Heimweh
Verfasst: 11.12.2009, 16:13
Anja hasste Erbsen. Verlegen räumte sie die grünen Kugeln auf dem Teller hin und her.
Die Kartoffeln rochen nach Chlor. Sie schob sie zwischen die Backenzähne, dabei atmete sie flach, um möglichst wenig zu schmecken.
England war schön. Südengland. Das Grün ein Besonderes. Sie war auf einem Bauernhof gelandet. Henry und Caties Tochter Sarah studierte schon und die beiden waren froh, Anja eine Weile bei sich zu haben.
Gestern hatte sie zugeschaut, wie ein Kälbchen zur Welt kam. Henry hatte Stricke um ein dickes Stück Holz gebunden und die losen Enden an den Läufen des Kälbchens befestigt, die schon aus dem Hintern der Kuh ragten. „It needs help“, sagte er ruhig und rau.
Die Kuh stand ruhig, sie war still. Als sei sie die Prozedur schon gewohnt. Henry hatte seine Füße fest auf den Boden gestemmt und mit aller Kraft gezogen. Dann ging alles ganz schnell. Das Kleine fiel auf den Boden, gleich hatten Anja und Henry es mit Stroh trocken gerieben. Der Kuh hingegen schien das Kälbchen seltsam egal zu sein.
Anja schaute einer Erbse hinterher, die über den Teller rollte. Sie aß auch nicht gerne Fleisch. Trotzdem schnitt sie ein Stück von der Scheibe ab, die auf dem Teller lag. Langsam schob sie es in ihren Mund. Sie zwang sich zu kauen und sich nichts anmerken zu lassen.
„That’s tongue“, sagte Caty. “Normally we eat it on Sundays.” Sie lächelte. “I hope, you like it.”
Anja riss sich zusammen. Sie versuchte den aufkommenden Brechreiz zu unterdrücken. Dann schluckte sie das Stück Fleisch unzerkaut hinunter. Sie spürte, wie es sich die Speiseröhre hinunterschob, ein Quadrat, das kaum vorwärts kam und immer wieder nach oben wollte.
„I’m so sorry!“ sagte sie leise und schluckte. „I’m not hungry. Too much breakfast this morning.” Sie schob den Teller von sich. Caties Mundwinkel rutschten für einen Moment nach unten. Dann lächelte sie wieder.
„What about tomorrow?“, fragte sie. “Would you like to go with me to Bath?”
“Yes”. Anja drückte die Tränen weg. Sie versuchte sich auf morgen zu freuen. Und auf das zu hören, was Caty von Bath erzählte. Aber sie war froh, als Caty endlich ihren fast vollen Teller entgegennahm und den Tisch abräumte.
Sie lief hinauf in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett. Sarah war ManU-Fan. Ein Poster der Mannschaft prangte über dem Bett.
Anja drückte ihren Kopf ins Kissen. Ihr Magen fühlte sich an, als sei ein Stück Holz darin. Weiches Holz. Jetzt dehnte es sich aus.
Sie war vielleicht fünf gewesen. Ihre Mutter hatte sie auf den Tisch gesetzt und sie geküsst. „Und jetzt mach den Mund auf“, sagte sie, „dann reiben wir unsere Zungen aneinander.“ Anja hatte es probiert und dann schnell die Zunge zurückgezogen. „Ist doch schön“, sagte Mama. „Komm, noch mal.“ Anja mochte es nicht. Sie öffnete trotzdem den Mund...
Anja stolperte ins Bad. Sie kotzte den leeren Magen aus und wunderte sich, dass kein Holzbrei kam. Sie kotzte, bis es endlich grün wurde.
Schwer atmend setzte sie sich auf der Rand der Badewanne.
Es war der einzige Tag, an dem sie Heimweh hatte.
Erstfassung:
Anja hasste Erbsen. Verlegen räumte sie die grünen Kugeln auf dem Teller hin und her.
Die Kartoffeln rochen nach Chlor. Sie schob sie auf der Gabel in den Mund Richtung Backenzähne, dabei atmete sie flach, um möglichst wenig zu schmecken.
England war schön. Südengland. Das Grün ein Besonderes. Sie war auf einem Bauernhof gelandet. Henry und Caties Tochter Sarah studierte schon und die beiden waren froh, Anja eine Weile bei sich zu haben.
Gestern hatte sie zugeschaut, wie ein Kälbchen zur Welt kam. Henry hatte Stricke um ein dickes Stück Holz gebunden und die losen Enden an den Pfoten des Kälbchens befestigt, die schon aus dem Hintern der Kuh ragten. „It needs help“, sagte er mit seiner rauen Stimme.
Die Kuh stand ruhig, sie war still. Als sei sie die Prozedur schon gewohnt, zu gebären. Henry hatte seine Füße fest auf den Boden gestemmt und mit aller Kraft gezogen. Dann ging alles ganz schnell. Das Kleine fiel auf den Boden, sofort hatten Anja und Henry es mit Stroh trocken gerieben. Der Kuh aber schien das Kälbchen seltsam egal zu sein.
Anja schaute einer Erbse hinterher, die über den Teller rollte. Sie aß auch nicht gerne Fleisch. Trotzdem schnitt sie ein Stück von der Scheibe ab, die auf dem Teller lag. Langsam schob sie es in ihren Mund. Sie zwang sich zu kauen und sich nichts anmerken zu lassen.
„That’s tongue“, sagte Caty. “Normally we eat it on Sundays.” Sie lächelte. “I hope, you like it.”
Anja riss sich zusammen. Sie versuchte einen Brechreiz zu unterdrücken. Dann schluckte sie das Stück Fleisch unzerkaut hinunter. Sie spürte, wie es sich die Speiseröhre hinunterschob, ein Quadrat, das kaum vorwärts kam und immer wieder nach oben wollte.
„I’m so sorry!“ sagte sie leise und schluckte. „I’m not hungry. Too much breakfast this morning.” Sie schob den Teller von sich. Caties Mundwinkel rutschten für einen Moment nach unten. Dann lächelte sie wieder.
„What about tomorrow?", fragte sie. “Would you like to go with me to Bath?”
“Yes”. Anja drückte die Tränen weg. Sie versuchte sich auf morgen zu freuen. Und den Faden nicht zu verlieren. Aber sie war froh, als Caty endlich ihren fast vollen Teller entgegennahm und den Tisch abräumte.
Sie lief hinauf in das Zimmer und legte sich auf das Bett. Sarah war ManU-Fan. Ein Poster der Mannschaft prangte über dem Bett.
Anja drückte ihren Kopf ins Kissen. Ihr Magen fühlte sich an, als sei ein Stück Holz darin. Weiches Holz. Jetzt dehnte es sich aus.
Sie war vielleicht fünf gewesen. Ihre Mutter hatte sie auf den Tisch gesetzt und sie geküsst. „Und jetzt mach den Mund auf“, sagte sie, „dann reiben wir unsere Zungen aneinander.“ Anja hatte es probiert und dann schnell die Zunge zurückgezogen. „Ist doch schön“, sagte Mama. „Komm, noch mal.“ Anja fand es ekelig. Aber wenn Mama es schön fand.
Anja stolperte ins Bad. Sie kotzte den leeren Magen aus und wunderte sich, dass kein Holzbrei kam. Sie kotzte, kotzte, kotzte. Bis es endlich grün wurde. Und bitter.
Schwer atmend setzte sie sich auf der Rand der Badewanne.
Es war der einzige Tag, an dem sie Heimweh hatte.
Die Kartoffeln rochen nach Chlor. Sie schob sie zwischen die Backenzähne, dabei atmete sie flach, um möglichst wenig zu schmecken.
England war schön. Südengland. Das Grün ein Besonderes. Sie war auf einem Bauernhof gelandet. Henry und Caties Tochter Sarah studierte schon und die beiden waren froh, Anja eine Weile bei sich zu haben.
Gestern hatte sie zugeschaut, wie ein Kälbchen zur Welt kam. Henry hatte Stricke um ein dickes Stück Holz gebunden und die losen Enden an den Läufen des Kälbchens befestigt, die schon aus dem Hintern der Kuh ragten. „It needs help“, sagte er ruhig und rau.
Die Kuh stand ruhig, sie war still. Als sei sie die Prozedur schon gewohnt. Henry hatte seine Füße fest auf den Boden gestemmt und mit aller Kraft gezogen. Dann ging alles ganz schnell. Das Kleine fiel auf den Boden, gleich hatten Anja und Henry es mit Stroh trocken gerieben. Der Kuh hingegen schien das Kälbchen seltsam egal zu sein.
Anja schaute einer Erbse hinterher, die über den Teller rollte. Sie aß auch nicht gerne Fleisch. Trotzdem schnitt sie ein Stück von der Scheibe ab, die auf dem Teller lag. Langsam schob sie es in ihren Mund. Sie zwang sich zu kauen und sich nichts anmerken zu lassen.
„That’s tongue“, sagte Caty. “Normally we eat it on Sundays.” Sie lächelte. “I hope, you like it.”
Anja riss sich zusammen. Sie versuchte den aufkommenden Brechreiz zu unterdrücken. Dann schluckte sie das Stück Fleisch unzerkaut hinunter. Sie spürte, wie es sich die Speiseröhre hinunterschob, ein Quadrat, das kaum vorwärts kam und immer wieder nach oben wollte.
„I’m so sorry!“ sagte sie leise und schluckte. „I’m not hungry. Too much breakfast this morning.” Sie schob den Teller von sich. Caties Mundwinkel rutschten für einen Moment nach unten. Dann lächelte sie wieder.
„What about tomorrow?“, fragte sie. “Would you like to go with me to Bath?”
“Yes”. Anja drückte die Tränen weg. Sie versuchte sich auf morgen zu freuen. Und auf das zu hören, was Caty von Bath erzählte. Aber sie war froh, als Caty endlich ihren fast vollen Teller entgegennahm und den Tisch abräumte.
Sie lief hinauf in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett. Sarah war ManU-Fan. Ein Poster der Mannschaft prangte über dem Bett.
Anja drückte ihren Kopf ins Kissen. Ihr Magen fühlte sich an, als sei ein Stück Holz darin. Weiches Holz. Jetzt dehnte es sich aus.
Sie war vielleicht fünf gewesen. Ihre Mutter hatte sie auf den Tisch gesetzt und sie geküsst. „Und jetzt mach den Mund auf“, sagte sie, „dann reiben wir unsere Zungen aneinander.“ Anja hatte es probiert und dann schnell die Zunge zurückgezogen. „Ist doch schön“, sagte Mama. „Komm, noch mal.“ Anja mochte es nicht. Sie öffnete trotzdem den Mund...
Anja stolperte ins Bad. Sie kotzte den leeren Magen aus und wunderte sich, dass kein Holzbrei kam. Sie kotzte, bis es endlich grün wurde.
Schwer atmend setzte sie sich auf der Rand der Badewanne.
Es war der einzige Tag, an dem sie Heimweh hatte.
Erstfassung:
Anja hasste Erbsen. Verlegen räumte sie die grünen Kugeln auf dem Teller hin und her.
Die Kartoffeln rochen nach Chlor. Sie schob sie auf der Gabel in den Mund Richtung Backenzähne, dabei atmete sie flach, um möglichst wenig zu schmecken.
England war schön. Südengland. Das Grün ein Besonderes. Sie war auf einem Bauernhof gelandet. Henry und Caties Tochter Sarah studierte schon und die beiden waren froh, Anja eine Weile bei sich zu haben.
Gestern hatte sie zugeschaut, wie ein Kälbchen zur Welt kam. Henry hatte Stricke um ein dickes Stück Holz gebunden und die losen Enden an den Pfoten des Kälbchens befestigt, die schon aus dem Hintern der Kuh ragten. „It needs help“, sagte er mit seiner rauen Stimme.
Die Kuh stand ruhig, sie war still. Als sei sie die Prozedur schon gewohnt, zu gebären. Henry hatte seine Füße fest auf den Boden gestemmt und mit aller Kraft gezogen. Dann ging alles ganz schnell. Das Kleine fiel auf den Boden, sofort hatten Anja und Henry es mit Stroh trocken gerieben. Der Kuh aber schien das Kälbchen seltsam egal zu sein.
Anja schaute einer Erbse hinterher, die über den Teller rollte. Sie aß auch nicht gerne Fleisch. Trotzdem schnitt sie ein Stück von der Scheibe ab, die auf dem Teller lag. Langsam schob sie es in ihren Mund. Sie zwang sich zu kauen und sich nichts anmerken zu lassen.
„That’s tongue“, sagte Caty. “Normally we eat it on Sundays.” Sie lächelte. “I hope, you like it.”
Anja riss sich zusammen. Sie versuchte einen Brechreiz zu unterdrücken. Dann schluckte sie das Stück Fleisch unzerkaut hinunter. Sie spürte, wie es sich die Speiseröhre hinunterschob, ein Quadrat, das kaum vorwärts kam und immer wieder nach oben wollte.
„I’m so sorry!“ sagte sie leise und schluckte. „I’m not hungry. Too much breakfast this morning.” Sie schob den Teller von sich. Caties Mundwinkel rutschten für einen Moment nach unten. Dann lächelte sie wieder.
„What about tomorrow?", fragte sie. “Would you like to go with me to Bath?”
“Yes”. Anja drückte die Tränen weg. Sie versuchte sich auf morgen zu freuen. Und den Faden nicht zu verlieren. Aber sie war froh, als Caty endlich ihren fast vollen Teller entgegennahm und den Tisch abräumte.
Sie lief hinauf in das Zimmer und legte sich auf das Bett. Sarah war ManU-Fan. Ein Poster der Mannschaft prangte über dem Bett.
Anja drückte ihren Kopf ins Kissen. Ihr Magen fühlte sich an, als sei ein Stück Holz darin. Weiches Holz. Jetzt dehnte es sich aus.
Sie war vielleicht fünf gewesen. Ihre Mutter hatte sie auf den Tisch gesetzt und sie geküsst. „Und jetzt mach den Mund auf“, sagte sie, „dann reiben wir unsere Zungen aneinander.“ Anja hatte es probiert und dann schnell die Zunge zurückgezogen. „Ist doch schön“, sagte Mama. „Komm, noch mal.“ Anja fand es ekelig. Aber wenn Mama es schön fand.
Anja stolperte ins Bad. Sie kotzte den leeren Magen aus und wunderte sich, dass kein Holzbrei kam. Sie kotzte, kotzte, kotzte. Bis es endlich grün wurde. Und bitter.
Schwer atmend setzte sie sich auf der Rand der Badewanne.
Es war der einzige Tag, an dem sie Heimweh hatte.