Goth und das Ungeheuer

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 09.11.2015, 23:09

Professor Erdmann war kaum unter der Erde, da erschien sein Kollege Goth in Erdmanns ehemaligem Büro und besichtigte schon einmal die Räume. Man musste und würde sie ihm zuteilen, inoffiziell stand das bereits fest. Ein wenig außer Atem – das Büro lag im vierten Stock und Professor Goth verachtete Fahrstühle – rieb er sich die Hände und musterte die weißen Wände, das glänzende Parkett und die Fenster, durch die das Sonnenlicht einfiel. Die Fenster lagen nach Südwesten und reichten bis zum Boden, in Kniehöhe mit Eisengeländern gesichert. Kein Vergleich mit seiner alten Professur mit den Nordfenstern, in der es immer lichtlos grau aussah.

Nicht so angenehm war das überall in den Räumen wuchernde Grünzeug. Pflanzen waren Erdmanns Passion und Forschungsgebiet gewesen. Die zwei Treibhäuser auf dem Campus, in denen er Tomaten, Bohnen und Kohlrüben wechselweise mit Händel, Gorecki und Guns N’ Roses berieselt hatte, wurden nun von jemand anderem betreut. Professor Goth hatte keine Ahnung, wer Erdmanns Versuchsreihe fortsetzte, und es war ihm auch egal. Was ihm nicht egal war, war das Büro. Da seine eigene Forschung sich derzeit auf die DNA von Erbsen konzentrierte, hatte er nicht die Absicht, in einem Dschungel zu arbeiten. Mit mühsam verhohlener Gereiztheit zeigte er auf das Durcheinander von blühenden Orchideen, Bromelien und zwei Kübeln mit riesigen ficus benjamini. »Das muss alles weg, ich kann so nicht denken, das nimmt mir die Luft!«

»Wir kümmern uns darum, Herr Professor!«, versicherte die Sekretärin. »Professor Erdmanns Frau wird alles in den nächsten Tagen abholen. Lassen Sie ihr doch ein bisschen Zeit!«

Natürlich lag es Goth fern, die Witwe zur Eile anzutreiben. Es war auch nicht nötig: Anfang September waren Erdmanns Möbel ausgeräumt, die Zimmerflucht war gründlich geputzt und gelüftet. Ein Trüppchen Studenten besorgte Goths Umzug. Inmitten des jungfräulich weißen Büros erwarteten ihn sein alter Schreibtisch, die Regale mit Aktenordnern und das Schränkchen mit der Weinbrandflasche.

Die Sekretärin übernahm Goth gleich mit: Seine eigene war seit April in Mutterschaftsurlaub. Das hatte Goth seinerzeit in eine tiefe Krise gestürzt. So großartig war sie zwar nicht gewesen – eine pummelige, strubbelige und ineffektive Person –, aber allein die Vorstellung, eine Neue anzuwerben und einzuarbeiten, türmte sich vor ihm wie ein grauer Berg.

Erdmanns Sekretärin war ein wahres Goldstück trotz ihres grün gestreiften Raspelhaarschnitts. In wenigen Wochen kannte sie sich in seinem Papierkram besser aus als er selbst, verstand aufs Beste Studenten abzuwimmeln und Goths Earl Grey erstklassig zuzubereiten. Wenn seine Alte nach Abschluss ihrer Mutterschaft überhaupt zurückkehrte, beschloss er, würde er ihr den Laufpass geben.

Goth richtete sich ein. Der Spätsommer war heiß und sonnig, Erdmanns Grünkram verschwunden und die Professur kahl. So ganz steril und weiß fand Professor Goth das auch wieder nicht gut. Das Sonnenlicht wurde von den weißen Wänden reflektiert und gleißte auf seinen Papieren und dem Computerbildschirm. Er ließ einen blauen Druck von Chagall aufhängen und suchte sich auf seine Erbsen zu konzentrieren. Die übermäßige Helligkeit machte ihm zu schaffen. Ein paar Mal zog er die Vorhänge zu, aber das kam ihm vor wie Flucht. Die Aussicht war doch so schön! Aus seinem alten Nordfenster hatte er nur kümmerliche Feuerdornsträucher gesehen. Hier öffnete sich der Blick auf uralte Kastanien, unter denen Wildkaninchen umherhüpften. Der einzige Schönheitsfehler war ein Komposthaufen unter einem seiner Fenster. Bei anhaltend trockenem Wetter roch er nach frischem Heu von dem Rasenschnitt, den die Hausmeister dort abluden. Nur wenn es richtig schwül war, begann der Haufen gemein zu riechen. Einfach gemein.

Manchmal stand Professor Goth am Fenster, betrachtete den Komposthaufen und schnupperte. Der Geruch ließ ihn nicht los. Professor Erdmann hatte ihn sicher gemocht. Aber es war nicht dieses Fenster, aus dem er seinen tödlichen Sturz getan hatte, das wusste Professor Goth. Auf den Komposthaufen zu fallen, hätte ihn nicht umgebracht. Nein, er war aus einem Fenster im Vorzimmer gestürzt, als die Sekretärin gerade in der Mittagspause weilte. Unter diesem Fenster war Kopfsteinpflaster. Üblicherweise standen dort Müllcontainer, aber an diesem Tag hatte man sie zum Leeren weggeschafft.

Nichts hatte den Sturz aufgehalten, Professor Erdmann war auf das erbarmungslos harte Pflaster geknallt und sofort tot gewesen. Und mit ihm starb seine Versuchsreihe, denn die Tomaten, Bohnen und Kohlrüben in den Gewächshäusern wollten seit seinem Tod nicht mehr so recht gedeihen, obwohl Erdmanns Studenten gewissenhaft weiter Händel, Gorecki und Guns N’ Roses im Wechsel applizierten. Diese Tatsache hatte etwas Befriedigendes. Ja, Professor Goth war durchaus zufrieden, dass diese Versuchsreihe nun im Sand verlief.

Im Vorzimmer der Professur wuchs ein wahres Ungetüm von einer Pflanze. Professor Goth, seiner sterilen weißen Wände müde, betrachtete es eines Tages mit begehrlichen Augen und fragte die Sekretärin: »Was ist das eigentlich für ein Gewächs?«

»Das hat schon immer hier gestanden«, war die Antwort. »Professor Erdmann hat sich darum gekümmert.«

»Und wie heißt es?«

»Professor Erdmann nannte es Monstera. Die deutsche Bezeichnung kenne ich leider nicht.« Sie holte aus einer Schublade einen Zimmerpflanzenführer und schlug nach. »Ja, da haben wir es: Monstera deliciosa

»Das köstliche Ungeheuer«, übersetzte Professor Goth lehrerhaft.

Er hatte große Lust, der Sekretärin die Pflanze abzuschwatzen, ließ es dann aber doch bleiben. Die raspelhaarige Dame schien die Monstera als Erdmanns geheiligtes Vermächtnis zu betrachten und betreute sie mit stiller Effizienz.

Goth sah das mit Missvergnügen. Die Professur hatte er sich gewünscht und bekommen, die Sekretärin hatte er gewünscht und bekommen ... warum bekam er nicht auch die Pflanze, die er sich wünschte?

Auch die Monstera trauerte um Erdmann. Ende September stellte die Sekretärin fest, dass alle Blätter fahlgelbe Flecken aufwiesen.

»Irgendwas stimmt da nicht!«, klagte sie und hantierte mit Düngemittel und Pilzspray. »Ich hab keine Ahnung, was das sein kann, so was hab ich noch nie gesehen!«

Als sie mittags zu Tisch ging, schlich der Professor ins Vorzimmer und zählte die Blätter des Ungeheuers durch: Es waren nicht weniger als hundertachtundsiebzig Stück, und alle wiesen exakt das gleiche deutlich ausgebildete Fleckenmuster auf. Professor Goth riss ein Blatt ab, nahm es mit in sein Arbeitszimmer und versenkte sich in die Betrachtung der Flecken. Ihm war, als wolle das Blatt ihm etwas mitteilen, aber die Kraft reichte nicht – seine eigene oder die des Blattes.

Er wurde gestört durch den Besuch zweier Studenten, die ihn etwas fragen wollten. Ihre breiten Schultern und muskulösen Arme – die beiden sahen aus wie die Brüder Klitschko – brachten Goth auf eine Idee. Er wies sie an, das Ungeheuer aus dem Vorzimmer in sein eigenes hinüberzutragen. Dort, neben dem Fenster mit dem Komposthaufen, war ein guter Platz.

Essenszeit. Er holte sich zwei belegte Brötchen aus einem nahe gelegenen Feinkostgeschäft. Neben der Kasse stand ein großer Korb mit Äpfeln. Jeder Apfel hatte auf seiner roten Schale ein kleines gelbes Herz. Er nahm einen heraus und rieb ihn an seinem Jackett blank.

»Faszinierend, nicht wahr?«, bemerkte die Kassiererin. »Wissen Sie, die Apfelbauern kleben so kleine Papierherzchen auf die Äpfel, dann werden sie an dieser Stelle nicht rot, sondern bleiben hell.«

»Das ist mir klar, junge Frau«, gab der Professor zurück. »Wer sollte das besser wissen als ich. Ich bin Biologe.«

Sie erblühte rot. Unwillkürlich erwartete der Professor auf ihren Wangen gelbe Herzchen erscheinen zu sehen, aber natürlich geschah nichts dergleichen.

Am Nachmittag schnitt er von dem Ungeheuer zwei weitere gefleckte Blätter ab und begab sich ins Labor. Wie er gehofft hatte, war es leer; das schöne Spätsommerwetter hatte seine Doktoranden frühzeitig in den Feierabend getrieben. Professor Goth zündete einen Brenner an, stellte einen Dreifuß darüber und setzte ein Messglas mit Spiritus auf. Binnen kurzem begann der Spiritus zu sieden. Obwohl der Abzug auf vollen Touren lief, drang ein stechender Geruch heraus. Der Professor legte die Blätter in das Glas und sah zu, wie das Ganze kochte.

Nach zehn Minuten waren die Blätter fahlgelb. Goth holte sie mit einer Pinzette aus dem Glas und spülte sie unter fließendem Wasser gründlich ab. »Nun wollen wir doch mal sehen ...«, murmelte er.

Wie ging es weiter? Stärkenachweis, richtig: Iod-Kaliumiodidlösung. In einem gut sortierten Labor natürlich vorhanden. Er holte die braune Flasche aus dem Schrank, ließ die Flüssigkeit in ein neues Glas blubbern und legte die Blätter hinein.

Stirnrunzelnd beobachtete er die Vorgänge im Glas, wie ein Fotograf in der Dunkelkammer sein Entwicklerbad.
Und tatsächlich tat sich etwas ... die Blätter wurden erneut fleckig. Nur mit umgekehrten Vorzeichen. Da, wo sie vorher dunkel gewesen waren, wurden sie nun hell.

»Teufel noch eins!«, entfuhr es dem Professor. Nun, da sich das Negativ zum Positiv gewandelt hatte, erkannte er deutlich das Bild in dem Fleckenmuster. Es war ein Porträt seines eigenen Gesichts. Immer deutlicher bildete es sich aus, so gestochen scharf, dass sogar ein Ausdruck zu erkennen war: verzerrt von Wut oder einer gewaltigen Kraftanstrengung. Oder beidem.

In Eile räumte der Professor seine Gerätschaften weg, beseitigte alle Spuren und schloss das Labor ab. Das durfte nicht sein, da war Hexerei am Werk. Die Pflanze hatte ihn fotografiert!

Ja, er erinnerte sich genau, wie er immer wieder Erdmanns Revier mit begehrlichen Blicken betrachtet hatte. Die großen, hellen Räume und die stille, tüchtige, effiziente Sekretärin. Erst recht nachdem seine eigene Sekretärin, diese unfähige, pummelige, strubbelige Person, angekündigt hatte, in Mutterschaftsurlaub zu wollen, als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Er erinnerte sich auch an ein Gespräch mit Professor Erdmann irgendwann im Sommersemester, eine unfreundliche Diskussion über Studenten, die ihre Zeit in Erdmanns Gewächshäusern verplemperten. Im Vorzimmer der Professur war das gewesen. Erdmann, obwohl schon beinahe siebzig, hatte angekündigt, noch mindestens zwei Jahre weiterzumachen. Da stand er, klein und grauhaarig, und beharrte auf seinem Recht, noch zwei Jahre die Professur zu blockieren, die Sekretärin, die Forschungsgelder für seine musikalischen Experimente und die Arbeitskraft der Studenten. Noch mindestens zwei Jahre. Und Goths Forschungen mit der Erbsen-DNA hatte er als »Beitrag zum gentechnologischen Terror« bezeichnet. Das Fenster stand einladend offen.

Und das Ungeheuer daneben sah zu.

Zurück ins Büro. Die Sekretärin war auf einem Dienstgang. Das fleckige Ungeheuer machte sich in Goths Zimmer breit und schrie sein Wissen in die Welt hinaus. Professor Goth stürzte sich auf den Pflanzkübel und zerrte ihn zum Fenster. Die schmiedeeiserne Brüstung reichte bis zu seinen Knien. Schwer atmend hievte er den Topf hoch und stützte ihn auf das Geländer. Die braunen Luftwurzeln wedelten um sein verschwitztes Gesicht, als suchten sie Halt.

»Hasta la vista, Baby!«, stieß Goth hervor und wuchtete den Kübel über die Kante.


*


»Sie müssen zugeben, das ist wirklich ein eigenartiges Zusammentreffen, zwei tödliche Stürze in Folge«, stellte der Kommissar fest und zupfte sich ein paar grüne und braune Blatt- und Wurzelfetzen von seinem blauen Hawaiihemd.

Der Dekan der Universität, silberhaarig und in vornehmes Anthrazit gekleidet, schwitzte aus allen Poren. »Ich kann mir das auch nicht erklären ... die Geländer sind streng nach Bauvorschrift angebracht!«

Vorsichtig lehnte der Kommissar sich hinaus. »Genau genommen drei Tote, wie es aussieht«, murmelte er in sich hinein.

»Wie meinen?«

»Ich meine die Pflanze.« Das Pflaster unterhalb des Fensters war mit einer Blutlache bedeckt. Rundherum war alles übersät mit Scherben eines Pflanzkübels, zerfetzten Blättern und Erdbrocken. »Ein Philodendron, nicht wahr?«, bemerkte der Kommissar.

Die Sekretärin widersprach nicht. Immer noch schwach in den Knien, lehnte sie in Goths Schreibtischstuhl – sie hatte die Leiche gefunden.

»Anscheinend«, stellte der Kommissar fest, »wollte der Professor das Gewächs durch das Fenster befördern. Und dabei haben sich wohl die Dinger hier im Geländer verfangen, oder?« Um die Eisenstangen hingen abgerissene Luftwurzeln. »Dadurch verlor er das Gleichgewicht und ging mit über Bord.«

Der Dekan lockerte seinen Schlips. »Wissen Sie, Herr Kommissar, eigentlich hätte da gar nichts passieren dürfen, normalerweise ist unter dem Fenster der Lagerplatz für unseren Rasenschnitt. Aber gerade heute ist alles weggeschafft – es wurde zu viel, verstehen Sie, die Hausmeister haben es in Säcke gefüllt und zur Biomülldeponie gefahren. Tragisch, wirklich tragisch. Wäre das hier gestern passiert, der Kollege Goth wäre weich gefallen.«

»Tja. Tragisch.« Der Kommissar wickelte die braunen Stränge vom Geländer ab und rollte sie sich um die Finger. »Ist schon verrückt, es sieht beinahe aus, als hätte die Pflanze versucht, sich festzuhalten, was? Wer weiß schon, was so ein Riesengewächs fertig bringt, wenn es um Leben und Tod geht.«


©Anna Rinn-Schad

Anmerkung: Dieser Text ist uralt und lohnt kaum noch die Bearbeitung. Einer von meinen drei Versuchen, einen Wissenschaftskrimi zu schreiben.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 11.11.2015, 13:12

Hi Zefi,

die Story finde ich gelungen. Man ahnt eine ganze Zeit lang wirklich nicht, dass Goth der Mörder ist. Ein paar wenige Anmerkungen: warum zählt Goth die Blätter der Pflanze?
Hier:
Zefira hat geschrieben:Das Fenster stand einladend offen.

weiß man, dass Goth der Täter ist.
Deshalb würde ich hier:
Zefira hat geschrieben:Das war doch gelacht – er hatte Erdmann gestemmt, nun würde er doch wohl auch das Ungeheuer stemmen können. Schwer atmend stützte er den Kübel auf das Geländer.

den ersten Satz rausnehmen, nur schreiben: Schwer atmend ...

Liebe Grüße
Mucki

Benutzeravatar
Mnemosyne
Beiträge: 1333
Registriert: 01.08.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mnemosyne » 11.11.2015, 14:19

Hallo Zefira,
mir hat der Text auch gefallen, das mysteriöse Element köchelt auf genau richtiger Flammengröße vor sich hin, so dass es dem Geschehen eine rätselhafte Aura gibt, ohne ins plakativ-irrationale abzugleiten.
Mir fiel auf, dass du "Professur" als Bezeichnung für die Räumlichkeiten eines Professors zu verwenden scheinst, dieser Gebrauch ist mir zumindest unbekannt.
Liebe Grüße
Merlin

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 11.11.2015, 14:37

Ich kenne es so, ist vermutlich irgendwie redensartlich. "Komm mal zu mir in die Professur ..."
Falls es sehr fremdartig klingt, kann ich es gern noch ändern.
@ Mucki: warum zählt er die Blätter? Ja, weil er Goth ist. Ich fand es zu ihm passend, dass er, um dem Pflanzenrätsel auf den Grund zu gehen, erst mal etwas komplett Sinnloses tut.
Den Satz "das war doch gelacht etc". nehme ich raus.

Danke für eure Meinungen!
Grüße von Zefira

ps. Ich habe heute morgen festgestellt, dass ein Mirabellenbäumchen, das ich noch auf der Terrasse draußen stehen habe, zu blühen anfängt ... Da staunt der Laie, und Erdmann wundert sich ...
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 11.11.2015, 16:49

Ich stimme Merlin zu. Er beschreibt den Charakter deiner Story sehr gut, wenn er schreibt "das mysteriöse Element köchelt auf genau richtiger Flammengröße ..."

Übrigens, bei dem PS dachte ich zuerst, du würdest jetzt schreiben, dass das Mirabellenbäumchen genau 2500 Blätter hat. :mrgreen:

Benutzeravatar
birke
Beiträge: 5436
Registriert: 19.05.2012
Geschlecht:

Beitragvon birke » 11.11.2015, 21:34

professur als zimmer/ raum ist mir auch nicht bekannt…
ansonsten mag ich die story, ziemlich skurril :)
das einzige vielleicht, ich wäre gern näher eingetaucht bezüglich dieser pflanze und ihrer besonderheit, hätte gern mehr über dieses "ungeheuer" gewusst – wie kommt es, dass die pflanze „fotos“ machen kann – und warum – hat sie professor erdmann so gezüchtet? wenn ja, zu welchem zweck? und wann genau macht die pflanze fotos, was sind die hintergründe? ist ja ein spannendes phänomen. :)
ist aber nur eine kleinigkeit, und vielleicht auch etwas viel für die geschichte.
ich habs jedenfalls gern gelesen!
lg
birke
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

Benutzeravatar
Mnemosyne
Beiträge: 1333
Registriert: 01.08.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mnemosyne » 12.11.2015, 12:50

Spannend. Das, was Birke fehlt, ist genau das, wovon ich oben meinte, dass ich es nicht lesen möchte. :) So wie die Geschichte derzeit dasteht ist es ja z.B. auch noch möglich, dass der von Schuldgefühlen umgetriebene Goth sich bloß einbildet, das Gesicht seines Opfers in den Blättern der Pflanze zu erkennen, die für ihn als jemand, der an Pflanzen forscht und sie als eine Art "Gegenüber" anzusehen gewohnt ist, die Rolle eines Zeugen einnimmt.

Ein fremdartiges und unerklärliches Element in eine Geschichte zu bringen, das viele Fragen aufwirft kann ja einen guten Sinn haben und wesentlich zur Geschichte beitragen, geht aber verloren, wenn man es zu erklären versucht und kippt dann häufig auch ins Lächerliche. Ich kenne eine ganze Reihe von Filmen, die sehr gewonnen hätten, wenn sie nicht versucht hätten, das tragende Rätsel doch noch irgendwie zu "lösen". (Spontan fallen mir "Silent Hill" ein: Anfangs eine faszinierende Atmosphäre in dieser leeren Stadt, in der es Asche regnet; dann taucht das beherrschende Monster auf und es wird doof; und Shyamalans "The Happening", in der es immer wieder zu urplötzlichen Massensuiziden kommt, die dann durch ein neuerdings von Pflanzen emittiertes Nervengift "erklärt" werden, mit dem diese sich gegen die Umweltverschmutzung zu Wehr setzen wollen... Aber auch Kafkas Verwandlung würde doch nicht besser, wenn Samsa irgendwo auf den irren Gentechniker träfe, der ihm Nachts etwas gespritzt hat?)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 12.11.2015, 13:17

Das erinnert mich an einen Roman, den ich vor langer Zeit mal antiquarisch zu einem Spottpreis gekauft hatte, weil der Titel so spannend klang: "Die Stadt, die das Atmen vergaß".
Wie durch eine geheimnisvolle Seuche veränderten Menschen ihre Persönlichkeit, wurden erst depressiv und träge und starben schließlich, weil sie die elementarsten Lebensregeln nicht befolgten (Nahrungszufuhr oder schlicht Einatmen - Ausatmen).
War interessant zu lesen, bis im letzten Drittel die Ursache bekannt wurde: Verstrahlung des Gehirns durch den Gebrauch von Handys. Da habe ich zu lesen aufgehört und das Buch ins Tauschforum gestellt ...

@ Merlin: ab hier nicht weiterlesen! ;o)
Der beschriebene Versuch mit dem Auskochen der Blätter und dem anschließenden Iod-Kaliumiodidbad wird bzw. wurde im Biologieunterricht an Gymnasien durchgeführt. Man kann damit feststellen, wie eine Pflanze "belichtet" wurde. Ich stamme noch aus dem vordigitalen Zeitalter - ich denke bei dem Wort "belichten" sofort an Fotos.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
birke
Beiträge: 5436
Registriert: 19.05.2012
Geschlecht:

Beitragvon birke » 12.11.2015, 13:24

das ist wirklich spannend, merlin.
gut, dieses:
Mnemosyne hat geschrieben:So wie die Geschichte derzeit dasteht ist es ja z.B. auch noch möglich, dass der von Schuldgefühlen umgetriebene Goth sich bloß einbildet, das Gesicht seines Opfers in den Blättern der Pflanze zu erkennen, die für ihn als jemand, der an Pflanzen forscht und sie als eine Art "Gegenüber" anzusehen gewohnt ist, die Rolle eines Zeugen einnimmt.


ist ein bestechendes argument. (wobei er ja sogar sich selbst erkennt, das könnte man sehr schön psychologisch deuten, jepp.)
auf diesen gedanken bin ich witzigerweise allerdings zunächst gar nicht gekommen, vielleicht weil sich die ganze geschichte zum einen irgendwie skurril liest, und zum anderen weil es um das „forschungsgebiet pflanzen“ geht. deshalb hätte ich mir hier vorstellen können, etwas weiter einzutauchen… weil es ein tragendes element der story ist. vielleicht auch einfach in der art, dass goth sich diesbezüglich noch mehr fragen gestellt hätte.
ABER das sei noch mal ausdrücklich gesagt: sie funktioniert auch für mich durchaus so. :)
(und dass man nicht immer alles "auflösen" muss in einer geschichte ist auch klar... ihr habt genug beispiele genannt ;))
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

Benutzeravatar
birke
Beiträge: 5436
Registriert: 19.05.2012
Geschlecht:

Beitragvon birke » 12.11.2015, 13:31

Zefira hat geschrieben:@ Merlin: ab hier nicht weiterlesen! ;o)
Der beschriebene Versuch mit dem Auskochen der Blätter und dem anschließenden Iod-Kaliumiodidbad wird bzw. wurde im Biologieunterricht an Gymnasien durchgeführt. Man kann damit feststellen, wie eine Pflanze "belichtet" wurde. Ich stamme noch aus dem vordigitalen Zeitalter - ich denke bei dem Wort "belichten" sofort an Fotos.

aaaah, ja, :idee: nun geht mir ein licht auf ;D was für ein feines wortspiel. ob du das nicht noch unterbringen könntest in der story selbst? (aber vllt wär das schon zu viel an erklärung...?)
denn ich jedenfalls kenne den versuch leider nicht... auf jeden fall ein toller gedanke, zefira!

edit - was ich auch noch erwähnen wollte: die namen der beiden finde ich gut gewählt! ;-)
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

CPMan

Beitragvon CPMan » 10.04.2016, 13:57

Liebe Zefira,

habe die Geschichte gerade in einem Rutsch durchgelesen und so viel vorneweg: Ich habe sie gerne gelesen. Die Ausgangsidee finde ich sowohl spannend als auch ungewöhnlich, bizarr und das gefällt mir besonders gut. Eine Pflanze, die 'Fotos' machen kann, ein Neidhammel und Emporkömmling und Experimente, bzw. Forschungen deren Sinn sich einem nicht erschließt.

Ein paar Kritikpunkte fallen mir dennoch ein:

1. Die Struktur: Am Anfang wird m.E. zu viel erzählt, ich finde, dass man den Beginn kürzer und lebendiger gestalten könnte, z.B. durch Dialoge mit der Sekretärin, die vll auch Auskunft geben über den Charakter von Goth.

2. Wie Goth auf die Idee mit der Fotoentwicklung kommt, das passiert mir etwas zu schnell, und dass er die Idee von einer Kassiererin im Supermarkt bekommt, finde ich für einen Biologen schon fast peinlich. Außerdem wird mir persönlich nicht ganz klar, warum das Bild nicht vor seiner Laborarbeit schon zu erkennen war, denn wenn dunkle Flecken jetzt hell und helle Flecken jetzt dunkel sind, dann hätte er doch sein Gesicht auch vorher schon erkennen können, oder nicht. Ich bitte um Aufklärung, vll verstehe ich es einfach nicht. Bin kein Biologe.

3. Den Tod von Goth finde ich wenig überzeugend. Er verliert das Gleichgewicht? Hmm, na ja, mir fällt zwar keine bessere Idee ein, wie Goth durch die Pflanze zu Tode kommen kann, aber dieses Ende fand ich etwas enttäuschend.

Trotzdem ist es ingsesamt eine kurzweilige und gut geschriebene Erzählung.

Liebe Grüße,

CPMan

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 10.04.2016, 23:01

Lieber CPMan,
danke für die Beschäftigung mit dem Text. Ich muss gestehen, dass ich ihn heute - wenn überhaupt - auch anders geschrieben hätte, die Geschichte stammt aus den Neunzigern, damals schrieb ich solche Sachen gerne.
Der behäbige Anfang war ursprünglich sogar noch behäbiger. Ich wollte damit irgendwie auf Goths Charakter einstimmen. Die notwendigen Informationen über ein Gespräch mit der Sekretärin einzuführen, hätte meiner Meinung nach nicht gepasst, da Goth bei seinem Einzug selbstverständlich schon weiß, was sein Kollege geforscht hat (genau das hat ja dazu geführt, dass er Erdmann aus dem Fenster warf). Vielleicht hätte man es eleganter lösen können, aber wie gesagt, es dient auch als illustration von Goths "Denke".

Wie Goth auf die Idee mit der Fotoentwicklung kommt, das passiert mir etwas zu schnell, und dass er die Idee von einer Kassiererin im Supermarkt bekommt, finde ich für einen Biologen schon fast peinlich.


Die Kassiererin ist es ja nicht, die ihn darauf bringt; ich habe die Episode mit den Herzchen auf den Apfelschalen erwähnt, um den Leser vorzubereiten, was jetzt kommt. Der Versuch mit dem Stärkenachweis mit Hilfe von Kaliumiodid ist meines Wissens mittlerweile Standard im Unterricht der Oberstufe, aber ich selbst kenne ihn aus der Schule nicht und sicher auch viele andere Leser nicht.
Dass Goth sein Gesicht erst erkennt, nachdem durch den Versuch das Negativ in ein Positiv verwandelt wurde, finde ich eigentlich nicht so erstaunlich.

Er verliert das Gleichgewicht?

Nein, natürlich nicht, das ist eine Deutung des Ermittlers. In Wahrheit hat die böse Pflanze Goth, der sie aus dem Fenster schmeißen wollte, umklammert und auf diese Weise mit in den Tod genommen. Das ist natürlich ziemlich bescheuert, aber die Geschichte erhebt ja keinen Anspruch auf Ernsthaftigkeit.

Danke nochmals und liebe Grüße,
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Benutzeravatar
Cicero
Beiträge: 352
Registriert: 10.12.2011
Geschlecht:

Beitragvon Cicero » 14.04.2016, 16:04

Hallo Zefi,

gerne habe ich Deine Geschichte gelesen, irgendwie erinnert sie mich an den "Kleinen Horrorladen". Dein O.K. vorausgesetzt, würde ich Deinen Text gerne bei einer meiner Lesungen vortragen. Wie denkst Du darüber?

Herzlich,
Cicero, der Franz
Die Sprache sei die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet. (Karl Kraus)

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 14.04.2016, 16:22

Das wäre mir eine Ehre, lieber Franz. Gerne!
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste