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Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klara
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Beitragvon Klara » 23.10.2006, 13:57

defekt

auf eis lagern die kleinen knochen, doch KÄLTE wäre schon ein wort zu viel, ein wort zu groß. sie sprechen davon (auch empört). dabei leugnen sie ihr eigenes zittern, und wie sie die eigenen drücken. alles im griff: geige und ballett in den oberen schichten, dann hockey und klavier, darunter nachhilfe und fußball, zur not, oder nur hort. die leistung muss stimmen. das weiß jedes kind. die klamotten auch. liebe reicht nicht.

draußen fertigen sie maßbänder, die jucken, und machen sich drinnen fein passend. sie legen die maßstäbe hoch, aber drunter fällt jeder, zur not, wenn es klamm wird, das eis betäubt nur. wenn die liebe nicht hält, was sie sprechen. wenn liebe zerbricht mit den knochen. wenn nichts mehr stimmt, pumpen sie glück in die adern.

sie sprechen auch davon, mit blutrotem mund, und kratzen sich wund, wahrlos, unter allen schichten.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.10.2006, 19:44

KLARA!

.... puh komplexes Thema. Wie kommt es zur Drogensucht bei Kindern/Jugendlichen? Die Kürze verleitet zu plakativen Urteilen... dieser Vorwurf fliegt einem Schreiber schnell um die Ohren ... auch der moralinsaure Zeigefinger könnte einem entgegenstreckt werden. Es kann also höchstens eine Facette beschrieben werden, ein kleiner Eindruck, eine persönliche, nicht wertende Wahrnehmung, vielleicht ein Beispiel ohne zu generalisieren und/oder pauschalisieren... denn wollte man differenzieren, müsste man forschen und Bände füllen... um überhaupt in die Nähe einer Feststellung zu dürfen... (äh Nifl!?) ach, zurück zum Text ... er wirkt anfänglich sehr dicht ... ich denke schon, er ist so dicht, dass Niflchen draußen bleiben müssen... dann findet es aber doch Einlass und rückblickend gefällt das Bild der kalt gelagerten Knochen. Die Schichten gingen mir erst gegen den Strich, bis mir die Eisfachschubladen einfielen ... Im Grunde ein Postulat für die Liebe, für die Menschlichkeit wider eliterem, wahrlosem (sehr schön!) Leistungsdruck. Die schimmernde Allwissenheit der Erzählstimme stört mich etwas.

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Klara
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Beitragvon Klara » 24.10.2006, 00:06

Hallo Nifl und hallo wem auch immer, der vielleicht noch (mit)liest.

Der Text ist ein hilfloser und kein allwissender Text. Ich fand, alles andere als kurz und schwafelig-nicht-dicht wäre verletzend und - UNPASSEND:

Thema sind nicht drogensüchtige Jugendliche, sondern in erster Linie der zweijährige Kevin, der tot in einem Bremer Kühlschrank gefunden wurde, Eltern drogensüchtig (las ich, obwohl ich so wenig wie möglich darüber zu lesen versuchte, aber er verfolgte mich und verfolgt mich noch immer, der arme kleine Kevin und seine armen schuldigen Eltern). Offenbar ist diese - Sache allgemein nicht so präsent, wie ich annahm.

In zweiter Linie ist Thema eine andere Verwahrlosung bzw. zum-Ding-Machung von Kindern.

In dritter Linie "der Kapitalismus", den es so natürlich gar nicht gibt.

Schade, dass das gar nicht rauskommt, denn nichts liegt mir - noch dazu in diesem Fall! - ferner als ein irgend herablassendes Besserwissen. Im Gegenteil: Die "unteren Schichten" beziehen sich unter Anderem auf diese unsägliche und angeblich gänzlich neue "Unterschicht"-Debatte, die der tote kleine Kevin ausgelöst hat.

Danke sehr für dein Feedback!

Grüße
Klara

Nifl
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Beitragvon Nifl » 24.10.2006, 19:03

Hallo Klara.


sondern in erster Linie der zweijährige Kevin, der tot in einem Bremer Kühlschrank gefunden wurde, Eltern drogensüchtig

Oh ä ... ist tatsächlich an mir vorübergegangen... aber von solch pressemäßig ausgeschlachteten Extremen halte ich mich auch fern ... da ist immer so viel Heuchelei dabei ... ja, schockiert sind immer alle ... aber hintenrum werden Sozialarbeiterstellen gestrichen ... die Schulen vollgestopft ... Präventionsmaßnahmen eingestellt .... usw usf.
Der bedrohlichere Horror findet leise statt ... im Kleinen, im Alltag ...


Schade, dass das gar nicht rauskommt,

... na ja ... hatte ja nicht den Background ...

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Gast

Beitragvon Gast » 25.10.2006, 15:29

... schwere Kost, liebe Klara.
Wäre es nicht vielleicht sinnvoll, etwas in der Art wie:
Zeitungsmeldung etc
als Untertitel zu wählen, damit der Leser die notwendige Info hat um sich auf das Gedicht überhaupt einzulassen?
Zu wissen, dass du konkret Zeitgeschehen, eine menschliche Tragödie 2006 meinst, wäre emminent wichtig.
Ansonsten: es ist ja nicht ein Problem, sondern ein Sack voller Probleme, die du versuchst in wenigen Sätzen an den leser zu bringen.
Wenn du verknappen willst, glaube ich, musst du dich beschränken. soll heißen:
Nicht den "Sack voll Probleme" verdichten wollen, sondern einige wenige. ausschneiden.
Aber du kannst natürlich auch eine komplette Kurzgeschichte daraus machen, und die gesamte Palette, menschlichen und unmenschlichen Versagens konkret beschreiben.
So, wie der Text hier steht, ist er für mich weder so noch so fertig.
(Was ja nichts heißt).

Liebe Grüße
Gerda

Klara
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Beitragvon Klara » 25.10.2006, 16:12

... wahrscheinlich hast du Recht, Gerda. Ich denke drüber nach.
Klara


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