Oculus ultimus

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 04.08.2014, 13:02

Mein letztes Auge. Ich habe Angst. Angst vor der Dunkelheit. Angst nicht mehr lesen zu können. Angst nicht mehr schreiben zu können. Welcher Teufel hat mich nur geritten einen Menschen mit einem Skalpell an mein letztes Auge zu lassen, den ich gerade mal eine Viertelstunde kenne, und der die Patienteninformation einem Sehbehinderten als Merkblatt aushändigt.

Hier liege ich nun auf dem Rollbett. Noch könnte ich fliehen. Getropft und anästhesiert. Die einzigen Worte des Anästhesisten waren:

“Ich brauche Ihre Versichertenkarte”.

Na ja, man muss Prioritäten setzen. Noch einmal wird mein letztes Auge getropft. Es ist taub. Es fühlt keinen Schmerz mehr. Immer müder werde ich. Der Anästhesist dreht an der Infusion. Grinsend, wie mir scheint. Ich höre die Arzthelferin sagen:

“Sollen wir schon mal den Patienten im anderen OP fertig machen?”

Fertigmachen. Ich will weg hier. Warum heißen die eigentlich Arzthelferin. Logisch, weil sie dem Arzt helfen. Wo ist meine Patientenhelferin? Ich habe Angst und bin schlecht informiert.

Ich werde unter das Licht geschoben. Mein Kopf wird abgedeckt. Das letzte Auge schaut durch ein Loch in der Abdeckung.

“Sehen Sie in das Licht und bewegen Sie das Auge nicht mehr”, brummt der Operateur.

Der weis was er tut, sagte man mir. Der macht das zwanzig Mal in der Woche, sagte man mir. Die Fehlerquote liegt bei unter einem Promille, sagte man mir. Der Wievielte bin ich? Der Tausendste?

Tausend geteilt durch zwanzig. Jedes Jahr geht etwas schief. Wann das letzte Mal?

Sie haben mir etwas in mein letztes Auge geträufelt. Ich sehe die Welt wie durch eine vergilbte Gardine in einer Raucherlounge. Etwas zieht und zupft an meinem Auge. Meine Sicht wird grau, grauer und dann schwarz. Da ist sie, die Dunkelheit. Was habe ich nur getan?

Doch halt, da öffnet sich ein kleines Loch in der schwarzen Wand. Wabernd, mit sich veränderndem rotem Rand. Lebendig wie eine Amöbe. Das Loch wird größer. Wieder das Zupfen an meinem letzten Auge. Helligkeit! Eine gelbliche Helligkeit macht sich breit. Dann wird mein Auge abgedeckt.

“Sie haben es geschafft”, sagt der Operateur schon zum achtzigsten Mal in diesem Monat, und wendet sich dem anderen OP zu. Dort hatten sie den anderen Patienten schon fertiggemacht.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.08.2014, 16:00

:welcome: im Blauen Salon, Kurt,

diese Szene finde ich sehr beklemmend beschrieben. Auch wenn das Wort "Angst" oft vorkommt im Text, gelingt es dir dennoch, diese auf mich als Leserin zu übertragen.

Liebe Grüße
Gabi

SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 04.08.2014, 16:48

Hallo Gabi,
Erst mal danke für das Willkommen.
Der Eindruck ist bei mir noch sehr frisch. Ich wurde letzten Montag am Auge operiert. Um mich abzulenken habe ich einfach aufgepasst was passiert und was ich wahrnehme, schon mit dem Plan es aufzuschreiben.
Gruss
Kurt

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.08.2014, 17:16

Hola Kurt,

ja, man spürt, dass du dicht dran bist bei diesem Thema. Auch schwingt hier eine Portion gerechtfertigter Kritik an der Patientenmassenabfertigung mit. Kann ich, aus Erfahrung, nur unterschreiben.
Noch ein paar peanuts:
Mit Kommas hast du es nicht so, hm? In deiner gut erzählten Geschichte "Schicksalsfluss" fehlen etwa 40 Kommas (hab nur gerade keine Zeit, da müsste hier und da auch gefeilt werden, vllt. später). ,-)
SanchoPanza hat geschrieben:Welcher Teufel hat mich nur geritten einen Menschen mit einem Skalpell

Komma nach "geritten"
SanchoPanza hat geschrieben:den ich gerade mal eine Viertelstunde kenne, und der die Patienteninformation

kein Komma nach "kenne"
SanchoPanza hat geschrieben:Die einzigen Worte des Anästhesisten waren:

“Ich brauche Ihre Versichertenkarte”.

Wieso will der Anästhesist die Versichertenkarte? Das muss doch schon vorher abgelaufen sein.
SanchoPanza hat geschrieben:Der weis was er tut, sagte man mir.

weiß und Komma danach
SanchoPanza hat geschrieben:Wabernd, mit sich veränderndem rotem Rand.

roten
SanchoPanza hat geschrieben:sagt der Operateur schon zum achtzigsten Mal in diesem Monat, und wendet sich dem anderen OP zu.

kein Komma nach "Monat"

Saludos
Gabi

SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 04.08.2014, 17:28

Danke Gabi,
werde das Ding durch den duden jagen. Ich arbeite in einer Organisation in der wir nur Englisch reden, bin mit einer Latina verheiratet und rede daheim nur Spanisch. Das haut Dir die Rechtschreibung durcheinander.

"I like cooking my family and my pets".
setze Kommas; sei kein Psychopath.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.08.2014, 17:44

Ha, ha, eso te creo. :-) En eso caso yo también hubiera problemas con eso. ,-)

Saludos
Gabi (Medio-Latina)

SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 05.08.2014, 08:22

Si. Y si crees que escribo mal en Aleman, vea como escribo en Espanol. Hablo mucho mejor. Bien, digamos que hablo suficiente para meterme en problemas. :-)
Saludos
Kurt

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2014, 12:37

Hola Kurt,

nachdem wir mit dir einen weiteren Spanischkundigen in unserer Mitte haben, möchte ich dich auf ein Projekt von Carlos und mir aufmerksam machen:

viewtopic.php?p=209094#p209094

Wie du siehst, haben wir bisher 6 Gedichte von Aura übersetzt. Lies dir die 6 Seiten mal in aller Ruhe durch. Vielleicht hast du ja Lust, dabei mitzumachen? Es wäre schon interessanter, wenn wir uns zu dritt über seine Werke austauschen könnten.
Wenn ja, würde ich mal schauen, welches wir als Nächstes nehmen könnten. Aber erst Ende August, da ich ab Samstag unterwegs bin.

Saluditos
Gabi

SanchoPanza

Beitragvon SanchoPanza » 06.08.2014, 13:01

Das ist eine schöne Sache. Bedenke aber, dass ich kein Muttersprachler bin. Ich weis nicht ob ich die Tiefe der Texte erfassen kann. Ich habe mich mal gewagt Pablo Neruda und Gabriela Mistral zu übersetzen. Ich war nicht sehr erfolgreich. Cervantes kann ich noch nicht mal lesen mit seinem hochklassischen Spanisch. Aber ich werde es gerne versuchen.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.08.2014, 13:51

Profis sind wir alle nicht, Kurt. Außerdem haben wir so eine interessante Mischung: Carlos ist nämlich als Ecuatoriano Muttersprachler, hat aber hier und da kleine Problemchen mit Deutsch, du bist kein Muttersprachler, sprichst aber sehr gut Spanisch und ich bin eine Mischung aus beidem, Chilenin-Deutsche, in Chile geboren, aber in Deutschland aufgewachsen, habe 1979 - 82 in Chile gelebt und dort Spanisch gelernt, ich spreche fließend, jedoch mit einem leichten Gringo-Akzent. *lach* Passt also prima, finde ich. :-) Es ist eh ziemlich schwierig, die Metaphern von Aura zu verstehen, da er m.E. manchmal welche verwendet und manchmal nicht. Da können wir uns dann zu dritt austauschen. Fein, dass du es versuchen möchtest. Ich notiere mal im Aura-Faden, dass es dort Ende August weitergeht. ,-)

Saluditos
Gabi


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