Sucht
Verfasst: 01.11.2011, 09:39
In der Bahnhofsvorhalle herrscht Gedränge. Menschen sind gerade angekommen und Menschen wollen fort. Ein Gewusel. In der Mitte stehen Buden mit allerlei Schnickschnack wie auf einem Weihnachtsmarkt. Noch nie habe ich mir die Ware genauer angesehen, Schmuck und Geldbörsen, an einem Pfahl hängen Handtaschen und Halstücher. An der ausgangsseitigen Wand der Halle prangte immer groß der Schriftzug der heidelberger Druckmaschinen mit einer aufgemalten Weltkarte darunter und roten Punkten der Verkaufsstandorte. Nun ist die Wand grau und die Aktie fast ein Pennystock. Eine Frau stellt sich mir in den Weg. Maike. Scheiße Maike. Die letzten drei Jahre habe ich genau das befürchtet. Wir sehen uns an als können wir es beide nicht fassen, als sei das Gegenüber nur eine surreale Erscheinung.
Sie ist älter geworden. Deutlich zeichnen sich Linien um ihren Mund ab. Sie teilen das Gesicht auf in Augen, Wangen und Mund. Es wirkt härter als ich es in Erinnerung habe, beinahe verbissen. Sie hat abgenommen, ihr Hals ist dünn und sehnig, wirkt zerbrechlich. Vielleicht liegt es auch an ihrer dunkelblonden Lockenpracht, die den Kopf größer sein lässt. Sie sieht aus wie eine Frau, die gegen das Älterwerden kämpft, die Augenbrauen akkurat zieht, dass sie nur noch zwei fein geschwungene Andeutungen sind. Die Lippen glänzen rosig. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes Oberteil.
Ich sage endlich: "Du siehst noch gut aus". Und ärgere mich umgehend über das "noch". Als hätte ich ihren Humor vergessen. Ihre Falten um den Mund werden kreisrund. Ihre Augen liegen in Höhlen, strahlen aber genauso kätzisch grün wie damals, durchbohren mich, kratzen meinen Rücken blutig.
"Frag nicht wie es mir geht!"
Sie lacht: "Ganz der Alte."
Wenn sie lacht, zieht sie mich wieder an. Dann wird mir leicht. Dann bin ich auf einer Insel. Dann wird mir alles egal. Dann fühle ich befreit, einerlei wie schlecht es mir gerade geht.
Ich will mehr und sage: "Mönsch, groß bist du geworden", streiche ihr übers Haar, das sich klebrig hart nach Haarspray anfühlt. Sie gluggst wieder, sagt: "Ich habe dich vermisst. Du hast dich einfach verdrückt damals, deine Telefonnummer gewechselt, bist umgezogen".
Ja. Wegen dir.
"Ich wollte neu anfangen".
Sie legt ihren Kopf schief: "War ich denn so schlimm?"
"Schlimmer"
"Harr harr. Das hat mich verletzt."
"Du warst verheiratet"
"Na und? Habe ich deshalb schlechter gefickt?", fragt sie zu laut, weil sie weiß, dass ich mich dann umschaue. Ein Reflex. Die Leute. Aber es interessiert sie nicht.
"Du bist immer noch vulgär". Früher sagte ich immer: "Du bist wieder flippig."
Sie zieht meinen Kopf zu sich heran. Ich spüre ihren Ehering an meinem Hals. Sie riecht nach Trésor, flüstert direkt in mein Ohr: "Das gefällt dir doch in Wirklichkeit".
Ich schiebe sie sachte weg.
"Es ist vorbei. Lange vorbei. Und es gibt auch keine Neuauflage"
"Bin ich dir zu alt?"
"Quatsch." Es entsteht eine Pause und wie zur Entschuldigung füge ich an: "Ich habe eine Freundin."
"Na und?"
"Hör auf damit. Du, ich muss jetzt eh weiter, war schön..." sie unterbricht mich: "Ich fahre dich!"
"Nein! Kapier das doch!" Das war zu schroff. Zu laut. Ich wanke. Nein, keinen Kaffee, nichts. Geh!
Sie schaut mir direkt in die Augen. Verloren irgendwie. Enttäuscht. Flehend. Bring uns zum Lachen. Nur ein bisschen lachen. Ein bisschen Insel. Sonst nichts. Was soll schon passieren? Dann ist wieder Schluss. Versprochen.
Yorick Anmerkungen eingearbeitet.
Sie ist älter geworden. Deutlich zeichnen sich Linien um ihren Mund ab. Sie teilen das Gesicht auf in Augen, Wangen und Mund. Es wirkt härter als ich es in Erinnerung habe, beinahe verbissen. Sie hat abgenommen, ihr Hals ist dünn und sehnig, wirkt zerbrechlich. Vielleicht liegt es auch an ihrer dunkelblonden Lockenpracht, die den Kopf größer sein lässt. Sie sieht aus wie eine Frau, die gegen das Älterwerden kämpft, die Augenbrauen akkurat zieht, dass sie nur noch zwei fein geschwungene Andeutungen sind. Die Lippen glänzen rosig. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes Oberteil.
Ich sage endlich: "Du siehst noch gut aus". Und ärgere mich umgehend über das "noch". Als hätte ich ihren Humor vergessen. Ihre Falten um den Mund werden kreisrund. Ihre Augen liegen in Höhlen, strahlen aber genauso kätzisch grün wie damals, durchbohren mich, kratzen meinen Rücken blutig.
"Frag nicht wie es mir geht!"
Sie lacht: "Ganz der Alte."
Wenn sie lacht, zieht sie mich wieder an. Dann wird mir leicht. Dann bin ich auf einer Insel. Dann wird mir alles egal. Dann fühle ich befreit, einerlei wie schlecht es mir gerade geht.
Ich will mehr und sage: "Mönsch, groß bist du geworden", streiche ihr übers Haar, das sich klebrig hart nach Haarspray anfühlt. Sie gluggst wieder, sagt: "Ich habe dich vermisst. Du hast dich einfach verdrückt damals, deine Telefonnummer gewechselt, bist umgezogen".
Ja. Wegen dir.
"Ich wollte neu anfangen".
Sie legt ihren Kopf schief: "War ich denn so schlimm?"
"Schlimmer"
"Harr harr. Das hat mich verletzt."
"Du warst verheiratet"
"Na und? Habe ich deshalb schlechter gefickt?", fragt sie zu laut, weil sie weiß, dass ich mich dann umschaue. Ein Reflex. Die Leute. Aber es interessiert sie nicht.
"Du bist immer noch vulgär". Früher sagte ich immer: "Du bist wieder flippig."
Sie zieht meinen Kopf zu sich heran. Ich spüre ihren Ehering an meinem Hals. Sie riecht nach Trésor, flüstert direkt in mein Ohr: "Das gefällt dir doch in Wirklichkeit".
Ich schiebe sie sachte weg.
"Es ist vorbei. Lange vorbei. Und es gibt auch keine Neuauflage"
"Bin ich dir zu alt?"
"Quatsch." Es entsteht eine Pause und wie zur Entschuldigung füge ich an: "Ich habe eine Freundin."
"Na und?"
"Hör auf damit. Du, ich muss jetzt eh weiter, war schön..." sie unterbricht mich: "Ich fahre dich!"
"Nein! Kapier das doch!" Das war zu schroff. Zu laut. Ich wanke. Nein, keinen Kaffee, nichts. Geh!
Sie schaut mir direkt in die Augen. Verloren irgendwie. Enttäuscht. Flehend. Bring uns zum Lachen. Nur ein bisschen lachen. Ein bisschen Insel. Sonst nichts. Was soll schon passieren? Dann ist wieder Schluss. Versprochen.
Yorick Anmerkungen eingearbeitet.