Begegnungen

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 18.11.2012, 08:16

veränderte Fassung 2

Begegnungen


"Don't mention the war"
Auf einer meiner zahlreichen Bahnreisen der letzten Monate traf ich eine Frau meines Alters, die lange in England gelebt hat und nun mit ihrem Mann nach Deutschland gezogen ist. Wir stellten fest, dass wir beide begeisterte Leserinnen von Sebald waren, dass wir die britische Comicreihe mit dem berühmten Spruch „Don’t mention the war“ beide kannten. Sie aber, sagte sie, habe nun den Schmerzpunkt überwunden und lache jedes Mal mit, während ich gestehen musste, es noch nicht verwunden zu haben, dass ich stets von Neuem die Nazi/Nichtnazi-Prüfung durchzustehen hätte. Ich erzählte ihr, dass ich mir einmal herausgenommen hätte, bei einem fanatischen Anhänger der Serie den Nazi-klamauk-humor selbst einzusetzen, indem ich den Freund meiner Bekannten mit der Heil-Hitler-Geste und dem Satz "Don't mention the war!" begrüßt habe. Kleinlaut fügte ich hinzu, dass dabei das Lächeln auf allen Gesichtern meiner britischen Bekannten gefroren sei. Wir rätselten gemeinsam, woran es gelegen haben mochte, und kamen zu dem Schluss, dass man sicher nicht vermute, dass ich heimliche Nazi gewesen sein könnte. Es muss an meiner Art des Erzählens gelegen haben. Ich hatte den Witz nicht schlagfertig genug vorgetragen. Meine Bahnbekanntschaft beruhigte mich. "Wir kennen uns kaum, aber aufgrund unserer langen Auslandsjahre glaube ich schon etwas über Sie erfahren zu haben!" Sie glaubte, meine innere Verbitterung habe sicher eine Spur in meiner gewollt komischen Bemerkung hinterlassen. Das habe meinem vermeintlichen Scherz die Leichtigkeit genommen, die zum Lachen notwendig sei.
Auch dieses Wort von der Bitterkeit enthielt kein Urteil. Wir waren beide durch diesen Schmelztiegel der Fremdartigkeit und Zugehörigkeit gegangen. Wir waren beide im Abstand zu uns und unseres Begriffs von Heimat. Es war ein Gespräch voll Heiterkeit, dieses plötzlich anhand eines Buchtitel entstandene leichte und in die Tiefe gehende Gespräch.

Der französische Freund
Ein anderes Mal sprach ich mit einem Rechtsanwalt, dessen Geschäfte mit Sicherheit florierten, wie das deutsche Fremdwort so schön sagt. Er war ungefähr so alt wie ich, möglicherweise sogar etwas älter, dennoch gelang es ihm kräftiger und junger zu wirken und ich wurde immer greisenhafter, während ich nach Tipps in Scheidungsangelegenheiten forschte. Normalerweise sind solche Gespräche absolut unhöflich und ich hätte jegliche Frage unterlassen, wäre da nicht ein Funken Interesse und Neugierde spürbar gewesen. Über die juristische Fragerei hinaus entwickelte sich ein Gespräch über Gepflogenheiten. Wie er als Schüler jenen französischen Freund kennenlernte, der Jahr für Jahr (oder zumindest einige Jahre lang) zu ihm, dem Handwerkssohn kam, dort im Zweitbett im Kinderzimmer untergebracht war und Ferienkurse in Deutsch besuchte. Sie kamen bestens miteinander aus, und ich weiß nun nicht mehr aus welchem Grund der junge Mann erst so spät seinerseits nach Frankreich eingeladen wurde.

Diesem ersten Frankreichaufenthalt folgten viele- Dort lernte er nicht nur seinen Austauschfreund besser kennen, meinte der Rechtsanwalt, sondern die erste große Lektion in Sachen Klassenzugehörigtkeit. Jeden Sommer hatten er und sein französischer Freund sein Kinderzimmer, das Badezimmer des Hauses und den Lebenstil der Handwerkersfamilie geteilt, ohne sich eingehend nach den Lebensverhältnissen der französischen Familie zu erkundigen.

Der zukünftige Rechtsanwalt w<r in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. In Verhältnissen, in denen "alles stimmte". Und deshalb war er wohl in der Lage ohne allzu großen inneren Aufruhr zu erleben, wie ihm sein Freund durch ein riesiges schmiedeeisernes Tor entgegenkam und ihn durch einen Park zu einem kleinen Schlösschen führte. So besuchte er zum ersten Mal die allerhöchsten Kreise französischen Geldadels, der auch mit Politik zu tun hatte, wie sich später herausstellte. Und kein einziges Mal, das bewunderte der vor mir sitzende gealterte Mann, kein einziges Mal hätte er so etwas vermutet. Wie war es möglich, einen so immensen Unterschied wie er zwischen ihnen bestand, nicht in irgendeiner Form spüren? Später lernte er seine zukünftige Frau kennen und seine Töchter waren mittlerweile beide in Frankreich genauso zu Hause wie in Berlin.

Diese Vielseitigkeit der Zugehörigkeit war nicht das Wichtigste an dieser Begegnung, es war vielmehr dieses beeindruckende Element französischer Grundhaltung: seinen Status nicht etwa zu verbergen, sondern ihn so unsichtbar zu machen, dass er keine Kommunikationsschranke aufbaut.


"Supi!" und "Geil"

Eine andere Fahrt, die nun schon länger zurückliegt, führte mich mit einem deutschen Fernsehregisseur zusammen, der mir zunächst außerordentlich unsympathisch erschien. Wir waren die einzigen im Waggon und das ermunterte ihn dazu, sich so ausgelassen zu geben, wie ich es morgens um halb zehn in dem Maße nicht gewohnt bin. Ich vermute, dass chemische Umstände dabei eine Rolle spielten. Er bekam Telefonanrufe, die er lautstark beantwortete. Alles, was ich von diesem Mann weiß, kam in den wenigen Telefonanrufen zur Sprache, Die Dreharbeiten in der Bretagne waren gottseidank beendet, Oma sei noch gut drauf, und, geil!, er hatte was in der Bretagne gekauft. Supi.

Ich fand das mir unbekannte „supi“ am schlimmsten. Aber das alles sollte sich ändern, als irgendein ärgerlicher Anlass uns ins Gespräch brachte: Wogen wurden geglättet, der junge Mann (er hätte mein Sohn sein können) sprach wortgewandt über seine Eltern, die im Gegensatz zu ihm viele Bücher gelesen hatten. Die weitere Wendung des Gesprächs möchte ich aussparen, nur dieses eine hervorheben: dass die Zuwendung zu einem Menschen auch die Sprache verändern kann.
Das meine ich sowohl ihn – eine große Mühe war es wohl nicht, auf supi und geil zu verzichten – als auch mich betreffend, denn die Entschärfung dieser für mich aggressiven Worte hatte mich wieder einmal erfolgreich besänftigt.


ich habe einiges verändert, stelle aber beide Versionen ein , bin sehr unschlüssig....


Begegnungen

Ich traf eine Frau meines Alters, die in England gelebt hat und mit ihrem Mann nach Deutschland gezogen ist. Wir stellten fest, dass wir beide begeisterte Leserinnen von Sebald waren, dass wir die Comicreihe mit dem berühmten Spruch „Don’t mention the war“ beide kannten, sie aber, sagte sie habe nun den Schmerzpunkt überwunden und lache jedes Mal mit, während ich gestehen musste, es noch nicht verwunden zu haben, dass ich stets von Neuem die Nazi/ichtnaz-Prüfung durchzustehen hätten. Ich erzählte ihr, dass ich mir einmal herausgenommen hätte, den Nazi-klamauk-humor selbst einzusetzen und dass dabei das Lächeln auf den Gesichtern meiner britischen Bekannten gefror. Wir rätselten gemeinsam. Woran es gelegen haben mochte, und kamen zu dem Schluss nicht dass ich heimliche Nazi gewesen sein könnte, nein sie glaubte, meine Verbitterung darüber hatte meinem vermeintlichen Scherz die Leichtigkeit genommen, die zum Lachen notwendig sei. Es war ein Gespräch voll Heiterkeit, dieses plötzlich anhand eines Buchtitel entstandenes leichtes und in die Tiefe gehendes Gespräch.
Ein anderes Mal sprach ich mit einem Rechtsanwalt, dessen Geschäfte mit Sicherheit florierten, wie das deutsche Fremdwort so schön sagt. Er war ungefähr so alt wie ich, möglicherweise sogar etwas älter, dennoch gelang es ihm kräftiger und junger zu wirken und ich wurde immer greisenhafter, während ich nach Tipps in Scheidungsangelegenheiten forschte. Normalerweise sind solche Gespräche absolut unhöflich und ich hätte jegliche Frage unterlassen, wäre da nicht ein Funken Interesse und Neugierde spürbar gewesen. Über die juristische Fragerei hinaus entwickelte sich ein Gespräch über Gepflogenheiten. Wie er als Schüler jenen französischen Freund kennenlernte, der Jahr für Jahr (oder zumindest einige Jahre lang) zu ihm, dem Handwerkssohn kam, dort untergebracht war und Ferienkurse in Deutsch besuchte, bevor der jetzige Rechtsanwalt selbst bei deinem Gastschüler untergerbacht wurde. Er besuchte so zum ersten Mal die allerhöchsten Kreise französischen Geldadels, der auch mit Politik zu tun hatte, wie sich später herausstellte. Und kein einziges Mal, das bewunderte der vor mir sitzende gealterte Mann, kein einziges Mal hätte er vermutet. Dass ein so immenser Unterschied zwischen ihnen bestand. Später heiratete er eine Französin und seine Töchter waren beide in Frankreich genauso zu Hause wie in Berlin. Diese Vielseitigkeit der Zugehörigkeit war nicht das Wichtigste, es war dieses beeindruckende Element französischer Grundhaltung: seinen Status nicht etwa zu verbergen, sondern ihn so unsichtbar zu machen, dass er keine Kommunikatiionsschranke erlaubt.

Eine andere Fahrt, die nun schon länger zurückliegt, führte mich mit einem deutschen Fernsehregisseur zusammen, der mir zunächst außerordentlich unsympathisch erschien. Wir waren die einzigen im Waggon und das ermunterte ihn dazu, sich so ausgelassen zu geben, wie ich es morgens um halb zehn in dem Maße nicht gewohnt bin. Ich vermute, dass chemische Umstände dabei eine Rolle spielten. Er bekam Telefonanrufe, die er lautstark beantwortete. Alles, was ich von diesem Mann weiß, kam in den wenigen Telefonanrufen zur Sprache, Die Dreharbeiten in der Bretagne waren gottseidank beendet, Oma sei noch gut drauf, und, geil!, er hatte was in der Bretagne gekauft. Supi.

Ich fand das mir unbekannte „supi“ am schlimmsten. Aber das alles sollte sich ändern, als irgendein ärgerlicher Anlass uns ins Gespräch brachte: Wogen wurden geglättet, der junge Mann (er hätte mein Sohn sein können) sprach wortgewandt über seine Eltern, die im Gegensatz zu ihm viele Bücher gelesen hatten. Die weitere Wendung des Gesprächs möchte ich aussparen, nur dieses eine hervorheben: dass die Zuwendung zu einem Menschen auch die Sprache verändern kann.
Das meine ich sowohl ihn – eine große Mühe war es wohl nicht, auf supi und geil zu verzichten – als auch mich betreffend, denn die Entschärfung dieser für mich aggressiven Worte hatte mich wieder einmal erfolgreich besänftigt.

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Eule
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Beitragvon Eule » 19.11.2012, 17:06

Hallo Renée, habe die Prosastücke gerne gelesen und mir gefällt die 2.te Fassung besser, denn die einzelnen Teile können aufgrund ihrer inhaltlichen Eigenständigkeit durchaus eigene Titel vertragen.

Eine Kleinigkeit: Beim letzten Satz von "Der französische Freund" würde für mich die Vergangenheitsform der vorangehenden Sätze besser passen, also "aufbaute".

Auch bei "Supi! und Geil" finde ich den letzten Satz nicht ganz optimal konstruiert. Der Satz müßte für mein Sprachgefühl mit "Damit" beginnen und das dreifache "mich" im Nachsatz könnte etwa mit "dieser als aggressiv wirkenden" abgemildert werden.
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 21.11.2012, 23:28

Hallo Renée,
ich schätze Deine scharfe Beobachtungsgabe sehr. Die zweite Fassung gefällt auch mir besser; sie ist klarer strukturiert (mit der ersten Fassung habe ich mich beim Erstlesen schwer getan).
Ganz ähnliche Szenen, wie Du sie hier schilderst, habe ich auch schon erlebt; besonders die dritte - sie ist übrigens ein Lehrstück in bezug auf vorgefasste Meinungen.

Er war ungefähr so alt wie ich, möglicherweise sogar etwas älter, dennoch gelang es ihm kräftiger und junger zu wirken und ich wurde immer greisenhafter, während ich nach Tipps in Scheidungsangelegenheiten forschte.


Das ist ein Schlaglicht, das mir besonders gefällt. Ich finde überhaupt, Du könntest ein wenig mehr aus der Beobachterrolle heraustreten, Dich (oder Dein Erzähler-Ich) mehr als Individuum teilhaben lassen - ohne dass ich jetzt konkrete Vorschläge machen könnte; das ist mehr ein Gefühl als ein ernsthafter Vorschlag.

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)


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