Ich liebe Kammermusik und bin deshalb dies Jahr auf das Festival von Uppsala gefahren, wo sich Kammermusiker aus aller Herren Länder treffen. In der Kammermusik hält der sinnliche Genuss dem geistigen mühelos die Waage; Hirn und Herz werden gleichermaßen beschäftigt, ja, sie lehrt uns, mit dem Hirn zu fühlen und mit dem Herzen zu denken! Klaviertrios, Quar-, Quin- und Sextette, auch meine beiden Lieblinge von Ravel und Debussy – alles war vertreten, und Wolfgang Rihm hatte ein Quartett für Celesta, Bratsche, Marimba und Mezzosopran beigesteuert, das von einer spontan gebildeten senesisch-senegalesischen Gruppe uraufgeführt werden sollte.
Das wurde freilich durch einen Zwischenfall verzögert, der das ansonsten so gelungene Festival nicht unerheblich wie sagt man heute gern: aufmischte – pseudojugendlicher Provinzpresseslang, aber er passt zu dem, was geschah. Das Kongress- und Konserthus war bis auf den letzten Platz gefüllt, die Bühne, auf der die Musiker spielen sollten, war jedoch nach der Vorveranstaltung, wie wir meinten, nicht abgeräumt worden, es standen noch viel zu viele Stühle und Notenpulte beieinander, unruhig erörterten wir, wie sich die vier Musiker wohl dazwischenklemmen sollten. Aber dann geschah das Unfassbare: Kolonnen von blau Uniformierten mit Kurzhaarschnitt und martialischen Schnauzbärten, viele mit golden sich schlängelndem Messing, viele mit s-förmig gebogenem und geradem Silber ausgerüstet, zogen herein, nahmen diszipliniert und wortlos Platz, eine Schalmei gab das A vor, und ein tongewaltiges Stimmen setzte ein. Noch bevor wir überfahrenen Zuhörer uns zur Wehr setzen konnten, hatte ein kleiner dicker Kapellmeister, die elegant schlaffe Fliege verschwand fast unter dem Doppelkinn, das Dirigentenpult erklommen, hatte sich vom ausbleibenden Applaus ebenso wenig irritieren lassen wie von vereinzelten Pfiffen, und begann, seinem Orchester einen für unsere Ohren betäubenden Lärm zu entlocken, in dem sich immer deutlicher ein Marschrhythmus durchsetzte, der unsere Beine zu widerwilligem Zucken, unsere Köpfe zu unwirschem Nicken und unsere Herzen zur zögerlichen Anpassung ihrer Schlagzahl veranlasste. Gelegentlich säuselten die Oboen, polterten die Fagotte, näselten die Saxophone in fast obszöner Homophonie, nur um dann sogleich vom Röhren der Tuben und Sousaphone, vom kriegerischen Schmettern des Blechs überwältigt, vom wüsten Hämmern der großen, vom Wirbeln der kleinen Trommel und vom Donnern der kalbfellbespannten Kesselpauken zu Boden geschlagen zu werden.
Einige erhoben sich, um hinauszugehen, andere blieben sitzen, schauten sich mit Verachtungslächeln um, signalisierend, dass sie nicht blieben, weil – sondern obgleich! Ich will dem Lärm, der sich da über uns ergoss und von dem ich mich frage, ob er unter den Begriff Musik subsumiert zu werden verdient, nicht die Ehre weiterer Schilderung antun! Viel schlimmer als er selbst war seine Folge. Der Veranstalter entschuldigte sich wegen des Planungsfehlers – angeblich hatte eine veraltete indische Software ihm diesen Streich gespielt. Das Festival wurde fortgesetzt – aber unsere Ohren empfanden jetzt die Kammermusik als zaghaft, zimperlich, leise, als scheu, dürftig, schüchtern, verzagt und halbherzig. Unsere Trommelfelle brauchten Tage, um sich von der Marschfolter zu erholen, der uns das eingeschmuggelte Musikkorps der Kunglig Swensk Flygwapen unterzogen hatte, und als sie sich halbwegs erholt hatten, war das Festival zuende, ja, es war, ehrlich gesagt, schon vorher auseinandergelaufen. Und noch heute ist mir oft, wenn ich die subtilen Feinheiten eines Streichquartetts zu erlauschen versuche, als rollten fett swingende Brassriffs alles unter sich begrabend in frivoler Selbstgefälligkeit darüber.
Verstörung
Schöne Beschreibung, Quoth,
ein ähnliches Erlebnis vergällte mir auf lange Zeit die Don Giovanni-Arie 'Reich mir die Hand, mein Leben' (Là ci darem la mano), die der Deutschlandfunk einst in einer Fassung für Militärkapelle zu Gehör brachte, da schlich sich mit dem Blech so ein drohender Unterton ein ...
Grüße
Franz
ein ähnliches Erlebnis vergällte mir auf lange Zeit die Don Giovanni-Arie 'Reich mir die Hand, mein Leben' (Là ci darem la mano), die der Deutschlandfunk einst in einer Fassung für Militärkapelle zu Gehör brachte, da schlich sich mit dem Blech so ein drohender Unterton ein ...
Grüße
Franz
Ich habe gestern gelesen: Ist eine Melodie erst mal verklingeltont, braucht das Gehirn eine Abstinenz von mehreren Jahren, bis man diese Melodie wieder "original" wahrnehmen kann ...
Händelkonzerte in einer Fassung für Steeldrums (habe ich auch schon gehört) sind, verglichen damit, durchaus erfrischend.
Schöne Grüße
Zefira
Händelkonzerte in einer Fassung für Steeldrums (habe ich auch schon gehört) sind, verglichen damit, durchaus erfrischend.
Schöne Grüße
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
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