Zeit zu gehen

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
pandora

Beitragvon pandora » 07.10.2006, 19:49

gone
Zuletzt geändert von pandora am 15.03.2008, 17:27, insgesamt 2-mal geändert.

Nihil

Beitragvon Nihil » 07.10.2006, 20:10

Liebe Pandora,

deine Zeilen gefallen mir sehr gut, sie sind traurig und wahr .. verstehe ich den Text richtig - "die ewig lächelnden Marmorgötter" - sind das die Ideale? Die Uhr ohne Ziffernblatt symbolisiert die Ewigkeit .. das Reiseziel? Handelt der Text von der Destruktivität von Idealen? Ideale, die nichts hinterlassen als eine Welt der Fäulnis? Aber was symbolisiert der Löwe? Den Moment der Stärke im Abschiednehmen? Ich würde ihn so lesen, aber Du kannst mich gerne berichtigen, wenn ich daneben liege und ich liege oftmals daneben .. ich glaube, ich liege total daneben .. Tunnelblick lass ab von mir! ;-)

LG

Nihil

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 07.10.2006, 23:29

Liebe Frau Pandora,

dieser poetische Kurztext wirbelt eine ganze Reihe von Bilder durch die Luft. Fast kommt er als lustiger Herbstwind daher. Er spielt aber wohl auch ein wenig mit seinen Lesern. Was wäre denn das "bekannte Ziel"? Wer ist das rothaarige Mädchen? (Es wird ja wohl nicht die große Liebe von Charlie Brown sein.) Erinnert der Löwe an den König von Narnia?

E. A. Poe hat einmal geschrieben, es gäbe kein romantischeres Thema, als den Tod einer schönen jungen Frau. (Patrick Süßkind hat dieses Konzept ja in deutscher Gigantomanie mit dreißig Leichen erfolgreich umgesetzt.)

Fast scheint es mir, als würden sie glauben, es gäbe kein schöneres Thema, als uns die Rückenaufsicht eines Mannes zu zeigen, der geht, weil er weiß, dass seine Zeit gekommen ist.

Grüße

Paul Ost

Max

Beitragvon Max » 08.10.2006, 16:36

Liebe Pandora,

an deinen Zeilen gefällt mir besonders wie du Poetisch-Märchenhaftes mit Absurdem verwebst (dabei denke ich vor allem an die wunderbare Liste der allernötigsten Dinge, die Dein Held mitnimmt). Ist dies eigentlich Teil einer längeren Erzählung oder so wie es ist abgeschlossen?

Liebe Grüße
max

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.10.2006, 17:32

Hallo pandora,

mir scheint, dass dies eine tragische Geschichte ist. Einerseits, klar, geht es hier um Abschied oder Vergänglichkeit/Loslassen. Ich mutmaße, dass es um den Tod geht (der kreisende graue Vogel). Dann die Figur des Königs, der erst nackt in den Garten läuft, sprich, ohne Scham, sich dann Kleidung anlegt, um unscheinbar zu sein, sich aber dennoch die Krone aufsetzt, die ihm schwer wiegt. Diesen Widerspruch hast du wohl absichtlich so angelegt, da er sich ja durch die Krone gerade nicht unscheinbar macht, aber an dieser, wenn sie auch schwer wiegt, festhält, obwohl er sonst nur "Unwichtiges" bzw. scheinbar Sinnloses, wie die Kerze ohne Docht, mitnimmt. Ich frage mich, was geschieht mit ihm bzw. in ihm? Dann die anderen Figuren. Rätsel, rätsel ... Du erzeugst viele anschauliche Bilder. Man will sie so gerne zusammensetzen, doch ich krieg es nicht hin.
Faszinierend, das Ganze ...
Saludos
Gabriella

pandora

Beitragvon pandora » 08.10.2006, 20:52

lieber nihil, lieber paul, lieber max, liebe magic,

danke fürs lesen und für eure rückmeldungen.
ich habe gestern etwas getan, was ich schon lange vorhatte; leider bin ich irgendwie nie dazu gekommen: ich habe an einem schreibworkshop teilgenommen. um es vorwegzunehmen: der workshop hat mir sehr gut gefallen, weil die leiterin die impulse jeweils sehr weit fasste und den prozess der textentstehung sehr behutsam lenkte.
der text ist zu einem bild von quint buchholz (http://de.wikipedia.org/wiki/Quint_Buchholz) entstanden. (dargestellt war eine szene am meer. in einem boot, die blicke auf den horizont gerichtet, saßen ein könig, ein mädchen und ein löwe) ich hockte zunächst ziemlich einfallslos davor, aber dann schrieb sich diese geschichte wie von allein. ich war ehrlich erstaunt, wie ich sie mittels bild aus meinem inneren zutage gefördert hatte. (klingt das jetzt verklärt? ich hoffe nicht.) kein großes hin und her, keine änderungen, nur diese sätze eben.
normalerweise schreibe ich anders, ganz anders. ein gedanke setzt sich in meinem kopf fest, irgendwann und irgendwie, und dann ist er, der gedanke, dort wochen- und monatelang. ich formuliere abends vor dem einschlafen oder tagsüber, in freien minuten, sätze, verse, was auch immer, verwerfe sie wieder, ändere ... irgendwann schreibe ich dann (bestenfalls) auf.
der text "zeit zu gehen" orientiert sich also nicht (!!!) an der signatur von herrn ost, aber für mich hat er schon viel mit abschied zu tun. der könig, der seine aufgaben erfüllt hat, kann abtreten, gehen, er tut dies mit wehmut, aber nicht unfreiwillig. so, wie er sein amt akzeptiert, akzeptiert er auch ewige kreisläufe und bestimmungen. die werte, die sein (offizielles) amt prägen, sind nicht die werte, die er als mensch, als individuum, schätzt.
könnte der könig nicht zum beispiel der sommer sein, der sich auf absehbare zeit verabschiedet? das mädchen die sonne und der löwe seine stärke? der große graue vogel, übrigens auch bestandteil des bildes, der nahende herbst/winter? ich bin nicht sicher.

lg
p.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.10.2006, 00:13

Hallo pandora,

das finde ich sehr spannend, von einem Bild inspiriert zu werden. Ich habe eben mal einige Bilder von Quint Buchholz angeschaut. Fast alle drücken sehr viel Wehmut aus, genauso wie deine Geschichte. Auf vielen Bildern sah ich das Meer und immer wieder auch graue Vögel, scheint eines seiner Lieblingsmotive zu sein.

Und ja, ich finde, das man durchaus so sehen kann, wie du in den letzten drei Zeilen schreibst.
Saludos
Gabriella

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 12.10.2006, 10:20

Liebe pan,

nachdem ich jetzt kurz nach Quint Buchholz gegoogelt habe, habe ich zwar nicht das Bild gefunden,aber die Reaktion war ungefähr folgende: ach DAS /kräftiges Nicken) ist Buchholz, ja, den kenne ich ja :-). Und dann war mir sofort, auch ohne das entsprechende Bild, klar, dass du den FarbTon von ihm für mich sehr getroffen hast. Diese nebelige Grünfrische mit dem geheimen rot oder blau oder gelb schwingt in deinen Zeilen sehr mit und mir gefallen deine Vermutungen zu deinen Ideen (schon alleine, weil sie sich in deinen anderen Gedichten zu Jahrenzeiten auch wiederfinden).

Mir gefällt das sehr...auch das schlichte, kurze...es bleibt ein Geheimnis, in das man seine eigene geschichte legen kannst, so wie du deine Worte ind as Bild gelegt hast :-)

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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