Soul (früher:Meerblick)
Verfasst: 13.03.2007, 22:22
3. Fassung
Soul
Der Name war ihm seinerzeit von den Jungs aus der Band verpasst worden; keiner außer ihm hatte diesen rauchigen Klang in der Stimme. „Du kannst dir das nicht vorstellen, Harry.“
Er legte die Hand um den Hals seiner Bierflasche, mit der anderen zog er das feuchte Etikett ab. „Diese Augen, hammermäßig. Türkisblau wie die See an einem weißen Sandstrand ...“
„Hammermäßig, hm?“ Ich lachte leise.
Er sah auf. „Seit damals ist mein Herz eine Wunde und ihre Augen sehen mitten hinein -“
Seine Stimme brach, er senkte den Blick. Es war früh, die Kneipe roch genauso wie Kneipen am Morgen riechen. Wir waren nach der Nachtschicht hergekommen, tranken was, ehe wir uns aufs Ohr legten. Seit zwanzig Jahren hielten wir das so.
Schon in der Schule waren wir Freunde gewesen. Nicht sofort, denn Soul kam mitten im Schuljahr und da hatten sich schon Cliquen gebildet. Zudem war er eher spröde; ein Einzelgänger. Wir waren vierzehn Jahre alt und nicht nett zu den Mädels. Besonders eine hatte es uns angetan. Uschi.
Eines Tages stand sie allein in der Mitte des Schulhofs. Wie so oft weinte sie, denn alle nannten sie „Muschi“. Soul, der damals noch Franz hieß, drückte mir sein Pausenbrot in die Hand und schlenderte auf Muschi-Uschi zu.
„Er haut ihr eine rein wegen der Flennerei, wetten?“, sagte der Junge neben mir.
„Ich schätze, er haut nicht. Wird ihr sagen, sie soll sich nicht so anstellen.“
Er wieder: „Oder er kriegt sie dazu, dass sie ihm ihre zeigt.“
Seine Stimme kippte vor Lachen. Wir befanden uns alle im Stimmbruch außer Soul, bei dem ging das anders. Über Nacht. Richtig cool und tief.
Soul war bei ihr angekommen. Sie war so eine kleine Blonde mit Augen in einem hellen Türkis, und er legte den Arm um ihre Schultern. Mir fiel fast das Brot aus der Hand. Die Glocke schrillte über den Hof – Pausenende. Sie lächelte ihn an und lief ins Schulgebäude. Die Hände in den Taschen der Jeansjacke vergraben, lehnte er neben der Tür, und während wir uns an ihm vorbei schoben, sagte er: „Wer sie noch einmal anders als Uschi nennt, kriegt eine auf die Fresse, klar?“
Wir hielten uns dran, Soul konnte extrem wütend werden. Auf dem Nachhauseweg rannte ich ihm hinterher. „Hey, stehst du auf Uschi?“ Ich sprach ihren Namen langsam und deutlich aus, damit bloß keine Idee eines Versprechers aufkam.
„Mir ging die Quälerei aufn Keks, darum.“
Er lief schnell und blickte nicht auf.
„Hast Recht“, keuchte ich, war nicht leicht, mit ihm Schritt zu halten.
Er antwortete nicht.
„Gehst du nach Hause?“
Er blieb so plötzlich stehen, dass ich in ihn reinrannte.
„Was willst du, Harry?“
Mit fiel nichts Cooles ein und so sagte ich einfach: „Dachte, wir könnten Freunde werden.“
Soul kratzte sich am Nacken und musterte mich dabei ernst. „Warum meinst du, könnte ich das brauchen?“
Ich kickte mit einem Steinchen herum. „Ich würde es brauchen“, sagte ich.
„Okay. Komm schon.“ Er wechselte den Gurt der Tasche auf die andere Schulter und ging weiter. Ich ihm nach.
Im Probenkeller wartete seine Band. Es waren drei Typen zwischen siebzehn und achtzehn und ich erstarrte vor Ehrfurcht.
„Das ist Harry“, sagte er und setzte sich ans Keyboard.
„Hi.“ Meine Stimme überschlug sich blöderweise gerade jetzt.
Die drei nickten mir zu und ich verzog mich auf einen vergammelten Lehnstuhl.
Sie legten los mit Eric Burdons When I was young. Damals hörte ich Soul zum ersten Mal singen und ich lag flach vor Begeisterung. Ich durfte sie als Roadie zu den Auftritten bei Schulbällen und in den Clubs begleiten.
Und Uschi wurde Souls erste Flamme – er verfiel ihr geradezu. Wenn sie nicht Backstage stand, brachte er keinen Ton raus. Sie ließ keinen Auftritt aus, schließlich war er ihr Retter gewesen. Ich bekam dann ihre Freundin, die Gabi. Es war nicht üblich, Mädchen in die Elternwohnung mitzubringen, und so verzogen wir uns an den konzertfreien Samstagabenden den Probenraum. Eins der Mädchen brachte eine ausgemusterte Quiltdecke mit. Soul und ich spannten eine Wäscheleine quer durch den muffigen Kellerraum und warfen sie darüber. Ich beschaffte zwei Matratzen.
War eine starke Zeit. Auf Gabi folgte diese und jene, aber Soul und Uschi klebten zusammen, auch über den Schulabschluss hinweg. Es gab eine Riesenparty in einem der Musikclubs für uns am Abend, ehe wir zum Wehrdienst einrückten. Irgendwer sagte, Soul solle ein Abschiedkonzert geben. Einer aus seiner Band lieh die Gitarre des Clubbesitzers und sie stiegen auf die kleine Bühne. Bis zum Morgengrauen jamten die beiden. Die letzte Nummer war Wind Of Change von Peter Frampton. Da heulten wir alle.
Ein paar Monate später war Uschi schwanger. Nicht von Soul.
„Blöde Fotze“, sagte ich damals zu ihm.
Er sah durch mich hindurch. Die Band zerfiel, weil Soul es nicht packte. Er schmiss den Plan zu studieren, gammelte eine Weile vor sich hin und begann schließlich, um irgendetwas zu machen, eine Lehre als Elektriker in einem anderen Bezirk.
Als er sich in der Druckerei bewarb, begegneten wir uns wieder. Seither hängen wir zusammen herum.
„Mein Herz ist eine Wunde“, sagte er wieder und zerbrach einen Bierdeckel.
Ich hustete die Vergangenheit fort.
Die ganze Nacht war das so gegangen. Im ohrenbetäubenden Klappern der Druckwalzen, die Bogen um Bogen die Tageszeitung ausspuckten, hatte Soul von türkisfarbenen Augen gesprochen. Ich dachte, was er doch für ein Jammerlappen sei, dass er diese Uschi nicht vergessen konnte nach fast dreißig Jahren!
„Harry“, brüllte er mir ein ums andere Mal zu, „Du kannst es dir eben nicht vorstellen.“
Ich winkte der Kellnerin. „Muss jetzt in die Falle, Soul, wir reden heute Abend weiter.“
Er legte die Hand auf meine. Sie glühte. „Noch einen Moment, bitte“, sagte er, „ich kann jetzt nicht allein sein.“
„Hör mal, ich bin saumüde, Soul.“ Meine Augen brannten und ständig riss Gähnen mir den Mund auf.
Soul zog die Hand zurück, ich gab nach und bestellte einen Espresso.
„Ich fange wieder zu singen an und werde berühmt.“
„Ich weiß nicht, Soul, es ist ewig her.“
Soeben kam der Kolporteur mit der druckfrischen Zeitung in die Kneipe. Auf dem Titel der Eyecatcher: Irgendein retouchiertes Model mit Muschi-Uschis Augen.
Soul griff nach dem Blatt und versenkte sich in das Foto. Ich gähnte und dann blieb mir der Mund offen, als ich ihn sagen hörte: „Ich hab wieder einen Plan.“
Er drückte die Zeitung an seine Brust und lachte mich an.
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2. Fassung
Soul
Der Name war ihm seinerzeit von den Jungs aus der Band verpasst worden; keiner außer ihm hatte diesen rauchigen Klang in der Stimme. „Du kannst dir das nicht vorstellen, Harry.“ Er legte die Hand um den Hals seiner Bierflasche, mit der anderen zog er das feuchte Etikett ab. „Diese Augen, hammermäßig. Türkisblau wie die See an einem weißen Sandstrand ...“
Ich lachte leise.
Er sah auf. „Seit damals ist mein Herz eine Wunde – ihre Augen sehen mitten hinein.“ Seine Stimme klang, als würde sie brechen. Er senkte den Blick. Es war früh, die Kneipe roch genauso wie Kneipen am Morgen riechen. Wir waren nach der Nachtschicht hergekommen, tranken was, ehe wir uns aufs Ohr legten. Seit zwanzig Jahren hielten wir das so.
Schon in der Schule waren wir Freunde gewesen. Nicht sofort, denn Soul kam mitten im Schuljahr und da hatten sich schon Cliquen gebildet. Zudem war er eher spröde; ein Einzelgänger. Wir waren vierzehn Jahre alt und nicht nett zu den Mädels. Besonders eine hatte es uns angetan. Uschi.
Eines Tages stand sie allein in der Mitte des Schulhofs. Wie so oft weinte sie, denn alle nannten sie „Muschi“. Soul, der damals noch Franz hieß, drückte mir sein Pausenbrot in die Hand und schlenderte auf Muschi-Uschi zu.
„Er haut ihr eine rein wegen der Flennerei, wetten?“, sagte der Junge neben mir.
„Ich schätze, er haut nicht, wird ihr sagen, sie soll sich nicht so anstellen.“
Er wieder: „Oder er kriegt sie dazu, dass sie ihm ihre zeigt.“ Seine Stimme kippte vor Lachen. Wir befanden uns alle im Stimmbruch außer Soul, bei dem ging das anders. Über Nacht. Richtig cool und tief.
Soul war bei ihr angekommen. Sie war so eine kleine Blonde mit Augen in einem hellen Türkis, und er legte den Arm um ihre Schultern. Mir fiel das Brot aus der Hand. Sie lächelte ihn an und lief ins Schulgebäude. Die Glocke schrillte über den Hof – Pausenende.
Die Hände in den Taschen der Jeansjacke vergraben, lehnte er neben der Tür, und während wir uns an ihm vorbei schoben, sagte er: „Wer sie noch einmal anders als Uschi nennt, kriegt eine auf die Fresse, klar?“ Er blickte jedem von uns fest in die Augen.
Wir hielten uns dran, Soul konnte extrem wütend werden. Auf dem Nachhauseweg rannte ich ihm hinterher. „Hey, stehst du auf Uschi?“ Ich sprach ihren Namen langsam und sehr deutlich aus.
„Nein.“
„Warum hast du’s dann gemacht?“
„Mir ging die Quälerei aufn Keks, darum.“
Er lief schnell und blickte nicht auf.
„Hast Recht“, keuchte ich, war nicht leicht, Schritt zu halten.
Er antwortete nicht.
„Gehst du nach Hause?“
Er blieb so plötzlich stehen, dass ich in ihn rein rannte.
„Was willst du, Harry?“
Ich überlegte, wie ich es möglichst cool bringen könnte, aber da mir nichts einfiel, sagte ich einfach: „Dachte, wir könnten Freunde werden.“
Soul kratzte sich am Nacken und musterte mich dabei ernst. „Warum meinst du, könnte ich das brauchen?“
Ich kickte mit einem Steinchen herum. „Ich würde es brauchen“, sagte ich.
„Okay. Komm schon.“ Er wechselte den Gurt der Tasche auf die andere Schulter und ging weiter. Ich ihm nach.
Im Probenkeller wartete seine Band. Es waren drei Typen zwischen siebzehn und achtzehn und ich erstarrte vor Ehrfurcht.
„Das ist Harry“, sagte er und setzte sich ans Keyboard.
„Hi.“ Meine Stimme überschlug sich blöderweise gerade jetzt.
Die Drei nickten mir zu und ich verzog mich auf einen vergammelten Lehnstuhl.
Sie legten los mit Eric Burdons When I was young. Damals hörte ich Soul zum ersten Mal singen und ich lag flach vor Begeisterung. Ich durfte als Roadie mit zu den Auftritten bei Schulbällen und in den Clubs.
Und Uschi wurde Souls erste Flamme – er verfiel ihr geradezu. Wenn sie nicht Backstage stand, brachte er keinen Ton raus. Sie ließ keinen Auftritt aus, schließlich war er ihr Retter gewesen. Ich bekam dann ihre Freundin, die Gabi. Es war nicht üblich, Mädchen in die Elternwohnung mitzubringen, und so verzogen wir uns an den konzertfreien Samstagabenden den Probenraum. Eins der Mädchen brachte eine ausgemusterte Zierdecke mit. Soul und ich spannten eine Wäscheleine quer durch den muffigen Kellerraum und warfen sie darüber. Ich beschaffte zwei Matratzen.
War eine starke Zeit. Auf Gabi folgte diese und jene, aber Soul und Uschi klebten zusammen, auch über den Schulabschluss hinweg. Es gab eine Riesenparty in einem der Musikclubs für uns am Abend, ehe wir zum Wehrdienst einrückten. Irgendwer sagte, Soul solle ein Abschiedkonzert geben. Einer aus seiner Band lieh die Gitarre des Clubbesitzers und sie stiegen auf die kleine Bühne. Unplugged. Bis zum Morgengrauen jamten die beiden. Die letzte Nummer war Wind Of Change von Peter Frampton. Da heulten wir alle.
Ein paar Monate später war Uschi schwanger. Nicht von Soul.
„Blöde Fotze“, sagte ich damals zu ihm und räumte dafür eine Ohrfeige ab. Die Band zerfiel, weil Soul es nicht packte. Er schmiss den Plan zu studieren und begann eine Lehre als Elektriker in einem anderen Bezirk.
Als er sich in der Druckerei bewarb, begegneten wir uns wieder. Seither hängen wir zusammen herum.
„Mein Herz ist eine Wunde“, sagte er noch einmal und starrte ins Leere.
Ich hustete die Vergangenheit fort.
Die ganze Nacht war das so gegangen. Im ohrenbetäubenden Klappern der Druckwalzen, die Bogen um Bogen die Tageszeitung ausspuckten, hatte Soul von türkisfarbenen Augen gesprochen. Acht Stunden lang. Ich dachte schon, was er doch für ein Jammerlappen sei, dass er diese Uschi nicht vergessen konnte nach fast dreißig Jahren!
„Harry“, brüllte er mir ein ums andere Mal zu, „Du kannst es dir eben nicht vorstellen.“
Ich winkte der Kellnerin. „Muss jetzt in die Falle, Soul, wir reden heute Abend weiter.“
Er legte die Hand auf meine. Sie glühte. „Noch einen Moment, bitte“, sagte er, „ich kann nicht allein sein.“
„Hör mal, ich bin saumüde, Soul.“ Meine Augen brannten und ständig riss Gähnen mir den Mund auf.
Soul zog die Hand zurück, ich gab nach und bestellte einen Espresso.
„Ich fange wieder zu singen an und werde berühmt.“
„Ich weiß nicht, Soul, es ist ewig her.“
Soeben kam der Kolporteur mit der druckfrischen Zeitung in die Kneipe. Auf dem Titel der Eyecatcher: Irgendein Model mit Muschi-Uschis Augen.
Soul griff nach dem Blatt und versenkte sich in das Foto. Ich gähnte und dann blieb mir der Mund offen, als ich ihn sagen hörte: „Ich hatte mal einen Traum.“ Er drückte die Zeitung an seine Brust und lachte mich an.
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Meerblick
„Ihr Blick hat mich erschossen.“ Soul – der Name war ihm seinerzeit von den Jungs aus der Band verpasst worden; keiner außer ihm hatte diesen rauchigen Klang in der Stimme – griff nach der Bierflasche, „Meine Güte, du kannst dir das nicht vorstellen, Harry.“ Kopfschüttelnd zog er das feuchte Etikett ab. „Ihre Augen, hammermäßig. Türkisblau wie die See an einem weißen Sandstrand ...“
Oben links klebte das Etikett noch, versonnen kratzte Soul dran rum.
Ich lachte leise. „Erschossen?“
Er sah auf. „Mein Herz ist seit damals eine Wunde.“ Seine Stimme klang, als würde sie brechen. Er senkte den Blick und riss den letzten Fetzen vom Glas. Es war früh, die Kneipe roch genauso wie Kneipen am Morgen riechen. Wir waren nach der Nachtschicht hergekommen, tranken eine Pulle, ehe wir uns aufs Ohr legen wollten. Wir hielten das seit zwanzig Jahren so.
Schon in der Schule waren wir Freunde gewesen. Nicht sofort, denn Soul kam mitten im Schuljahr und da hatten sich schon Cliquen gebildet. Er war ein Einzelgänger. Wir waren vierzehn Jahre alt und nicht nett zu den Mädels. Besonders eine hatte es uns angetan. Uschi.
Eines Tages stand sie allein in der Mitte des Schulhofs. Sie weinte wie so oft. Alle nannten sie „Muschi“. Soul, der damals noch Franz hieß, löste sich aus der Gruppe, drückte das Pausenbrot einem Kumpel in die Hand und schlenderte auf Muschi-Uschi zu.
„Er haut ihr eine rein wegen der Flennerei, wetten?“, sagte der Junge neben mir.
„Ich schätze, er haut nicht, wird ihr sagen, sie soll sich nicht so anstellen.“
Er wieder: „Oder er kriegt sie dazu, dass sie ihm ihre zeigt.“ Seine Stimme kippte vor Lachen. Wir befanden uns alle im Stimmbruch außer Soul, bei dem ging das anders. Über Nacht. Am Tag davor noch eher kindlich, und dann richtig cool und tief.
Soul war bei ihr angekommen. Sie war so eine kleine Blonde mit Augen in einem hellen Türkis, und er legte den Arm um ihre Schultern. Mir fiel das Brot aus der Hand. Sie lächelte ihn an und lief in die Schule. Die Glocke schrillte über den Hof – Pausenende.
Die Hände in den Taschen der Jeansjacke vergraben, lehnte er neben der Tür und während wir uns an ihm vorbeischoben, sagte er: „Wer sie noch einmal anders als Uschi nennt, kriegt eine auf die Fresse, klar?“ Er blickte jedem von uns fest in die Augen.
Wir hielten uns dran, Soul konnte extrem wütend werden. Auf dem Nachhauseweg rannte ich ihm hinterher. „Hey, stehst du auf Uschi?“ Ich sprach ihren Namen deutlich aus, dass bloß keine Idee eines Versprechers aufkam.
„Nein.“
„Warum hast du’s dann gemacht?“
„Mir ging die Quälerei auf'n Keks, darum.“
Er lief schnell und blickte nicht auf.
„Hast recht“, keuchte ich, war nicht leicht, Schritt zu halten.
Er antwortete nicht.
„Gehst du nach Hause?“
Er blieb so plötzlich stehen, dass ich in ihn rein rannte.
„Was willst du, Harry?“
Ich überlegte, wie ich es möglichst cool bringen könnte, aber da mir nichts einfiel, sagte ich einfach: „Dachte, wir könnten Freunde werden.“
Soul kratzte sich am Nacken und musterte mich dabei ernst. „Warum meinst du, könnte ich das brauchen?“
Ich kickte mit einem Steinchen herum. „Ich würde es brauchen“, sagte ich ehrlicherweise.
„Okay. Komm schon.“ Er wechselte den Gurt der Tasche auf die andere Schulter und ging weiter. Ich ihm nach.
In einem Probenkeller, wartete seine Band bereits. Es waren drei Typen zwischen siebzehn und achtzehn und ich erstarrte vor Ehrfurcht.
„Das ist Harry“, sagte er und setzte sich ans Keyboard.
„Hi.“ Meine Stimme überschlug sich blöderweise gerade jetzt.
Die Drei nickten mir zu und ich verzog mich auf einen vergammelten Lehnstuhl.
Sie legten los mit Eric Burdons When I was young. Damals hörte ich Soul zum ersten Mal singen und ich lag flach vor Begeisterung. Ich durfte als Roadie mit zu den Auftritten bei Schulbällen und in den Clubs.
Und Uschi war Souls erste Flamme – er war ihr geradezu verfallen. Ab dem Moment brachte er keinen Ton raus, wenn sie nicht Backstage stand und ihm zuhörte. Sie ließ keinen Auftritt aus, stärkte ihm den Rücken. So schien es. Schließlich war er ihr Retter gewesen. Ein paar Monate später ist sie schwanger geworden. Nicht von Soul. Wir hatten sie demnach nicht von ungefähr mit dem Spitznamen bedacht.
Ich weiß noch, wie er gelitten hat, es war nicht schön. Die Band zerfiel, weil Soul es nicht packte. Er schmiss die Schule und begann eine Lehre als Elektriker in einem anderen Bezirk.
Als er sich in der Druckerei bewarb, begegneten wir uns wieder. Seither hängen wir zusammen herum.
„Mein Herz ist eine Wunde“, sagte er noch einmal und starrte ins Leere.
Ich hustete die Vergangenheit fort.
Die ganze Nacht war das schon gegangen. Im ohrenbetäubenden Klappern der Druckwalzen, die Bogen um Bogen die Tageszeitung ausspuckten, hatte Soul von türkisfarbenen Augen gesprochen. Acht Stunden lang.
„Harry“, brüllte er mir ein ums andere Mal zu, „Du kannst es dir eben nicht vorstellen.“
Ich winkte der Kellnerin. „Muss jetzt in die Falle, Soul, wir reden heute Abend weiter.“
Er legte die Hand auf meine. Sie glühte. „Noch einen Moment, bitte“, sagte er, „ich kann nicht allein sein.“
„Hör mal, ich bin saumüde, Soul.“ Meine Augen brannten und ständig riss Gähnen mir den Mund auf.
Soul zog die Hand zurück, hob die Schultern. Es hatte ihn voll erwischt, eine Breitseite der Leidenschaft. Ich gab klein bei und bestellte einen Espresso.
„Ich fange wieder zu singen an und werde berühmt.“
„Ich weiß nicht, Soul, es ist ewig her.“
Soeben kam der Kolporteur mit der druckfrischen Zeitung in die Kneipe. Auf dem Titel der Eyecatcher: Michelle Pfeiffers Augen. Wie das Meer an einem weißen Sandstrand.
Soul griff nach dem Blatt und versenkte sich in das Foto. Ich gähnte und dann blieb mir der Mund offen, als ich ihn sagen hörte: „Ich hatte mal einen Traum.“ Er drückte die Zeitung an seine Brust und lachte mich an.
© Elsa Rieger
Soul
Der Name war ihm seinerzeit von den Jungs aus der Band verpasst worden; keiner außer ihm hatte diesen rauchigen Klang in der Stimme. „Du kannst dir das nicht vorstellen, Harry.“
Er legte die Hand um den Hals seiner Bierflasche, mit der anderen zog er das feuchte Etikett ab. „Diese Augen, hammermäßig. Türkisblau wie die See an einem weißen Sandstrand ...“
„Hammermäßig, hm?“ Ich lachte leise.
Er sah auf. „Seit damals ist mein Herz eine Wunde und ihre Augen sehen mitten hinein -“
Seine Stimme brach, er senkte den Blick. Es war früh, die Kneipe roch genauso wie Kneipen am Morgen riechen. Wir waren nach der Nachtschicht hergekommen, tranken was, ehe wir uns aufs Ohr legten. Seit zwanzig Jahren hielten wir das so.
Schon in der Schule waren wir Freunde gewesen. Nicht sofort, denn Soul kam mitten im Schuljahr und da hatten sich schon Cliquen gebildet. Zudem war er eher spröde; ein Einzelgänger. Wir waren vierzehn Jahre alt und nicht nett zu den Mädels. Besonders eine hatte es uns angetan. Uschi.
Eines Tages stand sie allein in der Mitte des Schulhofs. Wie so oft weinte sie, denn alle nannten sie „Muschi“. Soul, der damals noch Franz hieß, drückte mir sein Pausenbrot in die Hand und schlenderte auf Muschi-Uschi zu.
„Er haut ihr eine rein wegen der Flennerei, wetten?“, sagte der Junge neben mir.
„Ich schätze, er haut nicht. Wird ihr sagen, sie soll sich nicht so anstellen.“
Er wieder: „Oder er kriegt sie dazu, dass sie ihm ihre zeigt.“
Seine Stimme kippte vor Lachen. Wir befanden uns alle im Stimmbruch außer Soul, bei dem ging das anders. Über Nacht. Richtig cool und tief.
Soul war bei ihr angekommen. Sie war so eine kleine Blonde mit Augen in einem hellen Türkis, und er legte den Arm um ihre Schultern. Mir fiel fast das Brot aus der Hand. Die Glocke schrillte über den Hof – Pausenende. Sie lächelte ihn an und lief ins Schulgebäude. Die Hände in den Taschen der Jeansjacke vergraben, lehnte er neben der Tür, und während wir uns an ihm vorbei schoben, sagte er: „Wer sie noch einmal anders als Uschi nennt, kriegt eine auf die Fresse, klar?“
Wir hielten uns dran, Soul konnte extrem wütend werden. Auf dem Nachhauseweg rannte ich ihm hinterher. „Hey, stehst du auf Uschi?“ Ich sprach ihren Namen langsam und deutlich aus, damit bloß keine Idee eines Versprechers aufkam.
„Mir ging die Quälerei aufn Keks, darum.“
Er lief schnell und blickte nicht auf.
„Hast Recht“, keuchte ich, war nicht leicht, mit ihm Schritt zu halten.
Er antwortete nicht.
„Gehst du nach Hause?“
Er blieb so plötzlich stehen, dass ich in ihn reinrannte.
„Was willst du, Harry?“
Mit fiel nichts Cooles ein und so sagte ich einfach: „Dachte, wir könnten Freunde werden.“
Soul kratzte sich am Nacken und musterte mich dabei ernst. „Warum meinst du, könnte ich das brauchen?“
Ich kickte mit einem Steinchen herum. „Ich würde es brauchen“, sagte ich.
„Okay. Komm schon.“ Er wechselte den Gurt der Tasche auf die andere Schulter und ging weiter. Ich ihm nach.
Im Probenkeller wartete seine Band. Es waren drei Typen zwischen siebzehn und achtzehn und ich erstarrte vor Ehrfurcht.
„Das ist Harry“, sagte er und setzte sich ans Keyboard.
„Hi.“ Meine Stimme überschlug sich blöderweise gerade jetzt.
Die drei nickten mir zu und ich verzog mich auf einen vergammelten Lehnstuhl.
Sie legten los mit Eric Burdons When I was young. Damals hörte ich Soul zum ersten Mal singen und ich lag flach vor Begeisterung. Ich durfte sie als Roadie zu den Auftritten bei Schulbällen und in den Clubs begleiten.
Und Uschi wurde Souls erste Flamme – er verfiel ihr geradezu. Wenn sie nicht Backstage stand, brachte er keinen Ton raus. Sie ließ keinen Auftritt aus, schließlich war er ihr Retter gewesen. Ich bekam dann ihre Freundin, die Gabi. Es war nicht üblich, Mädchen in die Elternwohnung mitzubringen, und so verzogen wir uns an den konzertfreien Samstagabenden den Probenraum. Eins der Mädchen brachte eine ausgemusterte Quiltdecke mit. Soul und ich spannten eine Wäscheleine quer durch den muffigen Kellerraum und warfen sie darüber. Ich beschaffte zwei Matratzen.
War eine starke Zeit. Auf Gabi folgte diese und jene, aber Soul und Uschi klebten zusammen, auch über den Schulabschluss hinweg. Es gab eine Riesenparty in einem der Musikclubs für uns am Abend, ehe wir zum Wehrdienst einrückten. Irgendwer sagte, Soul solle ein Abschiedkonzert geben. Einer aus seiner Band lieh die Gitarre des Clubbesitzers und sie stiegen auf die kleine Bühne. Bis zum Morgengrauen jamten die beiden. Die letzte Nummer war Wind Of Change von Peter Frampton. Da heulten wir alle.
Ein paar Monate später war Uschi schwanger. Nicht von Soul.
„Blöde Fotze“, sagte ich damals zu ihm.
Er sah durch mich hindurch. Die Band zerfiel, weil Soul es nicht packte. Er schmiss den Plan zu studieren, gammelte eine Weile vor sich hin und begann schließlich, um irgendetwas zu machen, eine Lehre als Elektriker in einem anderen Bezirk.
Als er sich in der Druckerei bewarb, begegneten wir uns wieder. Seither hängen wir zusammen herum.
„Mein Herz ist eine Wunde“, sagte er wieder und zerbrach einen Bierdeckel.
Ich hustete die Vergangenheit fort.
Die ganze Nacht war das so gegangen. Im ohrenbetäubenden Klappern der Druckwalzen, die Bogen um Bogen die Tageszeitung ausspuckten, hatte Soul von türkisfarbenen Augen gesprochen. Ich dachte, was er doch für ein Jammerlappen sei, dass er diese Uschi nicht vergessen konnte nach fast dreißig Jahren!
„Harry“, brüllte er mir ein ums andere Mal zu, „Du kannst es dir eben nicht vorstellen.“
Ich winkte der Kellnerin. „Muss jetzt in die Falle, Soul, wir reden heute Abend weiter.“
Er legte die Hand auf meine. Sie glühte. „Noch einen Moment, bitte“, sagte er, „ich kann jetzt nicht allein sein.“
„Hör mal, ich bin saumüde, Soul.“ Meine Augen brannten und ständig riss Gähnen mir den Mund auf.
Soul zog die Hand zurück, ich gab nach und bestellte einen Espresso.
„Ich fange wieder zu singen an und werde berühmt.“
„Ich weiß nicht, Soul, es ist ewig her.“
Soeben kam der Kolporteur mit der druckfrischen Zeitung in die Kneipe. Auf dem Titel der Eyecatcher: Irgendein retouchiertes Model mit Muschi-Uschis Augen.
Soul griff nach dem Blatt und versenkte sich in das Foto. Ich gähnte und dann blieb mir der Mund offen, als ich ihn sagen hörte: „Ich hab wieder einen Plan.“
Er drückte die Zeitung an seine Brust und lachte mich an.
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2. Fassung
Soul
Der Name war ihm seinerzeit von den Jungs aus der Band verpasst worden; keiner außer ihm hatte diesen rauchigen Klang in der Stimme. „Du kannst dir das nicht vorstellen, Harry.“ Er legte die Hand um den Hals seiner Bierflasche, mit der anderen zog er das feuchte Etikett ab. „Diese Augen, hammermäßig. Türkisblau wie die See an einem weißen Sandstrand ...“
Ich lachte leise.
Er sah auf. „Seit damals ist mein Herz eine Wunde – ihre Augen sehen mitten hinein.“ Seine Stimme klang, als würde sie brechen. Er senkte den Blick. Es war früh, die Kneipe roch genauso wie Kneipen am Morgen riechen. Wir waren nach der Nachtschicht hergekommen, tranken was, ehe wir uns aufs Ohr legten. Seit zwanzig Jahren hielten wir das so.
Schon in der Schule waren wir Freunde gewesen. Nicht sofort, denn Soul kam mitten im Schuljahr und da hatten sich schon Cliquen gebildet. Zudem war er eher spröde; ein Einzelgänger. Wir waren vierzehn Jahre alt und nicht nett zu den Mädels. Besonders eine hatte es uns angetan. Uschi.
Eines Tages stand sie allein in der Mitte des Schulhofs. Wie so oft weinte sie, denn alle nannten sie „Muschi“. Soul, der damals noch Franz hieß, drückte mir sein Pausenbrot in die Hand und schlenderte auf Muschi-Uschi zu.
„Er haut ihr eine rein wegen der Flennerei, wetten?“, sagte der Junge neben mir.
„Ich schätze, er haut nicht, wird ihr sagen, sie soll sich nicht so anstellen.“
Er wieder: „Oder er kriegt sie dazu, dass sie ihm ihre zeigt.“ Seine Stimme kippte vor Lachen. Wir befanden uns alle im Stimmbruch außer Soul, bei dem ging das anders. Über Nacht. Richtig cool und tief.
Soul war bei ihr angekommen. Sie war so eine kleine Blonde mit Augen in einem hellen Türkis, und er legte den Arm um ihre Schultern. Mir fiel das Brot aus der Hand. Sie lächelte ihn an und lief ins Schulgebäude. Die Glocke schrillte über den Hof – Pausenende.
Die Hände in den Taschen der Jeansjacke vergraben, lehnte er neben der Tür, und während wir uns an ihm vorbei schoben, sagte er: „Wer sie noch einmal anders als Uschi nennt, kriegt eine auf die Fresse, klar?“ Er blickte jedem von uns fest in die Augen.
Wir hielten uns dran, Soul konnte extrem wütend werden. Auf dem Nachhauseweg rannte ich ihm hinterher. „Hey, stehst du auf Uschi?“ Ich sprach ihren Namen langsam und sehr deutlich aus.
„Nein.“
„Warum hast du’s dann gemacht?“
„Mir ging die Quälerei aufn Keks, darum.“
Er lief schnell und blickte nicht auf.
„Hast Recht“, keuchte ich, war nicht leicht, Schritt zu halten.
Er antwortete nicht.
„Gehst du nach Hause?“
Er blieb so plötzlich stehen, dass ich in ihn rein rannte.
„Was willst du, Harry?“
Ich überlegte, wie ich es möglichst cool bringen könnte, aber da mir nichts einfiel, sagte ich einfach: „Dachte, wir könnten Freunde werden.“
Soul kratzte sich am Nacken und musterte mich dabei ernst. „Warum meinst du, könnte ich das brauchen?“
Ich kickte mit einem Steinchen herum. „Ich würde es brauchen“, sagte ich.
„Okay. Komm schon.“ Er wechselte den Gurt der Tasche auf die andere Schulter und ging weiter. Ich ihm nach.
Im Probenkeller wartete seine Band. Es waren drei Typen zwischen siebzehn und achtzehn und ich erstarrte vor Ehrfurcht.
„Das ist Harry“, sagte er und setzte sich ans Keyboard.
„Hi.“ Meine Stimme überschlug sich blöderweise gerade jetzt.
Die Drei nickten mir zu und ich verzog mich auf einen vergammelten Lehnstuhl.
Sie legten los mit Eric Burdons When I was young. Damals hörte ich Soul zum ersten Mal singen und ich lag flach vor Begeisterung. Ich durfte als Roadie mit zu den Auftritten bei Schulbällen und in den Clubs.
Und Uschi wurde Souls erste Flamme – er verfiel ihr geradezu. Wenn sie nicht Backstage stand, brachte er keinen Ton raus. Sie ließ keinen Auftritt aus, schließlich war er ihr Retter gewesen. Ich bekam dann ihre Freundin, die Gabi. Es war nicht üblich, Mädchen in die Elternwohnung mitzubringen, und so verzogen wir uns an den konzertfreien Samstagabenden den Probenraum. Eins der Mädchen brachte eine ausgemusterte Zierdecke mit. Soul und ich spannten eine Wäscheleine quer durch den muffigen Kellerraum und warfen sie darüber. Ich beschaffte zwei Matratzen.
War eine starke Zeit. Auf Gabi folgte diese und jene, aber Soul und Uschi klebten zusammen, auch über den Schulabschluss hinweg. Es gab eine Riesenparty in einem der Musikclubs für uns am Abend, ehe wir zum Wehrdienst einrückten. Irgendwer sagte, Soul solle ein Abschiedkonzert geben. Einer aus seiner Band lieh die Gitarre des Clubbesitzers und sie stiegen auf die kleine Bühne. Unplugged. Bis zum Morgengrauen jamten die beiden. Die letzte Nummer war Wind Of Change von Peter Frampton. Da heulten wir alle.
Ein paar Monate später war Uschi schwanger. Nicht von Soul.
„Blöde Fotze“, sagte ich damals zu ihm und räumte dafür eine Ohrfeige ab. Die Band zerfiel, weil Soul es nicht packte. Er schmiss den Plan zu studieren und begann eine Lehre als Elektriker in einem anderen Bezirk.
Als er sich in der Druckerei bewarb, begegneten wir uns wieder. Seither hängen wir zusammen herum.
„Mein Herz ist eine Wunde“, sagte er noch einmal und starrte ins Leere.
Ich hustete die Vergangenheit fort.
Die ganze Nacht war das so gegangen. Im ohrenbetäubenden Klappern der Druckwalzen, die Bogen um Bogen die Tageszeitung ausspuckten, hatte Soul von türkisfarbenen Augen gesprochen. Acht Stunden lang. Ich dachte schon, was er doch für ein Jammerlappen sei, dass er diese Uschi nicht vergessen konnte nach fast dreißig Jahren!
„Harry“, brüllte er mir ein ums andere Mal zu, „Du kannst es dir eben nicht vorstellen.“
Ich winkte der Kellnerin. „Muss jetzt in die Falle, Soul, wir reden heute Abend weiter.“
Er legte die Hand auf meine. Sie glühte. „Noch einen Moment, bitte“, sagte er, „ich kann nicht allein sein.“
„Hör mal, ich bin saumüde, Soul.“ Meine Augen brannten und ständig riss Gähnen mir den Mund auf.
Soul zog die Hand zurück, ich gab nach und bestellte einen Espresso.
„Ich fange wieder zu singen an und werde berühmt.“
„Ich weiß nicht, Soul, es ist ewig her.“
Soeben kam der Kolporteur mit der druckfrischen Zeitung in die Kneipe. Auf dem Titel der Eyecatcher: Irgendein Model mit Muschi-Uschis Augen.
Soul griff nach dem Blatt und versenkte sich in das Foto. Ich gähnte und dann blieb mir der Mund offen, als ich ihn sagen hörte: „Ich hatte mal einen Traum.“ Er drückte die Zeitung an seine Brust und lachte mich an.
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Meerblick
„Ihr Blick hat mich erschossen.“ Soul – der Name war ihm seinerzeit von den Jungs aus der Band verpasst worden; keiner außer ihm hatte diesen rauchigen Klang in der Stimme – griff nach der Bierflasche, „Meine Güte, du kannst dir das nicht vorstellen, Harry.“ Kopfschüttelnd zog er das feuchte Etikett ab. „Ihre Augen, hammermäßig. Türkisblau wie die See an einem weißen Sandstrand ...“
Oben links klebte das Etikett noch, versonnen kratzte Soul dran rum.
Ich lachte leise. „Erschossen?“
Er sah auf. „Mein Herz ist seit damals eine Wunde.“ Seine Stimme klang, als würde sie brechen. Er senkte den Blick und riss den letzten Fetzen vom Glas. Es war früh, die Kneipe roch genauso wie Kneipen am Morgen riechen. Wir waren nach der Nachtschicht hergekommen, tranken eine Pulle, ehe wir uns aufs Ohr legen wollten. Wir hielten das seit zwanzig Jahren so.
Schon in der Schule waren wir Freunde gewesen. Nicht sofort, denn Soul kam mitten im Schuljahr und da hatten sich schon Cliquen gebildet. Er war ein Einzelgänger. Wir waren vierzehn Jahre alt und nicht nett zu den Mädels. Besonders eine hatte es uns angetan. Uschi.
Eines Tages stand sie allein in der Mitte des Schulhofs. Sie weinte wie so oft. Alle nannten sie „Muschi“. Soul, der damals noch Franz hieß, löste sich aus der Gruppe, drückte das Pausenbrot einem Kumpel in die Hand und schlenderte auf Muschi-Uschi zu.
„Er haut ihr eine rein wegen der Flennerei, wetten?“, sagte der Junge neben mir.
„Ich schätze, er haut nicht, wird ihr sagen, sie soll sich nicht so anstellen.“
Er wieder: „Oder er kriegt sie dazu, dass sie ihm ihre zeigt.“ Seine Stimme kippte vor Lachen. Wir befanden uns alle im Stimmbruch außer Soul, bei dem ging das anders. Über Nacht. Am Tag davor noch eher kindlich, und dann richtig cool und tief.
Soul war bei ihr angekommen. Sie war so eine kleine Blonde mit Augen in einem hellen Türkis, und er legte den Arm um ihre Schultern. Mir fiel das Brot aus der Hand. Sie lächelte ihn an und lief in die Schule. Die Glocke schrillte über den Hof – Pausenende.
Die Hände in den Taschen der Jeansjacke vergraben, lehnte er neben der Tür und während wir uns an ihm vorbeischoben, sagte er: „Wer sie noch einmal anders als Uschi nennt, kriegt eine auf die Fresse, klar?“ Er blickte jedem von uns fest in die Augen.
Wir hielten uns dran, Soul konnte extrem wütend werden. Auf dem Nachhauseweg rannte ich ihm hinterher. „Hey, stehst du auf Uschi?“ Ich sprach ihren Namen deutlich aus, dass bloß keine Idee eines Versprechers aufkam.
„Nein.“
„Warum hast du’s dann gemacht?“
„Mir ging die Quälerei auf'n Keks, darum.“
Er lief schnell und blickte nicht auf.
„Hast recht“, keuchte ich, war nicht leicht, Schritt zu halten.
Er antwortete nicht.
„Gehst du nach Hause?“
Er blieb so plötzlich stehen, dass ich in ihn rein rannte.
„Was willst du, Harry?“
Ich überlegte, wie ich es möglichst cool bringen könnte, aber da mir nichts einfiel, sagte ich einfach: „Dachte, wir könnten Freunde werden.“
Soul kratzte sich am Nacken und musterte mich dabei ernst. „Warum meinst du, könnte ich das brauchen?“
Ich kickte mit einem Steinchen herum. „Ich würde es brauchen“, sagte ich ehrlicherweise.
„Okay. Komm schon.“ Er wechselte den Gurt der Tasche auf die andere Schulter und ging weiter. Ich ihm nach.
In einem Probenkeller, wartete seine Band bereits. Es waren drei Typen zwischen siebzehn und achtzehn und ich erstarrte vor Ehrfurcht.
„Das ist Harry“, sagte er und setzte sich ans Keyboard.
„Hi.“ Meine Stimme überschlug sich blöderweise gerade jetzt.
Die Drei nickten mir zu und ich verzog mich auf einen vergammelten Lehnstuhl.
Sie legten los mit Eric Burdons When I was young. Damals hörte ich Soul zum ersten Mal singen und ich lag flach vor Begeisterung. Ich durfte als Roadie mit zu den Auftritten bei Schulbällen und in den Clubs.
Und Uschi war Souls erste Flamme – er war ihr geradezu verfallen. Ab dem Moment brachte er keinen Ton raus, wenn sie nicht Backstage stand und ihm zuhörte. Sie ließ keinen Auftritt aus, stärkte ihm den Rücken. So schien es. Schließlich war er ihr Retter gewesen. Ein paar Monate später ist sie schwanger geworden. Nicht von Soul. Wir hatten sie demnach nicht von ungefähr mit dem Spitznamen bedacht.
Ich weiß noch, wie er gelitten hat, es war nicht schön. Die Band zerfiel, weil Soul es nicht packte. Er schmiss die Schule und begann eine Lehre als Elektriker in einem anderen Bezirk.
Als er sich in der Druckerei bewarb, begegneten wir uns wieder. Seither hängen wir zusammen herum.
„Mein Herz ist eine Wunde“, sagte er noch einmal und starrte ins Leere.
Ich hustete die Vergangenheit fort.
Die ganze Nacht war das schon gegangen. Im ohrenbetäubenden Klappern der Druckwalzen, die Bogen um Bogen die Tageszeitung ausspuckten, hatte Soul von türkisfarbenen Augen gesprochen. Acht Stunden lang.
„Harry“, brüllte er mir ein ums andere Mal zu, „Du kannst es dir eben nicht vorstellen.“
Ich winkte der Kellnerin. „Muss jetzt in die Falle, Soul, wir reden heute Abend weiter.“
Er legte die Hand auf meine. Sie glühte. „Noch einen Moment, bitte“, sagte er, „ich kann nicht allein sein.“
„Hör mal, ich bin saumüde, Soul.“ Meine Augen brannten und ständig riss Gähnen mir den Mund auf.
Soul zog die Hand zurück, hob die Schultern. Es hatte ihn voll erwischt, eine Breitseite der Leidenschaft. Ich gab klein bei und bestellte einen Espresso.
„Ich fange wieder zu singen an und werde berühmt.“
„Ich weiß nicht, Soul, es ist ewig her.“
Soeben kam der Kolporteur mit der druckfrischen Zeitung in die Kneipe. Auf dem Titel der Eyecatcher: Michelle Pfeiffers Augen. Wie das Meer an einem weißen Sandstrand.
Soul griff nach dem Blatt und versenkte sich in das Foto. Ich gähnte und dann blieb mir der Mund offen, als ich ihn sagen hörte: „Ich hatte mal einen Traum.“ Er drückte die Zeitung an seine Brust und lachte mich an.
© Elsa Rieger