Möglichkeit

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 11.07.2015, 13:02

Fassung 3:
Zu meinem achtzehnten Geburtstag schenkte mir jemand einen kleinen Topf aus Ton mit einem runden Stück gepresster Erde darin. Laut dem beiliegenden Zettel sollte daraus, wenn man die Erde befeuchtete, ein vierblättriges Kleeblatt wachsen. Ohne viel Vertrauen in die glücksspendende Wirkung dieses Gewächses beschloss ich doch, es aufzubewahren. Irgendwann käme bestimmt eine Zeit, in der ich es nötig hätte, mir durch ein solches Zeichen eines aus Wohlwollen gegen mich selbst lange geübten Verzichtes die Stimmung zu heben. Die Zeit kam fünfzehn Jahre später, und aus der nun feuchten Erde wuchs auch nach Wochen nichts. Doch hatte ich in den Jahren zuvor bei beiläufigen Blicken auf das Töpfchen oft über eine Möglichkeit geschmunzelt, die schon längst keine mehr war.





Fassung 2:
Zu meinem achtzehnten Geburtstag schenkte mir jemand einen kleinen Topf aus Ton mit einem runden Stück gepresster Erde darin. Laut dem beiliegenden Zettel sollte daraus, wenn man die Erde befeuchtete, ein vierblättriges Kleeblatt wachsen. Mir fehlte das Vertrauen in die glücksspendende Wirkung dieses Gewächses; dennoch beschloss ich doch, es aufzubewahren. Denn immerhin zeigte es ja: Dass mir da einmal jemand Glück gewünscht hatte. Je länger ich wartete, je länger ich darauf verzichtete, das Blatt wachsen zu lassen, desto mehr würde es zugleich ein Zeichen meines Wohlwollens gegen mich selbst werden. Und es mochte eine Zeit kommen in der ich es nötig haben würde, mir durch ein solches Zeichen die Stimmung zu heben.

Die Zeit kam fünfzehn Jahre später, und aus der nun feuchten Erde wuchs auch nach Wochen nichts. Doch hatte ich in den Jahren zuvor bei beiläufigen Blicken auf das Töpfchen oft über eine Möglichkeit geschmunzelt, die schon längst keine mehr war.





Fassung 1:
Zu meinem achtzehnten Geburtstag schenkte mir jemand einen kleinen Topf aus Ton mit einem runden Stück gepresster Erde darin. Laut dem beiliegenden Zettel sollte daraus, wenn man die Erde befeuchtete, ein vierblättriges Kleeblatt wachsen. Ohne viel Vertrauen in die glücksspendende Wirkung dieses Gewächses beschloss ich doch, es für eine Zeit aufzubewahren, in der ich es nötig haben würde, mir durch ein solches Zeichen eines aus Wohlwollen gegen mich selbst lange geübten Verzichtes die Stimmung zu heben. Die Zeit kam fünfzehn Jahre später, und aus der nun feuchten Erde wuchs auch nach Wochen nichts. Doch hatte ich in den Jahren zuvor bei beiläufigen Blicken auf das Töpfchen oft über eine Möglichkeit geschmunzelt, die schon längst keine mehr war.
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 13.07.2015, 19:02, insgesamt 3-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.07.2015, 15:52

Hi Merlin,

ich hab das jetzt mehrfach gelesen. Den letzten Satz schnall ich nicht. Irgendwas, vermutlich die Doppeldeutung eines Wörtchens, entgeht mir hier. Abwarten. Vllt. kommt ein mich erleuchtender Kommentar.

Saludos
vom :schaf: Mucki

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 11.07.2015, 21:43

Hallo Mucki,
die Möglichkeit, das Kleeblatt wachsen zu lassen, besteht faktisch nicht mehr - trotzdem hat diese Vorstellung das Lyrich noch eine Weile erfreut, ehe sie versucht hat, die Möglichkeit zu aktualisieren und dadurch festgestellt hat, dass sie keine mehr ist.
Da das anscheinend nicht unbedingt ankommt: Siehst du einen Weg, das klarer darzustellen?
Liebe Grüße
Merlin

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.07.2015, 22:05

Hi Merlin,
Mnemosyne hat geschrieben:Da das anscheinend nicht unbedingt ankommt: Siehst du einen Weg, das klarer darzustellen?

Ich glaube, dass es das Wörtchen "doch" ist, das ein wenig irritiert.
Wenn im letzten Satz ein "So" stünde, ist eigentlich alles klar, also:

So hatte ich in den Jahren zuvor bei beiläufigen Blicken auf das Töpfchen oft über eine Möglichkeit geschmunzelt, die schon längst keine mehr war.

Vllt. geht es nur mir so, Merlin, aber auf diese Weise wäre alles klar.

Saludos
Mucki

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 11.07.2015, 23:08

Hallo Mucki,
vielleicht wäre das klarer - aber es geht ja gerade um den Gegensatz, dass die irreale Möglichkeit beglückend gewirkt hat - und der wäre dann nicht mehr betont. Mit "so" klingt es für mich so, als würde das Lyrich resigniert seine Blödheit bedauern, während es in meiner Lesart der Freude ihr Recht lässt. Aber ich werde mal in mich gehen. Danke jedenfalls für den Hinweis!
Liebe Grüße
Merlin

Nifl
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Beitragvon Nifl » 12.07.2015, 09:39

Hallo Merlin,
ich hatte keine Verständnisprobleme und das "doch" muss natürlich unbedingt bleiben. Mir gefällt die Veranschaulichung dieses Phänomens, das ich nur allzu gut kenne. Die Vorstellung von der Realisierung ist eben oft erbaulicher als es die tatsächliche Umsetzung je sein könnte. Ein bisschen auch die Neuauflage von "der Weg ist das Ziel" und das Gipfelkreuz liegt im dichten Nebel...

Und das hier ist das klassische Merlingeschwurbelwürmchen, an dem ich auch mit tausend Kommentaren nichts mehr ändern werde, aber ich kann dir wenigstens Stiltreue attestieren:
Ohne viel Vertrauen in die glücksspendende Wirkung dieses Gewächses beschloss ich doch, es für eine Zeit aufzubewahren, in der ich es nötig haben würde, mir durch ein solches Zeichen eines aus Wohlwollen gegen mich selbst lange geübten Verzichtes die Stimmung zu heben.


Gruß
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 12.07.2015, 11:09

Nilf nimmt mir die Worte aus dem Mund. :) Schöner kleiner Text, der über sich hinaus erzählen kann. Aber das Geschwurbelwürmchen war auch mir ein wenig zu verschwurbelt.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.07.2015, 11:45

"Merlingeschwurbelwürmchen", herrlich dieses Wort, ha, ha. Merlin, du machst Kant wirklich Konkurrenz. :mrgreen:

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 12.07.2015, 12:05

"Merlingeschwurbelwürmchen"
Kompliment, Nifl - das wird mich noch des öfteren schmunzeln lassen! :D

"an dem ich auch mit tausend Kommentaren nichts mehr ändern werde,"

Das stimmt nur halb: Wesentlich auch wegen deiner Kommentare fallen mir solche Würmchen jetzt zum einen auf, zum anderen versuche ich, sie zu vermeiden. Klappt nicht immer - manchmal bildet so ein Gedanke bei mir eine Einheit, die ich nicht auseinanderbrechen kann/will - aber ich arbeite dran. Deine Kritik ist also nicht in den Wind gesprochen, ich bin dafür dankbar und und ich nehme sie mir zu Herzen - nur, dass das auch einmal gesagt ist.

Herrliche Grütze
Merlin

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 13.07.2015, 13:02

So, das Würmchen ist mal probehalber zerschnitten. Ich weiß nicht, ob es mir jetzt besser gefällt - mir scheint nun getrennt zu sein, was zusammen gehörte. Wie seht ihr das?

Mucki
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Beitragvon Mucki » 13.07.2015, 13:50

Mir erscheint es auch so, dass da etwas zerschnitten wurde, was zusammengehörte, Merlin.

Klar, es ist durch die Teilung deutlicher, vllt. sogar zu deutlich geworden. Doch das "Merlinsche" fehlt mir hier. Die Verschachtelung ist nunmal deine Handschrift. ,-)

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birke
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Beitragvon birke » 13.07.2015, 13:55

was für ein feiner text, ist es nicht oft so, dass allein die möglichkeit reicht bzw. etwas bewirkt? :)
also, nein, ich finde es jetzt auch nicht besser in der zweiten fassung, dann schon lieber den langen "schwurbelsatz", lach!
aber vielleicht könnte man ihn einfach folgendermaßen etwas entzerren, ohne viel zu verändern:

Ohne viel Vertrauen in die glücksspendende Wirkung dieses Gewächses beschloss ich doch, es aufzubewahren. Irgendwann käme bestimmt eine Zeit, in der ich es nötig hätte, mir durch ein solches Zeichen eines aus Wohlwollen gegen mich selbst lange geübten Verzichtes die Stimmung zu heben.


? :)

lg
birke
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 13.07.2015, 15:18

Mucki, danke für die Rückmeldung!

Birke, das scheint mir ein guter Kompromiss zu sein. Danke - und also auf zu Fassung 3! :)

Kurt
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Beitragvon Kurt » 13.07.2015, 16:10

Ich bin nur kurz im Besonderen beim „Wohlwollen gegen mich selbst“ ins Stocken geraten, weil dieses „gegen“ ja in der alltäglichen Quatscherei negativ besetzt ist, und so darauf reagiert, wie meine Oma verdutzt wäre, würde ich ihr berichten, mein Aidstest sei "negativ" ausgefallen. Ansonsten ja, würde ich das „Merlinsche“ so belassen. Aber ich bin auch ein gebranntes Kind, hatte ich doch vor Jahren auf der Plattform kurzgeschichten.de einen Text eingestellt, den sie vom ersten bis zum letzten Satz auseinandergenommen haben. (Haben sie vor allem mit Neulingen gemacht. Das ist Mord!) Der Stil hier von Merlin passt zu dem zum Mitdenken anregenden Text.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)


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