Abitreffen
Verfasst: 02.03.2007, 21:22
Heute morgen bekam ich eine E-Mail von einer mir unbekannten Frau. Mein Finger lag bereits auf der "Entfernen"-Taste, als ich den Namen meines ehemaligen Mädchengymnasiums im Titel erblickte. Also stoppte ich den Löschbefehl und öffnete stattdessen das Schreiben. Als seien die vergangenen Jahre ein Anlass zur Freude (nun gut, immerhin hat man sie überlebt!), forderte man mich darin in munterem Ton auf, mich anlässlich unseres 20-jährigen Abijubiläums in einem mir nicht ganz unbekannten Lokal einzufinden: Dort nämlich machte ich vierzehnjährig zunächst erste Bekanntschaft mit alkoholisch versetzten Kaltgetränken und anschließend mit dem in gleichfarbigen Fliesen gehaltenen und unzureichend gereinigten Abort. Ich bereicherte die vorgefundene Geruchskomposition um eine weitere Note, um mich anschließend zwei Tage lang dem Tode näher zu fühlen als dem Leben.
Doch zurück zum heutigen Morgen: Die heitere Rückrufaktion holte Erinnerungen hervor, die ich erfolgreich verdrängt zu haben meinte. Und ein zehn Jahre alter Film spulte sich erbarmungslos vor meinem inneren Auge ab und hielt mir den unverzeihlichen Fehler vor, das erste Treffen dieser Art damals besucht zu haben:
Wieder sehe ich mich einen Raum des Lokals betreten, wo das Ereignis angeblich stattfinden soll, um dann festzustellen, dass ich mich in der Tür geirrt haben muss. Ich kenne hier niemanden, außerdem sind die Anwesenden für dieses Treffen mindestens fünf Jahre zu alt. Ich wende mich also ab, um mich nach anderen Räumlichkeiten in diesem Hause zu erkundigen, als jemand in meinem Rücken meinen Namen ruft. Meine dienstälteste Freundin, mit der ich in langweiligen Biologiestunden kurzweilige Rezepte für Blutkuchen mit Eitersoße und andere kulinarische Köstlichkeiten entwarf. Sie ruft mir über fremde Köpfe hinweg zu:
„Komm hierher, ich habe Dir einen Platz freigehalten“. Ich fasse es nicht. Das hier soll mein Abijahrgang sein? Da habe ich mich aber gut gehalten, denke ich noch, als ich mir den etwas ratlosen Blick einer angeblich ehemaligen Mitschülerin fange, hinter deren Stirn sich deutlich lesbar ähnliche Gedanken abspielen wie hinter meiner. Ich helfe ihr auf die Sprünge, indem ich ihr meinen Namen zurufe und beschließe, die Kosmetikerin zu wechseln und meinen Friseur auf Schadensersatz zu verklagen.
Doch nun wird es ernst. Während mein ob des Schocks in ungeahnte Höhen enteilter Puls sich dem Durchschnittswert annähert und ich allmählich wieder ruhig atmen kann, erklärt meine Freundin mir, was sich an bekanntem Material hinter den unbekannten Gesichtern verbirgt. Und tatsächlich, in Mimik und Gestik scheinen sich die ehemaligen Leidensgenossinnen ebenso treu geblieben zu sein wie in puncto Mitteilungsbedürfnis. Als erstes erkenne ich aus eigener Kraft Katharina, die wir wegen ihres fehlenden Halses damals schon Schildkröte nannten. Neben ihr eine schwatzende Gruppe sorgfältig angepinselter Damen, die ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend auslösen: „Die Blonden“, mehr wegen ihres Geisteszustandes als ihrer Haarfarbe so betitelt und legendenbildend aufgrund ihrer sich über den gesamten Schulhof erstreckenden Schleimspuren. Noch immer führt Elsa das Wort, die vor den Deutsch-Leistungskursstunden immer zwei weitere Knöpfe ihrer Bluse öffnete und den Blick bis an die Schamhaargrenze freigab. Der Studienrat, ein darbender Junggeselle, dankte es ihr mit zwei sabbertriefenden Zusatzpunkten. Ihr gegenüber Katja, die sich ihres Augenaufschlags so reichlich bediente, dass ich ihr eine Packung Baldrian schenkte, weil ich mich in dem irrigen Glauben befand, sie leide unter nervösen Zuckungen. Wie damals wetteifern die Ladys beim Protzen, allerdings ersetzen gutaussehende und -verdienende Ehemänner mit neuesten BMW-Cabriolets die damals akribisch ausgetauschten Leistungskurspunkte.
Das Grummeln im Magen droht sich zu einer den Abend über anhaltenden Grundübelkeit auszuweiten und ich sehe mich genötigt, zu meinem Bier einen Schnaps zu ordern. Vielleicht kann man sich ja auch die Erinnerungen schönsaufen.
Was soll ich Ihnen sagen. Es funktioniert: Am Ende des Abends sehen alle aus wie früher, ich bin der Meinung, dass unser Jahrgang seinesgleichen noch sucht und wir alle noch jung und dynamisch sind und das Leben vor uns haben. Allerdings bezahle ich diese Illusion mit einer Art Déja-Vu auf den immer noch kackbraun gefliesten Aborten, heftigen Kopfschmerzen am nächsten Morgen und diversen Albträumen in den folgenden zwei Jahren.
Ich atmete auf, als der Film zuende war, um ihn dann schleunigst in der hintersten Ecke meines Hirns verschwinden zu lassen.
Abitreffen. Nee, liebe Leute, ohne mich. Da mache ich nicht mit, nicht noch einmal. Fürchte ich doch, bleibende Schäden davonzutragen durch die zu erwartende geballte und kontrastreiche Konfrontation mit aufgemöbelten Erfolgsmeldungen über den mittlerweile in die Fußstapfen der grandiosen Eltern tretenden Nachwuchs neben sichtlich erfolglos gebliebenen Anti-Faltencremes.
Da pflege ich lieber zuhause bei einem guten Glas Wein meine Midlife-Crisis. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Doch zurück zum heutigen Morgen: Die heitere Rückrufaktion holte Erinnerungen hervor, die ich erfolgreich verdrängt zu haben meinte. Und ein zehn Jahre alter Film spulte sich erbarmungslos vor meinem inneren Auge ab und hielt mir den unverzeihlichen Fehler vor, das erste Treffen dieser Art damals besucht zu haben:
Wieder sehe ich mich einen Raum des Lokals betreten, wo das Ereignis angeblich stattfinden soll, um dann festzustellen, dass ich mich in der Tür geirrt haben muss. Ich kenne hier niemanden, außerdem sind die Anwesenden für dieses Treffen mindestens fünf Jahre zu alt. Ich wende mich also ab, um mich nach anderen Räumlichkeiten in diesem Hause zu erkundigen, als jemand in meinem Rücken meinen Namen ruft. Meine dienstälteste Freundin, mit der ich in langweiligen Biologiestunden kurzweilige Rezepte für Blutkuchen mit Eitersoße und andere kulinarische Köstlichkeiten entwarf. Sie ruft mir über fremde Köpfe hinweg zu:
„Komm hierher, ich habe Dir einen Platz freigehalten“. Ich fasse es nicht. Das hier soll mein Abijahrgang sein? Da habe ich mich aber gut gehalten, denke ich noch, als ich mir den etwas ratlosen Blick einer angeblich ehemaligen Mitschülerin fange, hinter deren Stirn sich deutlich lesbar ähnliche Gedanken abspielen wie hinter meiner. Ich helfe ihr auf die Sprünge, indem ich ihr meinen Namen zurufe und beschließe, die Kosmetikerin zu wechseln und meinen Friseur auf Schadensersatz zu verklagen.
Doch nun wird es ernst. Während mein ob des Schocks in ungeahnte Höhen enteilter Puls sich dem Durchschnittswert annähert und ich allmählich wieder ruhig atmen kann, erklärt meine Freundin mir, was sich an bekanntem Material hinter den unbekannten Gesichtern verbirgt. Und tatsächlich, in Mimik und Gestik scheinen sich die ehemaligen Leidensgenossinnen ebenso treu geblieben zu sein wie in puncto Mitteilungsbedürfnis. Als erstes erkenne ich aus eigener Kraft Katharina, die wir wegen ihres fehlenden Halses damals schon Schildkröte nannten. Neben ihr eine schwatzende Gruppe sorgfältig angepinselter Damen, die ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend auslösen: „Die Blonden“, mehr wegen ihres Geisteszustandes als ihrer Haarfarbe so betitelt und legendenbildend aufgrund ihrer sich über den gesamten Schulhof erstreckenden Schleimspuren. Noch immer führt Elsa das Wort, die vor den Deutsch-Leistungskursstunden immer zwei weitere Knöpfe ihrer Bluse öffnete und den Blick bis an die Schamhaargrenze freigab. Der Studienrat, ein darbender Junggeselle, dankte es ihr mit zwei sabbertriefenden Zusatzpunkten. Ihr gegenüber Katja, die sich ihres Augenaufschlags so reichlich bediente, dass ich ihr eine Packung Baldrian schenkte, weil ich mich in dem irrigen Glauben befand, sie leide unter nervösen Zuckungen. Wie damals wetteifern die Ladys beim Protzen, allerdings ersetzen gutaussehende und -verdienende Ehemänner mit neuesten BMW-Cabriolets die damals akribisch ausgetauschten Leistungskurspunkte.
Das Grummeln im Magen droht sich zu einer den Abend über anhaltenden Grundübelkeit auszuweiten und ich sehe mich genötigt, zu meinem Bier einen Schnaps zu ordern. Vielleicht kann man sich ja auch die Erinnerungen schönsaufen.
Was soll ich Ihnen sagen. Es funktioniert: Am Ende des Abends sehen alle aus wie früher, ich bin der Meinung, dass unser Jahrgang seinesgleichen noch sucht und wir alle noch jung und dynamisch sind und das Leben vor uns haben. Allerdings bezahle ich diese Illusion mit einer Art Déja-Vu auf den immer noch kackbraun gefliesten Aborten, heftigen Kopfschmerzen am nächsten Morgen und diversen Albträumen in den folgenden zwei Jahren.
Ich atmete auf, als der Film zuende war, um ihn dann schleunigst in der hintersten Ecke meines Hirns verschwinden zu lassen.
Abitreffen. Nee, liebe Leute, ohne mich. Da mache ich nicht mit, nicht noch einmal. Fürchte ich doch, bleibende Schäden davonzutragen durch die zu erwartende geballte und kontrastreiche Konfrontation mit aufgemöbelten Erfolgsmeldungen über den mittlerweile in die Fußstapfen der grandiosen Eltern tretenden Nachwuchs neben sichtlich erfolglos gebliebenen Anti-Faltencremes.
Da pflege ich lieber zuhause bei einem guten Glas Wein meine Midlife-Crisis. Man gönnt sich ja sonst nichts.