Aus dem Chaos I
Verfasst: 22.04.2010, 13:31
Aus dem Chaos I
Letzte Woche Dienstag
Es passiert ja immer zur Unzeit. Ich hätte mir wirklich keinen besseren Moment aussuchen können, meine Brieftasche mit Führerschein und KFZ - Schein zu verlieren oder sie mir stehlen zu lassen, als gerade jetzt, wo wir mitten in der Suche nach einer neuen Wohnung und einem Ladenlokal stecken und auf den Wagen angewiesen sind. „Kommen Sie ins Bürgerbüro“, flötet eine weibliche Stimme, als ich im Rathaus anrufe um zu erfahren, wohin ich mich wenden muss. Bürgerbüro? Klingt gut, denke ich. Hat so was von Kümmern, Kompetenz. „Und bringen Sie ein biometrisches Passphoto mit!“ „Ein was?“ „Ein biometrisches Passphoto!“ Nie gehört. „Seh ich darauf jünger aus? Verdeckt das Falten?“ Der Versuch, mit einem Scherz von meinem Unwissen abzulenken, geht gründlich daneben, denn Frau Rathaus bedauert ganz ernsthaft, Zweifel daran äußern zu müssen.
Ich brauche also Passphotos; allein der Gedanke daran verursacht bereits Unbehagen. Ich mag es schon nicht, im Urlaub oder in der Freizeit photographiert zu werden, geschweige denn aus so einem offiziellen Anlass. Was ziehe ich an? Krawatte oder Polohemd? Früher wäre mir das in jugendlicher Unbekümmertheit egal gewesen, inzwischen habe ich offenbar ein Alter erreicht, in dem solche Fragen geklärt werden wollen. Ich entscheide mich schließlich für letztere Variante und überlege, wo ich einen Photographen finden würde. Im benachbarten Einkaufszentrum hatte ich einen Schlüssel- und Schuhsohlenschnelldienst gesehen, in dessen Schaufenster ein großes Schild „Passphotos“ prangt. Der Betreiber scheint ein Multitalent zu sein.
Als ich am folgenden Tag, sorgfältig rasiert und die wenigen mir noch verbliebenen Haare hingebungsvoll gefönt, den Laden betrete, begrüßt mich ein südländisch aussehender Mann derart überschwänglich, dass ich fast geneigt bin zu glauben, ich sei der erste Kunde, der seinen Fuß in diesen Laden setzt. Gerührt ob solchen Empfangs, schildere ich ihm meinen Wunsch. Ja, natürlich mache er biometrische Photos. Auf meine Frage, was das sei, erfahre ich, die Nase müsse immer in der Mitte und mein Gesicht dürfe nicht verschleiert sein. Was das erste Kriterium betrifft, bin ich sicher, dass eine Asymmetrie meines Riechorgans in mehr als 50 Jahren wohl aufgefallen wäre. Zum zweiten versichere ich ihm wahrheitsgemäß, dass ich nur gelegentlich, nämlich während der Karnevalszeit, zur Verschleierung tendiere.* Daraufhin dirigiert er mich zu einem schwarzen Plastikhocker – mitten im Schaufenster! Damit nicht genug, schärft er mir ein, genau und nur auf die Kameralinse zu blicken, dabei den Kopf um Zehntelmillimeter nach rechts zu neigen, ihn zugleich unter Einbeziehung des Oberkörpers unmerklich kamerawärts zu beugen, die Lippen leicht zu öffnen, ernst zu bleiben und nach dem Blitz noch fünf Sekunden reglos zu verharren. Herr, lass Abend werden! Die Umsetzung dieser Prozedur erweist sich schon im Anfangsstadium als langwierig, da ich mich mehrfach instinktiv nach rechts wende, um zu schauen, ob bzw. wie viele grinsende und feixende Zuschauer sich vor der Fensterscheibe versammelt haben (zum Glück bleibt mir das wenigstens erspart). Die Folge ist, dass der Nachschlüssel herstellende, Türschilder gravierende und Schuhsohlen reparierende Photograph auf mich zustürzt, mit beiden Händen meinen Kopf ergreift und ihn wieder in die richtige Haltung biegt. Ich komme mir vor wie eine Schaufensterpuppe, die in eine für die Präsentation angemessene Positur zu bringen ist. Immerhin bin ich bekleidet!
Als irgendwann die Bilder fertig sind, legt er verschiedene Schablonen auf, brummelt etwas und verkündet dann freudestrahlend, ich sei wunderbar biometrisch. Ich betrachte sein Werk, verberge aber aus Höflichkeit meine Enttäuschung: ich sehe ganz normal aus.
Es ist Mittag (die beste Tageszeit, da am wenigsten Betrieb), als ich das Bürgerbüro betrete. An einem Kasten muss ich einen Knopf drücken, einen Zettel ziehen und werde so zu Nummer 185. Zugleich erfahre ich, dass 29 noch vor mir an der Reihe sind. Im Wartebereich sitzen jedoch nur sieben Nummern. Zwei von ihnen knutschen weltentrückt, scheinen ineinander verschmolzen und erinnern mich in ihrer Haltung an ausgegrabene Vulkanopfer in Pompeji. Die Mimik der Übrigen changiert zwischen frustriert und genervt. Wo sind die anderen 22? Vermutlich rauchen sie ante portas in der Gelassenheit, dass der Genuss von einer oder zwei Zigaretten immer noch weniger lange dauert als das Umspringen der digitalen Anzeige an der Wand, melodiös begleitet von einem harmonischen Dreiklangsignal.
Bleiben oder Gehen? Ich entscheide mich fürs Warten, liegen doch auf den Tischen und in den Regalen genügend bunte Faltprospekte herum, die vom reichen kulturellen Schaffen meines Wohnortes zeugen. Nach nur 48 Minuten ertönt endlich „mein“ Gong und ich werde zu Tisch 8 beordert. Inzwischen stehe ich kurz davor, aus lauter Hunger eine kannibalische** Verzweiflungstat zu begehen, dafür bin ich bestens informiert über einen Bauchtanzkurs der örtlichen VHS sowie über die Voraussetzungen zur Erlangung des Binnenschiffahrtskapitänpatents.
Tisch 8 ist männlich, höchstens Mitte 30, und der Kolorierung seiner Haare nach zu urteilen hat er entweder an sich oder sein Friseur an ihm geprobt. Jedoch scheint ihn selbst die nebelsichere Farbenpracht seines Haupthaares nicht davor bewahrt zu haben, Opfer eines Jagdunfalls zu werden, da in seinem Ohrläppchen noch immer eine kleine Kugel steckt. Auf der rechten Brustseite trägt er ein metallenes Ansteckschildchen, das wohl einmal seinen Namen enthalten hat. Er muss ihm entfallen sein.
Kurz und präzise erkläre ich ihm, warum ich hier bin: erst einmal brauche ich nur einen provisorischen Führerschein, den endgültigen möchte ich aber schon mal beantragen. Die Ausstellung eines neuen KFZ – Scheins würde warten müssen, da ich dafür den Fahrzeugbrief benötige, der sich jedoch noch in einem Ordner mit der Aufschrift „Auto“ befindet. Der wiederum verbirgt sich (hoffentlich) in einem der an drei geografisch weit auseinander liegenden Orten zwischengelagerten Umzugskartons in einem Keller, einer Garage und einem nicht regenfesten Speicher. Seiner Mimik nach zu urteilen scheint ihn meine prägnante Schilderung leicht zu überfordern, daher schiebe ich ihm mit aufmunterndem Lächeln meinen Personalausweis nebst den biometrischen Photos über die blassgrüne, wellige Schreibtischunterlage und blicke ihn erwartungsfroh an. Er unterzieht meine Konterfeis einer eingehenden Prüfung und beginnt schon nach wenigen Sekunden die Stirn zu runzeln. Ich muss an einen Arzt denken, der kurz vor einer schicksalhaften Diagnose ein Röntgenbild betrachtet. Der Befund folgt umgehend und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zulässt: „Ich kann Ihnen hier nicht helfen. Sie müssen zum Bürgerbüro II, wo auch das Straßenverkehrsamt untergebracht ist. Das hier ist Bürgerbüro I.“ In dem vergeblichen Versuch, etwas zu entgegnen, mache ich den Mund mehrfach auf und zu, was mir vermutlich das Aussehen eines verendenden Fisches gibt. „Doch selbst wenn Sie bei mir richtig wären, könnte ich Ihnen nicht helfen, da die Photos nicht biometrisch sind.“ Bitte?! Obwohl ich ahne, dass es nichts bringen wird, wage ich einen Versuch: „Erstens hat man mir am Telefon versichert, ich müsse zum Bürgerbüro kommen--“ „Wo haben Sie denn angerufen?“ „Na hier, im Bürgerbüro!“ erwidere ich mit verfrühtem Triumph in der Stimme. „Dann haben Sie Ihren Fall wahrscheinlich nicht detailliert genug geschildert, sonst hätte man Sie sicher direkt weiter verwiesen.“ Wie hätte ich Tisch 8 das Gegenteil beweisen sollen angesichts behördlicher Unfehlbarkeit? Also versuche ich meinen letzten Trumpf auszuspielen. „Ich habe den Photographen extra gefragt, ob er biometrische Photos herstellen kann, was er bejahte, und er hat mir versichert, dass die Bilder einwandfrei seien.“ „War das wirklich ein Photograph?“ „Ja“, antworte ich und habe das Gefühl, dass mein Gesicht vor Scham höchst unbehördlich rot wird. „Dann verstehe ich es noch weniger, denn er hätte wissen müssen, dass der Hintergrund nicht zweifarbig sein darf“, erwidert er. Tisch 8 zeigt auf das corpus delicti. „Sehen Sie hier, hinter Ihrem Kopf. Oben ist es etwas dunkler, darunter heller. Das darf nicht sein!“ Ich folge seinem Finger und muss gestehen, dass er Recht hat: am oberen Rand ist das Bild dunkler. Ich bin tatsächlich nicht biometrisch!
Als ich fast drei Stunden und ungezählte rote Ampeln später den Multifunktionsladen im Einkaufszentrum zum zweiten Mal an diesem Tag betrete und dem Südländer das niederschmetternde Ergebnis nebst Begründung verkünde, meint der ebenso überzeugend wie treuherzig: „Das hab ich ja noch nie gehört. Dann mache ich jetzt neue Photos ohne Blitz. Natürlich auf Kulanz, keine Sorge.“ Kurz darauf betrachten wir die neuen Aufnahmen: der Hintergrund ist schattenlos, ich schaue drein wie Sekunden vor meiner Hinrichtung, unverschleiert und mit meiner Nase in der Mitte.
Das Bürgerbüro II wird zufrieden sein.
*Danke, leonie
**Dank an Zefi
Letzte Woche Dienstag
Es passiert ja immer zur Unzeit. Ich hätte mir wirklich keinen besseren Moment aussuchen können, meine Brieftasche mit Führerschein und KFZ - Schein zu verlieren oder sie mir stehlen zu lassen, als gerade jetzt, wo wir mitten in der Suche nach einer neuen Wohnung und einem Ladenlokal stecken und auf den Wagen angewiesen sind. „Kommen Sie ins Bürgerbüro“, flötet eine weibliche Stimme, als ich im Rathaus anrufe um zu erfahren, wohin ich mich wenden muss. Bürgerbüro? Klingt gut, denke ich. Hat so was von Kümmern, Kompetenz. „Und bringen Sie ein biometrisches Passphoto mit!“ „Ein was?“ „Ein biometrisches Passphoto!“ Nie gehört. „Seh ich darauf jünger aus? Verdeckt das Falten?“ Der Versuch, mit einem Scherz von meinem Unwissen abzulenken, geht gründlich daneben, denn Frau Rathaus bedauert ganz ernsthaft, Zweifel daran äußern zu müssen.
Ich brauche also Passphotos; allein der Gedanke daran verursacht bereits Unbehagen. Ich mag es schon nicht, im Urlaub oder in der Freizeit photographiert zu werden, geschweige denn aus so einem offiziellen Anlass. Was ziehe ich an? Krawatte oder Polohemd? Früher wäre mir das in jugendlicher Unbekümmertheit egal gewesen, inzwischen habe ich offenbar ein Alter erreicht, in dem solche Fragen geklärt werden wollen. Ich entscheide mich schließlich für letztere Variante und überlege, wo ich einen Photographen finden würde. Im benachbarten Einkaufszentrum hatte ich einen Schlüssel- und Schuhsohlenschnelldienst gesehen, in dessen Schaufenster ein großes Schild „Passphotos“ prangt. Der Betreiber scheint ein Multitalent zu sein.
Als ich am folgenden Tag, sorgfältig rasiert und die wenigen mir noch verbliebenen Haare hingebungsvoll gefönt, den Laden betrete, begrüßt mich ein südländisch aussehender Mann derart überschwänglich, dass ich fast geneigt bin zu glauben, ich sei der erste Kunde, der seinen Fuß in diesen Laden setzt. Gerührt ob solchen Empfangs, schildere ich ihm meinen Wunsch. Ja, natürlich mache er biometrische Photos. Auf meine Frage, was das sei, erfahre ich, die Nase müsse immer in der Mitte und mein Gesicht dürfe nicht verschleiert sein. Was das erste Kriterium betrifft, bin ich sicher, dass eine Asymmetrie meines Riechorgans in mehr als 50 Jahren wohl aufgefallen wäre. Zum zweiten versichere ich ihm wahrheitsgemäß, dass ich nur gelegentlich, nämlich während der Karnevalszeit, zur Verschleierung tendiere.* Daraufhin dirigiert er mich zu einem schwarzen Plastikhocker – mitten im Schaufenster! Damit nicht genug, schärft er mir ein, genau und nur auf die Kameralinse zu blicken, dabei den Kopf um Zehntelmillimeter nach rechts zu neigen, ihn zugleich unter Einbeziehung des Oberkörpers unmerklich kamerawärts zu beugen, die Lippen leicht zu öffnen, ernst zu bleiben und nach dem Blitz noch fünf Sekunden reglos zu verharren. Herr, lass Abend werden! Die Umsetzung dieser Prozedur erweist sich schon im Anfangsstadium als langwierig, da ich mich mehrfach instinktiv nach rechts wende, um zu schauen, ob bzw. wie viele grinsende und feixende Zuschauer sich vor der Fensterscheibe versammelt haben (zum Glück bleibt mir das wenigstens erspart). Die Folge ist, dass der Nachschlüssel herstellende, Türschilder gravierende und Schuhsohlen reparierende Photograph auf mich zustürzt, mit beiden Händen meinen Kopf ergreift und ihn wieder in die richtige Haltung biegt. Ich komme mir vor wie eine Schaufensterpuppe, die in eine für die Präsentation angemessene Positur zu bringen ist. Immerhin bin ich bekleidet!
Als irgendwann die Bilder fertig sind, legt er verschiedene Schablonen auf, brummelt etwas und verkündet dann freudestrahlend, ich sei wunderbar biometrisch. Ich betrachte sein Werk, verberge aber aus Höflichkeit meine Enttäuschung: ich sehe ganz normal aus.
Es ist Mittag (die beste Tageszeit, da am wenigsten Betrieb), als ich das Bürgerbüro betrete. An einem Kasten muss ich einen Knopf drücken, einen Zettel ziehen und werde so zu Nummer 185. Zugleich erfahre ich, dass 29 noch vor mir an der Reihe sind. Im Wartebereich sitzen jedoch nur sieben Nummern. Zwei von ihnen knutschen weltentrückt, scheinen ineinander verschmolzen und erinnern mich in ihrer Haltung an ausgegrabene Vulkanopfer in Pompeji. Die Mimik der Übrigen changiert zwischen frustriert und genervt. Wo sind die anderen 22? Vermutlich rauchen sie ante portas in der Gelassenheit, dass der Genuss von einer oder zwei Zigaretten immer noch weniger lange dauert als das Umspringen der digitalen Anzeige an der Wand, melodiös begleitet von einem harmonischen Dreiklangsignal.
Bleiben oder Gehen? Ich entscheide mich fürs Warten, liegen doch auf den Tischen und in den Regalen genügend bunte Faltprospekte herum, die vom reichen kulturellen Schaffen meines Wohnortes zeugen. Nach nur 48 Minuten ertönt endlich „mein“ Gong und ich werde zu Tisch 8 beordert. Inzwischen stehe ich kurz davor, aus lauter Hunger eine kannibalische** Verzweiflungstat zu begehen, dafür bin ich bestens informiert über einen Bauchtanzkurs der örtlichen VHS sowie über die Voraussetzungen zur Erlangung des Binnenschiffahrtskapitänpatents.
Tisch 8 ist männlich, höchstens Mitte 30, und der Kolorierung seiner Haare nach zu urteilen hat er entweder an sich oder sein Friseur an ihm geprobt. Jedoch scheint ihn selbst die nebelsichere Farbenpracht seines Haupthaares nicht davor bewahrt zu haben, Opfer eines Jagdunfalls zu werden, da in seinem Ohrläppchen noch immer eine kleine Kugel steckt. Auf der rechten Brustseite trägt er ein metallenes Ansteckschildchen, das wohl einmal seinen Namen enthalten hat. Er muss ihm entfallen sein.
Kurz und präzise erkläre ich ihm, warum ich hier bin: erst einmal brauche ich nur einen provisorischen Führerschein, den endgültigen möchte ich aber schon mal beantragen. Die Ausstellung eines neuen KFZ – Scheins würde warten müssen, da ich dafür den Fahrzeugbrief benötige, der sich jedoch noch in einem Ordner mit der Aufschrift „Auto“ befindet. Der wiederum verbirgt sich (hoffentlich) in einem der an drei geografisch weit auseinander liegenden Orten zwischengelagerten Umzugskartons in einem Keller, einer Garage und einem nicht regenfesten Speicher. Seiner Mimik nach zu urteilen scheint ihn meine prägnante Schilderung leicht zu überfordern, daher schiebe ich ihm mit aufmunterndem Lächeln meinen Personalausweis nebst den biometrischen Photos über die blassgrüne, wellige Schreibtischunterlage und blicke ihn erwartungsfroh an. Er unterzieht meine Konterfeis einer eingehenden Prüfung und beginnt schon nach wenigen Sekunden die Stirn zu runzeln. Ich muss an einen Arzt denken, der kurz vor einer schicksalhaften Diagnose ein Röntgenbild betrachtet. Der Befund folgt umgehend und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zulässt: „Ich kann Ihnen hier nicht helfen. Sie müssen zum Bürgerbüro II, wo auch das Straßenverkehrsamt untergebracht ist. Das hier ist Bürgerbüro I.“ In dem vergeblichen Versuch, etwas zu entgegnen, mache ich den Mund mehrfach auf und zu, was mir vermutlich das Aussehen eines verendenden Fisches gibt. „Doch selbst wenn Sie bei mir richtig wären, könnte ich Ihnen nicht helfen, da die Photos nicht biometrisch sind.“ Bitte?! Obwohl ich ahne, dass es nichts bringen wird, wage ich einen Versuch: „Erstens hat man mir am Telefon versichert, ich müsse zum Bürgerbüro kommen--“ „Wo haben Sie denn angerufen?“ „Na hier, im Bürgerbüro!“ erwidere ich mit verfrühtem Triumph in der Stimme. „Dann haben Sie Ihren Fall wahrscheinlich nicht detailliert genug geschildert, sonst hätte man Sie sicher direkt weiter verwiesen.“ Wie hätte ich Tisch 8 das Gegenteil beweisen sollen angesichts behördlicher Unfehlbarkeit? Also versuche ich meinen letzten Trumpf auszuspielen. „Ich habe den Photographen extra gefragt, ob er biometrische Photos herstellen kann, was er bejahte, und er hat mir versichert, dass die Bilder einwandfrei seien.“ „War das wirklich ein Photograph?“ „Ja“, antworte ich und habe das Gefühl, dass mein Gesicht vor Scham höchst unbehördlich rot wird. „Dann verstehe ich es noch weniger, denn er hätte wissen müssen, dass der Hintergrund nicht zweifarbig sein darf“, erwidert er. Tisch 8 zeigt auf das corpus delicti. „Sehen Sie hier, hinter Ihrem Kopf. Oben ist es etwas dunkler, darunter heller. Das darf nicht sein!“ Ich folge seinem Finger und muss gestehen, dass er Recht hat: am oberen Rand ist das Bild dunkler. Ich bin tatsächlich nicht biometrisch!
Als ich fast drei Stunden und ungezählte rote Ampeln später den Multifunktionsladen im Einkaufszentrum zum zweiten Mal an diesem Tag betrete und dem Südländer das niederschmetternde Ergebnis nebst Begründung verkünde, meint der ebenso überzeugend wie treuherzig: „Das hab ich ja noch nie gehört. Dann mache ich jetzt neue Photos ohne Blitz. Natürlich auf Kulanz, keine Sorge.“ Kurz darauf betrachten wir die neuen Aufnahmen: der Hintergrund ist schattenlos, ich schaue drein wie Sekunden vor meiner Hinrichtung, unverschleiert und mit meiner Nase in der Mitte.
Das Bürgerbüro II wird zufrieden sein.
*Danke, leonie
**Dank an Zefi