Sortiment-Exoten
Verfasst: 26.01.2011, 01:46
Sortiment-Exoten
Was meinen Haushalt betrifft, so praktiziere ich dort eine Form von Pragmatismus, die ein wenig anstrengend ist. Ich ersetze die Dinge des täglichen Lebens prinzipiell erst dann, wenn sie wirklich ersetzt werden müssen. Damit meine ich, ich benötige so etwas wie einen Impuls, um mich zu einem Einkauf motivieren zu können. Heute zum Beispiel den Impuls, nicht duschen zu können, weil aus dem Duschgel nun wirklich endgültig kein Tropfen mehr herauszuquetschen ist.
Diese Angewohnheit führt dazu, dass ich bestimmte Dinge oftmals dort kaufe, wo es sie eigentlich gar nicht geben dürfte. Zahnpasta beim Kiosk. Eier im Drogeriemarkt. Zigaretten beim Pizzaservice (das mitzubestellende Hauptgericht nehme ich dafür in Kauf). Ich gehöre zur kleinen, sehr speziellen Kundschaft für Sortiment-Exoten.
Natürlich geht es dabei in Wirklichkeit nicht um Pragmatismus, vielmehr um Phlegma bis hin zu völliger Inaktivität infolge weitestgehender Planungsvermeidung. Indem ich die Zukunft (also zum Beispiel den nächsten Tag) so lange aus meinem Denkradius verdränge, bis sie sich in der Gegenwart auflöst, hab ich das überlegene Gefühl, die Zeit auszutricksen: sie auszusitzen, auszuschließen. Gelassen verfolge ich von meinem Sofa aus, wie sie draußen vorüberzieht, ohne mich auch nur wahrzunehmen. Sollen sich die anderen doch von ihr um die Ecken jagen lassen, ich führe eine punktuelle Existenz, die dem Blick an den Horizont, hinter dem sich die Welt naturgemäß ohne mich weiterdreht, zu trotzen imstande ist. Der Gedanke ans eigene Verschwinden ist der Nachhaltigste von allen und er ist der Vater aller Gedanken, die um die Zukunft kreisen. Ich verweigere mich ihm in aller Konsequenz. Und bezahle den Preis dafür regelmäßig an der Tanke und am Kiosk in Form eines saftigen Aufschlags, der für die Sortiment-Exoten dort selbstverständlich fällig wird.
Und dann gibt es noch etwas anderes, das ich mir diesen Aufschlag kosten lasse, vielleicht der eigentliche Gegenwert dafür. Wie soll ich sagen: Es ist die Wärme, die an den Sortiment-Exoten haftet. Diese subtile Großstadtwärme, für die man vermutlich auch nur als Großstädter eine Antenne besitzt. Oder eigentlich haftet sie gar nicht an den Waren selbst, sondern an dem Blick, mit dem sie mir überreicht werden. Diesem Wir-wissen-beide-dass-du-es-mal-wieder-verpeilt-hast-dich-um-dein-Nötigstes-zu-kümmern-aber-ich-bin-ja-da-Blick.
Ich denke zum Beispiel an den Blick des alten anatolischen Kioskbesitzers mit der zerklüfteten Haut im Gesicht, dem Frank-Sinatra-Timbre in der Stimme und den umtriebigen kleinen Händen, die ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit durch sein Reich dirigieren. Während er hinter seinem Tresen hervortritt, um mich höchst selbst einen halben Meter nach links zum Regal mit den Kondomen arabischen Fabrikats zu führen, hüllt er mich ein in seinen großväterlich wärmenden Blick, den er extra für mich reserviert hat, da bin ich mir sicher.
Ich denke auch an den Blick des flächig tätowierten Videotheken-Betreibers, der ein bisschen aussieht wie ein ausgemusterter Iggy-Pop-Roadie. Der, bevor er sich weiter seinem David-Lynch-Film widmet, voll herzlicher Anteilnahme zwischen zwei Paletten Dosenbier den Wein des Hauses herauszieht und ihn mir mit den Worten „Einmal Rot, Meister, mit Grüßen an die Lady“ in die Hand (voller Geld) drückt.
Und ja, ich denke auch an den Blick der jungen, Kaugummi kauenden Tankstellenkraft, die während meines gesamten Aufenthalts angeregt mit ihrer Freundin telefoniert und mir nur ein einziges Mal tief in die Augen schaut: nachdem ich sie gefragt hab, ob ich bei ihr denn auch Klopapier bekomme. Aber selbstverständlich, gibt mir ihr Blinzeln zu verstehen, ich spiele gern die nette Nachbarin, die du nicht hast, und falls du sie hast, nicht kennst, und falls du sie kennst, niemals so gut kennst, dass du sie mit deinem Sanitärhygiene-Problem konfrontieren, geschweige denn diesbezüglich um Aushilfe bitten würdest.
Und ich blinzle mit. Ertappt blinzle ich mit und nehme ihre Gabe mit einem solch dämlich dankbaren Grinsen entgegen, dass sie denken muss, es geht dabei um mehr als um die Rettung meiner Gutenmorgentoilette.
Geht es ja auch. Denn kaum trete ich den Heimweg an, überkommt er mich wieder: der lauwarme Gut-dass-es-die-Tankstelle-gibt-Schauer, dieses bittersüße, einsame und zugleich heilsame Gefühl, das ich im Moment auf gar keinen Fall missen möchte.
Was meinen Haushalt betrifft, so praktiziere ich dort eine Form von Pragmatismus, die ein wenig anstrengend ist. Ich ersetze die Dinge des täglichen Lebens prinzipiell erst dann, wenn sie wirklich ersetzt werden müssen. Damit meine ich, ich benötige so etwas wie einen Impuls, um mich zu einem Einkauf motivieren zu können. Heute zum Beispiel den Impuls, nicht duschen zu können, weil aus dem Duschgel nun wirklich endgültig kein Tropfen mehr herauszuquetschen ist.
Diese Angewohnheit führt dazu, dass ich bestimmte Dinge oftmals dort kaufe, wo es sie eigentlich gar nicht geben dürfte. Zahnpasta beim Kiosk. Eier im Drogeriemarkt. Zigaretten beim Pizzaservice (das mitzubestellende Hauptgericht nehme ich dafür in Kauf). Ich gehöre zur kleinen, sehr speziellen Kundschaft für Sortiment-Exoten.
Natürlich geht es dabei in Wirklichkeit nicht um Pragmatismus, vielmehr um Phlegma bis hin zu völliger Inaktivität infolge weitestgehender Planungsvermeidung. Indem ich die Zukunft (also zum Beispiel den nächsten Tag) so lange aus meinem Denkradius verdränge, bis sie sich in der Gegenwart auflöst, hab ich das überlegene Gefühl, die Zeit auszutricksen: sie auszusitzen, auszuschließen. Gelassen verfolge ich von meinem Sofa aus, wie sie draußen vorüberzieht, ohne mich auch nur wahrzunehmen. Sollen sich die anderen doch von ihr um die Ecken jagen lassen, ich führe eine punktuelle Existenz, die dem Blick an den Horizont, hinter dem sich die Welt naturgemäß ohne mich weiterdreht, zu trotzen imstande ist. Der Gedanke ans eigene Verschwinden ist der Nachhaltigste von allen und er ist der Vater aller Gedanken, die um die Zukunft kreisen. Ich verweigere mich ihm in aller Konsequenz. Und bezahle den Preis dafür regelmäßig an der Tanke und am Kiosk in Form eines saftigen Aufschlags, der für die Sortiment-Exoten dort selbstverständlich fällig wird.
Und dann gibt es noch etwas anderes, das ich mir diesen Aufschlag kosten lasse, vielleicht der eigentliche Gegenwert dafür. Wie soll ich sagen: Es ist die Wärme, die an den Sortiment-Exoten haftet. Diese subtile Großstadtwärme, für die man vermutlich auch nur als Großstädter eine Antenne besitzt. Oder eigentlich haftet sie gar nicht an den Waren selbst, sondern an dem Blick, mit dem sie mir überreicht werden. Diesem Wir-wissen-beide-dass-du-es-mal-wieder-verpeilt-hast-dich-um-dein-Nötigstes-zu-kümmern-aber-ich-bin-ja-da-Blick.
Ich denke zum Beispiel an den Blick des alten anatolischen Kioskbesitzers mit der zerklüfteten Haut im Gesicht, dem Frank-Sinatra-Timbre in der Stimme und den umtriebigen kleinen Händen, die ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit durch sein Reich dirigieren. Während er hinter seinem Tresen hervortritt, um mich höchst selbst einen halben Meter nach links zum Regal mit den Kondomen arabischen Fabrikats zu führen, hüllt er mich ein in seinen großväterlich wärmenden Blick, den er extra für mich reserviert hat, da bin ich mir sicher.
Ich denke auch an den Blick des flächig tätowierten Videotheken-Betreibers, der ein bisschen aussieht wie ein ausgemusterter Iggy-Pop-Roadie. Der, bevor er sich weiter seinem David-Lynch-Film widmet, voll herzlicher Anteilnahme zwischen zwei Paletten Dosenbier den Wein des Hauses herauszieht und ihn mir mit den Worten „Einmal Rot, Meister, mit Grüßen an die Lady“ in die Hand (voller Geld) drückt.
Und ja, ich denke auch an den Blick der jungen, Kaugummi kauenden Tankstellenkraft, die während meines gesamten Aufenthalts angeregt mit ihrer Freundin telefoniert und mir nur ein einziges Mal tief in die Augen schaut: nachdem ich sie gefragt hab, ob ich bei ihr denn auch Klopapier bekomme. Aber selbstverständlich, gibt mir ihr Blinzeln zu verstehen, ich spiele gern die nette Nachbarin, die du nicht hast, und falls du sie hast, nicht kennst, und falls du sie kennst, niemals so gut kennst, dass du sie mit deinem Sanitärhygiene-Problem konfrontieren, geschweige denn diesbezüglich um Aushilfe bitten würdest.
Und ich blinzle mit. Ertappt blinzle ich mit und nehme ihre Gabe mit einem solch dämlich dankbaren Grinsen entgegen, dass sie denken muss, es geht dabei um mehr als um die Rettung meiner Gutenmorgentoilette.
Geht es ja auch. Denn kaum trete ich den Heimweg an, überkommt er mich wieder: der lauwarme Gut-dass-es-die-Tankstelle-gibt-Schauer, dieses bittersüße, einsame und zugleich heilsame Gefühl, das ich im Moment auf gar keinen Fall missen möchte.