Der Kokon
Verfasst: 10.02.2007, 12:30
Der Kokon
Das war ja klar. Jetzt, ausgerechnet jetzt kommt mein Chef ins Zimmer.
„Eva, was ist los? Du bist in letzter Zeit so unkonzentriert. Stimmt was nicht? Bist du krank oder gibt es andere Probleme, bei denen wir helfen können? Du kennst doch meine Einstellung, zufriedene Mitarbeiter sind gute Mitarbeiter. Also sag mir Bescheid, wenn ich helfen kann, ok?“
„Ja, ist schon ok, Ralf. Aber es ist wirklich nichts. Ich bin einfach im Moment nicht richtig ausgeschlafen. Das wird schon wieder.“
Er hat keine Ahnung, was mit mir los ist und ich bin froh darüber. Ich hoffe eben einfach wirklich, dass es bald vorbei ist und dass es Dirk besser geht. Dirk, das ist mein Mann. Einfach gekündigt, so mir nichts, dir nichts. Keine Ahnung hat er vorher gehabt, sagt er. Seitdem ist alles nur noch schlimmer geworden.
Mitten in meine gedankliche Suche nach den Schuldigen für unsere Misere klingelt das Telefon. Dirk ist dran. „Guten Morgen Schatz.“ Das klingt kleinlaut. Er wartet meine Reaktion am Telefon ab, will wissen, wie die Stimmung bei mir ist. „Das mit dem Schatz kannst du dir sparen, mein Lieber“, meine Stimme ist schrill und über-schlägt sich.
Prompt kommt das, was ich immer zu hören bekomme in solchen Situationen.
„Es tut mir leid, mein Schatz. Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Aber das war das letzte Mal, das verspreche ich dir!“
Wie oft habe ich das schon gehört? Es ist nicht das erste Mal. Und ich kann es nicht mehr hören. Es macht mich noch wütender. Und vor allem hilfloser. Aber er sollte sich heute bei einer Firma vorstellen. Was für ein Glück für ihn, dass er mich hat. In Ausreden bin ich inzwischen nicht mehr verlegen. Der Chef war nicht glücklich, aber er hatte Verständnis und er hat mir einen neuen Termin für ihn gegeben. Jetzt muss ich nur noch sehen, dass er hingeht. Keine leichte Aufgabe.
„Du bringst uns noch in Teufels Küche. Ich habe keine Lust mehr nach Ausreden für dich zu suchen, verstehst du? Du warst heute früh nicht wach zu kriegen. Immer muss ich für dich lügen!“
„Ja, Schatz, es war das letzte Mal, bestimmt. Du hast ja Recht, wenn du böse bist. Ich werde uns heute was Schönes kochen und dann machen wir es uns so richtig gemütlich, ok? Dann sprechen wir über alles. Wir kriegen das schon hin. Ich liebe dich doch, Kleines.“ Er klingt jetzt so liebevoll. So, als täte es ihm wirklich leid. In Gedanken sehe ich ihn schon, wie er mit einem großen Blumenstrauß vorm Büro steht, um mich abzuholen. Er kann so charmant sein und fröhlich. Das hat mir früher schon so sehr an ihm gefallen.
Da ist dieser dicke Nebel, der mich einlullt, das klebrige Spinnengewebe, das sich um mich legt und mich bewegungsunfähig macht. Als Gefangene im Kokon warte ich darauf, ausgesaugt und verspeist zu werden.
So geht es wirklich nicht mehr weiter. Inzwischen zähle ich schon nicht mehr, wie oft ich ihn verleugnet habe, sogar vor seinen Eltern. Es ist ein Gespinst entstanden, das uns zu Komplizen macht.
Wir gegen den Rest der Welt.
Zaghaft beginne ich, mich auf den Abend und ein ehrliches Gespräch mit ihm zu freuen.
Im Laufe des Tages werden meine verweinten Augen klarer und ich traue mich auch mal wieder, in der Mittagspause mit meiner Kollegin in die Kantine zu gehen. Sie erzählt mir gerne von ihren Kindern und wie schön der letzte Urlaub war. Ich lächle und frage mich, ob zuhause alles in Ordnung ist, ob Dirk aufgestanden ist und eingekauft hat. Wenn er die Arbeit nicht verloren hätte, dann wäre alles nicht so schlimm geworden. Aber, wenn ich es ehrlich bedenke, dann war er damals schon viel mit seinen Kumpels unterwegs. Nur, die Kumpels haben ihren Job noch. Mein Dirk nicht.
Dirk steht nicht vor dem Büro, um mich abzuholen. Sicher wird er zuhause alles für einen schönen Abend vorbereiten. Verabredet waren wir ja nicht, ich versuche meine Enttäuschung zu mildern. Na gut, dann eben heute ohne Blumenstrauß.
Der steht dann doch im Wohnzimmer auf dem Tisch. Mein Dirk ist nicht da, aber es liegt ein Zettel neben der Vase:
Bin einkaufen. Es gibt heute dein Lieblingsessen.
Ich liebe dich,
Dein Dirk
Alles in Ordnung denke ich, gehe unter die Dusche, setze mich anschließend im Bademantel aufs Sofa und beginne zu lesen. Die Erschöpfung gibt mir nur ein paar Seiten Zeit und ich schlafe im Sitzen ein. Meine Augen öffne ich direkt aus einem Schweiß treibenden Albtraum in eine dunkle Zimmerhöhle. Es ist schon spät und mein Dirk ist nicht da, er war nicht da, er kommt nicht mehr. Am offenen Fenster höre ich das Gelächter angetrunkener Männer. Das Klirren aneinander schlagender Bierflaschen schallt durch die leer gewordene Straße. Gelallte Wortfetzen hangeln sich am Fallrohr zu meinem Fenster hoch und grinsen mit ihren Fratzen in mein Gesicht.
Es ist heute, wie fast jeden Tag.
Morgen werde ich den Kokon zerreißen.
Das war ja klar. Jetzt, ausgerechnet jetzt kommt mein Chef ins Zimmer.
„Eva, was ist los? Du bist in letzter Zeit so unkonzentriert. Stimmt was nicht? Bist du krank oder gibt es andere Probleme, bei denen wir helfen können? Du kennst doch meine Einstellung, zufriedene Mitarbeiter sind gute Mitarbeiter. Also sag mir Bescheid, wenn ich helfen kann, ok?“
„Ja, ist schon ok, Ralf. Aber es ist wirklich nichts. Ich bin einfach im Moment nicht richtig ausgeschlafen. Das wird schon wieder.“
Er hat keine Ahnung, was mit mir los ist und ich bin froh darüber. Ich hoffe eben einfach wirklich, dass es bald vorbei ist und dass es Dirk besser geht. Dirk, das ist mein Mann. Einfach gekündigt, so mir nichts, dir nichts. Keine Ahnung hat er vorher gehabt, sagt er. Seitdem ist alles nur noch schlimmer geworden.
Mitten in meine gedankliche Suche nach den Schuldigen für unsere Misere klingelt das Telefon. Dirk ist dran. „Guten Morgen Schatz.“ Das klingt kleinlaut. Er wartet meine Reaktion am Telefon ab, will wissen, wie die Stimmung bei mir ist. „Das mit dem Schatz kannst du dir sparen, mein Lieber“, meine Stimme ist schrill und über-schlägt sich.
Prompt kommt das, was ich immer zu hören bekomme in solchen Situationen.
„Es tut mir leid, mein Schatz. Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Aber das war das letzte Mal, das verspreche ich dir!“
Wie oft habe ich das schon gehört? Es ist nicht das erste Mal. Und ich kann es nicht mehr hören. Es macht mich noch wütender. Und vor allem hilfloser. Aber er sollte sich heute bei einer Firma vorstellen. Was für ein Glück für ihn, dass er mich hat. In Ausreden bin ich inzwischen nicht mehr verlegen. Der Chef war nicht glücklich, aber er hatte Verständnis und er hat mir einen neuen Termin für ihn gegeben. Jetzt muss ich nur noch sehen, dass er hingeht. Keine leichte Aufgabe.
„Du bringst uns noch in Teufels Küche. Ich habe keine Lust mehr nach Ausreden für dich zu suchen, verstehst du? Du warst heute früh nicht wach zu kriegen. Immer muss ich für dich lügen!“
„Ja, Schatz, es war das letzte Mal, bestimmt. Du hast ja Recht, wenn du böse bist. Ich werde uns heute was Schönes kochen und dann machen wir es uns so richtig gemütlich, ok? Dann sprechen wir über alles. Wir kriegen das schon hin. Ich liebe dich doch, Kleines.“ Er klingt jetzt so liebevoll. So, als täte es ihm wirklich leid. In Gedanken sehe ich ihn schon, wie er mit einem großen Blumenstrauß vorm Büro steht, um mich abzuholen. Er kann so charmant sein und fröhlich. Das hat mir früher schon so sehr an ihm gefallen.
Da ist dieser dicke Nebel, der mich einlullt, das klebrige Spinnengewebe, das sich um mich legt und mich bewegungsunfähig macht. Als Gefangene im Kokon warte ich darauf, ausgesaugt und verspeist zu werden.
So geht es wirklich nicht mehr weiter. Inzwischen zähle ich schon nicht mehr, wie oft ich ihn verleugnet habe, sogar vor seinen Eltern. Es ist ein Gespinst entstanden, das uns zu Komplizen macht.
Wir gegen den Rest der Welt.
Zaghaft beginne ich, mich auf den Abend und ein ehrliches Gespräch mit ihm zu freuen.
Im Laufe des Tages werden meine verweinten Augen klarer und ich traue mich auch mal wieder, in der Mittagspause mit meiner Kollegin in die Kantine zu gehen. Sie erzählt mir gerne von ihren Kindern und wie schön der letzte Urlaub war. Ich lächle und frage mich, ob zuhause alles in Ordnung ist, ob Dirk aufgestanden ist und eingekauft hat. Wenn er die Arbeit nicht verloren hätte, dann wäre alles nicht so schlimm geworden. Aber, wenn ich es ehrlich bedenke, dann war er damals schon viel mit seinen Kumpels unterwegs. Nur, die Kumpels haben ihren Job noch. Mein Dirk nicht.
Dirk steht nicht vor dem Büro, um mich abzuholen. Sicher wird er zuhause alles für einen schönen Abend vorbereiten. Verabredet waren wir ja nicht, ich versuche meine Enttäuschung zu mildern. Na gut, dann eben heute ohne Blumenstrauß.
Der steht dann doch im Wohnzimmer auf dem Tisch. Mein Dirk ist nicht da, aber es liegt ein Zettel neben der Vase:
Bin einkaufen. Es gibt heute dein Lieblingsessen.
Ich liebe dich,
Dein Dirk
Alles in Ordnung denke ich, gehe unter die Dusche, setze mich anschließend im Bademantel aufs Sofa und beginne zu lesen. Die Erschöpfung gibt mir nur ein paar Seiten Zeit und ich schlafe im Sitzen ein. Meine Augen öffne ich direkt aus einem Schweiß treibenden Albtraum in eine dunkle Zimmerhöhle. Es ist schon spät und mein Dirk ist nicht da, er war nicht da, er kommt nicht mehr. Am offenen Fenster höre ich das Gelächter angetrunkener Männer. Das Klirren aneinander schlagender Bierflaschen schallt durch die leer gewordene Straße. Gelallte Wortfetzen hangeln sich am Fallrohr zu meinem Fenster hoch und grinsen mit ihren Fratzen in mein Gesicht.
Es ist heute, wie fast jeden Tag.
Morgen werde ich den Kokon zerreißen.