Das Papanatomobil
Verfasst: 20.09.2006, 15:17
Das Papanatomobil
Es war am Ende eines trotz seiner Trübheit fernsichtreichen Regentages, als Heiner und Ludwig einsahen, dass etwas geschehen musste. Die Badewanne, die einst für umermessliche Fluten von Bier den Lagerort abgegeben hatte, war leer, die grüne Hoffnung der Hänflinge bis auf ein paar armselige Krumen aufgebraucht und im Kühlschrank war nichts Essbares zu finden, wenn man von einigen Kakerlaken, die Heiner sich trotz seiner sonst durchaus vorhandenen Begeisterung für exotische Gerichte nicht zu verspeisen durchringen konnte, absah. Grund hierfür war ein Mißstand, der die Angehörigen jener Kulturen, die sich selbst gern die "zivilisierten" schimpfen, schon seit jeher begleitet und im Laufe der Geschichte immer wieder in die Barbarei getrieben und die Zartheit jener Firnis aus Moral und Anstand, die sie umspannte, offenbart hatte: sie hatten kein Geld. Aus den üblichen studentischen Nebenverdienstmöglichkeiten hatten sie ihre zahlreichen Arbeitgeber stets nach kurzem hartherzig verstoßen, und die Zahlungsmoral der Altvorderen liess letzthin etwas zu wünschen übrig.
Nun saßen die beiden mit sorgenvollen Mienen am Küchentisch und sannen nach, worüber jeder große Geist wohl einmal nachgesonnen hat.
"Wir könnten Strassenmaler werden." meinte Heiner.
"Oder Rockstars." antwortete Ludwig, der mal ein bißchen Gitarre spielen gelernt hatte, was zugegebenermaßen mehr ist, als mancher Rockstar heute ohne rot zu werden von sich sagen kann. So redeten sie hin und her, doch nichts von dem, was sie vorbrachten, mochte auch nur einen von ihnen recht zu überzeugen. Schließlich war es Ludwig, dem ein Licht aufging.
"Wir könnten das Auto verkaufen."
Heiner sah ihn zweifelnd an "Deine alte Ente? Selbst einen Schrotthändler müsste man dafür bezahlen, dass er sie nimmt."
Damit wollte er zum nächsten Vorschlag übergehen, aber Ludwig sah nun die Zeit gekommen, in die Tiefe zu gehen.
"Natürlich nicht einfach so. Man müsste sie zu etwas Besonderem machen. Wir könnten eine Steinschleuder draufkleben und sie als NVA-Panzer verkaufen. Oder wir schreiben "Christine" auf die Kühlerhaube und behaupten, sie sei uns aus der Hölle zugelaufen."
"Ach, Stephen King ist doch out. Man müsste irgendwas mit Promis machen. Michael Jackson vielleicht oder Dieter Bohlen."
Erneut legten beide die Stirn in tiefe Falten. Da wurde Ludwigs Gesicht auf einmal hell wie ein Sonnenschein nach langen Unwettern und er rief aus:
"Ich hab's! Der Papst! Wir überfahren den Papst damit! Was glaubst du, was die alte Kiste dann für einen Preis bei E-bay bringt!"
"Bist du jetzt völlig verrückt geworden?" entgegnete Heiner, "Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß wir die Karre noch heil nach Rom kriegen! So ein Unsinn!"
Was hier für Außenstehende wie ein belangloser Zusatz aussieht, war in Wirklichkeit das Startsignal für ein Ritual, das in der WG-internen Entscheidungskultur eine zentrale Stellung einnahm: beim sogenannten freestyle-insulting tauschen die Kontrahenten solange Beschimpfungen aus, die sie noch nie zuvor benutzt haben, bis einem von beiden die Ideen ausgehen - womit er verliert. Als Herausgefordertem gebührte Ludwig der erste Zug.
"Papistischer Erzteufel!"
"Du kommst gleich in die Suppe!"
"Wurstsemmel!"
"Bademantel!"
"Hüpfknete!"
"Selber Hüpfknete!" stieß Heiner hervor, was nach den Regeln eine Kapitulation anzeigte. "Na gut, du hast gewonnen. Aber nach Rom kommen wir damit trotzdem nicht mehr."
Ludwig schaute etwas beleidigt drein, wie die Sonne, die sich nach langen Gewittern nur kurz blicken lässt und dann wieder hinter einer Wolke verschwindet und schmollt, weil alle daheim vor der Glotze sitzen und keiner ihren schönen Regenbogen ansieht: "Natürlich nicht. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Aber WIR sind doch jetzt Papst. Der alte Ratzi ist gerade zu Besuch in der Nachbargemeinde."
"Echt? Na so ein Glück. Fast schon unglaublich, soviel Zufall!"
"Ein Wink des Himmels. Außerdem würde die Story sonst nicht funktionieren und die ganze langatmige Einleitung wäre umsonst. Nicht wahr? Au! Hey, Ohrfeigen aus der Chefetage sind verboten! Das ist Einmischung des Autors, jawohl, du kannst in jedem drittklassigen Schreibratgeber nachlesen, dass man das nicht dar... Hey! Was fällt dir ein, mich einfach um 20 Jahre altern zu lassen? Jetzt glaubt mir doch keiner mehr den WG-twen! Ha, Eigentor! Huch? Wo sind meine Haare hin? WAS? NEUER NAME? WIE WILLST DU MICH NENNEN? Du hast sie wohl nicht mehr alAU! Ist ja gut...
Hier ist mein Plan..."
Am nächsten Tag standen Heiner und Gutfried zu einer für sie ungewohnt frühen Stunde auf.
"Was für eine unchristliche Zeit." sagte Gutfried grinsend, als sie aufbrachen. Heiner verzog schmerzvoll die Mundwinkel nach unten. "Ich kann nichts dafür." setzte da Gutfried leise hinzu. "Es ist der Autor. Er legt mir schlechte oder abgedroschene Wortspiele in den Mund, um mich zu ärgern."
Sie parkten den Wagen auf einer ansonsten leeren, abschüssigen Straße und verbargen sich in einer nahen Gasse, um von hier aus das Auftauchen des Pontifex abzuwarten. Zeigte sich dieser, mußte Gutfried nur noch die Handbremse lösen - etwas, was diese, wie sie verschiedentlich erfahren hatten, oft genug von selbt tat - und schon würde, wie Gutfried sagte "die Sache ins Rollen kommen.".
Einstweilen standen sie nur da und warteten. Keiner von beiden ahnte, daß zur gleichen Zeit in einer dunklen Gasse etwas unterhalb der ihren zwei lichtscheue Gestalten ihr Unwesen zu treiben begannen.
"Bist du sicher, dass das Gewehr im Wert steigt, wenn wir den heiligen Vater damit abknallen?", fragte Joe unsicher. "Klar. Du wirst sehen - im Handumdrehen sind wir reich. He, da kommt er ja schon.", antwortete Sam und legte an.
"He, da kommt er schon!", sagte Ludwig und löste die Handbremse.
"Nein!", rief Heiner, "Der ist doch noch ewig weit weg! So erwischt sie ihn nie! Verdammt. He, was tun denn die beiden da unten auf der Straße? VORSICHT! BAHN FREI!"
Die öffentliche Meinung pflegt letzten Worten große Bedeutung beizumessen; im Tod entscheidet sich, ob ein Leben abgeschlossen oder bloß abgebrochen wird. Wer im Leben ein Weiser war, zieht, so meint man, in den letzten Worten ein Fazit unter seinen Weg, eine Art unendlich komprimierter Bilanz jahrzehntelanger Denkpfade. Unzählige erklärten sterbend ihre Liebe; im Tod bekannte sich Winnetou zum Christentum. Soweit zumindest der literarisch-dramatische Mythos. Im richtigen Leben freilich scheinen wir dazu zu neigen, an sich banale Äusserungen im Sinne der Dramaturgie umzuinterpretieren; so Goethes "Mehr Licht!", das von einer sinnreichen biologischen Wendung vermutlich gerade noch rechtzeitig vor dem gehesselten "net schlecht aufm Kanapee." abgeschnitten wurde.
"Schau mal, da kommt eine Ente." sagte Joe noch und darauf Sam: "Ruhe jetzt."
Über die beiden Toten auf Kühler und Dach des Vehikels, von denen einer ein geladenes Gewehr umklammert hielt, entstand zunächst einige Verwirrung; die Polizei schaltete sich ein, die Presse und natürlich die hohe Geistlichkeit selbst. Als man die Halter, einen jungen Mann anfang zwanzig und einen griesgrämigen, kahlköpfigen Mittvierziger, schließlich in ihrer Wohnung ausfindig machte, schien keiner der beiden sich erklären zu können, wie das Gefährt auf den Hügel gelangt sein mochte. Da sie sich im Zustand großer Aufregung befanden und am ganzen Leib zitterten, schickte man ihnen einen kirchlichen Seelsorger, den sie mit baffen Blicken ansahen, während er ihnen erklärte, daß man sich vor Zeichen und Wundern nicht zu fürchten brauche, solches früher noch weit öfter geschehen sei und man sich geradeheraus glücklich schätzen könne, Besitzer des auserwählten Automobils zu sein, zumal doch...
Gutfried und Heiner begriffen zwar nicht viel, aber immerhin doch, daß man ihnen nicht übel wollte, und beruhigten sich bald wieder. Der Seelsorger ging, stattdessen kam die Presse mit einem Vertrag über das exklusive Recht, Bilder von den beiden abdrucken zu dürfen.
Der wackere Streitwagen aber, den Gott selbst zum Schutz seines Stellvertreters auf Erden losgeschickt hatte, wurde seinen stolzen Besitzern zu einem noch viel stolzeren Preis abgekauft und steht seither im Petersdom, wo die frommen Pilger ihn das "Papanatomobil" nennen und als Reliquie verehren.
So wurden alle glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Oder, wie Gutfried sagen würde: "Ente gut, alles gut."
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Erstfassung:
Das Papanatomobil
Es war am Ende eines trotz seiner Trübheit fernsichtreichen Regentages, als Heiner und Ludwig einsahen, dass etwas geschehen musste. Die Badewanne, die einst für umermessliche Fluten von Bier den Lagerort abgegeben hatte, war leer, die grüne Hoffnung der Hänflinge bis auf ein paar armselige Krumen aufgebraucht und im Kühlschrank war nichts Essbares zu finden, wenn man von einigen Kakerlaken, die Heiner sich trotz seiner sonst durchaus vorhandenen Begeisterung für exotische Gerichte nicht zu verspeisen durchringen konnte, absah. Grund hierfür war ein Mißstand, der die Angehörigen jener Kulturen, die sich selbst gern die "zivilisierten" schimpfen, schon seit jeher begleitet und im Laufe der Geschichte immer wieder in die Barbarei getrieben und die Zartheit jener Firnis aus Moral und Anstand, die sie umspannte, offenbart hatte: sie hatten kein Geld. Aus den üblichen studentischen Nebenverdienstmöglichkeiten hatten sie ihre zahlreichen Arbeitgeber stets nach kurzem hartherzig verstoßen, und die Zahlungsmoral der Altvorderen liess letzthin etwas zu wünschen übrig.
Nun saßen die beiden mit sorgenvollen Mienen am Küchentisch und sannen nach, worüber jeder große Geist wohl einmal nachgesonnen hat.
"Wir könnten Strassenmaler werden." meinte Heiner.
"Oder Rockstars." antwortete Ludwig, der mal ein bißchen Gitarre spielen gelernt hatte, was zugegebenermaßen mehr ist, als mancher Rockstar heute ohne rot zu werden von sich sagen kann. So redeten sie hin und her, doch nichts von dem, was sie vorbrachten, mochte auch nur einen von ihnen recht zu überzeugen. Schließlich war es Ludwig, dem ein Licht aufging.
"Wir könnten das Auto verkaufen."
Heiner sah ihn zweifelnd an "Deine alte Ente? Selbst einen Schrotthändler müsste man dafür bezahlen, dass er sie nimmt."
Damit wollte er zum nächsten Vorschlag übergehen, aber Ludwig sah nun die Zeit gekommen, in die Tiefe zu gehen.
"Natürlich nicht einfach so. Man müsste sie zu etwas Besonderem machen. Wir könnten eine Steinschleuder draufkleben und sie als NVA-Panzer verkaufen. Oder wir schreiben "Christine" auf die Kühlerhaube und behaupten, sie sei uns aus der Hölle zugelaufen."
"Ach, Stephen King ist doch out. Man müsste irgendwas mit Promis machen. Michael Jackson vielleicht oder Dieter Bohlen."
Erneut legten beide die Stirn in tiefe Falten. Da wurde Ludwigs Gesicht auf einmal hell wie ein Sonnenschein nach langen Unwettern und er rief aus:
"Ich hab's! Der Papst! Wir überfahren den Papst damit! Was glaubst du, was die alte Kiste dann für einen Preis bei E-bay bringt!"
"Bist du jetzt völlig verrückt geworden?" entgegnete Heiner, "Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß wir die Karre noch heil nach Rom kriegen! So ein Unsinn!"
Was hier für Außenstehende wie ein belangloser Zusatz aussieht, war in Wirklichkeit das Startsignal für ein Ritual, das in der WG-internen Entscheidungskultur eine zentrale Stellung einnahm: beim sogenannten freestyle-insulting tauschen die Kontrahenten solange Beschimpfungen aus, die sie noch nie zuvor benutzt haben, bis einem von beiden die Ideen ausgehen - womit er verliert. Als Herausgefordertem gebührte Ludwig der erste Zug.
"Papistischer Erzteufel!"
"Du kommst gleich in die Suppe!"
"Wurstsemmel!"
"Bademantel!"
"Hüpfknete!"
"Selber Hüpfknete!" stieß Heiner hervor, was nach den Regeln eine Kapitulation anzeigte. "Na gut, du hast gewonnen. Aber nach Rom kommen wir damit trotzdem nicht mehr."
Ludwig schaute etwas beleidigt drein, wie die Sonne, die sich nach langen Gewittern nur kurz blicken lässt und dann wieder hinter einer Wolke verschwindet und schmollt, weil alle daheim vor der Glotze sitzen und keiner ihren schönen Regenbogen ansieht: "Natürlich nicht. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Aber WIR sind doch jetzt Papst. Der alte Ratzi ist gerade zu Besuch in der Nachbargemeinde."
"Echt? Na so ein Glück. Fast schon unglaublich, soviel Zufall!"
"Ein Wink des Himmels. Außerdem würde die Story sonst nicht funktionieren und die ganze langatmige Einleitung wäre umsonst. Nicht wahr? Au! Hey, Ohrfeigen aus der Chefetage sind verboten! Das ist Einmischung des Autors, jawohl, du kannst in jedem drittklassigen Schreibratgeber nachlesen, dass man das nicht dar... Hey! Was fällt dir ein, mich einfach um 20 Jahre altern zu lassen? Jetzt glaubt mir doch keiner mehr den WG-twen! Ha, Eigentor! Huch? Wo sind meine Haare hin? WAS? NEUER NAME? WIE WILLST DU MICH NENNEN? Du hast sie wohl nicht mehr alAU! Ist ja gut...
Hier ist mein Plan..."
Am nächsten Tag standen Heiner und Gutfried zu einer für sie ungewohnt frühen Stunde auf.
"Was für eine unchristliche Zeit." sagte Gutfried grinsend, als sie aufbrachen. Heiner verzog schmerzvoll die Mundwinkel nach unten. "Ich kann nichts dafür." setzte da Gutfried leise hinzu. "Es ist der Autor. Er legt mir schlechte oder abgedroschene Wortspiele in den Mund, um mich zu ärgern."
Sie parkten den Wagen auf einer ansonsten leeren, abschüssigen Straße und verbargen sich in einer nahen Gasse, um von hier aus das Auftauchen des Pontifex abzuwarten. Zeigte sich dieser, mußte Gutfried nur noch die Handbremse lösen - etwas, worauf sich diese, wie sie verschiedentlich erfahren hatten, selbst hervorragend verstand, was jeden Verdacht auf Absicht im Keim ersticken würde - und schon würde, wie Gutfried sagte "die Sache ins Rollen kommen.". Einstweilen standen sie nur da und warteten. Keiner von beiden ahnte, was sich zur gleichen Zeit in einer kleinen, dunklen Gasse etwas unterhalb der ihren tat.
"Bist du sicher, dass das Gewehr im Wert steigt, wenn wir den heiligen Vater damit abknallen?" fragte Joe unsicher. "Klar. Du wirst sehen - im Handumdrehen sind wir reich. He, da kommt er ja schon." antwortete Sam und legte an.
Die öffentliche Meinung pflegt letzten Worten große Bedeutung beizumessen; im Tod entscheidet sich, ob ein Leben abgeschlossen oder bloß abgebrochen wird. Wer im Leben ein Weiser war, zieht, so meint man, in den letzten Worten ein Fazit unter seinen Weg, eine Art unendlich komprimierter Bilanz jahrzehntelanger Denkpfade. Unzählige erklärten sterbend ihre Liebe; im Tod bekannte sich Winnetou zum Christentum. Soweit zumindest der literarisch-dramatische Mythos. Im richtigen Leben freilich scheinen wir dazu zu neigen, an sich banale Äusserungen im Sinne der Dramaturgie umzuinterpretieren; so Goethes "Mehr Licht!", das von einer sinnreichen biologischen Wendung vermutlich gerade noch rechtzeitig vor dem gehesselten "net schlecht aufm Kanapee." abgeschnitten wurde.
"Schau mal, da kommt eine Ente." sagte Joe und darauf Sam: "Ruhe jetzt."
Der wackere Streitwagen aber, den Gott selbst zum Schutz seines Stellvertreters auf Erden losgeschickt hatte, wurde seinen stolzen Besitzern zu einem noch viel stolzeren Preis abgekauft und steht seither im Petersdom, wo die frommen Pilger ihn das "Papanatomobil" nennen und als Reliquie verehren.
So wurden alle glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Oder, wie Gutfried sagen würde: "Ente gut, alles gut."
Es war am Ende eines trotz seiner Trübheit fernsichtreichen Regentages, als Heiner und Ludwig einsahen, dass etwas geschehen musste. Die Badewanne, die einst für umermessliche Fluten von Bier den Lagerort abgegeben hatte, war leer, die grüne Hoffnung der Hänflinge bis auf ein paar armselige Krumen aufgebraucht und im Kühlschrank war nichts Essbares zu finden, wenn man von einigen Kakerlaken, die Heiner sich trotz seiner sonst durchaus vorhandenen Begeisterung für exotische Gerichte nicht zu verspeisen durchringen konnte, absah. Grund hierfür war ein Mißstand, der die Angehörigen jener Kulturen, die sich selbst gern die "zivilisierten" schimpfen, schon seit jeher begleitet und im Laufe der Geschichte immer wieder in die Barbarei getrieben und die Zartheit jener Firnis aus Moral und Anstand, die sie umspannte, offenbart hatte: sie hatten kein Geld. Aus den üblichen studentischen Nebenverdienstmöglichkeiten hatten sie ihre zahlreichen Arbeitgeber stets nach kurzem hartherzig verstoßen, und die Zahlungsmoral der Altvorderen liess letzthin etwas zu wünschen übrig.
Nun saßen die beiden mit sorgenvollen Mienen am Küchentisch und sannen nach, worüber jeder große Geist wohl einmal nachgesonnen hat.
"Wir könnten Strassenmaler werden." meinte Heiner.
"Oder Rockstars." antwortete Ludwig, der mal ein bißchen Gitarre spielen gelernt hatte, was zugegebenermaßen mehr ist, als mancher Rockstar heute ohne rot zu werden von sich sagen kann. So redeten sie hin und her, doch nichts von dem, was sie vorbrachten, mochte auch nur einen von ihnen recht zu überzeugen. Schließlich war es Ludwig, dem ein Licht aufging.
"Wir könnten das Auto verkaufen."
Heiner sah ihn zweifelnd an "Deine alte Ente? Selbst einen Schrotthändler müsste man dafür bezahlen, dass er sie nimmt."
Damit wollte er zum nächsten Vorschlag übergehen, aber Ludwig sah nun die Zeit gekommen, in die Tiefe zu gehen.
"Natürlich nicht einfach so. Man müsste sie zu etwas Besonderem machen. Wir könnten eine Steinschleuder draufkleben und sie als NVA-Panzer verkaufen. Oder wir schreiben "Christine" auf die Kühlerhaube und behaupten, sie sei uns aus der Hölle zugelaufen."
"Ach, Stephen King ist doch out. Man müsste irgendwas mit Promis machen. Michael Jackson vielleicht oder Dieter Bohlen."
Erneut legten beide die Stirn in tiefe Falten. Da wurde Ludwigs Gesicht auf einmal hell wie ein Sonnenschein nach langen Unwettern und er rief aus:
"Ich hab's! Der Papst! Wir überfahren den Papst damit! Was glaubst du, was die alte Kiste dann für einen Preis bei E-bay bringt!"
"Bist du jetzt völlig verrückt geworden?" entgegnete Heiner, "Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß wir die Karre noch heil nach Rom kriegen! So ein Unsinn!"
Was hier für Außenstehende wie ein belangloser Zusatz aussieht, war in Wirklichkeit das Startsignal für ein Ritual, das in der WG-internen Entscheidungskultur eine zentrale Stellung einnahm: beim sogenannten freestyle-insulting tauschen die Kontrahenten solange Beschimpfungen aus, die sie noch nie zuvor benutzt haben, bis einem von beiden die Ideen ausgehen - womit er verliert. Als Herausgefordertem gebührte Ludwig der erste Zug.
"Papistischer Erzteufel!"
"Du kommst gleich in die Suppe!"
"Wurstsemmel!"
"Bademantel!"
"Hüpfknete!"
"Selber Hüpfknete!" stieß Heiner hervor, was nach den Regeln eine Kapitulation anzeigte. "Na gut, du hast gewonnen. Aber nach Rom kommen wir damit trotzdem nicht mehr."
Ludwig schaute etwas beleidigt drein, wie die Sonne, die sich nach langen Gewittern nur kurz blicken lässt und dann wieder hinter einer Wolke verschwindet und schmollt, weil alle daheim vor der Glotze sitzen und keiner ihren schönen Regenbogen ansieht: "Natürlich nicht. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Aber WIR sind doch jetzt Papst. Der alte Ratzi ist gerade zu Besuch in der Nachbargemeinde."
"Echt? Na so ein Glück. Fast schon unglaublich, soviel Zufall!"
"Ein Wink des Himmels. Außerdem würde die Story sonst nicht funktionieren und die ganze langatmige Einleitung wäre umsonst. Nicht wahr? Au! Hey, Ohrfeigen aus der Chefetage sind verboten! Das ist Einmischung des Autors, jawohl, du kannst in jedem drittklassigen Schreibratgeber nachlesen, dass man das nicht dar... Hey! Was fällt dir ein, mich einfach um 20 Jahre altern zu lassen? Jetzt glaubt mir doch keiner mehr den WG-twen! Ha, Eigentor! Huch? Wo sind meine Haare hin? WAS? NEUER NAME? WIE WILLST DU MICH NENNEN? Du hast sie wohl nicht mehr alAU! Ist ja gut...
Hier ist mein Plan..."
Am nächsten Tag standen Heiner und Gutfried zu einer für sie ungewohnt frühen Stunde auf.
"Was für eine unchristliche Zeit." sagte Gutfried grinsend, als sie aufbrachen. Heiner verzog schmerzvoll die Mundwinkel nach unten. "Ich kann nichts dafür." setzte da Gutfried leise hinzu. "Es ist der Autor. Er legt mir schlechte oder abgedroschene Wortspiele in den Mund, um mich zu ärgern."
Sie parkten den Wagen auf einer ansonsten leeren, abschüssigen Straße und verbargen sich in einer nahen Gasse, um von hier aus das Auftauchen des Pontifex abzuwarten. Zeigte sich dieser, mußte Gutfried nur noch die Handbremse lösen - etwas, was diese, wie sie verschiedentlich erfahren hatten, oft genug von selbt tat - und schon würde, wie Gutfried sagte "die Sache ins Rollen kommen.".
Einstweilen standen sie nur da und warteten. Keiner von beiden ahnte, daß zur gleichen Zeit in einer dunklen Gasse etwas unterhalb der ihren zwei lichtscheue Gestalten ihr Unwesen zu treiben begannen.
"Bist du sicher, dass das Gewehr im Wert steigt, wenn wir den heiligen Vater damit abknallen?", fragte Joe unsicher. "Klar. Du wirst sehen - im Handumdrehen sind wir reich. He, da kommt er ja schon.", antwortete Sam und legte an.
"He, da kommt er schon!", sagte Ludwig und löste die Handbremse.
"Nein!", rief Heiner, "Der ist doch noch ewig weit weg! So erwischt sie ihn nie! Verdammt. He, was tun denn die beiden da unten auf der Straße? VORSICHT! BAHN FREI!"
Die öffentliche Meinung pflegt letzten Worten große Bedeutung beizumessen; im Tod entscheidet sich, ob ein Leben abgeschlossen oder bloß abgebrochen wird. Wer im Leben ein Weiser war, zieht, so meint man, in den letzten Worten ein Fazit unter seinen Weg, eine Art unendlich komprimierter Bilanz jahrzehntelanger Denkpfade. Unzählige erklärten sterbend ihre Liebe; im Tod bekannte sich Winnetou zum Christentum. Soweit zumindest der literarisch-dramatische Mythos. Im richtigen Leben freilich scheinen wir dazu zu neigen, an sich banale Äusserungen im Sinne der Dramaturgie umzuinterpretieren; so Goethes "Mehr Licht!", das von einer sinnreichen biologischen Wendung vermutlich gerade noch rechtzeitig vor dem gehesselten "net schlecht aufm Kanapee." abgeschnitten wurde.
"Schau mal, da kommt eine Ente." sagte Joe noch und darauf Sam: "Ruhe jetzt."
Über die beiden Toten auf Kühler und Dach des Vehikels, von denen einer ein geladenes Gewehr umklammert hielt, entstand zunächst einige Verwirrung; die Polizei schaltete sich ein, die Presse und natürlich die hohe Geistlichkeit selbst. Als man die Halter, einen jungen Mann anfang zwanzig und einen griesgrämigen, kahlköpfigen Mittvierziger, schließlich in ihrer Wohnung ausfindig machte, schien keiner der beiden sich erklären zu können, wie das Gefährt auf den Hügel gelangt sein mochte. Da sie sich im Zustand großer Aufregung befanden und am ganzen Leib zitterten, schickte man ihnen einen kirchlichen Seelsorger, den sie mit baffen Blicken ansahen, während er ihnen erklärte, daß man sich vor Zeichen und Wundern nicht zu fürchten brauche, solches früher noch weit öfter geschehen sei und man sich geradeheraus glücklich schätzen könne, Besitzer des auserwählten Automobils zu sein, zumal doch...
Gutfried und Heiner begriffen zwar nicht viel, aber immerhin doch, daß man ihnen nicht übel wollte, und beruhigten sich bald wieder. Der Seelsorger ging, stattdessen kam die Presse mit einem Vertrag über das exklusive Recht, Bilder von den beiden abdrucken zu dürfen.
Der wackere Streitwagen aber, den Gott selbst zum Schutz seines Stellvertreters auf Erden losgeschickt hatte, wurde seinen stolzen Besitzern zu einem noch viel stolzeren Preis abgekauft und steht seither im Petersdom, wo die frommen Pilger ihn das "Papanatomobil" nennen und als Reliquie verehren.
So wurden alle glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Oder, wie Gutfried sagen würde: "Ente gut, alles gut."
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Erstfassung:
Das Papanatomobil
Es war am Ende eines trotz seiner Trübheit fernsichtreichen Regentages, als Heiner und Ludwig einsahen, dass etwas geschehen musste. Die Badewanne, die einst für umermessliche Fluten von Bier den Lagerort abgegeben hatte, war leer, die grüne Hoffnung der Hänflinge bis auf ein paar armselige Krumen aufgebraucht und im Kühlschrank war nichts Essbares zu finden, wenn man von einigen Kakerlaken, die Heiner sich trotz seiner sonst durchaus vorhandenen Begeisterung für exotische Gerichte nicht zu verspeisen durchringen konnte, absah. Grund hierfür war ein Mißstand, der die Angehörigen jener Kulturen, die sich selbst gern die "zivilisierten" schimpfen, schon seit jeher begleitet und im Laufe der Geschichte immer wieder in die Barbarei getrieben und die Zartheit jener Firnis aus Moral und Anstand, die sie umspannte, offenbart hatte: sie hatten kein Geld. Aus den üblichen studentischen Nebenverdienstmöglichkeiten hatten sie ihre zahlreichen Arbeitgeber stets nach kurzem hartherzig verstoßen, und die Zahlungsmoral der Altvorderen liess letzthin etwas zu wünschen übrig.
Nun saßen die beiden mit sorgenvollen Mienen am Küchentisch und sannen nach, worüber jeder große Geist wohl einmal nachgesonnen hat.
"Wir könnten Strassenmaler werden." meinte Heiner.
"Oder Rockstars." antwortete Ludwig, der mal ein bißchen Gitarre spielen gelernt hatte, was zugegebenermaßen mehr ist, als mancher Rockstar heute ohne rot zu werden von sich sagen kann. So redeten sie hin und her, doch nichts von dem, was sie vorbrachten, mochte auch nur einen von ihnen recht zu überzeugen. Schließlich war es Ludwig, dem ein Licht aufging.
"Wir könnten das Auto verkaufen."
Heiner sah ihn zweifelnd an "Deine alte Ente? Selbst einen Schrotthändler müsste man dafür bezahlen, dass er sie nimmt."
Damit wollte er zum nächsten Vorschlag übergehen, aber Ludwig sah nun die Zeit gekommen, in die Tiefe zu gehen.
"Natürlich nicht einfach so. Man müsste sie zu etwas Besonderem machen. Wir könnten eine Steinschleuder draufkleben und sie als NVA-Panzer verkaufen. Oder wir schreiben "Christine" auf die Kühlerhaube und behaupten, sie sei uns aus der Hölle zugelaufen."
"Ach, Stephen King ist doch out. Man müsste irgendwas mit Promis machen. Michael Jackson vielleicht oder Dieter Bohlen."
Erneut legten beide die Stirn in tiefe Falten. Da wurde Ludwigs Gesicht auf einmal hell wie ein Sonnenschein nach langen Unwettern und er rief aus:
"Ich hab's! Der Papst! Wir überfahren den Papst damit! Was glaubst du, was die alte Kiste dann für einen Preis bei E-bay bringt!"
"Bist du jetzt völlig verrückt geworden?" entgegnete Heiner, "Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß wir die Karre noch heil nach Rom kriegen! So ein Unsinn!"
Was hier für Außenstehende wie ein belangloser Zusatz aussieht, war in Wirklichkeit das Startsignal für ein Ritual, das in der WG-internen Entscheidungskultur eine zentrale Stellung einnahm: beim sogenannten freestyle-insulting tauschen die Kontrahenten solange Beschimpfungen aus, die sie noch nie zuvor benutzt haben, bis einem von beiden die Ideen ausgehen - womit er verliert. Als Herausgefordertem gebührte Ludwig der erste Zug.
"Papistischer Erzteufel!"
"Du kommst gleich in die Suppe!"
"Wurstsemmel!"
"Bademantel!"
"Hüpfknete!"
"Selber Hüpfknete!" stieß Heiner hervor, was nach den Regeln eine Kapitulation anzeigte. "Na gut, du hast gewonnen. Aber nach Rom kommen wir damit trotzdem nicht mehr."
Ludwig schaute etwas beleidigt drein, wie die Sonne, die sich nach langen Gewittern nur kurz blicken lässt und dann wieder hinter einer Wolke verschwindet und schmollt, weil alle daheim vor der Glotze sitzen und keiner ihren schönen Regenbogen ansieht: "Natürlich nicht. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Aber WIR sind doch jetzt Papst. Der alte Ratzi ist gerade zu Besuch in der Nachbargemeinde."
"Echt? Na so ein Glück. Fast schon unglaublich, soviel Zufall!"
"Ein Wink des Himmels. Außerdem würde die Story sonst nicht funktionieren und die ganze langatmige Einleitung wäre umsonst. Nicht wahr? Au! Hey, Ohrfeigen aus der Chefetage sind verboten! Das ist Einmischung des Autors, jawohl, du kannst in jedem drittklassigen Schreibratgeber nachlesen, dass man das nicht dar... Hey! Was fällt dir ein, mich einfach um 20 Jahre altern zu lassen? Jetzt glaubt mir doch keiner mehr den WG-twen! Ha, Eigentor! Huch? Wo sind meine Haare hin? WAS? NEUER NAME? WIE WILLST DU MICH NENNEN? Du hast sie wohl nicht mehr alAU! Ist ja gut...
Hier ist mein Plan..."
Am nächsten Tag standen Heiner und Gutfried zu einer für sie ungewohnt frühen Stunde auf.
"Was für eine unchristliche Zeit." sagte Gutfried grinsend, als sie aufbrachen. Heiner verzog schmerzvoll die Mundwinkel nach unten. "Ich kann nichts dafür." setzte da Gutfried leise hinzu. "Es ist der Autor. Er legt mir schlechte oder abgedroschene Wortspiele in den Mund, um mich zu ärgern."
Sie parkten den Wagen auf einer ansonsten leeren, abschüssigen Straße und verbargen sich in einer nahen Gasse, um von hier aus das Auftauchen des Pontifex abzuwarten. Zeigte sich dieser, mußte Gutfried nur noch die Handbremse lösen - etwas, worauf sich diese, wie sie verschiedentlich erfahren hatten, selbst hervorragend verstand, was jeden Verdacht auf Absicht im Keim ersticken würde - und schon würde, wie Gutfried sagte "die Sache ins Rollen kommen.". Einstweilen standen sie nur da und warteten. Keiner von beiden ahnte, was sich zur gleichen Zeit in einer kleinen, dunklen Gasse etwas unterhalb der ihren tat.
"Bist du sicher, dass das Gewehr im Wert steigt, wenn wir den heiligen Vater damit abknallen?" fragte Joe unsicher. "Klar. Du wirst sehen - im Handumdrehen sind wir reich. He, da kommt er ja schon." antwortete Sam und legte an.
Die öffentliche Meinung pflegt letzten Worten große Bedeutung beizumessen; im Tod entscheidet sich, ob ein Leben abgeschlossen oder bloß abgebrochen wird. Wer im Leben ein Weiser war, zieht, so meint man, in den letzten Worten ein Fazit unter seinen Weg, eine Art unendlich komprimierter Bilanz jahrzehntelanger Denkpfade. Unzählige erklärten sterbend ihre Liebe; im Tod bekannte sich Winnetou zum Christentum. Soweit zumindest der literarisch-dramatische Mythos. Im richtigen Leben freilich scheinen wir dazu zu neigen, an sich banale Äusserungen im Sinne der Dramaturgie umzuinterpretieren; so Goethes "Mehr Licht!", das von einer sinnreichen biologischen Wendung vermutlich gerade noch rechtzeitig vor dem gehesselten "net schlecht aufm Kanapee." abgeschnitten wurde.
"Schau mal, da kommt eine Ente." sagte Joe und darauf Sam: "Ruhe jetzt."
Der wackere Streitwagen aber, den Gott selbst zum Schutz seines Stellvertreters auf Erden losgeschickt hatte, wurde seinen stolzen Besitzern zu einem noch viel stolzeren Preis abgekauft und steht seither im Petersdom, wo die frommen Pilger ihn das "Papanatomobil" nennen und als Reliquie verehren.
So wurden alle glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Oder, wie Gutfried sagen würde: "Ente gut, alles gut."