Eiszeit [M]
Verfasst: 27.01.2015, 00:16
Es gab da mal einen Zeichentrickfilm mit Doktor Snuggles, erzählt er. Der Fluss war plötzlich nicht mehr in seinem Bett. Die Ufer vertrockneten. Doktor Snuggles, der gewohnt war, alles zu richten, ging auf die Suche nach dem Fluss und fand ihn zusammengerollt, vor Angst zitternd, in seiner Quellhöhle: Er wollte nicht ins Meer. Weil, so sagte er, irgendwelche Leute (Außerirdische?) große Wasserblöcke aus dem Meer geschnitten hatten. Doktor Snuggles überzeugte sich übrigens selbst. Er fuhr ans Meer und stellte fest, dass jemand quaderförmige Brocken aus dem Meer geschnitten hatte, so wie man ein Stück aus einer Torte schneidet.
Stell dir vor, was passiert, sagt er, wenn plötzlich zuwenig Wasser da ist, oder zuviel, oder was gefroren ist, schmilzt; oder was flüssig ist, gefriert.
Ja, Eiszeit, sage ich und sehe uns plötzlich alle seitwärts krumm im Schnee liegen: meine Nachbarn, den Bäcker an der Ecke, die Müllmänner, Zeitungsträger ... einer neben dem anderen, die ganze Straße lang. Wie verhungerte Vögel.
Und dann?
Dann sterben wir eben. Wenn wir alle sterben, ist es doch ohne Bedeutung. (Der Gedanke ist ganz neu für mich, aber da ich ihn nun mal geäußert habe, lasse ich ihn im Raum stehen, schutzlos seinen kritischen Blicken ausgesetzt.)
Er hat mir eine Zeitung aufgeschlagen hingelegt, die auf zwei Fotos einen Berggletscher in der Schweiz zeigt; auf dem ersten Foto (von 1935) reicht er breit und grau bis ins Tal hinunter, auf dem zweiten, aktuellen Foto (vom gleichen Standort aus) ist er nur noch ein ferner Fleck in der Bergwand. Schau, sagt er. Wir werden nicht erfrieren, wir werden ertrinken in der Nässe der Luft, in gelöstem Wasser. Das Eis geht.
Ich betrachte die Fotos, es sind Kühe auf den Almweiden; ich gebe mir Mühe, kann es aber nicht wirklich tragisch finden, dass das Eis geht. Dass der Königstiger geht, finde ich schlimmer; oder dass der Iberische Luchs geht, oder die Johanniskrauteule – aber von mir aus, mögen sie alle gehen; was macht es schon aus im Buch der Erdgeschichte.
Weißt du was?, fragt er erbost. Wenn ich dich so reden höre, das ist reiner Defätismus, auf dir könnte man Holz hacken.
De-was?
Die Tür schlägt zu; er geht.
Aber es ist nicht das erste Mal. Er wird zurückkommen.
Stell dir vor, was passiert, sagt er, wenn plötzlich zuwenig Wasser da ist, oder zuviel, oder was gefroren ist, schmilzt; oder was flüssig ist, gefriert.
Ja, Eiszeit, sage ich und sehe uns plötzlich alle seitwärts krumm im Schnee liegen: meine Nachbarn, den Bäcker an der Ecke, die Müllmänner, Zeitungsträger ... einer neben dem anderen, die ganze Straße lang. Wie verhungerte Vögel.
Und dann?
Dann sterben wir eben. Wenn wir alle sterben, ist es doch ohne Bedeutung. (Der Gedanke ist ganz neu für mich, aber da ich ihn nun mal geäußert habe, lasse ich ihn im Raum stehen, schutzlos seinen kritischen Blicken ausgesetzt.)
Er hat mir eine Zeitung aufgeschlagen hingelegt, die auf zwei Fotos einen Berggletscher in der Schweiz zeigt; auf dem ersten Foto (von 1935) reicht er breit und grau bis ins Tal hinunter, auf dem zweiten, aktuellen Foto (vom gleichen Standort aus) ist er nur noch ein ferner Fleck in der Bergwand. Schau, sagt er. Wir werden nicht erfrieren, wir werden ertrinken in der Nässe der Luft, in gelöstem Wasser. Das Eis geht.
Ich betrachte die Fotos, es sind Kühe auf den Almweiden; ich gebe mir Mühe, kann es aber nicht wirklich tragisch finden, dass das Eis geht. Dass der Königstiger geht, finde ich schlimmer; oder dass der Iberische Luchs geht, oder die Johanniskrauteule – aber von mir aus, mögen sie alle gehen; was macht es schon aus im Buch der Erdgeschichte.
Weißt du was?, fragt er erbost. Wenn ich dich so reden höre, das ist reiner Defätismus, auf dir könnte man Holz hacken.
De-was?
Die Tür schlägt zu; er geht.
Aber es ist nicht das erste Mal. Er wird zurückkommen.