was die marinika sagen wollte

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pjesma

Beitragvon pjesma » 15.09.2012, 16:42

marinika vermeidet hass, zieht sich also in ein schneckenhaus.
wenn sie aus dem sicheren versteck im schneckenhaus auf die fragen der menschen antwortet, winden sich ihre scharfen worte spiral und chaotisch durch die kalkschwingungen der behäusung, verlieren ihre ecken und kanten und erreichen gepfeilt, gezähmt, verändert und lieblich… und, ja: etwas dumpf, diese drei kleinsten knochen in den ohren fragender mitmenschen.
marinika nuschelt. aber es stört die mitmenschen so weit nicht besonders, sie sind großzügig, wenn sie nicht allzuscharfe antworten bekommen.
sie fragen andauernd, auch wenn sie sich nicht direkt für die marinika interessieren. sie wollens wissen. sie fragen zum beispiel, sich im kreis drehend : wie findest du mich? (indem ich dich such‘, falls ich es für nötig finde/“ein schönes tuch, um den hals, und hübsch geknotete binde!“); oder, fragen, erwartungsvoll: gefällt dir meine hauskatze? (das arme verfressene viech, lass es doch leben, es ist nicht glücklich ein partner zu mimen/“wie der nur riecht! man möchte es heben, und erst diese putzigen kater stimmen!“)
sie fragen, eben.
und die marinika antwortet, manchmal.
einmal nur, schrie sie ganz laut und ungeduldig: „die höflichkeit ist ein nuscheln!“, aber da sie es zu ungeduldig rausstieß, zersprangen die schneckenworte bevor sie die mitmenschen erreichten, und sie zogen verwirrt ihre gesichter etwas länger als sonst.
hefebier mit puscheln???
ofenbrot mit muscheln???
irgendwas… mit: kuscheln???
die menschen fragten, eben.
aber es blieb ein rätsel.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.09.2012, 22:04

Herrlich, Pjesma! Eine wunderbare Idee, die das Schneckenhaus ganz neu aufgreift. Ich bin begeistert. :)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

pjesma

Beitragvon pjesma » 16.09.2012, 09:17

das freut mich sehr, flora, dass es dir gefällt :-)
lg, pjesma

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 16.09.2012, 10:50

Hallo pjesam,

kann mich Flora nur anschließen.
Der Ansatz für marinika trägt, ich denke, das könnte ein Textsammlung werden, die viele interessiert und - nach Lektorat - vielen gefällt, z.B. den traurigen Schönen (Bella Triste).

Grüße

Franz

Sam

Beitragvon Sam » 16.09.2012, 13:03

Gefällt mir auch sehr gut. Wirklich klasse!

Gruß

Sam

ecb

Beitragvon ecb » 16.09.2012, 15:52

pjesma hat geschrieben:wenn sie aus dem sicheren versteck im schneckenhaus auf die fragen der menschen antwortet, winden sich ihre scharfen worte spiral und chaotisch durch die kalkschwingungen der behäusung, verlieren ihre ecken und kanten und erreichen gepfeilt, gezähmt, verändert und lieblich… und, ja: etwas dumpf, diese drei kleinsten knochen in den ohren fragender mitmenschen.


Das Bild ist wunderbar treffend und wird in diesen Sätzen ganz unmittelbar sinnlich begreifbar. Und sonst? - Ja, unser Reden ist ein "Nuscheln", aus Höflichkeit, aus Verschonung, könnte man vielleicht auch sagen. Weil jeder nur versteht, was er verstehen will. Wir müssen uns schonen, uns selbst und uns gegenseitig. Jeder will am Ende nur etwas für sich selbst, Bekräftigung, Bestätigung.

Hierin scheint mir die herbe Einsicht dieses Textes zu bestehen, und einen durchdringenden Ausdruck hast du dafür gefunden, pjesma.

Übrigens: Ist "Marinika" ein Name? hat das Wort vielleicht eine bestimmte Bedeutung?


Liebe Grüße
Eva

pjesma

Beitragvon pjesma » 17.09.2012, 15:55

huch, hätte echt nicht gedacht das meine kleine grubelmarinika so ankommt :-)
danke euch
räuber, bin ich nicht etwas betagt für die traurige schöne? junge autorin bin ich höchstens noch beim kräftigem dämmerung ;-)))
auch dir ein dank, sam, freu mich dich ein bisschen angelockt zu haben ;-)
ecb: ja, das ist an sich ein bitterer text, der sich hinterm unernstem ton versteckt...es wurmt an mir diese medienaufgeblasene debate über "meinungsfreiheit"...ich möchte die meinungsfreiheit wirklich nicht missen, aber gelegentlich kommt mir respekt und rücksicht wichtiger vor...als jedes furz ungefiltert in die welt zu lassen. andersmal...eben nicht. ein sehr schmaler grat, die verständniss...
marinika bedeutet nichts besonders, eine abweichung (deminutiv) vom namen marina...ein mädchen in meiner grundschule hies so und ich war schier neidisch dass ich nicht so heiße ;-)))
lg euch, pjesma

ecb

Beitragvon ecb » 17.09.2012, 19:37

Ja, es ist ein ewiger Seiltanz, das mit der Meinungsfreiheit, sie hat wirklich mehrere Gesichter, ein paar vorne, ein paar hinten, je nachdem.

Einerseits kann es sich bei der Zurückhaltung um Schonung seiner Mitmenschen handeln, aber auch um Angst, um die Angst vor Verletzung, vor dem Verlust von Zuneigung, Anerkennung, Respekt, Beliebtheit, sogar vor Verfolgung.

Die freie Meinungsäußerung kann andererseits sowohl ein Akt der Freiheit sein, die Ausübung eines Menschenrechts, aber auch eine aggressive Handlung, die auf Kosten anderer geht.

Zu beidem fällt mir so viel ein, und dein Text hat den Konflikt, die Ambivalenz des freien Sprechens gut zum Ausdruck gebracht, pjesma.

Liebe Grüße
Eva

Gerda

Beitragvon Gerda » 24.09.2012, 12:04

Fein poetisch verwebt und dennoch eine große Frage in den Raum gestellt, jene danach, ob man alles sagen darf, kann oder sollte ... oder den Menschen besser Honig um den Bart schmiert.

Ich habe das mit Vergnügen gelesen, liebe Pjesma.

Herzlich
Gerda

Edit ... hässliche Tippfehler korrigiert
Zuletzt geändert von Gerda am 24.09.2012, 19:58, insgesamt 1-mal geändert.

pjesma

Beitragvon pjesma » 24.09.2012, 19:47

vielen herzlichen dank, gerda :-)

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Beitragvon Eule » 25.09.2012, 09:50

Hallo pjesma, die Idee diese Textes gefällt mir und ich bin auch ein Fan Deiner Marinika. Eine kleine, kritische Anmerkung zum Textanfang habe ich diesmal aber schon:

Der erste Abschnitt wirkt durch seine lange Aufzählung (im zweiten Satz) auf mich zu gedrechselt, das paßt für mich nicht ganz zur danach folgenden Beschreibung des "Nuscheln".
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.09.2012, 20:58

Liebe pjesma,

mir gefällt die Idee auch und Marinika mag ich ja sowieso - allerdings gerät mir diese Passage etwas zu sehr ins Kitschige - was für mich dadurch entsteht, dass es optisch hingehuscht aussieht (gemäßigte Kleinschreibung, viele Satzzeichen hintereinander, nur Umbruche, keine Absätze usf.), du vor marinika einen bestimmten Artikel und die starke abgrenzung zu "den anderen". Insgesamt erscheint mir dadurch Marinikas Abgrenzung/Sonderstellung zu gewollt, zu präsent und ich entferne mich von mir.

Es ist vielleicht immer eine sehr feine Angelegenheit und den meisten geht es ja anders, aber bei mir hat es hier nicht richtig gefunkt.

liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

pjesma

Beitragvon pjesma » 26.09.2012, 08:12

hallo eule, hallo lisa, danke für die rückmeldungen :-)
ja, eule, tatsächlich könnte man in dem zweitem satz ein paar aufzählungen wegstreichen, wie auch artikel die (Lisa)...aber will ich das? die muss bleiben, für meine begriffe, das verbindet alle abschnitte, wie auch eine idee von melancholischem, über boshaftem, bis lächerlichen usw usw alterndem infant terrible--- da möchte ich mir alle türe offen lassen, auch möglicherweiße manchmal die kitschtüre...es mag dann schon sein das eine oder andere abweicht und nicht für alle leser funkt. muss ich damit leben, wenn ich s "ungezäunt" lassen möchte ;-)

lg euch, pjesma

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 26.09.2012, 17:49

Liebe pjesma,

das waren auch keinerlei Änderungswünsche! Ich denke, bei so einem Projekt, bei dem es immer wieder verschiedene Ausschnitte aus Marinikas Leben gibt, wäre es eher hinderlich, wenn du einzelne verändern würdest. Aber wenn du mal so 100 zusammenhast, dann kannst du ja die Eindrücke von allen mal versammeln und schauen, was der tiefste und schönste Kern von allem ist :-)

Ich freu mich schon auf weitere Ausschnitte!

Lisa
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