Wenn die Dielen knackten und der Tod im Schrank hockte, lag sie steif u im Bett und schwitzte. Sie lauschte in die Dunkelheit. Zwischen dem Bett und dem Rest der Wohnung klaffte ein dunkler Spalt. Er wurde immer größer. Das Bett trieb schwankend auf den Ozean hinaus. Das Wasser war salzig und sie hörte die Vögel nicht mehr. Das dunkle Wasser schwappte in ihren geöffneten Mund. Sie versank allein ganz weit draußen, während im Wohnzimmer der Fernseher lief.
In der stickigen Dunkelheit hörte sie den Tod flüstern. Er unterspülte die Wohnung. Er erzählte Geschichten, die ihre Haut spannten und ihr Herz rau machten. Er war immer da. Er saß im Spiegel der Frisierkommode und in den Augenringen ihrer Mutter.
Später folgte sie den roten Vögeln durch die Altstadt. Sie hastete den Judenberg hinunter und klammerte sich an das verrostete Geländer. Der Berg wand sich in Kurven durch enge, holprige Gässchen. Abwasserkanäle rauschten zwischen den Häusern Sie hockten dort unten schwerfällig wie alte Kröten. Sie musste an zersplitterte Geigen und zerbrochene Fensterscheiben denken, die vor Alter blind waren. Die geborstene Musik der Geige heftete sich an ihre Fersen und sie schleifte die unglücklichen Töne hinter sich her wie ein ausgeleiertes Strumpfband. Die roten Vögel nisteten in einer Mauer. Erst jetzt sah sie, dass aus ihrem Gefieder Blut tropfte. Die Mauer verdeckte den Himmel.
Judengasse
Hallo Wüstenfuchs,
auch als Nicht-DDR-Fan zähle ich wohl zu den roten Vögeln - und das gerne. Gut geschrieben ist er, der Text, finde ich, auch wenn ich mit ihm inhaltlich nicht ganz konform gehe.
Schöne Grüße
Jürgen
PS: Ganz vergessen:
auch als Nicht-DDR-Fan zähle ich wohl zu den roten Vögeln - und das gerne. Gut geschrieben ist er, der Text, finde ich, auch wenn ich mit ihm inhaltlich nicht ganz konform gehe.
Schöne Grüße
Jürgen
PS: Ganz vergessen:
steif u im Bett
Zuletzt geändert von Jürgen am 01.11.2009, 11:16, insgesamt 1-mal geändert.
Lieber Ben,
Auch in Wien gibt es eine Judengasse
Ich mag den Text gern, allerdings stört mich die Zeitform, ich lese ihn für mich im Präsens. Das Präteritum hier empfinde ich mühsam und zäh.
Sie muss an gebrochene Fensterscheiben denken, die vor Alter blind sind. An zersplitterte Geigen.
Und dann kommt ja der Musikbezug.
Lieben Gruß
Elsa
Auch in Wien gibt es eine Judengasse

Ich mag den Text gern, allerdings stört mich die Zeitform, ich lese ihn für mich im Präsens. Das Präteritum hier empfinde ich mühsam und zäh.
Da gefiele mir besser, wenn 2 Sätze stehen würden:Sie musste an zersplitterte Geigen und zerbrochene Fensterscheiben denken, die vor Alter blind waren.
Sie muss an gebrochene Fensterscheiben denken, die vor Alter blind sind. An zersplitterte Geigen.
Und dann kommt ja der Musikbezug.
Lieben Gruß
Elsa
Schreiben ist atmen
Lieber Fux, eine schöne Schreibe hast du, besonders gefielen mir:
folgende Wendungen:
(vielleicht für einen kurzen Text zuviele wie-Vergleiche?
Dass Titel und Thematik "Judengasse" betreffen, würde ich aussparen, dann wäre das Bild noch deutlicher.
lG
Renée
folgende Wendungen:
Das dunkle Wasser schwappte in ihren geöffneten Mund. Sie versank allein ganz weit draußen, während im Wohnzimmer der Fernseher lief.
Die geborstene Musik der Geige heftete sich an ihre Fersen und sie schleifte die unglücklichen Töne hinter sich her wie ein ausgeleiertes Strumpfband.
(vielleicht für einen kurzen Text zuviele wie-Vergleiche?
Dass Titel und Thematik "Judengasse" betreffen, würde ich aussparen, dann wäre das Bild noch deutlicher.
lG
Renée
Hallo,
ein großartiger Text, ich bin schon zum dritten Mal hier in dem Ordner ...
Was den Satz mit den Fensterscheiben und Geigen betrifft, stimme ich Elsa zu, ich würde auch zwei Sätze daraus machen.
Es gibt einige ungewöhnliche Wendungen, die aber alle zur Atmosphäre beitragen. Zum Beispiel hier, da habe ich einen Moment gestutzt -
Ein schönes Bild und in der Wirkung viel schräger und "kurviger", als wenn sich wie gewohnt die Gasse den Berg hinunter winden würde ...
Bewundernden Gruß
Zefira
ein großartiger Text, ich bin schon zum dritten Mal hier in dem Ordner ...
Was den Satz mit den Fensterscheiben und Geigen betrifft, stimme ich Elsa zu, ich würde auch zwei Sätze daraus machen.
Es gibt einige ungewöhnliche Wendungen, die aber alle zur Atmosphäre beitragen. Zum Beispiel hier, da habe ich einen Moment gestutzt -
Der Berg wand sich in Kurven durch enge, holprige Gässchen.
Ein schönes Bild und in der Wirkung viel schräger und "kurviger", als wenn sich wie gewohnt die Gasse den Berg hinunter winden würde ...
Bewundernden Gruß
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Lieber Ben,
ich habe diesen Text gewählt, weil ich eine Ahnung davon habe wie gut er ist, aber zu ungebildet bin in Bezug auf sein Spiel mit dem Wort "Judengasse", was das für einen Kontext schafft, worauf er referiert, was er dann ganz anders macht, also in anderes transportiert - kann mir da jemand helfen? Für mich fühlt es sich unangemessen an, jetzt danach zu googeln.
liebe Grüße,
Lisa
ich habe diesen Text gewählt, weil ich eine Ahnung davon habe wie gut er ist, aber zu ungebildet bin in Bezug auf sein Spiel mit dem Wort "Judengasse", was das für einen Kontext schafft, worauf er referiert, was er dann ganz anders macht, also in anderes transportiert - kann mir da jemand helfen? Für mich fühlt es sich unangemessen an, jetzt danach zu googeln.
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Liebe Lisa,
danke, dass du den Text gewählt hast.
Eigentlich ist er nicht so kompliziert, ist eher sogar autobiografisch.
Ich beschäftige mich zur Zeit mit meiner Kindheit. Ich bin aufgewachsen im engen Kontakt mit zwei jüdischen Mädchen. Habe den Kontakt bis heute. Sie erzählten viel über ihre Eltern, die nachts im Schlaf schrieen.
Ich war in diesen Wohungen, und selbst dort konnte man immer noch die Angst riechen. Der Vater der einen meldete sich am Telefon nur mit seiner Nummer. Es gab viel Verstörendes, der viel ältere Bruder brachte sich schließlich um und sie zeigten mir die Judengasse und den Judenberg.
Trotz allem Kontakt blieb immer ein Grenze, die ich nicht übertreten durfte.
Ich wollte das mit ihnen Erlebte zum Ausdruck bringen in einer nicht konkreten Form. Ich habe durch diese Freundschaften mich viel mit jüdischer Mystik befasst.
Es ist also Alles ganz einfach,
Viele Grüße
Ben
danke, dass du den Text gewählt hast.
Eigentlich ist er nicht so kompliziert, ist eher sogar autobiografisch.
Ich beschäftige mich zur Zeit mit meiner Kindheit. Ich bin aufgewachsen im engen Kontakt mit zwei jüdischen Mädchen. Habe den Kontakt bis heute. Sie erzählten viel über ihre Eltern, die nachts im Schlaf schrieen.
Ich war in diesen Wohungen, und selbst dort konnte man immer noch die Angst riechen. Der Vater der einen meldete sich am Telefon nur mit seiner Nummer. Es gab viel Verstörendes, der viel ältere Bruder brachte sich schließlich um und sie zeigten mir die Judengasse und den Judenberg.
Trotz allem Kontakt blieb immer ein Grenze, die ich nicht übertreten durfte.
Ich wollte das mit ihnen Erlebte zum Ausdruck bringen in einer nicht konkreten Form. Ich habe durch diese Freundschaften mich viel mit jüdischer Mystik befasst.
Es ist also Alles ganz einfach,
Viele Grüße
Ben
Lieber Fux,
mit diesem "Hintergrund" erschließt sich mir der Text noch einmal ganz anders. Ich kriege Gänsehaut, wenn ich das lese und es entsetzt mich, wie sich die Angst auf die nächste Generation überträgt (und leider kann man ja nciht mal sagen grundlos).
Ich finde, Du hast starke und unverbrauchte Bilder dafür gefunden: geborstene Musik (zum Beispiel) - da muss man erstmal drauf kommen...
Kompliment!
von leonie
mit diesem "Hintergrund" erschließt sich mir der Text noch einmal ganz anders. Ich kriege Gänsehaut, wenn ich das lese und es entsetzt mich, wie sich die Angst auf die nächste Generation überträgt (und leider kann man ja nciht mal sagen grundlos).
Ich finde, Du hast starke und unverbrauchte Bilder dafür gefunden: geborstene Musik (zum Beispiel) - da muss man erstmal drauf kommen...
Kompliment!
von leonie
Lieber Ben, da ich in eine jüdische Familie eingeheiratet habe, habe ich den Kontext so wie du ihn beschreibst, verstanden. Das ist nun eine meiner Grenzen. Ich habe gelernt, diese Grenze, die mir wortlos bedeutet wurde, nicht zu überschreiten. Im Lauf der fast vierzig Jahre unserer Gemeinsamkeit habe ich diese Grenze akzeptiert. Ich sehe und verstehe seinen Blick, wenn ihn etwas oder jemand auf diese innere an die Vernichtung gemahnende Wortwelt hinweist. (Oje, so verdammt schwer ist es, in Worte zu fassen, was da sich abspielt). Diese Worte müssen uns sozusagen fremd bleiben. Deshalb meinte ich, dass auch ohne die Erwähnung der 'Judengasse' der Text sehr stark wäre. Wenn du das Wort weglässt, bleibst du im Unsäglichen, und das ist doch hier wichtig?
Ich hoffe, du verstehst, was ich meine.
lG
Renée
Ich hoffe, du verstehst, was ich meine.
lG
Renée
guter hervorragender text.. der mit der angst & ihren subtilen ungesagten sätzen arbeitet
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).
Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel
Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel
Lieber Ben,
danke für diese Erläuterungen, das war für mich in diesem Fall ganz wichtig, ich war ganz unsicher gegen den Text. Da kann ich erst Recht nur sagen: Richtig gut geschrieben, starke Bilder und trotz der Kürze in sich rund und fertig.
liebe Grüße,
Lisa
danke für diese Erläuterungen, das war für mich in diesem Fall ganz wichtig, ich war ganz unsicher gegen den Text. Da kann ich erst Recht nur sagen: Richtig gut geschrieben, starke Bilder und trotz der Kürze in sich rund und fertig.
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
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