Meine milden Exzesse
Das rechte Ohrläppchen meiner Mutter ist krumpelig, ich berühre es – ein Wagnis! – , während sie den Wagen lenkt, als Einleitung: Trinkst du auch genug. Eine gewagte, eine lächerliche Frage. Ihr Ohrläppchen fühlt sich nicht bedrohlich an, einfach nur weich und alt. Sie überrascht mich damit, dass sie rot wird, meine trotz allem zurückhaltende Mutter, und nach einem Zögern sanftmütig nickt: Jaja, morgens allein schon eine Kanne Tee. Sie mag nicht darüber reden, über das Alter, aber ich wage mich noch weiter vor in dieser uns ungewohnten Konversation: Wenn man älter wird, trinkt man nicht mehr so viel, hab ich gelesen. Man muss darauf achten, weißt du, Mama. Eine lächerliche Feststellung – wer, wenn nicht meine Mutter, sollte besser wissen, sich auskennen: mit dem Altwerden, mit dem Trinken, und mit der Gesundheit. Doch immer noch weist sie mich nicht ab, auch nicht zurück, sondern macht ein Gesicht, als hätte ich sie bei irgendwas ertappt, über das sie nun nachdenken muss.
Ich wundere mich auch über mich: Wie lange hab ich sie nicht mehr anzuschauen gewagt – nicht mal schüchtern (oder feige) von der Seite.
Später schaue ich wieder – ihr Ohr ist jetzt glatter, als hätte mein Blick allein es besänftigt.
(Meine milden Exzesse belächeln mich mit mildem Spott, und der immerjunge Schmerz im Magen fühlt sich an wie eine alte Heimat, aber das ist eine andere innere Angelegenheit.)
Meine milden Exzesse
Hallo Klara,
ein sprachlich gut zu lesender Text. Eine zarte Annäherung an den Punkt, an dem man vom umsorgten Kind zum umsorgenden Kind wird, an dem sich die Rollen wenden. Vielleicht noch einen Hauch zu zart? Vielleicht auch noch ein wenig zu viel Erklärung, die dann erst recht Erklärung fordert? Warum ist es ein Wagnis? Was ist mit "trotz allem" gemeint? Mag sie wirklich nicht über das Alter reden oder ist das nur eine Annahme? Könntest Du nicht noch etwas mehr zeigen, wie das LyrIch selber sich zwingt nachzuhaken und dann über die Antwort überrascht ist, statt es zu behaupten? Ich finde, das ist eine schöne kleine intime Szene, da kann man noch etwas mehr rausholen. Das heißt auf keinen Fall, dass schlecht ist, was Du gemacht hast. Ist eher ein Nachsinnen über Varianten.
Den Übergang zum letzten Satz verstehe ich nicht ganz. Du hast die "milden Exzesse" auch noch als Titel gewählt. Vielleicht sind Exzesse für mich etwas anderes als für Dich. Jedenfalls bleibt der Satz - zudem geklammert - abgelöst, fremd und unpassend. Und das Wortspiel der "milden Exzesse" steht arg im Rampenlicht. Das hält es meines Erachtens nicht aus, es wirkt ein wenig platt.
Liebe Grüße
Henkki
ein sprachlich gut zu lesender Text. Eine zarte Annäherung an den Punkt, an dem man vom umsorgten Kind zum umsorgenden Kind wird, an dem sich die Rollen wenden. Vielleicht noch einen Hauch zu zart? Vielleicht auch noch ein wenig zu viel Erklärung, die dann erst recht Erklärung fordert? Warum ist es ein Wagnis? Was ist mit "trotz allem" gemeint? Mag sie wirklich nicht über das Alter reden oder ist das nur eine Annahme? Könntest Du nicht noch etwas mehr zeigen, wie das LyrIch selber sich zwingt nachzuhaken und dann über die Antwort überrascht ist, statt es zu behaupten? Ich finde, das ist eine schöne kleine intime Szene, da kann man noch etwas mehr rausholen. Das heißt auf keinen Fall, dass schlecht ist, was Du gemacht hast. Ist eher ein Nachsinnen über Varianten.
Den Übergang zum letzten Satz verstehe ich nicht ganz. Du hast die "milden Exzesse" auch noch als Titel gewählt. Vielleicht sind Exzesse für mich etwas anderes als für Dich. Jedenfalls bleibt der Satz - zudem geklammert - abgelöst, fremd und unpassend. Und das Wortspiel der "milden Exzesse" steht arg im Rampenlicht. Das hält es meines Erachtens nicht aus, es wirkt ein wenig platt.
Liebe Grüße
Henkki
Versöhnungsfreude, so vermute ich immer, ist intensiver als Bekriegungsfreude. Deshalb bin ich Optimist. Wären beide Freuden gleich, wäre kein Wachstum. Wo nichts wächst, ist nichts, nicht einmal Krieg. Leider gibt es ohne vorausgehenden Krieg auch keinen Frieden, keine Versöhnungsfreude. Das ist der Preis dieser Freude. Was bleibt uns also nichts anderes übrig, als kostenlos apathisch zu werden, oder zu bezahlen, um uns zu freuen?
Prost
Pjotr
Prost
Pjotr
Hallo Pjotr,
das ist eine interessante Skizze, quasi erste Umrisse eines Essays, den du schreiben könntest, vielleicht solltest - hat aber mit meinem Text eher wenig zu tun, finde ich. Weder geht es um Krieg noch um Versöhnung, noch auch nur um Freude. Offenbar muss ich mich noch sehr viel genauer ausdrücken.
herzlich
klara
das ist eine interessante Skizze, quasi erste Umrisse eines Essays, den du schreiben könntest, vielleicht solltest - hat aber mit meinem Text eher wenig zu tun, finde ich. Weder geht es um Krieg noch um Versöhnung, noch auch nur um Freude. Offenbar muss ich mich noch sehr viel genauer ausdrücken.
herzlich
klara
Liebe Klara,
deine letzten Texte mochte ich alle (wenn ich auch oft nicht dazu gekommen bin, das zu schreiben, weil so viele sich so fein Gedanken gemacht haben, dass ein richtiges Gespräch in Gang kam, aber ich nicht die Zeit/Ruhe fand, da dann - nach meinem Gefühl - angemessen einzusteigen, ich möchte das aber wenigstens hier sagen, bevor ich dann...) (blabla .-)). Jedenfalls: Hier bei diesem Text geht es mir irgendwie anders, es ist nur eine Nuance, eigentlich gefällt mir die Perspektive, die Situation, die lebendigen Details (Ohrläppchen), anhand derer du erzählst. Es gefäll mir so eigentlich, dass ich mich sogar ein bisschen ärgere, dass ich dann letztlich nicht aufmachen kann. Woran liegt das?
Es liegt für mich in einer (nur sehr fein spürbaren) Haltung, einem Ton, der mir nicht zusagt, der sich (dann auch schon) im Titel findet: "Meine milden Exzesse" ~ wenn da stünde, meine kleinen Exzesse, aber "milde"? Da ist eine Art opferhafter Selbstgefälligkeit in der Stimme der Erzählinstanz, die um ein Haar verhindert, dass ich bei ihr bin. Das ganze wirkt auf mich (dann!) inszeniert und selbstgefällig (natürlich nicht nur oder vorherrschend, aber eben unterschwellig und grundsätzlich) und die Situation wird mir unangenehm. So wie ich mich der Erzählstimme nicht nahe fühle, zerfällt dann auch der scheinbar nahe Moment zwischen Mutter und Tochter und wird zu einer Inszenierung, die erfunden wird, weil man manchmal als Opfer genauso diesen Zustand braucht, sich als schwach positionierte "OK" zu finden wie den ganz im Ungefühl des Opfers verschluckt zu werden. Ich kann in diesem Zusammenhang auch etwas mit Pjotrs Antwort anfangen und finde nicht, dass er nichts zum oder über den Text sagt (wenn er auch einen Gestus hat, der klingt, als nähme jemand in einem Nebenzimmer das Lied, was gerade gespielt wurde, auf und spielte es einfach weiter, der andere verschwindet dadurch..). Trotzdem trifft er schon was und ich finde Vokabeln wie Bekriegungsfreude schon sehr nah am Kern des Textes.
Was ich mich allerdings frage, ist: Geht der Text da wirklich fehl? Oder überführt er mich. Tue ich ihm Unrecht. Denn ich habe schon öfter empfunden, dass wenn sich jemand, der sich eigentlich gegenüber jemand anderem nicht behaupten kann, sich dann auf seine Art doch behauptet ohne vorher noch einmal zu betonen, dass es sich ja eigentlich anders verhält,, sondern das sozusagen im Guten über sich miterzählt, oft genau in diesem Moment fallen gelassen wird. Man kriegt es irgendwie nicht auf die Reihe, dass der, den man aufmuntern will, eine Würde besitzen darf, ich meine eine unmittelbare Würde, die nicht in der Macht des Aufmunternden steht.
Mir fällt da etwa das Beispiel ein, dass ich immer wieder mitbekommen habe, wie einige zu Schulzeiten Außenseiter (sei es nun aus aufrichtigem Mitgefühl oder aus einer spontanen Gruppendynamik oder all sowas) dazu aufgefordert haben, bei irgendwas doch auch mal mitzumachen, tanzen etwa. Und wenn dann mal jemand dabei war, den diese Ansprache so aufrichtete, dass er gleich dabei war, so konnte das Mitleid - so meine Beobachtung - nicht aufrecht erhalten werden, auch wenne s vorher echt (gefühlt) war.
Ich hab mal in etwa geschrieben: "Und wenn dann keiner da war, der es ertrug, es ertragen wollte, dass man über seine Mängel hinweg den Kopf hoch trug, dann war man verloren...".
Keine Ahnung, ob ich dem hier auch verfalle...oder ob mein Gespür eine "Lüge" im Text aufdeckt (ich weiß es wirklich nicht).
liebe Grüße,
Lisa
deine letzten Texte mochte ich alle (wenn ich auch oft nicht dazu gekommen bin, das zu schreiben, weil so viele sich so fein Gedanken gemacht haben, dass ein richtiges Gespräch in Gang kam, aber ich nicht die Zeit/Ruhe fand, da dann - nach meinem Gefühl - angemessen einzusteigen, ich möchte das aber wenigstens hier sagen, bevor ich dann...) (blabla .-)). Jedenfalls: Hier bei diesem Text geht es mir irgendwie anders, es ist nur eine Nuance, eigentlich gefällt mir die Perspektive, die Situation, die lebendigen Details (Ohrläppchen), anhand derer du erzählst. Es gefäll mir so eigentlich, dass ich mich sogar ein bisschen ärgere, dass ich dann letztlich nicht aufmachen kann. Woran liegt das?
Es liegt für mich in einer (nur sehr fein spürbaren) Haltung, einem Ton, der mir nicht zusagt, der sich (dann auch schon) im Titel findet: "Meine milden Exzesse" ~ wenn da stünde, meine kleinen Exzesse, aber "milde"? Da ist eine Art opferhafter Selbstgefälligkeit in der Stimme der Erzählinstanz, die um ein Haar verhindert, dass ich bei ihr bin. Das ganze wirkt auf mich (dann!) inszeniert und selbstgefällig (natürlich nicht nur oder vorherrschend, aber eben unterschwellig und grundsätzlich) und die Situation wird mir unangenehm. So wie ich mich der Erzählstimme nicht nahe fühle, zerfällt dann auch der scheinbar nahe Moment zwischen Mutter und Tochter und wird zu einer Inszenierung, die erfunden wird, weil man manchmal als Opfer genauso diesen Zustand braucht, sich als schwach positionierte "OK" zu finden wie den ganz im Ungefühl des Opfers verschluckt zu werden. Ich kann in diesem Zusammenhang auch etwas mit Pjotrs Antwort anfangen und finde nicht, dass er nichts zum oder über den Text sagt (wenn er auch einen Gestus hat, der klingt, als nähme jemand in einem Nebenzimmer das Lied, was gerade gespielt wurde, auf und spielte es einfach weiter, der andere verschwindet dadurch..). Trotzdem trifft er schon was und ich finde Vokabeln wie Bekriegungsfreude schon sehr nah am Kern des Textes.
Was ich mich allerdings frage, ist: Geht der Text da wirklich fehl? Oder überführt er mich. Tue ich ihm Unrecht. Denn ich habe schon öfter empfunden, dass wenn sich jemand, der sich eigentlich gegenüber jemand anderem nicht behaupten kann, sich dann auf seine Art doch behauptet ohne vorher noch einmal zu betonen, dass es sich ja eigentlich anders verhält,, sondern das sozusagen im Guten über sich miterzählt, oft genau in diesem Moment fallen gelassen wird. Man kriegt es irgendwie nicht auf die Reihe, dass der, den man aufmuntern will, eine Würde besitzen darf, ich meine eine unmittelbare Würde, die nicht in der Macht des Aufmunternden steht.
Mir fällt da etwa das Beispiel ein, dass ich immer wieder mitbekommen habe, wie einige zu Schulzeiten Außenseiter (sei es nun aus aufrichtigem Mitgefühl oder aus einer spontanen Gruppendynamik oder all sowas) dazu aufgefordert haben, bei irgendwas doch auch mal mitzumachen, tanzen etwa. Und wenn dann mal jemand dabei war, den diese Ansprache so aufrichtete, dass er gleich dabei war, so konnte das Mitleid - so meine Beobachtung - nicht aufrecht erhalten werden, auch wenne s vorher echt (gefühlt) war.
Ich hab mal in etwa geschrieben: "Und wenn dann keiner da war, der es ertrug, es ertragen wollte, dass man über seine Mängel hinweg den Kopf hoch trug, dann war man verloren...".
Keine Ahnung, ob ich dem hier auch verfalle...oder ob mein Gespür eine "Lüge" im Text aufdeckt (ich weiß es wirklich nicht).
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Hallo Klara,
dieser Text geht mir sehr nahe, er packt einen Nerv bei mir. Deshalb hab ich ihn auch gewählt, ohne bisher kommentiert zu haben.
Jetzt hab ich aber doch das Bedürfnis, etwas dazu zu schreiben, rein aus dem Bauch heraus.
Für mich handelt es sich hier um eine kleine Szene, die jedoch eine ganze Geschichte und Entwicklung erzählt, ohne, dass sie erzählt werden muss. Dieser kleine Einblick ist sozusagen der zentrale Fokus eines großen Ganzen.
"Meine milden Exzesse" sagt für mich: Eigentlich will ich viel viel, so viel weiter gehen! Aber ich kann nicht. Ich kann bei meiner Mutter nicht weitergehen, aber ich habe es getan, diesen kleinen Schritt getan, der ein großer für mich ist. Und ich betrachte mich selbst und habe ein schlechtes Gewissen, möchte mich gleich wieder abstrafen, dass ich vielleicht im Viel-Weiter-Gehen, das ich so gerne möchte, schon mit diesem kleinen Weitergehen vielleicht doch schon zu weit gegangen bin. Dann kommt aber die innere Gegenstimme des inneren Zensurs und sagt: nein, das bist du nicht. Das war ok so. Das war ein guter Anfang. Und dann ist man überrascht und staunt und ist glücklich in diesem Moment.
Und deshalb ist das Wort "milde" für mich gut gewählt. Weil wir in uns eben auch einmal eine milde Stimme haben und nicht immer die strenge, selbstzensierende Stimme, die uns immer wieder davon abhält, einen Schritt weiterzugehen, ein eigentlich "verbotenes" Terrain zu betreten, weil man denkt, es wäre tabu, aber es gibt eben in Wirklichkeit keine Tabus zwischen Mutter und Tochter im Sinne von Miteinandersprechen über alles, Gefühle ausdrücken, etc., bzw., es dürfte sie nicht geben, und dennoch setzt man sie oder man denkt, sie sind gesetzt, sie sind Gesetz.
Saludos
Mucki
dieser Text geht mir sehr nahe, er packt einen Nerv bei mir. Deshalb hab ich ihn auch gewählt, ohne bisher kommentiert zu haben.
Jetzt hab ich aber doch das Bedürfnis, etwas dazu zu schreiben, rein aus dem Bauch heraus.
Für mich handelt es sich hier um eine kleine Szene, die jedoch eine ganze Geschichte und Entwicklung erzählt, ohne, dass sie erzählt werden muss. Dieser kleine Einblick ist sozusagen der zentrale Fokus eines großen Ganzen.
"Meine milden Exzesse" sagt für mich: Eigentlich will ich viel viel, so viel weiter gehen! Aber ich kann nicht. Ich kann bei meiner Mutter nicht weitergehen, aber ich habe es getan, diesen kleinen Schritt getan, der ein großer für mich ist. Und ich betrachte mich selbst und habe ein schlechtes Gewissen, möchte mich gleich wieder abstrafen, dass ich vielleicht im Viel-Weiter-Gehen, das ich so gerne möchte, schon mit diesem kleinen Weitergehen vielleicht doch schon zu weit gegangen bin. Dann kommt aber die innere Gegenstimme des inneren Zensurs und sagt: nein, das bist du nicht. Das war ok so. Das war ein guter Anfang. Und dann ist man überrascht und staunt und ist glücklich in diesem Moment.
Und deshalb ist das Wort "milde" für mich gut gewählt. Weil wir in uns eben auch einmal eine milde Stimme haben und nicht immer die strenge, selbstzensierende Stimme, die uns immer wieder davon abhält, einen Schritt weiterzugehen, ein eigentlich "verbotenes" Terrain zu betreten, weil man denkt, es wäre tabu, aber es gibt eben in Wirklichkeit keine Tabus zwischen Mutter und Tochter im Sinne von Miteinandersprechen über alles, Gefühle ausdrücken, etc., bzw., es dürfte sie nicht geben, und dennoch setzt man sie oder man denkt, sie sind gesetzt, sie sind Gesetz.
Saludos
Mucki
Hallo Lisa,
du hast ein sehr feines Ohr...
Ich mag deine (meine?) "opferhafte Selbstgefälligkeit" und das eine "Haar", das dich hindert - das macht mich reich. Dass du so liest.
Ob die Situation "inszeniert" ist? "Selbstgefällig" gar? Ich habe, ganz ehrlich, keine Ahnung, oder jedenfalls höchstens eine Ahnung, aber die bleibt hier unaufgedeckt.
Was ich daran nicht verstehe: Woher kommt ein Opfer? Woraus liest du das? (Das beunruhigt mich, denn ich hasse Opfer oder jedenfalls das Getue darum, und würde mich gern dabei ertappen, wenni ch in die Opferfalle tappe noch dazu, ohne es zu wissen! noch dazu schreibend!)
Jedenfalls, klar, geht es um die Wahrnehmung. Ums Detail. Bei der Wahrnehmung.
Mag sein, dass eine ""Lüge"" im Text ist. Dass sogar der Text eine wäre.
Danke!
klara
du hast ein sehr feines Ohr...
Ich mag deine (meine?) "opferhafte Selbstgefälligkeit" und das eine "Haar", das dich hindert - das macht mich reich. Dass du so liest.
Ob die Situation "inszeniert" ist? "Selbstgefällig" gar? Ich habe, ganz ehrlich, keine Ahnung, oder jedenfalls höchstens eine Ahnung, aber die bleibt hier unaufgedeckt.
So wie ich mich der Erzählstimme nicht nahe fühle, zerfällt dann auch der scheinbar nahe Moment zwischen Mutter und Tochter und wird zu einer Inszenierung, die erfunden wird, weil man manchmal als Opfer genauso diesen Zustand braucht, sich als schwach positionierte "OK" zu finden wie den ganz im Ungefühl des Opfers verschluckt zu werden.
Was ich daran nicht verstehe: Woher kommt ein Opfer? Woraus liest du das? (Das beunruhigt mich, denn ich hasse Opfer oder jedenfalls das Getue darum, und würde mich gern dabei ertappen, wenni ch in die Opferfalle tappe noch dazu, ohne es zu wissen! noch dazu schreibend!)
Jedenfalls, klar, geht es um die Wahrnehmung. Ums Detail. Bei der Wahrnehmung.
Mag sein, dass eine ""Lüge"" im Text ist. Dass sogar der Text eine wäre.
Danke!
klara
Hallo Gabriella,
spät aber doch noch antworte ich endlich auf deinen Kommentar, über den ich mich gefreut habe.
Er scheint mir so warmherzig zu sein! (Womit hätte der Text deine Wärme verdient? Ist er nicht kalt? Du liest ihn jedenfalls warm.)
Deine Lesart ist spannend für mich. Weiter gehen, ja! Wohin? Hin oder Weg? Von wem?
Ich finde schön, dass ich etwas öffnen kann damit.
Danke dir!
klara
spät aber doch noch antworte ich endlich auf deinen Kommentar, über den ich mich gefreut habe.
Er scheint mir so warmherzig zu sein! (Womit hätte der Text deine Wärme verdient? Ist er nicht kalt? Du liest ihn jedenfalls warm.)
Deine Lesart ist spannend für mich. Weiter gehen, ja! Wohin? Hin oder Weg? Von wem?
Ich finde schön, dass ich etwas öffnen kann damit.
Danke dir!
klara
Hallo Klara,
ja, ich lese ihn warmherzig. Für mich ist da keine Kälte. Vielleicht lese ich da keine Kälte, sondern diese Wärme, weil ich mich selbst in einem "milden Exzess" mit meiner Mutter befinde.
Wohin gehen? Weiter hin zur Mutter. Von der Tochter aus. Stein für Stein berühren und abbröckeln lassen. Dann reißt die Mutter die Steinmauer irgendwann ein, die sich über so viele Jahre aufgebaut hat.
Saludos
Mucki
ja, ich lese ihn warmherzig. Für mich ist da keine Kälte. Vielleicht lese ich da keine Kälte, sondern diese Wärme, weil ich mich selbst in einem "milden Exzess" mit meiner Mutter befinde.
Wohin gehen? Weiter hin zur Mutter. Von der Tochter aus. Stein für Stein berühren und abbröckeln lassen. Dann reißt die Mutter die Steinmauer irgendwann ein, die sich über so viele Jahre aufgebaut hat.
Saludos
Mucki
Liebe Klara,
das Opfer ist natürlich nur ein Spur, eine feine Verschiebung. Ja, woran mache ich das fest? Schwierig, das, was ich erspürt zu haben meine, genauer festzuhalten, aufzufinden, wahrcheinlich unmöglich, aber wichtig, es zu versuchen, denn man folgt ja nur zu gern einfach so solch einem Spürsinn und verliert sich da zu schnell in Spinnereien.
Bei mir geht das schon los mit der Überschrift: die Kombination von: Mein - und - milden - und Exzesse: Jemand macht "sich" zum Mittelpunkt des Erzählten. Zugleich definiert er das Geschehen als einen Exzess: eine Berührung des Ohrläppchen der Mutter bedeutet einen Exzess, was folgert man also ist das normale: eine zurückhaltende, getrennte, verschlossene, vielleicht ängstliche Haltung des Ich gegenüber der Mutter. Das "mild" zuletzt besetzt die Handlung zugleich als weich,zart, liebenswürdig. Für mich wird damit festgelegt, dass das Ich seinem Gegenüber (der Mutter, sich selbst) gegenüber fein eingestellt sein kann, sich um sie sorgt, diesen Blick haben kann.
Zugleich legt etwa dieser Satz fest:
wie die Mutter sonst zu sein scheint: abweisend, zurückweisend, verhalten (an anderer Stelle fallen Andeutungen, dass sie zuviel trinkt, einschüchtert).
Der Text ist also ("meine") egozentrisch angelegt und beschäftigt sich dann doch eher mit der Mutter bzw. der Haltung des Ichs zur Mutter. Gleichzeitig wird das ich als schwächer definiert, was das Machtgefälle angeht. Andererseits weiß das ich aber (in Form der Sorge) alles besser: dass man von einem weniger trinken sollte, von anderem mehr und das Ich erscheint dem Leser notwendig als zugänglicher, weicher und die Mutter als schwieriger und hart.
Für mich entsteht so eine Dissonanz, die ich typisch für eine opferhaltung halte (meist zurecht und auch zu unrecht oder sagen wir "nutzlos für alle"): einerseits die klare Unterordnung (oft gerade erzählt, bestimmt an einer Ausnahme (Exzess) bei zugleich (unterschwelliger) " moralischer" (innerer) "letztlicher" Überordnung.
Dass das so ist, ist nicht vorzuwerfen. Aber in einem Text braucht es in Bezug auf die Erzählinstanz (die ja nicht das Ich ist) irgendeine Form von Reflexion oder Positionierung zu dieser Haltung, damit - meiner Meinung nach - das verschwindet, was mir den Text irgendwo/nur ganz fein unangenehm werden lässt.
Na ja, irgendwie so...habs nicht richtig hinbekommen.
liebe Grüße,
Lisa
das Opfer ist natürlich nur ein Spur, eine feine Verschiebung. Ja, woran mache ich das fest? Schwierig, das, was ich erspürt zu haben meine, genauer festzuhalten, aufzufinden, wahrcheinlich unmöglich, aber wichtig, es zu versuchen, denn man folgt ja nur zu gern einfach so solch einem Spürsinn und verliert sich da zu schnell in Spinnereien.
Bei mir geht das schon los mit der Überschrift: die Kombination von: Mein - und - milden - und Exzesse: Jemand macht "sich" zum Mittelpunkt des Erzählten. Zugleich definiert er das Geschehen als einen Exzess: eine Berührung des Ohrläppchen der Mutter bedeutet einen Exzess, was folgert man also ist das normale: eine zurückhaltende, getrennte, verschlossene, vielleicht ängstliche Haltung des Ich gegenüber der Mutter. Das "mild" zuletzt besetzt die Handlung zugleich als weich,zart, liebenswürdig. Für mich wird damit festgelegt, dass das Ich seinem Gegenüber (der Mutter, sich selbst) gegenüber fein eingestellt sein kann, sich um sie sorgt, diesen Blick haben kann.
Zugleich legt etwa dieser Satz fest:
Doch immer noch weist sie mich nicht ab, auch nicht zurück, sondern macht ein Gesicht, als hätte ich sie bei irgendwas ertappt, über das sie nun nachdenken muss.
wie die Mutter sonst zu sein scheint: abweisend, zurückweisend, verhalten (an anderer Stelle fallen Andeutungen, dass sie zuviel trinkt, einschüchtert).
Der Text ist also ("meine") egozentrisch angelegt und beschäftigt sich dann doch eher mit der Mutter bzw. der Haltung des Ichs zur Mutter. Gleichzeitig wird das ich als schwächer definiert, was das Machtgefälle angeht. Andererseits weiß das ich aber (in Form der Sorge) alles besser: dass man von einem weniger trinken sollte, von anderem mehr und das Ich erscheint dem Leser notwendig als zugänglicher, weicher und die Mutter als schwieriger und hart.
Für mich entsteht so eine Dissonanz, die ich typisch für eine opferhaltung halte (meist zurecht und auch zu unrecht oder sagen wir "nutzlos für alle"): einerseits die klare Unterordnung (oft gerade erzählt, bestimmt an einer Ausnahme (Exzess) bei zugleich (unterschwelliger) " moralischer" (innerer) "letztlicher" Überordnung.
Dass das so ist, ist nicht vorzuwerfen. Aber in einem Text braucht es in Bezug auf die Erzählinstanz (die ja nicht das Ich ist) irgendeine Form von Reflexion oder Positionierung zu dieser Haltung, damit - meiner Meinung nach - das verschwindet, was mir den Text irgendwo/nur ganz fein unangenehm werden lässt.
Na ja, irgendwie so...habs nicht richtig hinbekommen.
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Hallo, Klara,
auch ich habe wie Gabriella gleich an meinen Umgang mit meiner Mutter denken müssen, an die Unsicherheiten, die sich aus dem von Zakkinen erwähnten Umschlagen vom "umsorgten Kind zum umsorgenden Kind" ergeben. Dass Lisa mit ihrer feinen Wünschelrute hier eine Opferrolle bei der Tochter ausmacht, ist richtig, aber warum nicht auch bei der Mutter? Denn sie ist es, die jetzt zum Objekt der Erziehung wird; ihr Erröten zeigt meines Erachtens, wie sie sich dessen schämt.
Dass alte Menschen dazu neigen, zu wenig zu trinken, und dass sich daraus die Gefahr einer Desikkation ergibt (die u.a. zu geistiger Verwirrtheit führen kann), ist allgemein bekannt und führt in Heimen dazu, dass täglich zum Trinken angeregt wird und leere Sprudel- bzw. Saftflaschen immer sofort erneuert werden. Das hat die Tochter gelesen und sich gut gemerkt, und als sie das schrumplige Ohrläppchen der Mutter sieht und fühlt, setzt sie dieses Wissen gleichsam altenpflegerisch um. Die Mutter spürt die Veränderung der Situation - und errötet.
Das finde ich sehr stark!
Gruß
Quoth
auch ich habe wie Gabriella gleich an meinen Umgang mit meiner Mutter denken müssen, an die Unsicherheiten, die sich aus dem von Zakkinen erwähnten Umschlagen vom "umsorgten Kind zum umsorgenden Kind" ergeben. Dass Lisa mit ihrer feinen Wünschelrute hier eine Opferrolle bei der Tochter ausmacht, ist richtig, aber warum nicht auch bei der Mutter? Denn sie ist es, die jetzt zum Objekt der Erziehung wird; ihr Erröten zeigt meines Erachtens, wie sie sich dessen schämt.
Dass alte Menschen dazu neigen, zu wenig zu trinken, und dass sich daraus die Gefahr einer Desikkation ergibt (die u.a. zu geistiger Verwirrtheit führen kann), ist allgemein bekannt und führt in Heimen dazu, dass täglich zum Trinken angeregt wird und leere Sprudel- bzw. Saftflaschen immer sofort erneuert werden. Das hat die Tochter gelesen und sich gut gemerkt, und als sie das schrumplige Ohrläppchen der Mutter sieht und fühlt, setzt sie dieses Wissen gleichsam altenpflegerisch um. Die Mutter spürt die Veränderung der Situation - und errötet.
Das finde ich sehr stark!
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.
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