Fünf Minuten
Verfasst: 03.02.2006, 00:58
Fünf Minuten
Soeben war die Morgensonne durch den großstädtischen Dunsthimmel gedrungen. Der riesenhafte Bau aus Stahl, Glas und Beton beeindruckte sie sehr. Bisher hatte sie soetwas noch nicht gesehen. Aisa saß, eine Zeitung in der Hand, auf einer Bank in der großen weiten Halle des neuen Bahnhofs. Sehr viele Menschen waren hier.
Die große Bahnhofsuhr auf der gegenüberliegenden Seite zeigte noch zwei Minuten bis acht. Die Zeiger bewegten sich exakt. Besonders der für die Sekunden schritt gemächlich, aber zielstrebig voran Bei jeder vollen Runde klappte der Größere nach einem kurzen Moment völliger Ruhe eine Marke weiter. Zeit in Einheiten – kontrollierbar und fassbar. Das gab ein gutes Gefühl – ein Gefühl von Absehbarkeit. Auch sonst schien alles sauber und geordnet.
Den Blick wieder senkend, traf sie auf die Augen eines kleinen Kindes, das an mütterlicher Hand auf die Schriftzeichen ihrer Zeitung starrte. Sie lächelte das Kind an. Es konnte ja nichts dafür!
Sie bemerkte nun auch einen Jungen, der etwas weiter entfernt stand und fasziniert auf eine goldene Statue blickte. Sie schien sich ab und an von selber zu bewegen, immer dann, wenn irgendjemand Geld in die Dose vor ihr fallen ließ. Aisa hätte gerne auch Kinder gehabt. Oder wenigstens mehr über ihre Eltern gewusst.
Die Uhr schritt voran. Es war ihr, als könne sie das Ticken herüberhören, das von den hohen, leeren Wänden und dem vielen Glas gut reflektiert wurde. Auch die Vibrationen der Sekundentakte konnte sie deutlich in den Fingerspitzen spüren, die nun wieder auf der zusammengefalteten Zeitung in ihrem Schoß ruhten. Wie kam sie hierher? Es war egal. Sie war da! Sie wartete.
Neben ihr stellte ein Mann in schwarzem Anzug und einem kleinen Kreuz im Ohr seine Tasche neben sie auf die Bank. Er sprach aufgeregt mit seinem Telefon und schaute dabei oft auf die Uhr. Eine Lautsprecherstimme kündigte die Verspätung eines für acht Uhr geplanten Zuges an. Das Englische am Ende der Durchsage klang vertrauter als alles andere, was sie in den letzten Tagen gehört hatte. Die Welt kann so fremd sein auf der andere Seite! Es war Zeit.
Die Zeitung nicht beachtend stand sie auf. Sie hörte Rufe hinter sich. Der Mann mit dem Telefon rief etwas. Der Gürtel mit den Coladosen lag schwer um die Hüften. Die Sekunden vibrierten nicht mehr. Sie blieb unter einer Wandtafel mit Abfahrtszeiten stehen. Viele Menschen waren hier. Gleich würden sie frei sein.
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Am Montagmorgen um 8.03 Uhr explodiert im Berliner Hauptbahnhof eine Splitterbombe mit Zeitzünder. Augenzeugen berichten von einem Selbstmordattentat.
Soeben war die Morgensonne durch den großstädtischen Dunsthimmel gedrungen. Der riesenhafte Bau aus Stahl, Glas und Beton beeindruckte sie sehr. Bisher hatte sie soetwas noch nicht gesehen. Aisa saß, eine Zeitung in der Hand, auf einer Bank in der großen weiten Halle des neuen Bahnhofs. Sehr viele Menschen waren hier.
Die große Bahnhofsuhr auf der gegenüberliegenden Seite zeigte noch zwei Minuten bis acht. Die Zeiger bewegten sich exakt. Besonders der für die Sekunden schritt gemächlich, aber zielstrebig voran Bei jeder vollen Runde klappte der Größere nach einem kurzen Moment völliger Ruhe eine Marke weiter. Zeit in Einheiten – kontrollierbar und fassbar. Das gab ein gutes Gefühl – ein Gefühl von Absehbarkeit. Auch sonst schien alles sauber und geordnet.
Den Blick wieder senkend, traf sie auf die Augen eines kleinen Kindes, das an mütterlicher Hand auf die Schriftzeichen ihrer Zeitung starrte. Sie lächelte das Kind an. Es konnte ja nichts dafür!
Sie bemerkte nun auch einen Jungen, der etwas weiter entfernt stand und fasziniert auf eine goldene Statue blickte. Sie schien sich ab und an von selber zu bewegen, immer dann, wenn irgendjemand Geld in die Dose vor ihr fallen ließ. Aisa hätte gerne auch Kinder gehabt. Oder wenigstens mehr über ihre Eltern gewusst.
Die Uhr schritt voran. Es war ihr, als könne sie das Ticken herüberhören, das von den hohen, leeren Wänden und dem vielen Glas gut reflektiert wurde. Auch die Vibrationen der Sekundentakte konnte sie deutlich in den Fingerspitzen spüren, die nun wieder auf der zusammengefalteten Zeitung in ihrem Schoß ruhten. Wie kam sie hierher? Es war egal. Sie war da! Sie wartete.
Neben ihr stellte ein Mann in schwarzem Anzug und einem kleinen Kreuz im Ohr seine Tasche neben sie auf die Bank. Er sprach aufgeregt mit seinem Telefon und schaute dabei oft auf die Uhr. Eine Lautsprecherstimme kündigte die Verspätung eines für acht Uhr geplanten Zuges an. Das Englische am Ende der Durchsage klang vertrauter als alles andere, was sie in den letzten Tagen gehört hatte. Die Welt kann so fremd sein auf der andere Seite! Es war Zeit.
Die Zeitung nicht beachtend stand sie auf. Sie hörte Rufe hinter sich. Der Mann mit dem Telefon rief etwas. Der Gürtel mit den Coladosen lag schwer um die Hüften. Die Sekunden vibrierten nicht mehr. Sie blieb unter einer Wandtafel mit Abfahrtszeiten stehen. Viele Menschen waren hier. Gleich würden sie frei sein.
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Am Montagmorgen um 8.03 Uhr explodiert im Berliner Hauptbahnhof eine Splitterbombe mit Zeitzünder. Augenzeugen berichten von einem Selbstmordattentat.