Quittung
Ich war auf einer düsteren Party, in deren Mittelpunkt standest Du. Und warst zugleich die Gastgeberin. Du warfst mir nicht geradezu vor, da zu sein, aber in Ordnung fandest Du es nicht. Du sagtest, ich sollte wenigstens einen finanziellen Beitrag leisten. Ich fragte Dich, ob 20 Euro angemessen seien. Du nicktest gnädig. Ich brachte einen Zettel und bat Dich, mir den Betrag zu quittieren. Das tatest Du. Ich wollte schon gehen, dann fragtest Du mich, ob ich nicht noch einen Zettel hätte. Wofür, wollte ich wissen. Du hättest mir was mitzuteilen, sagtest Du, und das ginge nur schriftlich. Verzweifelt suchte ich nach einem geeigneten Zettel, fand aber keinen. Als ich erwachte, war ich vor Kummer ganz krank, dass ich nun nicht erfahren würde, was Du mir noch mitteilen wolltest. Dieser Kummer verließ mich den ganzen Tag nicht, und ich beschloss, nachzuschauen, ob Du noch im Telefonbuch stehst. Das war nicht der Fall. Nur Deinen Sohn fand ich und rief ihn an. Er sagte mir, dass Du seit Dezember nicht mehr lebst. Ob ich der und der sei. Das bejahte ich. Du hättest ihm aufgetragen, mir etwas zu bestellen, falls ich mich noch mal meldete. Ich hörte Geraschel. Dann rief er: „Ida! Ida! Weißt du noch, wo ich Mutters Zettel hingelegt habe?“ Eine Frauenstimme im Hintergrund sagte was Verneinendes. Es raschelte. „Tut mir leid,“ sagte er dann. „Ich hab ja Ihre Nummer auf dem Display. Falls ich ihn finde, ruf ich zurück.“
Zuletzt geändert von Quoth am 01.03.2012, 11:37, insgesamt 1-mal geändert.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.
Hallo Quoth,
gekonnt! Das ist richtig fies. Der Sohn hat den ersehnten Zettel in der Hand, aber teilt den Inhalt nicht mit. Die quälende Ungewissheit geht weiter.
Ein peanut:
ein "zu" zu viel.
Liebe Grüße
Gabi
gekonnt! Das ist richtig fies. Der Sohn hat den ersehnten Zettel in der Hand, aber teilt den Inhalt nicht mit. Die quälende Ungewissheit geht weiter.
Ein peanut:
Quoth hat geschrieben:Du hättest mir was zu mitzuteilen, sagtest Du, und das ginge nur schriftlich.
ein "zu" zu viel.
Liebe Grüße
Gabi
Ja, gefällt mir auch sehr gut. Am Anfang dachte ich, Präsens wäre viel angenehmer gewesen (ua. weil die ganzen "-test" in dieser Fülle nerven), aber er wacht ja auf und dann wäre es schräg. Wenigstens hast du auf das grammatikalisch richtige Plusquamperfekt verzichtet.
Sehr berührend ohne meine Kitschgrenze zu überschreiten.
LG
Nifl
Sehr berührend ohne meine Kitschgrenze zu überschreiten.
LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)
Hallo Quoth,
inhaltlich mag ich die Idee, auch den darin steckende Gedanke, dass seine quälende Ungewissheit hier stärker wirkt, als ihr Tod, aber sprachlich kann mich dieser Text leider nicht einfangen oder überzeugen.
Interessanterweise geht es mir ganz anders als meinen Vorkommentatoren. Es berührt mich nicht.
Es klingt für mich so ungelenk, als ob man jemandem (sich) etwas "frisch" Erlebtes erzählen würde, noch selbst ganz beeindruckt und begeistert davon, durchsetzt mit Umgangssprachlichem und einem Schuss dramatischer Steigerung. Das wechselt sich jedoch ab mit einer etwas gestelzten Schriftsprache, die zu dieser Unmittelbarkeit nicht passt. Am ehesten erinnert es mich im Moment an einen Tagebucheintrag in Stakkatosätzen mit nachgeschobenen Erklärungen (viel tell wenig show) und einer Umständlichkeit, die aber weder den Traum für mich erfassen und sichtbar-, oder spürbar machen kann, noch das wache Erleben oder die behaupteten Emotionen.
Das könnte natürlich als Darstellung eines Tagebucheintrages und der Thematisierung der Schwierigkeiten des Erzählens gerade von Träumen auch interessant sein, war aber vermutlich nicht deine Intention (?) und wenn, wäre sie für mich nicht genug herausgearbeitet.
Ich frage mich vor allem, in welcher Form hier vom ProsaIch erzählt werden soll (mündlich, gedanklich, schriftlich?). Aber auch, warum er es dem Du erzählt, als Vorhaltung? Und ich hatte das Gefühl, dass trotz der Ansprache im Grunde nicht dem Du erzählt wird, sondern dem Leser. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass nichts Persönliches auftaucht.
Liebe Grüße
Flora
inhaltlich mag ich die Idee, auch den darin steckende Gedanke, dass seine quälende Ungewissheit hier stärker wirkt, als ihr Tod, aber sprachlich kann mich dieser Text leider nicht einfangen oder überzeugen.
Interessanterweise geht es mir ganz anders als meinen Vorkommentatoren. Es berührt mich nicht.
Es klingt für mich so ungelenk, als ob man jemandem (sich) etwas "frisch" Erlebtes erzählen würde, noch selbst ganz beeindruckt und begeistert davon, durchsetzt mit Umgangssprachlichem und einem Schuss dramatischer Steigerung. Das wechselt sich jedoch ab mit einer etwas gestelzten Schriftsprache, die zu dieser Unmittelbarkeit nicht passt. Am ehesten erinnert es mich im Moment an einen Tagebucheintrag in Stakkatosätzen mit nachgeschobenen Erklärungen (viel tell wenig show) und einer Umständlichkeit, die aber weder den Traum für mich erfassen und sichtbar-, oder spürbar machen kann, noch das wache Erleben oder die behaupteten Emotionen.
Das könnte natürlich als Darstellung eines Tagebucheintrages und der Thematisierung der Schwierigkeiten des Erzählens gerade von Träumen auch interessant sein, war aber vermutlich nicht deine Intention (?) und wenn, wäre sie für mich nicht genug herausgearbeitet.
Ich frage mich vor allem, in welcher Form hier vom ProsaIch erzählt werden soll (mündlich, gedanklich, schriftlich?). Aber auch, warum er es dem Du erzählt, als Vorhaltung? Und ich hatte das Gefühl, dass trotz der Ansprache im Grunde nicht dem Du erzählt wird, sondern dem Leser. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass nichts Persönliches auftaucht.
Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
Hallo Flora,
es handelt sich, wie Du richtig vermutest, um eine Tagebucheintragung, die ich freilich erweiterte.
Das Du wird in dem Moment fragwürdig, wo klar wird, dass es sich an eine Tote richtet.
Deshalb überlege ich, am Schluss zu schreiben:
"Er sagte mir, dass seine Mutter im Dezember verstarb. Ob ich der und der sei. Das bejahte ich. Sie habe ihm aufgetragen, mir etwas zu bestellen, falls ich mich noch mal meldete."
Das würde die Kommunikationssituation etwas entspannen!
Gruß
Quoth
es handelt sich, wie Du richtig vermutest, um eine Tagebucheintragung, die ich freilich erweiterte.
Das Du wird in dem Moment fragwürdig, wo klar wird, dass es sich an eine Tote richtet.
Deshalb überlege ich, am Schluss zu schreiben:
"Er sagte mir, dass seine Mutter im Dezember verstarb. Ob ich der und der sei. Das bejahte ich. Sie habe ihm aufgetragen, mir etwas zu bestellen, falls ich mich noch mal meldete."
Das würde die Kommunikationssituation etwas entspannen!
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.
Dass es raschelt, habe ich nicht als Anzeichen gelesen, dass der Zettel vorliegt. Es könnte genauso gut sein, dass der Sohn, während er den Hörer ans Ohr hält, mit der anderen Hand einen Zettelberg vergebens durchwühlt.
Was ich aus dem Text herauslese, ist eine Kumulation von vergeblichen Versuchen, Kontakt aufzunehmen. Das Wesentliche wird nie einfach gesagt, sondern durch Kanäle vermittelt, die obendrein nicht richtig funktionieren; irgendetwas liegt immer im Weg. Das mit der Nummer auf dem Display am Ende kommt mir wie ein schlechter Scherz vor. Mit Sicherheit ist die Nummer gleich nach Ende des Gesprächs im Datenhimmel verschwunden und wenn der Sohn den Zettel tatsächlich finden sollte, wird er die Nummer des Erzählers vergebens suchen; und wenn er sie endlich gefunden hat, ist inzwischen der Erzähler verstorben ... Klingt ein wenig nach Kafka.
Gruß von Zefira
Was ich aus dem Text herauslese, ist eine Kumulation von vergeblichen Versuchen, Kontakt aufzunehmen. Das Wesentliche wird nie einfach gesagt, sondern durch Kanäle vermittelt, die obendrein nicht richtig funktionieren; irgendetwas liegt immer im Weg. Das mit der Nummer auf dem Display am Ende kommt mir wie ein schlechter Scherz vor. Mit Sicherheit ist die Nummer gleich nach Ende des Gesprächs im Datenhimmel verschwunden und wenn der Sohn den Zettel tatsächlich finden sollte, wird er die Nummer des Erzählers vergebens suchen; und wenn er sie endlich gefunden hat, ist inzwischen der Erzähler verstorben ... Klingt ein wenig nach Kafka.
Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Zefira hat geschrieben:Dass es raschelt, habe ich nicht als Anzeichen gelesen, dass der Zettel vorliegt. Es könnte genauso gut sein, dass der Sohn, während er den Hörer ans Ohr hält, mit der anderen Hand einen Zettelberg vergebens durchwühlt.
Ja, Zefira, so war es gemeint. Vielen Dank!
Hallo Renée,
"ohne Firlefanz" - danke!
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.
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