Besuch
Verfasst: 04.05.2010, 11:34
Besuch
Die Luft reicht für zwanzig Schritte. Sechs Etappen bis in den Garten. Dazwischen Stühle, damit er sich ausruhen kann.
Er balanciert den Teller in der einen Hand, die Tasse in der anderen. Gleich ist es geschafft. Draußen frühstücken ist für ihn einer der Höhepunkte des Tages.
Früher hat er achtzig Kilometer an einem Tag gemacht. Mit dem Fahrrad ist er um die Bretagne gefahren. Über die Alpen. Durch Norwegen. Wenn er die Augen schließt, kommen die Bilder zurück. Wilde Wellen und rote Felsen. Schneebedeckte Kuppen, blauklare Fjorde, alles ist da.
Dann sitzt er am alten Holztisch. Er mag sich nicht trennen davon, hat zu oft hier gesessen.
Wie sie sich geärgert hat, wenn Wein oder Kaffee in das Holz sickerten und Spuren hinterließen. Er ist jetzt froh darüber. Morgens saßen sie meist schweigend hier. Gelegentlich ein Blick über die raschelnde Zeitung. Manchmal las einer von beiden ein Stückchen vor.
Die Stimmen verschwinden zuerst, dann die Gesichter. Die Düfte bleiben. Und die Ränder der Kaffeetassen auf dem Holz.
Er trinkt einen Schluck. Die Zeitung bringt Neues und Altes in den Garten. All die Unfälle, die Katastrophen. Und unter den schwarzgeränderten Anzeigen gelegentlich ein Name, den er aus einem anderen Leben kennt.
Hier kann er das aushalten, denn ein kleines Verschieben der Aufmerksamkeit verscheucht die Erinnerung wieder. Dann hört er die Spatzen in der Hecke, sieht das Rotkehlchen unter dem Holunderbusch.
Schließlich tritt er den Rückweg nach oben an. Sechs Etappen. Er wäscht den Teller ab und reibt sorgfältig die Spüle trocken. Er geht durch den Flur, hier hängen noch ihre Bilder. Gartenbilder. Margeriten, Rosen, Kirschbäume. Sie hat ihr Wesen hinein gemalt. Er lehnt sich an die Wand und betrachtet das Bild mit den Seerosen. Da war sie schon krank.
Später sitzt er in seinem Gartensessel, die Beine hochgelegt, und liest. Er hält sich gern in den Leben anderer auf. Auch wenn sie erfunden sind. Manchmal scheinen sie ihm wirklicher zu sein als das eigene. Sind seine Geschichten wirklich erlebt?
Eine Blaumeise setzt sich auf seinen Fuß und holt ihn zurück in seinen Garten. Er schaut zu, wie sie ihren Kopf dreht. Fast scheint ihr Blick fragend zu sein. Seine Gedanken sprechen mit ihr.
Als sie weiter fliegt, schaut er sich um.
Es gibt viel zu hören und zu sehen. Er begleitet die Tage, die kommen und gehen. Nimmt die Veränderung wahr, gerade jetzt im Frühling.
Gestern knitterten die Blätter der Blutbuche noch. Heute ziehen sie sich schon glatt. In den nächsten Tagen wird sich ihre Farbe verwandeln, das Rotbraun immer tiefer werden. Er liebt den Kontrast zum Himmel an Spätsommertagen.
Wenn er nicht mehr in die Welt kann, besucht sie ihn, denke ich und frage, was bleibt.
Dankbarkeit, sagt er. Und die Hoffnung, dass die Buche ihm im Sommer wieder ihren Schatten spenden wird.
Die Luft reicht für zwanzig Schritte. Sechs Etappen bis in den Garten. Dazwischen Stühle, damit er sich ausruhen kann.
Er balanciert den Teller in der einen Hand, die Tasse in der anderen. Gleich ist es geschafft. Draußen frühstücken ist für ihn einer der Höhepunkte des Tages.
Früher hat er achtzig Kilometer an einem Tag gemacht. Mit dem Fahrrad ist er um die Bretagne gefahren. Über die Alpen. Durch Norwegen. Wenn er die Augen schließt, kommen die Bilder zurück. Wilde Wellen und rote Felsen. Schneebedeckte Kuppen, blauklare Fjorde, alles ist da.
Dann sitzt er am alten Holztisch. Er mag sich nicht trennen davon, hat zu oft hier gesessen.
Wie sie sich geärgert hat, wenn Wein oder Kaffee in das Holz sickerten und Spuren hinterließen. Er ist jetzt froh darüber. Morgens saßen sie meist schweigend hier. Gelegentlich ein Blick über die raschelnde Zeitung. Manchmal las einer von beiden ein Stückchen vor.
Die Stimmen verschwinden zuerst, dann die Gesichter. Die Düfte bleiben. Und die Ränder der Kaffeetassen auf dem Holz.
Er trinkt einen Schluck. Die Zeitung bringt Neues und Altes in den Garten. All die Unfälle, die Katastrophen. Und unter den schwarzgeränderten Anzeigen gelegentlich ein Name, den er aus einem anderen Leben kennt.
Hier kann er das aushalten, denn ein kleines Verschieben der Aufmerksamkeit verscheucht die Erinnerung wieder. Dann hört er die Spatzen in der Hecke, sieht das Rotkehlchen unter dem Holunderbusch.
Schließlich tritt er den Rückweg nach oben an. Sechs Etappen. Er wäscht den Teller ab und reibt sorgfältig die Spüle trocken. Er geht durch den Flur, hier hängen noch ihre Bilder. Gartenbilder. Margeriten, Rosen, Kirschbäume. Sie hat ihr Wesen hinein gemalt. Er lehnt sich an die Wand und betrachtet das Bild mit den Seerosen. Da war sie schon krank.
Später sitzt er in seinem Gartensessel, die Beine hochgelegt, und liest. Er hält sich gern in den Leben anderer auf. Auch wenn sie erfunden sind. Manchmal scheinen sie ihm wirklicher zu sein als das eigene. Sind seine Geschichten wirklich erlebt?
Eine Blaumeise setzt sich auf seinen Fuß und holt ihn zurück in seinen Garten. Er schaut zu, wie sie ihren Kopf dreht. Fast scheint ihr Blick fragend zu sein. Seine Gedanken sprechen mit ihr.
Als sie weiter fliegt, schaut er sich um.
Es gibt viel zu hören und zu sehen. Er begleitet die Tage, die kommen und gehen. Nimmt die Veränderung wahr, gerade jetzt im Frühling.
Gestern knitterten die Blätter der Blutbuche noch. Heute ziehen sie sich schon glatt. In den nächsten Tagen wird sich ihre Farbe verwandeln, das Rotbraun immer tiefer werden. Er liebt den Kontrast zum Himmel an Spätsommertagen.
Wenn er nicht mehr in die Welt kann, besucht sie ihn, denke ich und frage, was bleibt.
Dankbarkeit, sagt er. Und die Hoffnung, dass die Buche ihm im Sommer wieder ihren Schatten spenden wird.