Notizen aus dem Turm
Verfasst: 23.11.2014, 16:10
(auf Floras Anregung aus dem WdW hierher verlagert)
Notizen aus dem Turm
Bevor ich geschieden wurde, hatte ich eine Schwiegermutter. Wenn sie sich beklagte (was sie gern tat), egal ob über ihre Nebenkostenabrechnung, betrügerische Drücker an der Haustür oder lärmende Kinder im Hof, begann sie gern mit den Worten: „Also ich als Witfrau …“ Es klang, als ob sie für sich besondere Schonung einforderte. Obwohl ihr Mann, als er noch lebte, sie nach Strich und Faden tyrannisiert hatte und selbst derart untüchtig war, dass sie, wenn sie etwa in die Klinik musste, zu seiner Versorgung eine Polin engagierte, sonst wäre er vor gefüllten Vorratsschränken verhungert.
Die Scheidung hat mir, neben so vielem anderen, auch diese charaktervolle Frau weggenommen. Als ich mich der Expedition anschloss, kam sie persönlich an den Bahnsteig, um mich zu verabschieden. Ich hatte meinen Haushalt aufgelöst und alles, was ich noch besaß, in drei Koffer verpackt. Die Koffer standen auf dem Bahnsteig. Zwei Freundinnen aus Schulzeiten umarmten mich theatralisch mit Luftküsschen, mein früherer Dekanatsleiter stand mit finsterer Miene dabei (er hatte mir mehrmals versichert, dass er mich ungern „verlöre“). Meine Exschwiegermama kam zuletzt. Sie beklopfte meine Koffer misstrauisch mit ihrem Gehstock. „Haste meinen Pelz mit?“, verlangte sie zu wissen. „Meinen Pelz?“
Der Pelz war längst nicht mehr in meinen Händen. Sie hatte ihn mir irgendwann während meiner Ehe abgetreten, weil er ihr nicht mehr passte; der Witwenstand hatte sie dick gemacht. Ich bin keine Pelzträgerin und habe ihn sofort versilbert. Es war Nutria. Ich versicherte, dass ich ihren Pelz im Koffer hätte, den könne ich bestimmt gut gebrauchen dort, wo ich hinginge, in die Einöde.
Ich bin mehr als verwitwet. Ehe ich aufbrach, habe ich alles, was ich besaß, zu Geld gemacht, außer dem Nötigsten; und wo ich jetzt sitze, nährt und kleidet das Geld mich nicht, ermahnt mich nicht und tröstet mich nicht. Die Nutria, die ich leichten Herzens weggegeben habe, hätte mir jetzt eine Freundin sein können, ein Funke im Dunkel.
Notizen aus dem Turm
Bevor ich geschieden wurde, hatte ich eine Schwiegermutter. Wenn sie sich beklagte (was sie gern tat), egal ob über ihre Nebenkostenabrechnung, betrügerische Drücker an der Haustür oder lärmende Kinder im Hof, begann sie gern mit den Worten: „Also ich als Witfrau …“ Es klang, als ob sie für sich besondere Schonung einforderte. Obwohl ihr Mann, als er noch lebte, sie nach Strich und Faden tyrannisiert hatte und selbst derart untüchtig war, dass sie, wenn sie etwa in die Klinik musste, zu seiner Versorgung eine Polin engagierte, sonst wäre er vor gefüllten Vorratsschränken verhungert.
Die Scheidung hat mir, neben so vielem anderen, auch diese charaktervolle Frau weggenommen. Als ich mich der Expedition anschloss, kam sie persönlich an den Bahnsteig, um mich zu verabschieden. Ich hatte meinen Haushalt aufgelöst und alles, was ich noch besaß, in drei Koffer verpackt. Die Koffer standen auf dem Bahnsteig. Zwei Freundinnen aus Schulzeiten umarmten mich theatralisch mit Luftküsschen, mein früherer Dekanatsleiter stand mit finsterer Miene dabei (er hatte mir mehrmals versichert, dass er mich ungern „verlöre“). Meine Exschwiegermama kam zuletzt. Sie beklopfte meine Koffer misstrauisch mit ihrem Gehstock. „Haste meinen Pelz mit?“, verlangte sie zu wissen. „Meinen Pelz?“
Der Pelz war längst nicht mehr in meinen Händen. Sie hatte ihn mir irgendwann während meiner Ehe abgetreten, weil er ihr nicht mehr passte; der Witwenstand hatte sie dick gemacht. Ich bin keine Pelzträgerin und habe ihn sofort versilbert. Es war Nutria. Ich versicherte, dass ich ihren Pelz im Koffer hätte, den könne ich bestimmt gut gebrauchen dort, wo ich hinginge, in die Einöde.
Ich bin mehr als verwitwet. Ehe ich aufbrach, habe ich alles, was ich besaß, zu Geld gemacht, außer dem Nötigsten; und wo ich jetzt sitze, nährt und kleidet das Geld mich nicht, ermahnt mich nicht und tröstet mich nicht. Die Nutria, die ich leichten Herzens weggegeben habe, hätte mir jetzt eine Freundin sein können, ein Funke im Dunkel.