Keine Literatur, aber Prosa, die ich loswerden muss
Verfasst: 10.06.2017, 16:24
Der Neger in mir (Pfingstgespräch)
Der Heilige Geist hat dieses Jahr eine eigenwillige Art, sich kundzutun. Aber vielleicht hat er das auch immer. Lässt seltsame Zungen regnen und versteht mich nicht.
„Neger“, sagt die Mutter, schon wieder. Sie sagt es so gern, hält sich für einen Freigeist auch deshalb. Tabubrecherin. Jeanne d’Arc im Kampf gegen die Politische Korrektheit.
„Neger“, ist auch der Begriff, der fällt, als sie von einem Tennispiel erzählt zwischen dem Franzosen Monfils und dem Deutschen Brown. Sie hat es im Fernsehen gesehen, hat auch früher alle Tennisspiele mit Boris Becker gesehen. Das Wichtigste im aktuellen Fall: Die Spieler haben dunkle Haut. „Neger!“
Die Mutter erzählt von der Spielfreude der Gegner, obwohl es ein wichtiges Spiel gewesen sei, von der für „Neger“ typischen Verspieltheit und Leichtigkeit, die „uns Weißen“ so abgehe. Weiße seien verbissen dagegen. „Die Neger hatten richtig Spaß“, sagt sie.
Ich bin nicht die einzige, die zuhört, meine Tochter sitzt auch dabei. Die Mutter scheint vom Befremden ihrer Zuhörerinnen angefeuert, wiederholt immer wieder das Wort „Das liegt am Negerblut. Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen.“
„Was hat das mit der Hautfarbe zu tun?“, frage ich. „Warum ist das so wichtig?“
„Du wirst doch nicht leugnen, dass es verschiedene Mentalitäten gibt“, versetzt sie in der ihr eigenen Art, nicht auf die Frage einzugehen, sondern ihren Standpunkt koste es was es wolle zu verteidigen. Sie scheint sich zu bemühen, die Zuhörenden einerseits zu provozieren, andererseits für sich einzunehmen durch die demonstrierte Freigeistigkeit.
„Mag sein“, entgegne ich, „das ist ein weites Feld. Aber warum verwendest du den Begriff ‚Neger‘, obwohl du genau weißt, dass es mich stört?“ Wir hatten das Thema schon öfter.
„Was ist denn schlimm daran?“, fragt sie scheinheilig.
„Der Begriff ist herabsetzend“, erkläre ich, obwohl ich das schon xmal gesagt habe. Ich komme mir vor wie eine Platte, die einen Sprung hat.
„Ach was“, macht meine Mutter. „Ich meine das doch positiv! Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen!“
Und sie kommt mir vor wie eine der rechtspopulistischen Lautsprecher, die zurzeit Konjunktur haben. DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH MAL SAGEN DÜRFEN.
„Was willst du denn sagen dürfen?“
„Neger. Ich sage ‚Neger‘ zu Negern. Ich hasse Tabus, habe Tabus schon immer gehasst“, verkündet die Mutter.
Ich begreife: Es geht wieder mal weder um mich noch um andere Menschen, sondern ausschließlich um sie, die großartige, freie Frau.
„Dich stört nicht, dass das rassitisch ist?“, will meine Tochter wissen.
„Ich bin keine Rassistin!“, versichert meine Mutter empört. (Mit Rassisten ist es wie mit Alkoholikern und Spießern und faulen und erfolglosen oder behinderten Menschen: Rassisten sind immer nur die andern.)
„Ich glaube, ich bin schon rassistisch“, gebe ich zu bedenken. „Ich glaube sogar, jeder ist rassistisch, sobald man Worte benutzt, die andere herabsetzen. Umso achtsamer versuche ich, mit der eigenen Sprache sein.“
„Das ist mir zu kompliziert“, sagt die Mutter. „Ich sage ‚Neger“, weil ich weiß, dass ich es nicht herabsetzend meine. Ich war in Afrika, ich kenne mich aus, ich begegne jedem Menschen mit Respekt. Außerdem bezeichnen die sich selbst auch so. Negro heißt einfach schwarz.“
„Da ist ein Denkfehler drin“, wende ich ein. „Wenn du ‚Neger‘ sagst, ist es dieselbe Kategorie wie ‚Nigger‘. Ein menschenverachtendes Wort, das die ganze Geschichte der Sklaverei in sich trägt. Die Demütigung.“
„Neger ist nicht wie Nigger“, widerspricht die Mutter.
„Doch, ist es“, sagt meine Tochter. „Wir haben vor kurzem in der Uni drüber gesprochen.“
„Für mich nicht“, sagt die Mutter.
„Auch du hast nicht das Recht, andere Nigger zu nennen“, erkläre ich. „Es ist dasselbe wie mit KZ-Witzen: Juden dürfen sie machen, aber du als Tochter einer Antisemitin und als Nichte eines SS-Offiziers darfst definitiv keine KZ-Witze machen.“
„Mache ich ja auch nicht“, schmollt die Mutter. „Ich habe ein lebenslanges Trauma von der Nazigeschichte der Deutschen.“ Auch hier, argwöhne ich, geht es weniger um sechs Millionen ermordete Juden als um das schlimme Trauma meiner Mutter.
„Dann hör doch bitte auch auf, ‚Neger‘ zu sagen, wenn wir dabei sind“, schlage ich vor. „Einfach nur, weil es mich stört. Reicht das nicht?“
„Das ist mir zu kompliziert“, wiederholt die Mutter. „Ihr stellt mich hier in die Rassisten-Ecke. Dabei weiß ich doch, dass ich ‚Neger‘ ganz neutral benutze.“
„Das kannst du gar nicht“, erklärt meine Tochter. „‘Neger‘ und ‚Nigger‘ ist nicht neutral, sondern durch den bisherigen Sprachgebrauch automatisch herabsetzend.“
„Die Sprache gehört nicht dir, Mutter“; sekundiere ich. „Übrigens warst du früher von Boris Beckers Spielfreude ganz schön begeistert, erinnerst du dich? Damals hast du von Boris Becker gesprochen, nicht von einem Angehörigen der Art der 'Weißen'."
„Du wirst doch nicht bestreiten, dass es Unterschiede gibt?“, faucht die Mutter.
„Zwischen Menschen, klar“, fauche ich zurück. „Aber Sportlichkeit und Spielfreude hat nichts mit Hautfarben und noch weniger mit Rassen zu tun.“
„Blödsinn“, meint meine Mutter. „Guck dir doch mal die schwarzen Fußballspieler an, was die mit dem Ball können, kann kein Weißer. Die Neger haben ein besseres Ballgefühl. Die können auch besser tanzen.“
„Ich würde kotzen, wenn ich Schwarze wäre und mir sowas anhören müsste“, sage ich. „Es ist eine Zuschreibung, die mich unfrei macht. Du willst frei sein – dann lass auch andere frei sein, frei von deinen Zuschreibungen! Himmelherrgottnochmal.“
„Was ist denn so schlimm daran“, fragt meine Mutter. „Es hört doch jetzt kein Neger zu. Wir sind doch unter uns. Ich dachte, mit dir könnte man sich offen unterhalten.“ Ich merke: Sie hat sich in ihr ‚Neger‘-Sagen-Dürfen festgebissen wie ein Hund in einen Knochen. Den ‚Neger‘ lässt sie sich nicht wegnehmen, wirft ihn nur immer mal wieder ins Gespräch, um zu schauen, was passiert und sofort zuzuschnappen, um ihre ‚Freiheit‘ und ‚Tabulosigkeit‘ zu demonstrieren. DASWIRDMANJAWOHLNOCHSAGENDÜRFENICHHASSETABUSICHREDEOFFENUNDDIREKTICHHASSEPOLITICALCORRECTNESS.
„Ich hasse political correctness“, sagt sie denn jetzt auch – die Pointe, auf die sie von Anfang an hinsteuerte. „Du nicht?“
„Wenn ‚politisch korrekt‘ bedeutet, andern mit Achtung zu begegnen, in Körpersprache und Worten, versuche ich, politisch korrekt zu sein. Was stört dich so daran?“, antworte ich.
„Ich will halt nicht jedes Wort im Mund herumdrehen müssen“, jammert meine Mutter. „Das ist mir zu anstrengend. Ihr habt doch früher Negerküsse gegessen, oder?“
„Früher hast du aber nicht ‚Neger‘ gesagt“, entgegne ich. „Nie wäre dir das eingefallen. Warum tust du es heute? Warum fühlst du dich davon gestört, wenn man versucht, einander achtsam zu begegnen?“
„Weil ich es nicht nötig habe, politisch korrekt zu sein“, erklärt die Mutter. „Ich bin keine Rassistin.“
„Aber warum erzählst du dann von dem Tennisspiel nicht so, wie du von einem Tennisspiel weißer Spieler erzählt hättest: Indem du die Namen nennst, Spielzüge beschreibst, dich freust für den Gewinner etc. Warum machst du das Negerblut zur Hauptfigur, die Rasse zur wichtigsten Information – und nicht einen Franzosen und einen Deutschen, die gut und fröhlich miteinander Tennis spielen? Als Individuen? Warum maßt du dir an, die Hautfarbe als Nachweis der Spielfreude von Schwarzen allgemein zu präsentieren?“
„Das ist mir so aus dem Mund gefallen“, behauptet meine Mutter.
„Das glaube ich dir nicht“, sage ich. „Schon mehrfach hat meine Tochter und habe ich dir gesagt, dass wir es unangenehm finden, wenn du ‚Neger‘ und andere rassistische Ausdrücke sagst. Und doch tust du es immer wieder. Du bist doch kein Kleinkind – du hast selbst die Kontrolle über das, was du sagst, wem und wann. Oder?“
„Ich bin keine Rassistin“, jammert die Mutter. „Ich war in Afrika. Ich kenne mich aus mit Menschen. Ich weiß, wie die sind.“
„Was ist eigentlich mit Hannah?“, fragt meine Tochter.
Hannah ist sehr dunkelhäutig, die Schwester meine Mutter hat sie als Säugling aus Brasilien adoptiert.
„Was soll mit ihr sein?“, blafft die Mutter.
„Ist sie auch eine ‚Negerin?‘“, fragt meine Tochter, „würdest du das zu ihr oder über sie sagen, wenn sie hier neben dir säße?“
„Hannah ist doch Deutsche!“, ruft meine Mutter irritiert.
Die Mutter bockig: „Ich will darüber jetzt nicht weiter reden.“
„Können wir uns nicht darauf einigen, dass du nicht ‚Neger‘ sagst, wenn du weißt, dass es jemanden stört?“, fragt meine Tochter. Es klingt, als würde sie, die 20Jährige, ihre Oma erziehen. Die Oma lässt sich aber nicht erziehen.
„Warum sollte ich?“, sagt sie.
„Einfach aus dem Grund, dass schwarze Menschen nicht als ‚Neger‘ bezeichnet werden möchten“, antwortet meine Tochter.
„Du hättest die Freiheit, jeden als einzelnen Menschen wahrzunehmen“, sage ich.
„Mache ich doch! Immer!“, behauptet meine Mutter. Sie glaubt das tatsächlich.
„Mal ehrlich, Mutter: Was haben zwei einzelne Tennisspieler mit deinen Schubladen zu tun?“
„Das ist mir zu kompliziert“, grummelt ihre Oma. „Ich hasse Tabus.“
„Vielleicht versuchst du mal, weniger wichtig zu finden, was du magst oder nicht magst, wenn es um die Würde anderer Menschen geht“, schlägt meine Tochter vor.
Dann hätte es auch weniger mit politisch korrektem Sprachgebrauch oder der weitverbreiteten schiefen Vorstellung davon zu tun, sondern einfach mit Respekt und Menschlichkeit, denke ich. Ich verstehe nicht, warum sich Menschen – meine Mutter! – beleidigt fühlen dadurch, dass sie darauf aufmerksam gemacht werden, wenn sie – unwillentlich oder absichtlich – andere Menschen beleidigen.
„Ich mag keine political correctness“, wiederholt die Mutter.
Der Heilige Geist hat dieses Jahr eine eigenwillige Art, sich kundzutun. Aber vielleicht hat er das auch immer. Lässt seltsame Zungen regnen und versteht mich nicht.
„Neger“, sagt die Mutter, schon wieder. Sie sagt es so gern, hält sich für einen Freigeist auch deshalb. Tabubrecherin. Jeanne d’Arc im Kampf gegen die Politische Korrektheit.
„Neger“, ist auch der Begriff, der fällt, als sie von einem Tennispiel erzählt zwischen dem Franzosen Monfils und dem Deutschen Brown. Sie hat es im Fernsehen gesehen, hat auch früher alle Tennisspiele mit Boris Becker gesehen. Das Wichtigste im aktuellen Fall: Die Spieler haben dunkle Haut. „Neger!“
Die Mutter erzählt von der Spielfreude der Gegner, obwohl es ein wichtiges Spiel gewesen sei, von der für „Neger“ typischen Verspieltheit und Leichtigkeit, die „uns Weißen“ so abgehe. Weiße seien verbissen dagegen. „Die Neger hatten richtig Spaß“, sagt sie.
Ich bin nicht die einzige, die zuhört, meine Tochter sitzt auch dabei. Die Mutter scheint vom Befremden ihrer Zuhörerinnen angefeuert, wiederholt immer wieder das Wort „Das liegt am Negerblut. Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen.“
„Was hat das mit der Hautfarbe zu tun?“, frage ich. „Warum ist das so wichtig?“
„Du wirst doch nicht leugnen, dass es verschiedene Mentalitäten gibt“, versetzt sie in der ihr eigenen Art, nicht auf die Frage einzugehen, sondern ihren Standpunkt koste es was es wolle zu verteidigen. Sie scheint sich zu bemühen, die Zuhörenden einerseits zu provozieren, andererseits für sich einzunehmen durch die demonstrierte Freigeistigkeit.
„Mag sein“, entgegne ich, „das ist ein weites Feld. Aber warum verwendest du den Begriff ‚Neger‘, obwohl du genau weißt, dass es mich stört?“ Wir hatten das Thema schon öfter.
„Was ist denn schlimm daran?“, fragt sie scheinheilig.
„Der Begriff ist herabsetzend“, erkläre ich, obwohl ich das schon xmal gesagt habe. Ich komme mir vor wie eine Platte, die einen Sprung hat.
„Ach was“, macht meine Mutter. „Ich meine das doch positiv! Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen!“
Und sie kommt mir vor wie eine der rechtspopulistischen Lautsprecher, die zurzeit Konjunktur haben. DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH MAL SAGEN DÜRFEN.
„Was willst du denn sagen dürfen?“
„Neger. Ich sage ‚Neger‘ zu Negern. Ich hasse Tabus, habe Tabus schon immer gehasst“, verkündet die Mutter.
Ich begreife: Es geht wieder mal weder um mich noch um andere Menschen, sondern ausschließlich um sie, die großartige, freie Frau.
„Dich stört nicht, dass das rassitisch ist?“, will meine Tochter wissen.
„Ich bin keine Rassistin!“, versichert meine Mutter empört. (Mit Rassisten ist es wie mit Alkoholikern und Spießern und faulen und erfolglosen oder behinderten Menschen: Rassisten sind immer nur die andern.)
„Ich glaube, ich bin schon rassistisch“, gebe ich zu bedenken. „Ich glaube sogar, jeder ist rassistisch, sobald man Worte benutzt, die andere herabsetzen. Umso achtsamer versuche ich, mit der eigenen Sprache sein.“
„Das ist mir zu kompliziert“, sagt die Mutter. „Ich sage ‚Neger“, weil ich weiß, dass ich es nicht herabsetzend meine. Ich war in Afrika, ich kenne mich aus, ich begegne jedem Menschen mit Respekt. Außerdem bezeichnen die sich selbst auch so. Negro heißt einfach schwarz.“
„Da ist ein Denkfehler drin“, wende ich ein. „Wenn du ‚Neger‘ sagst, ist es dieselbe Kategorie wie ‚Nigger‘. Ein menschenverachtendes Wort, das die ganze Geschichte der Sklaverei in sich trägt. Die Demütigung.“
„Neger ist nicht wie Nigger“, widerspricht die Mutter.
„Doch, ist es“, sagt meine Tochter. „Wir haben vor kurzem in der Uni drüber gesprochen.“
„Für mich nicht“, sagt die Mutter.
„Auch du hast nicht das Recht, andere Nigger zu nennen“, erkläre ich. „Es ist dasselbe wie mit KZ-Witzen: Juden dürfen sie machen, aber du als Tochter einer Antisemitin und als Nichte eines SS-Offiziers darfst definitiv keine KZ-Witze machen.“
„Mache ich ja auch nicht“, schmollt die Mutter. „Ich habe ein lebenslanges Trauma von der Nazigeschichte der Deutschen.“ Auch hier, argwöhne ich, geht es weniger um sechs Millionen ermordete Juden als um das schlimme Trauma meiner Mutter.
„Dann hör doch bitte auch auf, ‚Neger‘ zu sagen, wenn wir dabei sind“, schlage ich vor. „Einfach nur, weil es mich stört. Reicht das nicht?“
„Das ist mir zu kompliziert“, wiederholt die Mutter. „Ihr stellt mich hier in die Rassisten-Ecke. Dabei weiß ich doch, dass ich ‚Neger‘ ganz neutral benutze.“
„Das kannst du gar nicht“, erklärt meine Tochter. „‘Neger‘ und ‚Nigger‘ ist nicht neutral, sondern durch den bisherigen Sprachgebrauch automatisch herabsetzend.“
„Die Sprache gehört nicht dir, Mutter“; sekundiere ich. „Übrigens warst du früher von Boris Beckers Spielfreude ganz schön begeistert, erinnerst du dich? Damals hast du von Boris Becker gesprochen, nicht von einem Angehörigen der Art der 'Weißen'."
„Du wirst doch nicht bestreiten, dass es Unterschiede gibt?“, faucht die Mutter.
„Zwischen Menschen, klar“, fauche ich zurück. „Aber Sportlichkeit und Spielfreude hat nichts mit Hautfarben und noch weniger mit Rassen zu tun.“
„Blödsinn“, meint meine Mutter. „Guck dir doch mal die schwarzen Fußballspieler an, was die mit dem Ball können, kann kein Weißer. Die Neger haben ein besseres Ballgefühl. Die können auch besser tanzen.“
„Ich würde kotzen, wenn ich Schwarze wäre und mir sowas anhören müsste“, sage ich. „Es ist eine Zuschreibung, die mich unfrei macht. Du willst frei sein – dann lass auch andere frei sein, frei von deinen Zuschreibungen! Himmelherrgottnochmal.“
„Was ist denn so schlimm daran“, fragt meine Mutter. „Es hört doch jetzt kein Neger zu. Wir sind doch unter uns. Ich dachte, mit dir könnte man sich offen unterhalten.“ Ich merke: Sie hat sich in ihr ‚Neger‘-Sagen-Dürfen festgebissen wie ein Hund in einen Knochen. Den ‚Neger‘ lässt sie sich nicht wegnehmen, wirft ihn nur immer mal wieder ins Gespräch, um zu schauen, was passiert und sofort zuzuschnappen, um ihre ‚Freiheit‘ und ‚Tabulosigkeit‘ zu demonstrieren. DASWIRDMANJAWOHLNOCHSAGENDÜRFENICHHASSETABUSICHREDEOFFENUNDDIREKTICHHASSEPOLITICALCORRECTNESS.
„Ich hasse political correctness“, sagt sie denn jetzt auch – die Pointe, auf die sie von Anfang an hinsteuerte. „Du nicht?“
„Wenn ‚politisch korrekt‘ bedeutet, andern mit Achtung zu begegnen, in Körpersprache und Worten, versuche ich, politisch korrekt zu sein. Was stört dich so daran?“, antworte ich.
„Ich will halt nicht jedes Wort im Mund herumdrehen müssen“, jammert meine Mutter. „Das ist mir zu anstrengend. Ihr habt doch früher Negerküsse gegessen, oder?“
„Früher hast du aber nicht ‚Neger‘ gesagt“, entgegne ich. „Nie wäre dir das eingefallen. Warum tust du es heute? Warum fühlst du dich davon gestört, wenn man versucht, einander achtsam zu begegnen?“
„Weil ich es nicht nötig habe, politisch korrekt zu sein“, erklärt die Mutter. „Ich bin keine Rassistin.“
„Aber warum erzählst du dann von dem Tennisspiel nicht so, wie du von einem Tennisspiel weißer Spieler erzählt hättest: Indem du die Namen nennst, Spielzüge beschreibst, dich freust für den Gewinner etc. Warum machst du das Negerblut zur Hauptfigur, die Rasse zur wichtigsten Information – und nicht einen Franzosen und einen Deutschen, die gut und fröhlich miteinander Tennis spielen? Als Individuen? Warum maßt du dir an, die Hautfarbe als Nachweis der Spielfreude von Schwarzen allgemein zu präsentieren?“
„Das ist mir so aus dem Mund gefallen“, behauptet meine Mutter.
„Das glaube ich dir nicht“, sage ich. „Schon mehrfach hat meine Tochter und habe ich dir gesagt, dass wir es unangenehm finden, wenn du ‚Neger‘ und andere rassistische Ausdrücke sagst. Und doch tust du es immer wieder. Du bist doch kein Kleinkind – du hast selbst die Kontrolle über das, was du sagst, wem und wann. Oder?“
„Ich bin keine Rassistin“, jammert die Mutter. „Ich war in Afrika. Ich kenne mich aus mit Menschen. Ich weiß, wie die sind.“
„Was ist eigentlich mit Hannah?“, fragt meine Tochter.
Hannah ist sehr dunkelhäutig, die Schwester meine Mutter hat sie als Säugling aus Brasilien adoptiert.
„Was soll mit ihr sein?“, blafft die Mutter.
„Ist sie auch eine ‚Negerin?‘“, fragt meine Tochter, „würdest du das zu ihr oder über sie sagen, wenn sie hier neben dir säße?“
„Hannah ist doch Deutsche!“, ruft meine Mutter irritiert.
Die Mutter bockig: „Ich will darüber jetzt nicht weiter reden.“
„Können wir uns nicht darauf einigen, dass du nicht ‚Neger‘ sagst, wenn du weißt, dass es jemanden stört?“, fragt meine Tochter. Es klingt, als würde sie, die 20Jährige, ihre Oma erziehen. Die Oma lässt sich aber nicht erziehen.
„Warum sollte ich?“, sagt sie.
„Einfach aus dem Grund, dass schwarze Menschen nicht als ‚Neger‘ bezeichnet werden möchten“, antwortet meine Tochter.
„Du hättest die Freiheit, jeden als einzelnen Menschen wahrzunehmen“, sage ich.
„Mache ich doch! Immer!“, behauptet meine Mutter. Sie glaubt das tatsächlich.
„Mal ehrlich, Mutter: Was haben zwei einzelne Tennisspieler mit deinen Schubladen zu tun?“
„Das ist mir zu kompliziert“, grummelt ihre Oma. „Ich hasse Tabus.“
„Vielleicht versuchst du mal, weniger wichtig zu finden, was du magst oder nicht magst, wenn es um die Würde anderer Menschen geht“, schlägt meine Tochter vor.
Dann hätte es auch weniger mit politisch korrektem Sprachgebrauch oder der weitverbreiteten schiefen Vorstellung davon zu tun, sondern einfach mit Respekt und Menschlichkeit, denke ich. Ich verstehe nicht, warum sich Menschen – meine Mutter! – beleidigt fühlen dadurch, dass sie darauf aufmerksam gemacht werden, wenn sie – unwillentlich oder absichtlich – andere Menschen beleidigen.
„Ich mag keine political correctness“, wiederholt die Mutter.