Beitragvon Quoth » 10.02.2011, 09:26
Hallo Scarlett,
schön, Dich mal wieder zu lesen - und dann noch mit einem Prosatext. Ich mag ihn, habe selbst, als ich jung war, so zu schreiben versucht. Bist Du selbst zufrieden mit dem Text? Oft stellt man ja ein, um herauszufinden, warum man unzufrieden ist ... Ich hätte da eine Theorie: Der Text will zweierlei gleichzeitig - eine Geschichte erzählen, aber das in lyrischer Prosa. Geglückt scheint mir die Synthese nicht. Woran liegt das? In Geschichten spielen Abfolge, Dramaturgie, Kausalität, Moral eine große Rolle, in der lyrischen Prosa verschwindet das alles hinter dem Wortschmuck.
Die Geschichte ist recht einfach zusammengefasst: Ein deutsches Mädchen, das in Burgund (Lyon?) studiert, wird überraschend von Pierre, einem ehemaligen Liebhaber, aufgesucht, der aber nur gekommen ist, um Abschied von ihr zu nehmen. Als das Mädchen nach der Liebesnacht erwacht, ist er schon wieder fort. Was wir auch erfahren, ist, dass er aus einem der ärmsten Länder der Welt stammt, wahrscheinlich einer der ehemaligen französischen Kolonien Afrikas (Burkina Faso?) und dass er das Leben dort dem Mädchen nicht zumuten will, zumal er dort sicherlich auch "ein anderer" wäre als in Europa.
Das ist alles sehr interessant, und die Geschichte könnte versuchen, diesen kulturellen Zusammenstoß bis in die Tiefe auszuleuchten, aber sie flüchtet sich (das ist jetzt meine Bewertung) in die schönen Bilder, eben die lyrische Prosa, die dann schnell aufgesetzt wirkt (z.B. Pierre riecht nach "Vanille auf Mahagoni" und hat "Brombeerhaar", sein Atem ist ein "rauschender Hochlandwind"). Da steht für mein Gefühl die lyrische Prosa der Geschichte und die Geschichte der lyrischen Prosa im Weg.
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.