Die Kunst der Verführung III

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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 15.07.2014, 23:45

Noch nie hat jemand so schnell ein Buch gelesen, wie ich die zweite Hälfte von "Salzwasser" Ich wollte so schnell wie möglich das letzte Kapitel erreichen, um die Stelle zu lesen, die meine Ärztin so gut empfunden hatte. Ich musste mich überwinden, um nicht die dazwischen liegenden Kapitel einfach zu überspringen.
Mit zitternden Händen fing ich dann, das besagte Kapitel zu lesen, mit höchster Aufmerksamkeit. Das Buch war bald zu Ende … hatte sie wirklich das letzte Kapitel gemeint? Und dann fand ich es, die Aussage des Vaters, knapp und bündig: FRAUEN MACHEN DIE ZEIT ERINNERUNGSWERT.
Soviel hatte ich nicht erwartet, ich hatte mir sowas in der Art in meiner Fantasie gewünscht, aber niemals daran geglaubt, ich hatte mit einer klugen, philosophischen, moralischen, konstruktiven Aussage gerechnet, aber das hier, das war für mich fast eine Liebeserklärung.
Sofort schickte ich ihr eine E-Mail, die Adresse entnahm ich aus ihrer Visitenkarte.

Hallo Frau Dr. B,

Gegen meine Gewohnheit, habe ich den besagten Roman ("Salzwasser") so schnell wie möglich zu Ende gelesen, um zu dem Letzten Kapitel zu gelangen. Ich wollte die Aussage des Vaters des Verfassers lesen, die Sie bemerkenswert fanden.
Nun, ich nehme an, es handelt sich um das Gleiche, was ich gefunden zu haben glaube, nämlich die Behauptung, Frauen machen die Zeit erinnerungswürdig.
Ich denke genau so, bin nur etwas neidisch, es nicht selbst so genau und präzise ausgesprochen zu haben.
Ich glaube auch, dass Frauen die Zukunft des Mannes sind. Das wurde schon von dem französischen Dichter Aragon gesagt: "La femme est l´avenir de l´homme".

Nur, wie steht es mit den Frauen? In dem Roman wird von Zina und Melissa behauptet, Frauen können nur mit einem Mann den sie lieben schlafen. Zina sagt darüber: "Das ist die heilige Pflicht der Frau".
Ich persönlich glaube, dass es im Allgemeinen so ist. Das macht einen wesentlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Ich glaube auch, dass in Sachen Liebe der Mann nur ein Dilettant ist.
Deswegen, wenn es darum geht, einen Gott zur Welt zu bringen, wird eine Frau dazu ausgewählt, aber kein Mann kommt dazu in Frage, da muss Gott selbst eingreifen.

Kennen Sie Ortega y Gasset? Bis in die 50er Jahre hinein war er noch ziemlich populär in Deutschland. Er hat ein interessantes Essay über die Liebe geschrieben: "Betrachtungen über die Liebe".

Es würde mich sehr freuen, wenn Sie eine freie Minute finden könnten, um mir diese E-Mail zu antworten.

Haben Sie "Der Tod in Venedig" gelesen? Ich hatte nur den Film von Luchino Visconti, vor vielen Jahren, gesehen, Anfang der 70er Jahre, im LUPE 2, einem kleinen Kino in Frankfurt, direkt neben dem Geburtshaus von Goethe.
Nun, ich las endlich diese Novelle während meines Aufenthalts in Tel Aviv, ich las sie sehr langsam, sehr aufmerksam. Jetzt bin ich wahrscheinlich einer der wenigen Menschen, der weiß, dass der Held des Romans Gustav Aschenbach, bzw. Gustav von Aschenbach heißt.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.


V.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 15.07.2014, 23:52

Och, so wenige sind es auch wieder nicht, die das wissen, lieber Klimperer. Das Buch war zeitweise in Hessen Schullektüre.

Interessieren würde mich, ob und was die Ärztin geantwortet hat. Denn für mich ist dieser Spruch des Protagonisten in "Salzwasser" ein typischer Männerspruch, der sich an Männer richtet und im Grunde von Männern handelt. Dasselbe gilt für den Absatz über Zina und Melissa.

Ich möchte nicht schroff erscheinen, aber ich weiß jetzt, dass "Salzwasser" kein Buch für mich wäre.

Grüße zur Nacht
Zefira
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.07.2014, 00:06

Hola Carlos,

ja, ich bin jetzt auch neugierig, was die Ärztin geantwortet hat. ,-)

Saluditos
Gabriella

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 16.07.2014, 07:49

"Wer A sagt muss auch B sagen" ...

Vielen Dank, Zefira, für deinen Kommentar. Wenn ich etwas im Forum einstelle, hoffe immer, dass du dich dazu äußerst. Wie damals, über die kleine Geschichte "Die Sackkarre". Das gab mir Mut, um weiter zu schreiben.
Ich bin sicher, "Salzwasser" würde dir gefallen. Es ist eigentlich die Geschichte eines Vatermordes. Und es sind nicht allzuviele Seiten. Eins von den Büchern, das sich an einem Tag lesen lässt.

Für Dich, Gabriella und Eva werde ich gleich die Antwort der Ärztin einstellen.

Liebe Grüße

Carlos

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 16.07.2014, 17:44

Lieber Klimperer,
die beste Illustration meines Problems mit der zitierten Formulierung ist vielleicht dieses Gedicht, dass mir eben wieder einfiel, der Anfang von "Ausschließlich wegen der zunehmenden Unordnung" von Bert Brecht:

Ausschließlich wegen der zunehmenden Unordnung
In unseren Städten des Klassenkampfs
Haben etliche von uns in diesen Jahren beschlossen
Nicht mehr zu reden von Hafenstädten, Schnee auf den Dächern, Frauen
Geruch reifer Apfel im Keller, Empfindungen des Fleisches
All dem, was den Menschen rund macht und menschlich
Sondern zu reden nur mehr von der Unordnung
...

(das vollständige Gedicht zb hier)

Verstehe mich nicht falsch, ich finde es nicht irgendwie illegitim, sich verallgemeinernd auf "Frauen" bezogen so zu äußern - aber ich als Angesprochene kann da nur die Achseln zucken. Das kommt bei mir so an, als ob jemand über Zigarrenmarken oder Hochseeangeln redet - es interessiert mich einfach nicht.

Sonnige Grüße!
Zefira
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(Ikkyu Sojun)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 17.07.2014, 08:09

"Frauen machen die Zeit erinnerungswert".

Das ist der Satz, um den es geht.

Ich glaube, ich kann dich richtig verstehen, Zefira.

Auch ein Mann wäre nicht glücklich darüber, wenn eine Frau sagen würde: "Männer machen das Leben erinnerungswert".

Ich finde sehr gut, deinen Vergleich mit Zigarrenmarken und Hochseeangeln.

Wie du siehst, ich distanziere mich jetzt von dieser Aussage, die mir damals unumstritten erschien.

Ich glaube auch zu verstehen, warum das dich oder jeden denkenden Menschen nicht begeistern kann: Nur in der Singularität können wir uns selbst verstehen, und so wollen wir auch verstanden und eingeschätzt bzw. geschätzt werden.

Einen schönen Tag wünsche ich dir.

Carlos


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