Fast ein Schnäppchen

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 06.07.2009, 13:48

Ein mehr als erfolgreicher Tag. Sarah konnte hochzufrieden sein. Zu beiden Seiten hingen pralle Papptüten voller preisreduzierter Kleidungsstücke an der schlanken Blondine herab, die sie in Gedanken bereits ihren überreichen Beständen beifügte.
Mit erhobenem Kopf, den Körper straff und aufrecht, wie es das Top erforderte, das einen gute Streifen Bauch frei ließ, trat sie auf eine Straße, um sie zu überqueren. Sie gewahrte erst spät den Bus, der rasch von rechts herankam. Zu rasch. Sarah musste laufen.
Aber das tat sie nicht. Stattdessen blieb sie stehen, drehte sich zu dem nahenden Gefährt um und ließ die Strippen der schweren Tüten von den schmalen Schultern gleiten.
Als der Bus hupend und mit quietschenden Bremsen knapp vor ihr zum Stehen kam, sah sie dem Fahrer resigniert ins bleiche Gesicht, hob mit einem leisen Seufzen ihre Einkäufe auf und ging, seiner wütenden Rufe nicht achtend, ihres Weges.

2. Fassung:
Ein mehr als erfolgreicher Tag. Sarah war hochzufrieden. Die schlanke Blondine trug stolz zu beiden Seiten pralle Papiertüten voller preisreduzierter Kleidungsstücke, die sie in Gedanken bereits ihren überreichen Beständen beifügte, als sie auf eine Straße trat, um sie zu überqueren. Sie gewahrte erst spät den Bus, der rasch von rechts herankam. Wenn sie so weiterging, würde er sie überfahren. Sarah musste laufen.
Aber das tat sie nicht. Stattdessen blieb sie stehen, drehte sich zu dem nahenden Gefährt um und ließ die schweren Tüten von den schmalen Schultern gleiten.
Als der Bus hupend und mit quietschenden Bremsen knapp vor ihr zum Stehen kam, sah sie dem Fahrer resigniert ins bleiche Gesicht, hob mit einem leisen Seufzen ihre Einkäufe auf und ging, seiner wütenden Rufe nicht achtend, ihres Weges.


1. Fassung:
Der Tag war mehr als erfolgreich gewesen. Sarah war hochzufrieden. Die schlanke Blondine trug stolz zu beiden Seiten pralle Papiertüten voller preisreduzierter Kleidungsstücke, die sie in Gedanken bereits ihren überreichen Beständen beifügte, als sie auf eine Straße trat, um sie zu überqueren. So gewahrte sie erst spät den Bus, der rasch von rechts herankam. Wenn sie so weiterging, würde er sie überfahren. Sie musste laufen.
Aber das tat sie nicht. Stattdessen bleib sie stehen, drehte sich zu dem nahenden Gefährt um und ließ die schweren Tüten von den schmalen Schultern gleiten.
Als der Bus hupend und mit quietschenden Bremsen knapp vor ihr zum Stehen kam, sah sie dem Fahrer wie enttäuscht ins bleiche Gesicht, hob mit einem leisen Seufzen ihre Einkäufe auf und ging, seiner wütenden Rufe nicht achtend, ihres Weges.
Zuletzt geändert von Mnemosyne am 10.07.2009, 15:12, insgesamt 5-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.07.2009, 19:58

Hi Merlin,
die Nüchternheit "preisreduzierter Kleidungsstücke" hingegen deutet (Tut es das? Ist jedenfalls so gedacht.) an, dass es sich spätestens jetzt auch in ihren Augen nur noch um nutzlosen Plunder handelt und ihre Zufriedenheit eine leere Hülle ist.

genau so habe ich es auch verstanden. Also ich finde nicht, dass der Text zu viele Adjektive enthält. Das bleiche Gesicht des Fahrers z.B. muss für mich unbedingt drinbleiben. Und überhaupt dieser ganze Absatz hier:
Als der Bus hupend und mit quietschenden Bremsen knapp vor ihr zum Stehen kam, sah sie dem Fahrer resigniert ins bleiche Gesicht, hob mit einem leisen Seufzen ihre Einkäufe auf und ging, seiner wütenden Rufe nicht achtend, ihres Weges.

Das macht es für mich lebendig. Die reduzierte Fassung von dir ist mir zu leblos, zu blass etc.
Wenn der Text länger wäre, dann ginge das evtl., da dann dieser "Tod als Schnäppchen", den sie so nebenbei ganz unerwartet zu machen erhofft, einen ziemlichen Knalleffekt hätte. Aber bei der Kürze des Textes finde ich die Ausschmückung besser.
Übrigens: den Titel würde ich reduzieren auf "Fast ein Schnäppchen". Das "Ein spontaner Einfall" braucht es m.E. nicht.

Saludos
Mucki

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 08.07.2009, 20:05

Hallo Gabriella,
hier geht es natürlich immer stark um Fragen des Geschmacks, aber solange zumindest eine Person außer mir meine Ansicht teilt, gehe ich davon aus, dass das, was ich schreibe, irgendwie sinnvoll ist. Wenn die Formulierung auf dich diese Wirkung hatte, freut mich das also - ich denke, ich werde sie denn auch so lassen.
Was den Titel angeht, werde ich deinem Rat folgen. Der derzeitige Name war als Alternative gedacht, und das Schnäppchen ist wirklich kräftiger.
Liebe Grüße
Merlin

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 08.07.2009, 22:41

Hallo Merlin,
den Film kenne ich nicht, aber was Du erzählst, erinnert mich an ein Buch, das ich kürzlich gelesen (aber nicht ausgelesen) habe; da ging es um Leute, die den Lebenswillen so vollständig verloren, dass sie einfach vergaßen weiterzuatmen.
Das Gefühl, dass Du hier beschreibst - "stumpfen, diffusen Überdruss" transportiert der Text aber in meinen Augen (noch) nicht. Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht, warum, und glaube, es liegt an zwei Stellen. Einmal passen Sarahs Stolz und Zufriedenheit über ihre Einkäufe am Anfang nicht zum Rest. Beim allerersten Lesen hatte ich eher eine slapstickartige Szene vor Augen, wie etwa ein Mensch im Überschwang des Schäppchenwahns beim Anblick der Todesgefahr begeistert ausruft: "O ja, das nehm' ich auch noch mit!" - aber darum geht es ja gerade nicht, wenn ich Dich richtig verstehe.
Der andere Punkt, mit dem ich Probleme habe, ist diese Feststellung:

Wenn sie so weiterging, würde er sie überfahren. Sarah musste laufen.
Aber das tat sie nicht.


Wer trifft diese Feststellung eigentlich? Meines Wissens passen solche Überlegungen "was wäre wenn" nicht einmal zur Kameraperspektive, die nur abbildet, was passiert, aber nicht das, was passieren könnte. Aber zu Sarahs Seelenzustand passt diese Überlegung, die einem gedanklichen Hin und Her gleicht nach dem Motto "soll ich jetzt, ja oder nein?" auch nicht. Ich fände es stärker, wenn das überhaupt wegbliebe, also etwa nur da stünde, dass sie den Bus auf sich zurasen sieht und einfach auf der Straße stehen bleibt.

Was die Tüten betrifft - es wäre klarer, wenn sie nicht die Tüten von den Schultern rutschen ließe, sondern die Tragegurte oder -seile. Was mir überhaupt ein wenig fehlt, ist ein richtig klares Bild der Situation, vor allem in körpersprachlicher Hinsicht. Vielleicht wäre es nützlich, die Szene wirklich mal nachzuspielen. Der "Plot", wenn man das bei einer so kurzen Szene so nennen kann, ist hochinteressant (finde ich).

Schönen Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 09.07.2009, 13:22

Lieber Merlin,

ich würde das ähnlich beschreiben wie Zefi -. Bei mir ist es so: Nach dem Lesen weiß ich, was du erzählen wolltest (ich kann es mir denken), genau wie du es sagst: "eine Art von stumpfem, diffusem Überdruss". Und ich würde den text auf keinen Fall so bearbeiten, dass ich reflexive Sätze wie: "Sie fühlte sich leer" oder "In ihr war alles dumpf" etc. (jetzt extra schlimme als Überspitzung genommen .-) ) hinzufügen würde, da bin ich ganz deiner Meinung. Ich glaube, weshalb ich das Filmbeispiel brachte, ist, weil ich mir da vorstellen kann wie sie geht, wie sie aussieht, wie das Licht auf der Straße ist (ich stelle sie mir übrigens in einem gelbleuchtendem Kleid vor), was für Gesten sie macht - das heißt, der Text müsste es für mich durch das wie seiner Beschreibungen schaffen, diese stumpfe, diffuse rüberzubringen - sei es durch Beschreibung der Szene, Gesten oder Gegenstände, die dies ausdrücken. Bilder haben es da wahrscheinlich leichter als Worte, weil sie schneller mit sinnlichen Wirkungen arbeiten können, aber gerade solche Kurztexte schaffen das auch sehr oft. Es muss einem natürlich etwas einfallen...entschuldige, konkretere Tipps kann ich nicht geben.

Der Kontrast (zum vor den Bus werfent)/oder die Analogie (zum Inneren weil Lebensstil) (je nachdem .-)) der Schlussverkaufschnäppchen jedenfalls passt da für mich schon einmal sehr gut und ich kann mir das mit den Tüten auch gut vorstellen.
Ich würde allerdings auch unbedingt nicht mit erinnernden Gedanken (Sie dachte an Horst, wie er Würstchen aß - Tristesse .-)) arbeiten, das wirkt meist auch erzählerisch plump.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.07.2009, 13:43

Hm, irgendwie erinnern mich die Kommentare hier an diesen Text von mir (ist ja eine ähnliche Situation):

http://www.blauersalon.net/online-liter ... 0022#90022

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 09.07.2009, 20:23

Liebe Zefi, liebe Lisa,
habt vielen Dank für eure ausführlichen Kommentare. Ich werde in mich gehen und sehen, ob und wie ich Sarahs Gestimmtheit anhand ihrer Art, die Umwelt aufzufassen, darstellen kann - was, wie ich gestehen muss, für mich eine ziemlich Herausforderung ist, mich aber auch reizt.
Zwei kleine Änderungen füge ich gleich ein, um die Sache mit den Strippen und die Unstimmigkeit im "hochzufrieden" zu regeln :-).

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.07.2009, 21:04

Hi Merlin,

sorry, aber hiermit hab ich Probleme:
Mit erhobenem Kopf, den Körper straff und aufrecht, wie es das Top erforderte, das einen gute Streifen Bauch frei ließ, trat sie auf eine Straße trat, um sie zu überqueren.

Jemand der aufrecht geht und seinen Bauch zeigt, der also entsprechend gut aussehen muss, wie man aus "der schlanken Blondine" schließt, ist ein Mensch voller Selbstbewusstsein, sprich taff.
Da ist mir dann der Sprung zum evtl. "Todesschnäppchen" zu groß und wirkt nicht mehr glaubwürdig für mich.

Saludos
Mucki

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 10.07.2009, 15:14

*seufz*
Eigentlich sollte das anzeigen, dass ihre Haltung eben nicht von innen kommt, sondern ihr durch ein soziales Exoskelett (in diesem Fall das Top und die damit verbundene "erforderliche" Körperhaltung) vorgegeben wird. Aber es scheint nicht zu klappen. Also back to the drawing board...
Danke für die Anmerkung und liebe Grüße
Merlin

Mucki
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Beitragvon Mucki » 10.07.2009, 15:25

Hey Merlin,

stopp, warte doch erst mal andere Kommentare ab. Ich habe ja nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. ,-) Es ist mein Eindruck, ok?

Saludos
Mucki - ohne Top, aber nur, weil es zu kalt ist ... :pfeifen: :mrgreen:

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noel
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Beitragvon noel » 10.07.2009, 15:55

moinsen...
also mit dem TOP-zitat, habe ich kein prob, denn man kann sich sehr wohl, sehr
professionell den widrigkeiten, den must-do anpassen, "scheinen" bis... bis eben & genau hier passt dann die schlussszene
MIR EBEN
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 10.07.2009, 17:36

Hm, mir geht's wohl ein wenig wie Mucki ...
Schlanke Blondine, schmale Schultern, schwere Taschen - das klang (in der Urfassung) ein wenig überfordert, obwohl es sich um freiwillig übernommene Lasten handelt.
Straffe Haltung, bauchfreies Top - das wäre mir zu sportlich. Das Bild, das mir sofort in den Kopf kommt, wird durch Turnschuhe vervollständigt ... die Zartheit ist leider dahin.
Solche Bilder sind natürlich immer sehr persönlich. Mir wäre lieber zu lesen, dass die schweren Taschen sie zu einer aufrechten Haltung zwingen (das ist ja tatsächlich so, wenn man links und rechts schwere Lasten an den Schultern hängen hat).
Mit Grüßen
Zefira, muss jetzt zum Abiball, seufz
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 10.07.2009, 18:30

Hallo Zefira,
gute Idee. Das versuche ich mal.
Und herzlichen Glückwunsch zum Abi! :-)

Hallo Noel,
dann werde ich die jetzige Fassung stehen lassen und erst einmal im Stillen einige Alternativversuche unternehmen. Danke für den Kommentar!


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