the same procedere in the medien as every year, miss sophie

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
jondoy
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Beitragvon jondoy » 11.09.2009, 19:07

.




Heute um
19.00 Uhr
Gedächtnisficken


Die ehemaligen Paare treffen sich
zum Auftakt der Gedenkveranstaltung
vor den Eingängen der teilnehmenden Hotels
in unmittelbarer Nähe des Ground Zero.
Es erwartet Sie ein Wiedersehens-Prosecco.


Die Kameras aus dem Alten Europa
sind zu der Veranstaltung eingeladen.
Es wird rund um die Nacht live
in die Arabische Welt übertragen.

Bedenken Sie bei Ihrer Teilnahme.
Es handelt sich um einen Akt der
Freiheit in der Stadt New York.

Um den ernsten Charakter des
Tages zu bewahren ist nur erlaubt
schwarze Dessous und Kondome zu tragen.





.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 16.09.2009, 01:28

Hallo Herby,

ich hab gestern erfolglos versucht, Antworten darauf zu geben.

Ja, der Doppelpunkt gehört hin. Ich werde es ändern.

Der Titel war von mir als Parodie gedacht. Die beiden machen sich über sich selbst lustig, über ihre eigene mediale Präsenz jedes Jahr in den Medien an einem bestimmten Tag zu einem bestimmten Termin.

Du schreibst:

[quote=]
Dein Zusatz mutet mir wie eine Mischung aus der Vorwegnahme späterer Kritik und der Hoffnung, dass eine solche Warnung gerade erst recht Leser anzieht, an. [/quote]

Das lässt mir leider keine Chance mehr, dazu Stellung zu nehmen.

Ich danke dir für deine offenen Worte.

Liebe Grüße,
Stefan


Hallo Flora,

du schreibst:

[quote=]
ich kann weder deiner Unterscheidung von Kunst und Literatur folgen, noch deinen Erklärungen und Absichten, warum du diesen Text geschrieben und gepostet hast, oder was dir die Kommentare und die Kritik sagen.[/quote]

Das ist wirklich ein rundum vernichtendes Urteil.

Gruß,
Stefan


Hallo Mucki,

ich kenn die Handlung von Dinner for one. Nicht perfekt. So halbwegs.
Ich sah die Sendung früher oft bei privaten Silvesterpartys, auf denen ich war, wegen der Sendung wurde extra kurz die Mattscheibe angemacht, sie war Kult, richtig konzentriert hab ich die Sendung nie verfolgt, es war schließlich Party. Außerdem waren die Dialoge in Englisch.

Gruß,
Stefan

Nifl
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Beitragvon Nifl » 16.09.2009, 08:38

Hallo Jondoy,

Vielleicht der Ursprungskern des ganzen, liegt an diesem realen 11. September, als ich heimkam, im Wohnzimmer erfuhr, was gerade im Gange war, war ich ganz aufgedreht, das kann man gar nicht beschreiben, für mich war das eine freudige Nachricht.


du hast "geflissentlich" die implizite Aufforderung zu einer näheren Erläuterung überlesen?
Ich möchte eine Klarstellung, dass diese abartige Freude nur ein sehr kurzer, irritierter Impuls war.

Gruß
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Andreas

Beitragvon Andreas » 16.09.2009, 09:31

Lieber jondoy,

du klassifizierst dein Machwerk als Satire. Ich bin mir nicht sicher, ob das zutrifft oder, ob das einfach nur etwas teil-fiktionär ausgepolsteter Zynismus ist. Werde darüber nochmals nachdenken.

Ich bin übrigens der Meinung, dass man jedes Thema anfassen darf, bin selber gewiß nicht zart besaitet und kann mir sogar vorstellen, dass eine Satire, die auch mediale Großveranstaltungen wie die am 11.09. ins Visier nimmt, funktionieren kann, aber mich stört deine Warnung in diese "Satire". Eine Satire muss dem Leser die schamlose und/oder bösartige Abhandlung über etwas ins Auge springen lassen, aber nicht durch Ausrufezeichen zu Beginn. Dadurch, dass du selber anführst, dass es geschmacklos ist, wirfst du dem Leser direkt eine Art Glutamat, vielleicht auch Valium, vor die Linse, was das Schocklesen vorher verfälscht.

Mir stellt sich die Frage, was du damit erreichen wolltest? Auf mich wirkt es wie eine Art Gnadengesuch, damit dieser Text nicht zu hart von den Lesern angefasst werden möge. Wenn du das allerdings schon zuvor befürchtet haben solltest, wäre er dann nicht besser in deiner eigenen Schublade geblieben?

Ich bin schon zu sehr mit der Aufmachung, mit der Einleitung, mit der Absicht von dir gedanklich beschäftigt, dass ich mir zunächst eine inhaltliche Stellungnahme verkneife, solange ich den Rahmen drum herum nicht verstehe.

Grüßend
Andreas

Max

Beitragvon Max » 16.09.2009, 12:47

Ich möchte etwas zu bedenken geben.

Mir scheint, dass hier der Eindruck aufgebauit wird, als sei Betroffenheit die einzige (erste) Reaktion, die ob des 11.9. gezeigt werden konnte. Das scheint mir zweifelhaft.

Keine Frage, die Attentate des 11. September sind menschenverachtend und verdienen jede Verdammung. Im Gegensatz zu dem, was Präsident Bush meint, sind sie allerdings nicht feige, feige ist vielmehr aus 10 Kilometer Höhe Bomben abzuwerfen, wenn man weiß, die gegnerische Flag reicht nur 5 Kilometer.

Was die Rezeption dieser Attentate angeht, so sind wir inzwischen acht Jahre weiter und durch die mediale Wiederaufbereitung zu jedem gelegenen und ungelegenen Zeitpunkt einer gewissen Gleichschaltung unterworfen. Wir sind es gewohnt den 11. September mit dem Grauen schlechthin gleichzusetzen, das auf einer Stufe mit dem Holocaust genannt werden kann. Beispielsweise ist nur noch wenigen klar, dass 15 Monate nach dem 11. September eine Naturkatastrophe 100 Mal mehr Menschen das Leben kostete. Aber ich möchte gar nicht auf Sterbetafeln oder Totenarithmetik hinaus.
Ich weiß nicht, wer noch in der Lage ist, seine ersten Eindrücke vom 11. September zu erinnen, sie so wenig wie möglich durch den Filter, der medialen Gehirnwäsche laufen zu lassen. Ich erinnere mich, dass ich ungeheuer aufgeregt war. Es war klar, dass da etwas ziemlich Ungeheuerliches geschehen war, aber die Betroffenheit, die ich natürlich gespürt hätte, wenn ich dort selbst Freunde verloren hätte, auch wenn ich New Yorker wäre, vielleicht auch, wenn ich Amerikaner wäre, hat mich zunächst einmal nicht erreicht. Es sind 3000 Menschen gestorben, das ist schlimm, aber Betroffenheit erfordert eine größere Nähe. Ich muss zugeben, dass für mich die Bilder, die da über den Schirm mit 35 Zentrimeter Diagonale flimmerten, irreal waren. Ich konnte denken, aber nicht fühlen, dass die winzigen schwarzen Schatten, die dau aus den Wolkenkratzern fielen, Menschen waren, die in Panik gesprungen sind. Ich habe dann nachts noch geschaut, Bilder von feuerwehrmänner, die durch die Trümmer gingen, reporter mit Atemmasken und es sah aus wie ein Science fiction und ich konnte erst recht nichts fühlen,. Die Betroffenheit wurde erst durch den Fokus der Medien erzeugt, durch eine Berichterstattung, die natürlich von Menschen kam, die betroffener waren als ich. Ich denke, vielen ist es nicht anders gegangen: Wer es nicht glaubt, mag sich vor Augen halten, dass täglich weltweit etwa 200.000 Menschen sterben und niemand - außer den nächsten Freunden und Angehörigen - ob dieser Zahl betroffen ist. Kein Mensch ist mehr betroffen, dass am 27. August 1883 beinahe 40.000 Menschen beimAusbruch des Krakatauvulkans starben.

Ich kann eine Freude ob des 11. September sicher nicht nachvollziehen, wohl aber eine Aufgeregtheit und ich wende mich aber all die, die behaupten Betroffenheit sei ihre erste Reaktion gewesen, anderes sei gar nicht möglich.

Liebe Grüße
Max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.09.2009, 14:35

Hallo,

ich teile Max Einwände und mein Kommentar zu Text und problematisierter Aussage geht in eine ähnliche Richtung.

Ich denke, obwohl die meisten hier um die (perversen, absurden) Kuriositäten des amerikanischen Habitus in Bezug auf Menschenwürde wissen (was selbstverständlich nicht heißt, dass sie die einzigen wären) und eine kritische Einstellung dazu haben, ist einem trotzdem nicht ständig gegenwärtig, was solch eine Haltung produzieren kann - obwohl selbst der Anschlag ja (zu großen Teilen) auf eben diese Mechanismen zurückzuführen ist. Ich glaube, dass solch ein Verhalten produzieren kann, dass jemand bei solch einem Anschlag wie dem 11. September (in einem ersten Moment/teilweise) Freude empfinden kann - das ist traurig, dass ist wahrscheinlich auch hässlich zu nennen, aber ich kann mir vorstellen, wie es in einem menschlichen Inneren dazu kommen kann, obwohl in New York Menschen gestorben sind, die mit aller Sicherheit nicht zu verantworten sind für das, was dazu geführt hat, und die es auch nicht "verdient" haben, dass man an ihnen dieses Gefühl auslebt. Bei mir etwa ist es so, dass ich überhaupt kein Empfinden für diesen Vorfall in mir spüre - ich habe kein einziges Bild gesehen, dass mir das Gefühl gab, irgendetwas davon mitgeteilt zu bekommen was auf allen Seiten vorgefallen ist da - jedes Bild war mir gewaschen, gedrückt, überzeichnet, unbrauchbar um irgendetwas fühlen zu können direkt für den Anschlag (jede Menger anderes in Bezug auf das Drumherum, Medien etc. natürlich dagegen umso mehr!) - egal wie viele Menschen dort gestorben sind - ich begreife anhand des Materials, was die Geschichte aus diesem realen Geschehen vom ersten Augenblick an bis jetzt gemacht hat, überhaupt nichts, womit ich meine menschlichen Ansichten füllen könnte (denn auch ich habe ja das die Empfidungsthese in mir, dass es als furchtbar einzuordnen ist, was dort passiert ist, aber es tatsächlich einzuordnen im Sinne eines Gefühls, dass mir angemessen vorkommt, das kann ich nicht). Das ist bedauerlich. Wie auch Stefans Gefühl in meinen Augen bedauerlich ist.

Und trotzdem gibt es solche Gefühlszustände: Jeder hat schon einmal und sei es im ganz Kleinen aus bestimmten Gründen Freude bei etwas empfunden, die gerade dadurch motiviert ist, dass jemand anderes "leidet" oder man die Freude eigentlich unanständig nennen müsste - man fühlt sich nicht gut dabei (ob hinterher oder schon währenddessen etc.pp), vielleicht schämt man sich oder man verteidigt sich mit vorgeschobenen Gründen (vor sich selbst) dafür - vielleicht kommt man auch dazu, aufzuarbeiten, wie es dazu kam, schult sich gar, handelt in einer ähnlichen Situation in seinen eigenen Augen menschlicher - verhindern, dass es aber dazu kam, das konnte man nicht. Das ist ja eben der Graus, dass es das gibt! Gäbe es so etwas nicht, gäbe es auch keine Anschläge...kommen die aus dem Himmel? Da kamen nur die Flugzeuge her...

Stefan hat nicht geschrieben, dass er es richtig fand noch dass er es falsch fand so etwas wie freudige Erregung zu empfinden. Er beschrieb einfach, dass es so war. Ich finde das ehrlich und ich finde nicht, dass das etwas ist, was unsagbar ist. Es kann nur nicht ohne etwas dazu im Raum stehen (bleiben).

Deshalb soll meine Stellungnahme auch nicht heißen, dass Stefans Schilderung hier toleriert werden muss oder dass nicht artikuliert werden kann (sogar wohl sollte), dass diese befremdlich ist aufgrund von dem erfahrenen Leid der Opfer etc., ich glaube aber, dass es nicht der richtige Weg ist, von Stefan nun moralisch oder pädagogisch eine Stellungnahme zu verlangen, die unterdrückt, was er gefühlt hat - zu formulieren, man hoffe, man habe sich nur verhört" oder irgendwelche offensichtlich nicht gemeinten Teilaussagen "nur Erregung" ihm vorwurfsvoll darzubieten, damit er sagen kann, so war es gemeint, sie sich selbst in den Mund legt, darauf kommt es nicht an und ich glaube, man hört klar heraus, dass es so von Stefan nicht gemeint war. Auf die hier geforderte Weise wird er nicht antworten können, nicht erklären können, sodass man versteht, was bedeutet: mit seiner Aussage umgehen können, an diesem Gefühl anzuknüpfen, zum Beispiel durch eine Diskussion, die aufzeigt, wie schwierig es ist, angemessen mit dem 11. September umzugehen - sowohl in bedauernder als auch in kritischer Hinsicht.
Fände ich solche psychologischen Worte nicht ausgenudelt oder esoterisiert, würde ich sagen: Wir sind eben alle von so etwa traumatisiert - und ich finde, es ist genauso falsch, bestimmte "schlechte" Gefühle zu unterdrücken wie bestimmte "schlechte" Gefühle einfach nur zu haben, ohne mit ihnen, mit sich noch nicht fertig zu sein..
Die Aufarbeitung der deutschen Geschichte zeigt ja ganz ähnliche Mechanismen - auch dort gibt es diese Art Unterdrückung durch zu frühe Forderung von bestimmten Gefühlen oder Meinungen, die man haben muss - man muss das grausam finden, was in Konzentrationslagern passiert ist - das wurde so oft derartgi hohl bei uns in der Schule praktiziert, das sich bei keinem dieser pädagogischen Versuche ein echtes Gefühl dazu haben darf. Viele Lehrer können etwa dann damit nicht umgehen, dass Schüler gelangweilt in einer KZ-Gedenkstätte stehen, Witze reißen über ausgehungerte Körper oder ähnliches - ich glaube aber, dass sie damit authentischer reagieren als viele der Lehrer, die ich kennen gelernt habe, die angeblich eine so aufgeklärte und mitleidende Einstellung zu unserer Geschichte hatten - im Grunde waren sie durch ihr Trauma weiter davon entfernt, etwas zu fühlen, als diese Schüler.
Was wieder nicht heißt, dass diese Schüler bei diesem Gefühl stehen bleiben sollten, dass man über ihre Witze lachen sollte etc. pp - ich glaube nur einfach, erst einmal muss dieses hässliche Produkt eben geäußert werden dürfen - um dann weiterzumachen mit dem Bewusstsein, dass es tatsächlich so war....

Im Grunde ist es interessant, dass in diesem Thread schon längst etwas steht, was diese Anknäpfung möglich machen könnte - nämlich der oben stehende Text von Stefan - denn wenn nicht Kunst, was dann hat die Möglichkeit so etwas schwieriges zu schaffen? Das Geschmacklose zeigen/sprechen zu dürfen und zugleich darin an etwas anzuschließen, was diese Geschmacklosigkeit zwar nötig aber auch "heilsam", "wichtig", "menschlich" macht?

Allerdings muss ich sagen, dass der oben stehende Text für mich dies noch nicht schafft - woran das liegt, kann ich nicht genau sagen, er krankt für mich an etwas, das muss wohl auch so sein, aber er schafft für mich nicht, eine Bewegung, die etwas in oben geforderter Hinsicht schafft. Für genaue Überlegungen habe ich leider hierzu nicht mehr die zeit in diesem Augenblick, aber teilweise steht es ja auch schon in den Kritiken, die zum Text gegeben wurden. Letztlich kam es mir jetzt hier auch nicht darauf an -.

Da der Text uns nicht weitergeholfen hat, bleibt vielleicht nur zu versuchen, hier wirklich offen zu diskutieren - von allen Seiten her. Dann wird es vielleicht auch für Stefan möglich sein, das hinzuzugeben, was seine Aussage möglich macht.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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leonie
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Beitragvon leonie » 16.09.2009, 16:52

Lieber Stefan und liebe Lisa,

es mag ja sein, dass jemand bei einem solchen Ereignis zunächst einmal Freude empfinden kann. Spontane Gefühle sind ja nun mal nicht steuerbar. Was mich irritiert, ist, dass das hier nebenbei mitgeteilt wird. Als sei es ganz in Ordnung. Ja, dass offensichtlich ganz gerne damit provoziert wird. Und das finde ich nicht okay.

Wenn es mir damals so gegangen wäre, dann hätte ich von mir erwartet, diesem Gefühl gründlich nachzugehen und mich zu fragen, wie es zustande kommt.
Denn der Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar muss doch für alle Menschen gelten. Auch für die, die sich nicht sorgsam um die Umsetzung bemühen. Ansonsten stelle ich mich auf exakt dieselbe Stufe derer, die ich meine, kritisieren zu können.
Da er zu meinen Grundwerten gehört, erwarte ich von mir selber, an mir zu arbeiten, wenn ich bemerke, da passen Gefühle von mir oder Verhaltensweisen nicht dazu.

Und ehrlich gesagt erwarte ich das auch von allen anderen hier im Forum. Das ist für mich ein Grundkonsens, an den man sich halten muss.

Und: Dass man einen Anspruch nicht immer einhalten kann, bedeutet nicht, dass man ihn nicht trotzdem haben sollte. Ist meine Meinung...

Liebe Grüße

leonie

Sam

Beitragvon Sam » 16.09.2009, 17:46

Hallo,

die Diskussion hier zeigt mal wieder, dass es manchmal besser ist, wenn ein Autor über seinen Text nichts sagt. Gerade wenn es es sich um "schwierige" Texte handelt, die schnell zu Missverständissen führen können. Denn, was immer er dazu an Erklärungen beiträgt, lenkt vom Text selber ab.

Mir persönlich ist es völlig wurscht, ob Stefan sich nun am 11. September gefreut hat, oder aus Trauer Kerzen angezündet oder gebetet hat. Und ich glaube auch nicht, dass er sich für seine Gefühle irgendwie rechtfertigen muss. Wobei ich es immer für unglücklich halte, in einem Forum derart private Dinge zu erzählen, da diese, viel lieber als die Literartur, um die es eigentlich gehen sollte, thematisiert werden. Sich zu empören ist immer einfacher, als einer Sache wirklich auf den Grund zu gehen. Und mit der Sache, meine ich den Text. Um den geht es hier nämlich.

Aber, wie es so oft passiert, werden die Dinge hier vermischt (natürlich auch wegen der Äusserungen des Autors) und eine Auseinandersetzung (der Text) wird zu einer Stellungnahme des Autors uminterpretiert, die es nun zu beurteilen gilt.

Nicht die Wahrnehmung des 11. September ist das Thema des Textes, sondern der Umgang mit diesem Ereignis. Das, was im Laufe der Jahre daraus geworden ist. Und auch wenn man über das Ergebnis dieser Auseinandersetzung streiten kann, so bleibt sie genau das, was sie ist: eine Form, ein Bild, wie Stefan selbst sagte, das nicht direkter Abdruck der Wirklichkeit ist, sondern einer Verarbeitung, einer Beschäftigung.

Grundsätzlich kann ich nur sagen: Wer die dunklen Gedanken und Gefühle, zu denen wir Menschen fähig sind, so vehement von sich weist, der sollte von der Literatur lieber die Finger lassen. Oder von mir aus Blumen und Bienen bedichten.


LG

Sam

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leonie
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Beitragvon leonie » 16.09.2009, 18:17

Lieber Sam,

Wer die dunklen Gedanken und Gefühle, zu denen wir Menschen fähig sind, so vehement von sich weist, der sollte von der Literatur lieber die Finger lassen. Oder von mir aus Blumen und Bienen bedichten.


Man kann konstatieren, dass sie vorhanden sind. Auch bei einem selber. Man kann sie auch literarisch "verarbeiten". Und muss sie trotzdem deswegen nicht gut heißen.

Sonst dürfte wohl keiner, der z.B. die Menschenrechte unterschreibt, einen Krimi schreiben.

Hier nimmst Du meiner Meinung nach eine Vermischung vor...



die Diskussion hier zeigt mal wieder, dass es manchmal besser ist, wenn ein Autor über seinen Text nichts sagt.


Ja, in diesem Fall stimme ich Dir zu. Nun hat Stefan aber etwas dazu gesagt und dann muss es erlaubt sein, dazu Fragen zu stellen oder sein Befremden zu äußern.

Mir ist es nun mal nicht egal, ob jemand sich bei Anblick eines Terroranschlags freut oder nicht.


leonie

Sam

Beitragvon Sam » 16.09.2009, 18:46

Hallo Leonie,

Ja, in diesem Fall stimme ich Dir zu. Nun hat Stefan aber etwas dazu gesagt und dann muss es erlaubt sein, dazu Fragen zu stellen oder sein Befremden zu äußern.


Deswegen halte ich diese Aussage auch für unglücklich. Nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie vom eigentlichen Text ablenkt, und völlig unnötige, weil private Diskussionen provoziert.


Man kann konstatieren, dass sie vorhanden sind. Auch bei einem selber. Man kann sie auch literarisch "verarbeiten". Und muss sie trotzdem deswegen nicht gut heißen.


Die Diskussion hier läuft aber, z.T. in die Richtung, das "nicht gut heißen" der Sache selbst mit dem "nicht gut heißen" der Verarbeitung gleichzusetzen. Ich finde es immer schwierig, wenn ein Autor sich für einen Text rechtfertigen muss. Da kommt selten was Gutes bei heraus.
Viel besser wäre es doch, zu untersuchen, ob die Perspektive, die der Text einnimmt, nicht doch den ein oder anderen bedenkswerten Gedanken hervorrufen kann.

Mir sind die Empörungswellen, die bei solch kritischen und schwer verdaulichen Texten so schnell hochschwappen, einfach unverständlich (und ich habe es bei eigenen Texten ja selbst schon einige Male erlebt.)


Sam

Max

Beitragvon Max » 16.09.2009, 21:42

Viel besser wäre es doch, zu untersuchen, ob die Perspektive, die der Text einnimmt, nicht doch den ein oder anderen bedenkswerten Gedanken hervorrufen kann.


Bei mir hat er das definitiv getan ... allein die Frage, was denn die heute gängigen Emotionen zum 11. September hervorgeufen hat, und meine Beschäftigung damit, ob dies schon immer so war, verdanke ich dem Text ...

Nifl
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Beitragvon Nifl » 17.09.2009, 08:21

Huhu.

Ich teile deine Ansicht nicht, Lisa, dass eine Relativierung Jondoys nichts bewirken würde, weil die Gefahr der Unehrlichkeit nur um des Relativierungswillen bestünde. Wir bewegen uns hier in einem öffentlichen Raum und nicht in der Küche einer WG. Darob kann es nickende Mitleser geben von denen wir gar nichts wissen und vielleicht sogar welche, die das erste Mal nicken? Isoliert wie sie dasteht, ist die Äußerung menschenverachtend und rassistisch. Tote, lebende, mutige, feige Menschen gegeneinander aufzurechnen (und dann noch Naturkatastrophen einzubeziehen!) halte ich für nicht zielführend, geschweigedenn rechtfertigend. "Schuld kann niemals Schuld freisprechen". Für mich zählt der einzelne Mensch. Bilder habe ich damals keine gesehen, weil ich keinen Fernseher hatte und trotzdem hat mich der Anschlag tief erschüttert. Vielleicht bin ich ja Empath (weiß es nur noch nicht) oder zu phantasievoll, dass ich zu leicht gedanklich in einem Flugzeug sitze oder aus einem brennenden Hochhaus flüchte, Kz-Aufseher bin oder internierter Jude... Auch dem (sehr abschweifenden) Rechtfertigungsversuch Lisas mit ungebührendem Verhalten der Jugendlichen in KZs kann ich nicht folgen, weil die Vergleichsparameter einfach nicht stimmen. Hier handelt es sich mE. um Unreife, jugendliches Revoltieren (Blüte eines Persönlichkeitsbildungsprozesses), Gruppenabhängigkeiten und einfach Dummheit. Dass du die Betroffenheit der Lehrer als künstlich empfindest, macht mich traurig.
Puh, das musste jetzt raus. Tut mir Leid. Aber es gehört zu meiner Auffassung von Zivilcourage, derartige Äußerungen nicht unkommentiert zu lassen.

LG
Nifl
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Beitragvon Ylvi » 17.09.2009, 10:11

Danke Nifl! Ich versuche seit gestern das irgendwie in Worte zu fassen, du sprichst mir aus der Seele.

liebe Grüße
Flora

Stefan, das war kein vernichtendes Urteil, sondern beschreibt schlicht meine Unfähigkeit, deine Erklärungen zu verstehen und nachzuvollziehen.

Max

Beitragvon Max » 17.09.2009, 11:58

Nifl,

mich stören an Deinem Kommentar zwei Dinge.

Zum einen bin ich von Dir eine genaue Lektüre gewohnt. Nun gehst Du scheinbar auf meinen Kommentar ein, indem Du schreibst:

Tote, lebende, mutige, feige Menschen gegeneinander aufzurechnen (und dann noch Naturkatastrophen einzubeziehen!) halte ich für nicht zielführend, geschweigedenn rechtfertigend.



In meinem Kommentar steht deutlich, dass ich diese Arithmetik ablehne und die eigentlich Frage, die mich bewegt, ist die, wie entsteht Betroffenheit - dass sie einfach da ist, genügt mir nicht. Sätze wie

"Schuld kann niemals Schuld freisprechen."

sind doch heutzutage reine Selbstverständlichkeiten und erklären nichts.

Zweitens ist mir Dein Schlusssatz

Tut mir Leid. Aber es gehört zu meiner Auffassung von Zivilcourage, derartige Äußerungen nicht unkommentiert zu lassen.


doch sehr von der Frage getrieben: Wie steht Nifl da - eine Frage, die ich hier nur periphär interessant finde. Er zieht außrdem eine Demarkationslinie zu denjenigen, die sich nicht so geäußert haben, gegen die ich mich verwehren möchte.

Gruß
Max

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Beitragvon Lisa » 17.09.2009, 12:45

Hallo

Nifl: Erst einmal ist mir wichtig: Im Moderatorenbereich wird bereits besprochen, wie mit Stefans Satz umgegangen wird, da wir uns bewusst sind, dass wir hier in einem öffentlichen Raum befinden, für den ich/wir Verantwortung tragen. Mein Kommentar ist also nicht so gemeint gewesen, dass er ein Argument dafür ist, dass Stefans Satz für sich stehend gerechtfertigt ist.

Weiterhin ist mir extrem wichtig festzuhalten, dass er auch grundsätzlich auf keinen Fall die Meinung vertrat, dass es unangemessen ist, dass auf solch einen von Stefan geäußerten Satz, großes Unverständnis und Irritation folgen, die diesen Satz nicht so stehen lassne können und nachfragen müssen/Erklörung verlangen.
Ich habe nur versucht darzulegen, warum ich denke, dass die Art und Weise, wie nachgefragt wurde, meiner Meinung nach nicht dazu führt, dass Stefan eine Antwort geben kann. Dass nachgefragt wird, halte ich für eine unverzichtbare REaktion - hätte ich den Thread als erste gelesen, hätte ich es auch sofort getan. Ich vertrete allerdings nicht deine Auffassung, dass Stefan es nicht durch einen bestimmten Kontext, den er schafft, schaffen könnte, dass dieser Satz "gesichert" wäre.

Zu den Lehrern: Die Betroffenheit meiner Lehrer krankte an der Unfähigkeit, tatsächlich zu empfinden, was sie uns zu empfinden auftrugen - in diesem Sinne empfand ist sie als künstlich. Ich meine nicht, dass sie nicht aufrichtig versucht haben, aber sie krankte. Wie so viele Versuche der Empathie trotz aufrichtiger Verwendung von Energie kranken, scheitern, andere belasten, andere davon abhalten, selbst einen anderen Zugang dazu zu finden, der vielleicht offener wäre.
Mit deiner Beschreibung von Jugendlichen unter dem Begriff der Pubertät kann ich so nicht so viel anfangen - natürlich macht die Anwendung dieses Begriffes auch Sinn, die Reduktion der Reaktionen von Jugendlichen aber allein auf sie zu beschränken, ist für mich allerdings ein mangelnden Ernstnehmen dieser Menschen.

Sam, zu deinen Beobachtungen Stellung zu beziehen, ist kompliziert, da Stefan nun mal diesen Satz gesagt hat. Wenn die Diskussion hierzu abgeschlossen ist, werde ich versuchen, auf dein Anliegen, sich in bestimmten Fragen an den Text zu wenden, einzugehen, da ich nachvollziehen kann, was du wiederum vermisst.

Soweit erst einmal,
liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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