Seite 1 von 1

Das Insekt

Verfasst: 06.03.2010, 14:51
von derSibirier
Wenn ich so da liege und nach oben schaue auf die Decke, frage ich mich, was die Fliege da treibt. Sie landet, steht verkehrt im Raum und scheint mir unruhig zu sein, als würde sie niemandem vertrauen. Und wie ist es mit meinem Vertrauen? Kann ich dem Insekt, dem ich Aug in Aug vertraue, noch ebenso vertrauen, wenn ich es nicht sehe und wenn mein Schlaf uns trennt? Es ist leicht, jemandem zu vertrauen, wenn man ihn gleichzeitig überwacht, es ist vielleicht sogar möglich, jemandem aus der Ferne zu vertrauen, aber im Innern meiner selbst, also aus einer anderen Welt heraus, jemandem außerhalb völlig zu vertrauen, das ist unmöglich. Wird die Fliege in meinem Schlaf die Möglichkeit ergreifen und die Haut nach Essensresten absuchen und wenn sie nichts findet, das Salz aus meinen Poren lecken, oder möchte sie, wenn nichts anderes übrig bleibt, von meinem Blut ein wenig kosten? Ich wäge die Möglichkeiten ab und gestehe mir ein, dass es unberechenbar ist, das Tier. So bleibt mir keine andere Wahl, als mich zu erheben und das Insekt zu jagen, bis ich es in der Hand halte und zerquetsche, denn ich vertraue niemandem und ich bin kein Vertrauensmann.

Verfasst: 07.03.2010, 11:47
von keinsilbig
guten tag, Sibirier,



wieso nur habe ich jetzt nach dem lesen deines textes das gefühl, ich wäre vom langen versuchen, den flugbahnen der fliege mit meinen augen zu folgen, schwindlig?

schön und wirkungsvoll gemacht, wie hier alles ums vertrauen kreist, bis man sich nur noch selbst dreht - und sich wünscht, es würde einfach hier und jetzt mit einem schlag enden. das vertrauen ist sozusagen überstrapaziert.

manche kleinigkeiten in den formulierungen sind für mein gefühl allerdings noch nicht genügend ausgereizt für ein so herrlich artifizielles stück wie dieses hier und wirken sozusagen "sprachlich" zu "geschmeidig", anstatt auch noch im (etwas zu gleichförmigen) rythmus des kreisens ein paar beschleunigungs-haken zu schlagen. will sagen: ich läse auch das an manchen stellen noch gern so schön auf die spitze getrieben wie im großen ganzen des textes als idee!


die find ich nämlich genial - und grenzgenial gemacht. nur die kreise sollten eben ein wenig weniger konzentrisch und kongruent aussehen für mein empfinden. dann wär das hier ein stück zum niederknien. (ich bin ohnehin kurz davor... :daumen: )


sehr gern gelesen.


gruß,

keinsilbig

Verfasst: 07.03.2010, 11:54
von leonie
Hallo Sibirier,

ich stimme keinsilbig zu. Ich finde den Text gut gemacht, meine aber auch, Du könntest das noch mehr ausreizen.

Mir gefällt die "zweite Ebene" auch gut, wie im Kreisen um das eigene Denken aus der Fliege ein Elefant wird und es dann auf Leben und Tod gehen muss.

leonie

Verfasst: 07.03.2010, 12:33
von derSibirier
oh, werde ich hier schön gelobt, danke keinsilbig und leonie.
Nur weiß ich jetzt nicht genau, auf was ihr hinaus wollt. Beispiel?
Es ist eine Kurzprosa, die möchte ich so kurz wie möglich behalten.

schöne Grüße
derSibirier

Verfasst: 07.03.2010, 14:54
von Ylvi
Hallo Sibirier,

Willkommen im Salon.
Leider gleich mit einer kritischeren Stimme, denn mir geht es mit dem Text anders als keinsilbig und Leonie. Ich empfinde ihn als so belehrend-erklärend, sich an den Leser wendend, und an den Fliegenbeinen herangezogen, .-) dass ich bei der finalen (Selbst-)Erkenntnis dachte, wer will das wissen?
Schwierig finde ich auch das zentrale Wort "Vertrauen", weil es für mich in diesem "Gleichnis" nicht wirklich aufgeht, was das Wort eigentlich bedeutet.
Es scheint mir sprachlich eine niedergeschriebene assoziative Kette, bei der die Fliege lediglich der gesuchte Aufhänger war. Das sagt natürlich nichts darüber aus, ob das wirklich so war, nur eben über meinen Eindruck der Gestaltung.
Als Prosatext müssten die einzelnen Gedanken für mich konsequenter aufgebaut sein und präziser (nicht ausführlicher) ausgearbeitet.
Mag sein, dass ich da eigen bin, .-) aber das Gleichnis, bzw. das gewählte Bild, sollte für sich wirken, selbst erzählen können. Von daher würde ich vermutlich das Ganze eher sehr stark verdichten, so dass für den Leser auch etwas bleibt, was ihn nachdenklich macht, ihm ein neues Bild eröffnet.
In dieser Form geht es für mich leider nicht auf.

Liebe Grüße
Flora

Verfasst: 07.03.2010, 15:38
von Mucki
Hallo Sibirier,

mit deinem Text werde ich nicht warm. Er tangiert mich nicht. Woran könnte es liegen, frage ich mich. Ich glaube, es liegt vor allem an diesem Passus:
derSibirier hat geschrieben:Es ist leicht, jemandem zu vertrauen, wenn man ihn gleichzeitig überwacht, es ist vielleicht sogar möglich, jemandem aus der Ferne zu vertrauen, aber im Innern meiner selbst, also aus einer anderen Welt heraus, jemandem außerhalb völlig zu vertrauen, das ist unmöglich.

"jemandem zu vertrauen, wenn man ihn gleichzeitig überwacht" ist ein Widerspruch in sich. Wenn man jemandem überwacht, vertraut man ihm nicht, sondern tut genau das Gegenteil.
Der zweite Grund könnte sein, dass es mir zu fade geschrieben ist. Da ist keine Reibung, kein intensives Erleben, keine Bewegung, obgleich du die Fliege gewählt hast, um das Thema Vertrauen zu reflektieren. Dennoch wirkt das Ganze statisch auf mich, da hallt nichts nach. Ich lese es und ziehe weiter.

Saludos
Gabriella

Verfasst: 07.03.2010, 16:25
von derSibirier
hallo ihr lieben

*smile*, den Text hab ich mal geschrieben, als ich im Bett lag und auf die Decke schaute, vor zwei Monaten etwa. Fliege war keine da, aber ich erdachte mir eine und überlegte mir eine Rechtfertigung, wie ich eine Fliege ohne schlechten Gewissens erschlagen könnte. Es war eine zehn Minuten Eingebung und in zehn Minuten war sie geschrieben, länger hab ich darüber nicht nachgedacht, warum sollte ich auch, ist ja nur eine Fliege. Muss denn immer alles, weiß der Himmel für was, um 120 Ecken gedacht sein?
Und einer Fliege vertraue ich nicht und sie mir hoffentlich auch nicht.

schöne Grüße
derSibirier

Verfasst: 07.03.2010, 16:36
von derSibirier
hallo Gabriella

"jemandem zu vertrauen, wenn man ihn gleichzeitig überwacht" ist ein Widerspruch in sich.

Einem fremden Hund vertraust du doch vermutlich auch nur solange, solange du ihn im Auge behältst.

schöne Grüße
derSibirier

Verfasst: 07.03.2010, 16:41
von Mucki
Hallo Sibirier,

Vertrauen ist ein großes Wort mit einer für mich sehr tiefen Bedeutung.
Ergo hinkt dein Vergleich mit dem Hund für mich. Hier meinst du "über den Weg trauen". Das hat aber nichts mit Vertrauen zu tun.

Saludos
Gabriella

Verfasst: 07.03.2010, 16:45
von derSibirier
Ich bin mit Hunden aufgewachsen, der Sinn des Vertauens hat bei denen eine größere Bedeutung, als bei den Menschen.

Verfasst: 07.03.2010, 17:08
von Ylvi
Hallo Sibirier,

Es war eine zehn Minuten Eingebung und in zehn Minuten war sie geschrieben, länger hab ich darüber nicht nachgedacht, warum sollte ich auch, ist ja nur eine Fliege.
Du hast eine Fliege geschrieben? Wohl doch eher einen Text, oder? Und von Texten erwarte ich einfach mehr, als von Fliegen. ;-)
Muss denn immer alles, weiß der Himmel für was, um 120 Ecken gedacht sein?
Nö, geradeaus ist auch gut, wenn der Text das schafft.

Liebe Grüße
Flora

Verfasst: 07.03.2010, 17:28
von keinsilbig
die idee für den text gefällt mir nach wie vor ungebrochen gut, Sibirier,

aber - wie auch Flora und Gabriella - schreiben, und was auch ich meinte mit

ich läse auch das an manchen stellen noch gern so schön auf die spitze getrieben wie im großen ganzen des textes als idee!
:

er ist etwas zu allgemein und "unaufregend" geschrieben, um auch auf der sprachlichen ebene das kreisen und blitzschnelle wenden der fliege mitzutransportieren, so, wie es ja die gedanken eigentlich als parallelismus dazu auch tun sollten (oder sehe das nur ich als die idee hinter diesem text und es war zufall, dass sich das da mit-andeutet?). die kreisen ja - die gedanken. machen sprünge, wendungen - so, wie die fliege da an der decke. oder war das nicht so gemeint?

sie kreisen aber eben nicht - die worte hier. und haken schlagen sie - so, wie es sprachlich hier formuliert ist - eben auch keine. und genau deshalb fehlt der tollen idee die stimmige sprachliche ausführung, um sie so richtig zünden zu lassen.

eine idee wäre, die wortspielerei, so fliegen-flug-mäßig im sprachrythmus wieder aufzugreifen und die sprache rund um die nicht ganz, aber doch relativ regelmäßig kurvenden flugbahnen einer fliege und die flugbahnen der gedanken um den begriff des vertrauens (bis hin zur verwirrung durch das viele drumherumkreisen) herumzukonstruieren. ein sprachmuster zu finden, das dem flugverhalten der fliege entspricht, dieses verdeutlicht, mitsamt unterbrechungen, kreisen, haken, wenden etc.... , und das letztlich auch das verwirren von gedanken und folgendem blick ausdrückt... bis hin zum wunsch des schlagartigen schlusses - bloß, damit man sich nicht mehr gedanken ums vertrauen machen muss, weil man allein davon schon ganz misstrauisch geworden ist. also das sprachliche spiel mit dem vertrauen auf die spitze zu treiben. ohne übertreibung kann dieser text nämlich mE nicht funktionieren.

der spannungsbogen ist ja schon da. nur die sprache hält da nicht entsprechend mit. und das fände ich - eben der schönen idee wegen - lohnenswert, da zu versuchen, das aufzuholen.

ist jetzt klarer, was ich meinte?


gruß,


keinsilbig

Verfasst: 10.03.2010, 18:39
von derSibirier
hallo liebe keinsilbig

Lange habe ich über deinen Kommentar nachgedacht.
Der Typ, der so da liegt, das bin ich. Meine Gedanken sind nüchtern, sie kreisen nicht, sind nur manchmal ein bisschen sinnsuchend. Die Fliege erregt keine Emotionen in mir, ich beobachte sie und mache mir Gedanken über ihr Tun. Das Insekt ist nichts wert, der Typ genau so wenig. Es ist eine Begegnung auf die primitivste Art und Weise. Der überlegene Gedankensammler nimmt der Kreatur am Ende das Leben. Es kümmert ihn nicht weiter. Nur kurz war sein Hinterfragen nach Wertschätzung, nach Vertrauen und gegenseitiger Akzeptanz. Die Fliege ist das Sinnbild für: so ist es und wird es immer sein. Mit ihrem Tod wischt er auch seine Gedanken beiseite.

schöne Grüße
der Sibirier

Verfasst: 10.03.2010, 18:42
von derSibirier
vermutlich verwirrt mein Kommentar nun, aber ich musste es selbst erst ergründen.