapp gegen die Scham durchgesetzt hatte, war es genug – nach etwa drei Stunden hatte ich fertig gelacht, die Krämpfe ließen nach.
„Ach, ich back uns da einfach Kuchen draus“, versuchte ich danach wieder Vertrauen gutzumachen.
„Du willst...“, setze mein gestandener Mann an, aber dann gab er auf – er war gebrochen.
Bevor wir das Jahr wechseln, bleibt nur noch zu erwähnen, dass wir drei Tage nach diesem so außerordentlich geglücktem Haustürgeschäft wie geplant unsere vierwöchige Reise nach Frankreich antraten, wo mein gestandener Mann für diese Zeit eine Gastprofessur angenommen hatte. Die Äpfel überstanden diesen Zeitraum natürlich nicht, obwohl mir wieder und wieder beteuert wurde, die Apfelfrau hätte garantiert, das Obst hielte sich bis zu drei Monate. Bis in den Schlaf verfolgte mich wochenlang das Echo in der Dunkelheit „Aber die Apfelfrau hat gesagt...aber die Apfelfrau hat es doch gesagt, sie hat es doch...die Apfelfrau, die Apfelfrau“ und ich befürchtete schon, mein gestandener Mann würde zu weben anfangen, wie es auch immer die gestörten Reitponys im Verein getan hatten. Doch irgendwann setze die Verdrängung ein.
Und dauerte leider nur bis neulich an. Ich hatte wohl den jährlichen Großwaschtag vergessen und war somit schon haustüraufmachbereit, als es klingelte. Eigentlich hätte ich schon aufgrund der verdächtig mittäglichen Uhrzeit alarmiert sein müssen, zu der ich mir schon lange geschworen hatte, die Tür nicht mehr aufzumachen. Hatte man doch nur biedere Zeugen Jehovas, den alkoholkranken Rentner, der ungefähr 100 mal im Jahr Spenden für die Kriegsgrabpflege sammelte, oder Gefro-Tiefkühlwarenaboanpreiser zu erwarten, die nicht mal zum Gehen bereit waren, wenn man sagte, dass man gar keine Tiefkühltruhe besaß.
Aber seit die Pakete nicht mehr nur mit DHL, sondern auch mit UPS kommen, gelingt es mir nicht immer, Unglücksboten und Glücksboten anhand der Farbe ihrer Kleidung ungesehen vom oberen Treppenabsatz aus durch das Milchtürglas zu unterscheiden. Ich sah nur dunkelblaue Kluft – ich m u s s t e es wagen!
„Guten Tag, ist deine Mutter da?“, schlug es mir entgegen.
Die Apfelfrau hatte wieder zugeschlagen.
Ich meine, ich dachte immer, man wäre e n t w e d e r niedergeschlagen, weil man für minderjährig gehalten wird o d e r weil man die ersten Fältchen entdeckt. Ganz abgesehen von diesem mehr als unangenehmen Verdachtsgefühl, dass meine Mutter wirklich hier wohnte, welches dieser Satz erzeugte. Sofort stiegen fieberhafte Phantasien in mir auf. Ich sah meine Mutter in irgendeinem unsere Wandschränke sitzen, seit Jahren dort ausharrend, sich nur von vergessenen Keksen aus Reisekoffern und den Restflüssigkeiten gesammelter und natürlich nicht weggebrachter Pfandflaschen ernährend, um eines großen großen Tages endlich den Haushalt zu übernehmen und endlich zu richten, was nicht so gehörte, wie es war – also alles. Alle Aufmerksamkeit war aufgebraucht für diese Suggestion, so jedenfalls rechtfertige ich meine Antwort, die ich der Apfelfrau auf ihre Frage gab, vor mir. Die da lautete: „Nein, ich wohne hier selbst“. Was für eine Meisterleistung.
Wie krank dieser Satz war, lässt sich daran erkennen, dass die Apfelfrau daraufhin keinen Spruch parat hatte, zögerte, sich mit einem „Ahsoooooooo“ nur gerade so noch wieder in ihre Spur brachte und auf diese Weise verhinderte, dass ihr beim Versuch, dieses Gespräch doch noch in ein Geschäft zu verwandeln, der fettige Schädel platze. Wieder in der Spur zu sein hieß in diesem Fall für die Apfelfrau, sich bloß auf den von ihr herausgefilterten Aspekt zu konzentrieren, dass meine Mutter nicht da war, und ansonsten nicht auch nur im Ansatz verstehen zu wollen, was ich mit meinem Satz im weiteren Sinne hatte sagen wollen.
„Ja, dann...“, sagte sie, schon in der Rückwärtsbewegung und ihr Kumpan warf noch bevor sie den Wagen erreichte, den Motor an und sie fuhren davon.
Als am Abend der Mann wieder im Haus war, berichtete ich nur, dass ich die Apfelfrau in die Flucht geschlagen hätte und dass ohne auch nur ein einziges Kernobst zu kaufen, die näheren Umstände ließ ich dabei freilich außer Acht. Seitdem habe ich keinen einzigen Haustürversagerwitz über mich mehr gehört, selbst nicht, als ich neulich fast den GEZ-Mann hereingelassen hätte, der bei uns anständigen Mittelständern natürlich immer ein gern gesehener Gast ist, aber einfach so ungelegen kam, dass mein gestandener Mann dazwischenfuhr und durch den Briefkastenschlitz raunte, wir würden hier nur auf das Haus aufpassen, die richtigen Besitzer seien nicht zuhause.
Die Apfelfrau oder Ja, ich wohne hier selbst
[align=right]
„Und nun hatte ihn der fatale Tritt in den Äpfelkorb um alles [ alles!] gebracht“
(E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf)[/align]
Eines Tages klingelte die Apfelfrau an der Tür und der Mann im Haus öffnete.
„Moin, wolln se frische Äppel kaufen?“
„Wie?“
„Sind richtich läcka, knackig und alles, Schneewittchens Stiefmutter würde...“
„Ähm...“ unterbrach ein archaisches Rückenmark-Veto die sicher seit Generationen von Haustür zu Haustür geschleppte Werbestrategie.
„Wir habn für jeden die richtige Kistengröße dabei“, ergänzte die Apfelfrau und nickte in Richtung Straße, wo im Führerhaus eines Kleinlasters ein zahnloser, untersetzter Mann eines dieser Ich-habe-eine Axt-auf-meinem-Beifahrersitz-Grinsen herüberwarf, wie es nur Männer vermögen, die Cousin UND Ehemann ihrer Frau in dritter Generation sind.
„Eine ganze Kiste...also wir wohnen hier zu zweit, ich weiß wirklich nicht, ob...“, probierte nun das Großhirn eine Argumentation.
Woraufhin die Apfelfrau kommentarlos in ihrer beängstigend tiefen Schürze wühlte, einen furunkeligen Apfel und ein wirklich altes Obstmesser herausholte, den Apfel kurz an ihrem Seemannspulli rieb, ein mondförmiges Stück herausschnitt, es auf die Messerspitze piekste und es ihm zum Verzehr unter die Nase hielt.
Wie mein Mann mir hinterher mit einer Großhandelskiste Äpfel in den Armen über mein morgendliches Badewannenwasserschaumgebirge hinweg erzählte, hatte er im weiteren Verlauf des Verkaufsgespräches nichts als die hufdicken Fingernägel der Apfelfrau gesehen, die für das Aufpieksen das Apfelstück kurz gestreift hatten, und nichts entgegnen können – aus Angst etwas, und sei es noch so klein, davon in den Mund gesteckt zu bekommen. Zu allem Übel hatte sich bei einem zweiten Blick auf den Kumpanen der Apfelfrau außerdem Furcht und sogar Mitleid für erstere hinzugemischt, so dass es kam, wie es kommen musste: Wir waren für einen Spottpreis von 50 Euro stolze Besitzer der kleinsten Kiste Obst, die die Apfelfrau verkaufte: 20 kg geballtes Boskop-Glück.
„Warum hast du denn bloß...“, versuchte ich in Tatortmanie anzusetzen, doch mein Mann schaute mich so grunderschöpft an, dass ich nähere Untersuchungen unterließ. Und das, obwohl unser gemeinsamer Lebensabschnitt schon ins siebte Jahr geht und ich in all den Jahren eine Menge Lacher von ihm für schwächelndes Verhalten an der Haustür geerntet habe.
So klopfte ich meinem Mann mutmachend auf die Knie, weil ich an den Rücken nicht herankam, und er fragte mit herabhängendem Kopf, wo er die Kiste denn unterbringen könnte. „Im Keller.“
Worauf ich weniger kam, weil Obst lichtgeschützt angeblich länger haltbar ist, sondern eher, weil ich mich an all die anderen unbrauchbaren, ausrangierten Gegenstände dort erinnert fühlte, bezüglich derer man unbegreiflicherweise eine dieser unüberwindbaren, moralischen Sperren im Kopf hat, obwohl man so gar nichts mit ihnen anfangen kann („So was schmeißt m a n nicht einfach weg“)
Nach vollbrachter Verstauung kam mein Mann wieder hinaufgestapft, hockte sich mit dunkler Miene auf den Wannenrand und wippte mit den Beinen.
„Hm?“, fragte ich möglichst liebevoll.
„Na ja, du weißt doch, dass ich gegen alles, was Kerne hat, allergisch bin...“
Und obwohl ich spürte, dass sich dieses für Männer typische, den Nutzwert vermissende Genöle nur ganz ganz knapp gegen die Scham durchgesetzt hatte, war es genug – nach etwa drei Stunden hatte ich fertig gelacht, die Krämpfe ließen nach.
„Ach, ich back da einfach Kuchen draus“, versuchte ich danach wieder Vertrauen gutzumachen. "Und auch wenn du die dann nicht essen kannst...dann machen wir uns eben endlich mal mit ihnen bei den Nachbarn beliebt!"
„Du willst Ku...“, setzte mein Mann an, aber dann gab er auf – er war gebrochen.
Bevor wir ins nächste Jahr springen, bleibt noch zu erwähnen, dass wir unmittelbar nach diesem so außerordentlich geglückten Haustürgeschäft wie geplant unsere vierwöchige Reise nach Frankreich antraten. Die Äpfel überstanden diesen Zeitraum natürlich nicht, obwohl mir wieder und wieder beteuert wurde, die Apfelfrau hätte garantiert, das Obst hielte sich bis zu drei Monate. Für mich war das unproblematisch – ich hatte eh nicht ernsthaft etwas mit den Äpfel vorgehabt, aber mein Mann verkraftete dies weniger. Bis in den Schlaf verfolgte mich immer wieder das Echo in der Dunkelheit „Aber die Apfelfrau hat gesagt...aber die Apfelfrau hat es doch gesagt, sie hat es doch...die Apfelfrau, die Apfelfrau“. Doch irgendwann setze die Verdrängung ein.
...Und dauerte bis neulich an, als es klingelte. Ich war allein zuhause und wägte ab. Tür aufmachen? Tür nicht aufmachen? Denn eigentlich war ich schon aufgrund der verdächtig mittäglichen Uhrzeit alarmiert, zu der ich mir schon lange geschworen hatte, die Tür nicht mehr zu öffnen. Hatte man doch nur biedere Zeugen Jehovas, den ungefähr 100 mal im Jahr für die Kriegsgräberfürsorge sammelnden alkoholkranken Rentner oder Gefro-Tiefkühlwarenaboanpreiser zu erwarten, die nicht mal zum Gehen bereit waren, wenn man ihnen sagte, dass man gar keine Tiefkühltruhe besaß. Aber leider kam um diese Zeit auch der Paketbote – ein für Frauen fast unschlagbares Argument – ich m u s s t e es wagen!
„Guten Tag, ist deine Mutter da?“
Die Apfelfrau hatte wieder zugeschlagen.
Ich meine, ich dachte immer, man wäre e n t w e d e r niedergeschlagen, weil man für minderjährig gehalten wird o d e r weil man seine ersten Fältchen entdeckt.
Aber damit nicht genug, rief diese Frage der Apfelfrau auch noch dieses unangenehme Verdachtsgefühl hervor, dass meine Mutter wirklich hier wohnte. Sofort stiegen fieberhafte Phantasien in mir auf. Ich sah meine Mutter in irgendeinem unsere Wandschränke sitzen, seit Jahren dort ausharrend, sich nur von vergessenen Keksen aus Reisekoffern und den Restflüssigkeiten gesammelter und natürlich nicht weggebrachter Pfandflaschen ernährend, um eines großen großen Tages endlich den Haushalt zu übernehmen und endlich zu richten, was nicht so gehörte, wie es war – also alles. Alle Aufmerksamkeit war aufgebraucht für diese Suggestion, so jedenfalls rechtfertige ich vor mir meine Antwort, die ich der Apfelfrau auf ihre Frage gab: „Nein, ich wohne hier selbst“. Was für eine Meisterleistung.
Wie seltsam dieser Satz war, lässt sich daran erkennen, dass die Apfelfrau daraufhin keinen Spruch parat hatte, zögerte, sich mit einem „Ahsoooooooo“ nur gerade so noch wieder fing und auf diese Weise verhinderte, dass ihr beim Versuch, dieses Gespräch doch noch in ein Geschäft zu verwandeln, was hieß, es verstehen zu müssen, der fettige Schädel platze. Sie beschränkte sich auf die herausgefilterte Information, dass meine Mutter nicht zuhause war, und gab sich geschlagen. „Ja, dann...“, sagte sie, schon in der Rückwärtsbewegung und ihr Kumpan warf noch bevor sie den Wagen erreichte, den Motor an und sie brausten davon.
Als am Abend der Mann wieder im Haus war, erwähnte ich in einem Nebensatz, dass ich die Apfelfrau in die Flucht geschlagen hatte; die näheren Umstände verschwieg ich dabei freilich.
Seitdem habe ich über mich keinen einzigen Haustürversagerwitz mehr gehört, selbst nicht, als ich neulich fast den GEZ-Mann hereingelassen hätte, der bei uns anständigen Mittelständlern natürlich immer ein gern gesehener Gast ist, aber einfach zu ungelegen kam.
Erstfassung:
Alles fing eigentlich schon letztes Jahr an, aber da saß ich gerade in der Badewanne.
Die Apfelfrau klingelte an der Tür und der Mann im Haus öffnete.
„Moin, wolln se frische Äppel kaufen?“
„Wie?“
„Sind richtich läcka, knackig und alles, Schneewittchens Stiefmutter würde...“
„Ähm...“ unterbrach ein archaisches Rückenmark-Veto die sicher seit Generationen von Haustür zu Haustür geschleppte Werbestrategie.
„Wir habn für jeden die richtige Kistengröße dabei“, ergänzte die Apfelfrau und nickte in Richtung Straße, wo im Führerhaus eines Kleinlasters ein zahnloser, untersetzter Mann eines dieser Ich-habe-eine Axt-auf-meinem-Beifahrersitz-Grinsen herüberwarf, wie es nur Männer vermögen, die Cousin UND Ehemann ihrer Frau in dritter Generation sind.
„Eine ganze Kiste...also wir wohnen hier zu zweit, ich weiß wirklich nicht, ob...“, probierte nun das Großhirn eine Argumentation.
Woraufhin die Apfelfrau kommentarlos in ihrer beängstigend tiefen Schürze wühlte, einen furunkeligen Apfel und ein wirklich altes Obstmesser herausholte, den Apfel kurz an ihrem Seemannspulli rieb, ein mondförmiges Stück herausschnitt, es auf die Messerspitze piekste und es ihm zum Verzehr unter die Nase hielt.
Wie der Mann im Haus mir hinterher mit einer Großhandelskiste Äpfel in den Armen über das Badeschaumgebirge hinweg erzählte, hatte er in diesem Augenblick nichts als die hufdicken Fingernägel gesehen, die für das Aufpieksen das Apfelstück kurz gestreift hatten, und nichts entgegnen können – aus Angst etwas, und sei es noch so klein, davon in den Mund gesteckt zu bekommen. Zu allem Übel hatte sich bei einem zweiten Blick auf den Kumpanen der Apfelfrau noch Furcht und sogar Mitleid für erstere hinzugemischt, so dass es kam, wie es kommen musste: Wir waren für einen Spottpreis von 50 Euro stolze Besitzer der kleinsten Kiste Obst, die die Apfelfrau verkaufte: 20 kg geballtes Boskop-Glück, womit hatten wir nur dieses unfassbare Geschenk verdient!
„Warum hast du denn bloß...“, versuchte ich noch in Tatortmanie anzusetzen, doch mein gestandener Mann schaute mich so grunderschöpft an, dass ich nähere Untersuchungen unterließ. Und das, obwohl unser gemeinsame Lebensabschnitt schon ins 7 Jahr geht und ich in all den Jahren eine Menge Lacher von ihm für schwächelndes Verhalten an der Haustür geerntet habe. Und wenn ich eine Menge sage, dann meine ich wirklich eine Menge, Sie verstehen?
So klopfte ich meinem gestandenen Mann nur mutmachend an die Knie, weil ich an den Rücken nicht herankam, und er fragte mit herabhängendem Kopf, wo er die Kiste denn nur unterbringen könnte und ich sagte: „Im Keller.“
Worauf ich weniger kam, weil Obst lichtgeschützt angeblich länger haltbar ist, sondern eher, weil ich mich an all die anderen unbrauchbaren, ausrangierten Gegenstände dort erinnert fühlte, für die es ebenfalls keinen ausreichend großen Mülleimer gab oder bezüglich derer man unbegreiflicherweise diese moralische Sperre „So was schmeißt man nicht einfach weg“ im Kopf hat, obwohl man so gar nichts mit ihnen anfangen kann.
Nach vollbrachter Verstauung kam mein gestandener Mann wieder hinaufgestapft, hockte sich mit dunkler Miene auf den Wannenrand und wippte mit den Beinen.
„Hm?“, fragte ich möglichst liebevoll.
„Na ja, du weißt doch, dass ich gegen alles, was Kerne hat, allergisch bin...“
Und obwohl ich spürte, dass sich dieses für Männer typische, den Nutzwert vermissende Genöle nur ganz ganz knapp gegen die Scham durchgesetzt hatte, war es genug – nach etwa drei Stunden hatte ich fertig gelacht, die Krämpfe ließen nach.
„Ach, ich back uns da einfach Kuchen draus“, versuchte ich danach wieder Vertrauen gutzumachen.
„Du willst...“, setze mein gestandener Mann an, aber dann gab er auf – er war gebrochen.
Bevor wir das Jahr wechseln, bleibt nur noch zu erwähnen, dass wir drei Tage nach diesem so außerordentlich geglücktem Haustürgeschäft wie geplant unsere vierwöchige Reise nach Frankreich antraten, wo mein gestandener Mann für diese Zeit eine Gastprofessur angenommen hatte. Die Äpfel überstanden diesen Zeitraum natürlich nicht, obwohl mir wieder und wieder beteuert wurde, die Apfelfrau hätte garantiert, das Obst hielte sich bis zu drei Monate. Bis in den Schlaf verfolgte mich wochenlang das Echo in der Dunkelheit „Aber die Apfelfrau hat gesagt...aber die Apfelfrau hat es doch gesagt, sie hat es doch...die Apfelfrau, die Apfelfrau“ und ich befürchtete schon, mein gestandener Mann würde zu weben anfangen, wie es auch immer die gestörten Reitponys im Verein getan hatten. Doch irgendwann setze die Verdrängung ein.
Und dauerte leider nur bis neulich an. Ich hatte wohl den jährlichen Großwaschtag vergessen und war somit schon haustüraufmachbereit, als es klingelte. Eigentlich hätte ich schon aufgrund der verdächtig mittäglichen Uhrzeit alarmiert sein müssen, zu der ich mir schon lange geschworen hatte, die Tür nicht mehr aufzumachen. Hatte man doch nur biedere Zeugen Jehovas, den alkoholkranken Rentner, der ungefähr 100 mal im Jahr Spenden für die Kriegsgrabpflege sammelte, oder Gefro-Tiefkühlwarenaboanpreiser zu erwarten, die nicht mal zum Gehen bereit waren, wenn man sagte, dass man gar keine Tiefkühltruhe besaß.
Aber seit die Pakete nicht mehr nur mit DHL, sondern auch mit UPS kommen, gelingt es mir nicht immer, Unglücksboten und Glücksboten anhand der Farbe ihrer Kleidung ungesehen vom oberen Treppenabsatz aus durch das Milchtürglas zu unterscheiden. Ich sah nur dunkelblaue Kluft – ich m u s s t e es wagen!
„Guten Tag, ist deine Mutter da?“, schlug es mir entgegen.
Die Apfelfrau hatte wieder zugeschlagen.
Ich meine, ich dachte immer, man wäre e n t w e d e r niedergeschlagen, weil man für minderjährig gehalten wird o d e r weil man die ersten Fältchen entdeckt. Ganz abgesehen von diesem mehr als unangenehmen Verdachtsgefühl, dass meine Mutter wirklich hier wohnte, welches dieser Satz erzeugte. Sofort stiegen fieberhafte Phantasien in mir auf. Ich sah meine Mutter in irgendeinem unsere Wandschränke sitzen, seit Jahren dort ausharrend, sich nur von vergessenen Keksen aus Reisekoffern und den Restflüssigkeiten gesammelter und natürlich nicht weggebrachter Pfandflaschen ernährend, um eines großen großen Tages endlich den Haushalt zu übernehmen und endlich zu richten, was nicht so gehörte, wie es war – also alles. Alle Aufmerksamkeit war aufgebraucht für diese Suggestion, so jedenfalls rechtfertige ich meine Antwort, die ich der Apfelfrau auf ihre Frage gab, vor mir. Die da lautete: „Nein, ich wohne hier selbst“. Was für eine Meisterleistung.
Wie krank dieser Satz war, lässt sich daran erkennen, dass die Apfelfrau daraufhin keinen Spruch parat hatte, zögerte, sich mit einem „Ahsoooooooo“ nur gerade so noch wieder in ihre Spur brachte und auf diese Weise verhinderte, dass ihr beim Versuch, dieses Gespräch doch noch in ein Geschäft zu verwandeln, der fettige Schädel platze. Wieder in der Spur zu sein hieß in diesem Fall für die Apfelfrau, sich bloß auf den von ihr herausgefilterten Aspekt zu konzentrieren, dass meine Mutter nicht da war, und ansonsten nicht auch nur im Ansatz verstehen zu wollen, was ich mit meinem Satz im weiteren Sinne hatte sagen wollen.
„Ja, dann...“, sagte sie, schon in der Rückwärtsbewegung und ihr Kumpan warf noch bevor sie den Wagen erreichte, den Motor an und sie fuhren davon.
Als am Abend der Mann wieder im Haus war, berichtete ich nur, dass ich die Apfelfrau in die Flucht geschlagen hätte und dass ohne auch nur ein einziges Kernobst zu kaufen, die näheren Umstände ließ ich dabei freilich außer Acht. Seitdem habe ich keinen einzigen Haustürversagerwitz über mich mehr gehört, selbst nicht, als ich neulich fast den GEZ-Mann hereingelassen hätte, der bei uns anständigen Mittelständern natürlich immer ein gern gesehener Gast ist, aber einfach so ungelegen kam, dass mein gestandener Mann dazwischenfuhr und durch den Briefkastenschlitz raunte, wir würden hier nur auf das Haus aufpassen, die richtigen Besitzer seien nicht zuhause.